Maultier (Halbkettenfahrzeug)
Der Begriff „Maultier“ steht für eine Fahrzeugklasse, die Gleisketten-Lastkraftwagen mit einem Halbkettenlaufwerk im Zweiten Weltkrieg, die für die Bedürfnisse der deutschen Wehrmacht auf dem östlichen Kriegsschauplatz entwickelt wurde. Zumeist wird die Bezeichnung Sonderkraftfahrzeug 3 (Sd.Kfz. 3) als Synonym verwendet. Die Verwendung der Bezeichnung Sonderkraftfahrzeug 4 für die 4,5-t-Variante ist nicht belegt, nur die Verwendung der Bezeichnung Sonderkraftfahrzeug 4/1 für eine gepanzerter Ausführung des Maultier mit Bewaffnung.
Sd.Kfz. 3 „Maultier“ | |
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Entladen eines „Maultiers“ aus einem Transportflugzeug Messerschmitt Me 323 | |
Allgemeine Eigenschaften | |
Besatzung | 3 Mann |
Länge | 6120 mm |
Breite | 2220 mm |
Höhe | |
Masse | 6650 kg |
Panzerung und Bewaffnung | |
Panzerung | 8–10 mm |
Hauptbewaffnung | keine |
Sekundärbewaffnung | keine |
Beweglichkeit | |
Antrieb | 4-Zylinder-Deutz-Dieselmotor 80 PS |
Federung | Schraubenfedern (Kettenlaufwerk) / Blattfedern (an vorderer Starrachse) |
Geschwindigkeit | 38 km/h |
Leistung/Gewicht |
Hintergrund
Im Sommer 1941 begann die Wehrmacht mit dem „Unternehmen Barbarossa“ und griff mit der Masse ihrer Kräfte und gemeinsam mit einigen Verbündeten die Sowjetunion an. Nachdem bisherige Feldzüge durch die neuen Taktiken und die Organisation der deutschen Streitkräfte schnell abgeschlossen werden konnten, rechnete man für diese Operation ebenfalls mit einem schnellen Sieg, da im Verhältnis zu den ca. 180 angreifenden deutschen Divisionen, nach deutscher Auffassung nur mit 50 bis 75 guten sowjetischen Divisionen zu rechnen sei. Die Widerstandskraft der sowjetischen Verbände, ihre Ausrüstung und die Weite des sowjetischen Raumes waren unterschätzt worden und als im Herbst 1941 die Schlammperiode begann, war ein Sieg in weite Ferne gerückt. Die motorisierten Verbände steckten buchstäblich fest. Nur noch Kettenschlepper und Halbketten waren in der Lage unter diesen Bedingungen die Versorgung der Wehrmacht im Osten zu bewerkstelligen, doch davon gab es viel zu wenige und die anfänglich erbeuteten russischen Schlepper fielen nach und nach durch Ersatzteilmangel aus. Festgefahrene Fahrzeuge wurden zudem zu einem leichten Ziel für den Gegner und gingen dadurch vollständig verloren. Um dies zu vermeiden, wurden Panzer, Schützenpanzer und schwere Halbkettenfahrzeuge der Artillerie zum Schleppdienst im Hinterland eingesetzt.
Die deutschen Schützenpanzer vom Typ Sd.Kfz. 250 und Sd.Kfz. 251 basierten auf den gleichen Fahrwerksbauteilen wie die leichten Zugmaschinen vom Typ Sd.Kfz. 10 und Sd.Kfz. 11, und darum schränkte die Fertigung des einen Fahrzeugs die Produktion des anderen Typs ein. Auch dies war ein Grund dafür, Lastkraftwagen mit Halbkettenlaufwerken zu versehen.[1]
Entwicklung
2-t-Gleisketten-Lkw
Unter der Führung von Dr. Hähnlein wurde 1942 ein Sonderausschuss „Maultier“ gebildet, der sich mit der Entwicklung und Produktion eines Halbketten-Lastkraftwagen befassen sollte. Die deutsche Rüstungsindustrie griff auf Erfahrungen aus verschiedenen Projekten zurück. So hatte beispielsweise Daimler-Benz in den Jahren 1937 bis 1938 ein Fahrzeug mit der Typenbezeichnung LR 75 entwickelt, das für den zivilen Einsatz gedacht war. Doch wurden nur 25 Fahrzeuge dieses Typs gebaut. Relativ schnell war klar, dass die Standard-Lkw der 3-Tonnen-Klasse, die am häufigsten in den aktuellen Kriegsstärkenachweisen des Jahres 1942 zu finden waren, der Ausgangspunkt des Projektes sein sollten. Außerdem war das Problem bei den 4x4-Fahrzeugen geringer als bei den 4x2-Fahrzeugen, so dass die S-Varianten zugrundegelegt wurden. Also wurden die Fahrwerkskonzepte mit dem Magirus S 3000, dem Ford V 3000 S[2], dem Opel Blitz 3,6-36 S und dann auch mit dem Mercedes L 4500 S erarbeitet.[3] Basierend auf den Forderungen entwickelte die Firma Opel ein eigenständiges Gleisketten-System, mit dem die Hinterachse des S-Typ-Lkw auch bei existierenden Fahrzeugen im Baukastenprinzip ersetzt werden konnte. Mit einer verkürzten Antriebswelle wurden über eine Achse mit Differential die vorne liegenden Antriebsräder angetrieben. Zwei mit Blattfedern versehene bewegliche Räderpaare bildeten die Laufräder und die Umlenkrolle saß verhältnismäßig tief. Oben liefen die vom Panzerkampfwagen I stammenden Ketten über zwei Stützlaufrollen.
