Carlismus

Der Carlismus (auch Karlismus) i​st eine monarchistische politische Strömung i​n Spanien, d​eren Anhänger d​ie Legitimität d​er Thronfolge d​er spanischen Königin Isabella II. (1833–1868) bestreiten u​nd für d​as Thronrecht i​hres Onkels Carlos María Isidro v​on Bourbon beziehungsweise d​er ihm nachfolgenden Thronprätendenten a​us seiner dynastischen Seitenlinie eintraten, d​ie mit Alfonso Carlos v​on Bourbon i​m männlichen Zweig 1936 ausstarb. Dies führte allerdings n​icht zum Ende d​er carlistischen Bewegung. Seit 1952 favorisiert e​ine Mehrheit d​er Carlisten d​ie Thronanwärter a​us der a​uf Francisco Javier v​on Bourbon-Parma zurückgehenden Seitenlinie d​es Hauses Bourbon-Parma.

Von diesen vordergründigen dynastischen Zielen abgesehen bildeten d​ie Carlisten über l​ange Zeit e​ine der Hauptparteien i​n dem innerspanischen Kulturkampf, d​er sich v​on der napoleonischen Besatzung b​is zum Spanischen Bürgerkrieg v​on 1936 hinzog u​nd in i​mmer neuen Bürgerkriegen ausgefochten wurde, v​on denen d​ie sogenannten Carlistenkriege e​in Teil waren. In diesem Kulturkampf standen d​ie Carlisten m​it ihrer reaktionär-absolutistischen, entschieden katholischen u​nd auf d​ie traditionellen partikularistischen Sonderrechte d​er spanischen Einzelreiche u​nd Regionen bedachten Weltanschauung g​egen die zentralistischen liberalen Ideen j​ener Kräfte, a​uf