Doch auch die Waffen-SS hatte schon im Winter 1941/42 nach einer Lösung für das Transportproblem gesucht und einige Ford-Lkw mit einem Laufwerk versehen, das teils von erbeuteten britischen Universal Carriern stammte, und präsentierte nun diese Lösung. Die von der Waffen-SS umgebauten Fahrzeuge gingen genauso wie die Opel-Fahrgestelle in eine umfassende Erprobung. Die Erprobung in Breka durch das Heeres-Waffenamt verlief tendenziell zugunsten des Opel-Entwurfs, der einige Vorteile mit sich brachte. Schwierigkeiten zeigten sich beim SS-Laufwerk im Hinblick auf das Getriebe, diese waren jedoch lösbar.
Produziert wurde schließlich nur das Fahrwerk entsprechend der Waffen-SS-Ausführung. Aus welchem Grund letztlich der Entwurf der Waffen-SS umgesetzt wurde, konnte anhand vorliegender Unterlagen noch nicht geklärt werden.
Die Fahrzeuge erhielten eine Ergänzung in der Typenbezeichnung /SSM (z. B. Ford V 3000 S/SSM), um die Abweichung in der Fahrwerkskonstruktion ersichtlich zu machen.
Daimler-Benz L 4500 R
Ab 1939 hatte Daimler-Benz für die Wehrmacht den Typen L 4500 S gefertigt. Hinzu kam 1941 die Allrad-Variante L 4500 A.
Das Auftreten der neuen sowjetischen Panzertypen an der Ostfront hatte die Forderung einer Panzerabwehrkanone im Kaliber 8,8 cm zur Folge. Diese sollte möglichst an viele Panzerjägerabteilungen ausgegeben werden. Doch fehlte es an Zugfahrzeugen, da der geplante schwere Wehrmachtsschlepper, der die 5-t-Zugmaschine Sd.Kfz. 6 ablösen sollte, noch nicht verfügbar war. Man fragte bei Daimler-Benz und Büssing-NAG an, ob diese die Lastkraftwagen der 4,5-t-Reihe mit einer Gleiskette versehen könnten.
Beide Unternehmen legten Entwürfe vor und Daimler erhielt letztlich einen Erstauftrag über 600 Fahrzeuge. Der Daimler-Entwurf basiert im Wesentlichen auf einer Anpassung von Teilen des Panzerkampfwagen II-Laufwerks an das Fahrgestell des L 4500 S. Die ersten Fahrzeuge wurden im August 1940 ausgeliefert und bis ins Jahr 1944 wurden letztlich 1480 Fahrzeuge des Typs produziert.
Varianten
Um ausreichende Produktionszahlen bei den Gleiskettenschleppern zu erreichen, wurden wie zuvor beschrieben verschiedene Hersteller in die Produktion eingebunden:
Typen
- Sd.Kfz. 3a - Opel im Werk Brandenburg / ca. 4.000 Stück
- Sd.Kfz. 3b - Ford in Köln / 14.000 bis 15.000 Stück (davon 1.000 in Frankreich)
- Sd.Kfz. 3c - Magirus (Klöckner-Humboldt-Deutz) / von 1747 bis 2.500 Stück
- Sd.Kfz. 3/4 - Sanitätskraftwagen (Hersteller unabhängig) / auf Ford- und Opel-Fahrgestell - enthalten in der Gesamtproduktionszahl
- Sd.Kfz. 3/5 - Mercedes 4,5 t - Maultier / 1.480 Stück
Sd.Kfz. 4
Das Sonderkraftfahrzeug 4 findet sich nur in der Typenbezeichnung des 15-cm-Panzerwerfer 42 auf Selbstfahrlafette, der nach der offiziellen Einführung als 15-cm-Panzerwerfer 42 und als Sd.Kfz. 4/1 geführt wird. Von diesem Fahrzeug gab es eine Variante als Munitionsschlepper, die mit der gleichen Sonderkraftfahrzeugnummer (Sd.Kfz. 4/1) geführt wurde und zum Werfer umgebaut werden konnte.
Einsatz
Der Grundgedanke bei der Entwicklung der Maultier-Fahrzeuge war es, ein Fahrzeug zu schaffen, das den spezifischen Gelände- und Straßenverhältnissen der Ostfront in den feuchten Jahreszeiten standhält. So sollten Zuweisungen nur an Einheiten im Osteinsatz erfolgen.
Die Maultiere sollten die hierbei in der Pritschenversion die Aufgabe der regulären Lastkraftwagen übernehmen. Also Versorgung mit Nachschubgütern wie Munition und Lebensmitteln, als Zugfahrzeug für leichte Geschütze der Infanterie-Verbände, Truppentransport, Transport von Pioniergerät (z. B. Minen, Stacheldraht) und nicht zuletzt für den Transport von Verwundeten. Betrachtet man die Zuteilungen, wurde die Munitionsversorgung als wichtigste Aufgabe gesehen. Motorisierte Verbände, wie Panzer-Divisionen, Panzerjäger und Sturmgeschütz-Einheiten, erhielten eine häufig eine Staffel von sechs Maultieren.
Häufig wurden die Fahrzeuge als Ersatz für die Halbkettenschlepper Sd.Kfz. 10 und Sd.Kfz. 11 an Einheiten mit Geschützen ausgegeben. So waren Verbände mit 7,5-cm-Pak 40, 7,62-cm-Pak 36, 10,5-cm-leichter Feldhaubitze 18 und auch 12-cm-Granatwerfern ab 1943 häufiger mit Maultieren ausgerüstet. Sollte eine schwere 8,8-cm-Pak gezogen werden, griff man auf die 4,5-t-Maultiere zurück.
Auch die Luftwaffe erhielt für mobile Einheiten mit 2-cm-Flak und 3,7-cm-Flak diese Fahrzeuge. Sehr häufig wurden die Geschütze dann auf der Ladefläche montiert, um sofortige Feuerbereitschaft auf dem Marsch und beim Halt der Kolonne zu haben. Während dies mit der einzelnen 2-cm-Flak auf dem 2-t-Maultier sicher unproblematischer war, stellten die 1,5-t einer 3,7-cm-Flak zuzüglich Ausrüstung und Munition schon eine vollständige Ausnutzung der Nutzlast dar. Kamen dann noch drei bis vier Mann hinzu, war das Fahrzeug vermutlich deutlich überladen, was zu Lasten des Fahrwerks ging.
Auf zahlreichen Bildern ist die Verwendung mit geschlossenen Aufbauten belegt. Hierbei wurden sowohl Einheitskoffer als auch individuelle Holzaufbauten verwendet. Typische Verwendungen der Einheitskoffer waren die Sanitätskraftwagen (Sd.Kfz. 3/4), Funkwagen und Werkstattwagen. Bei den genormten Einheitskoffern wurde die Pritsche wie beim normalen Lastkraftwagen entfernt und der genormte Kofferaufbau an deren Stelle gesetzt.
Siehe auch
Literatur
- Chris Bishop: The Encyclopedia of Weapons of World War II. Sterling Publishing Company, Inc., 2009, ISBN 978-1-58663-762-0, S. 75 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Philip Trewhitt: Panzer. Die wichtigsten Kampffahrzeuge der Welt vom Ersten Weltkrieg bis heute. Neuer Kaiserverlag, Klagenfurt 2005, ISBN 3-7043-3197-X, (Wissenswertes – Technik)
- Werner Oswald: Kraftfahrzeuge und Panzer der Reichswehr, Wehrmacht und Bundeswehr. Motorbuch-Verlag, Stuttgart, div. Auflagen.
- Vorschrift D 666/408 Gleisketten-Lastkraftwagen 2 t (Maultier), Klöckner-Humboldt-Deutz A.G., Baumuster S 3000 /SS M, Ergänzung zur Ersatzteilliste D 666/8, 1943.
- Joachim Baschin: Gleisketten-LKWs "Maultier" Sd.Kfz. 3 / Nuts&Bolts Vol. 28. 1. Auflage, Nuts&Bolts Verlag GbR, Neumünster 2011
Weblinks
Einzelnachweise
- Nuts&Bolts Vol. 28 S. 2–3.
- vgl. Frank, Reinhard: Ford im Kriege, Waffenarsenal, Band 123, Podzun-Pallas-Verlag, Friedberg (1990), ISBN 3-7909-0394-9
- Nuts&Bolts Vol. 28 S. 3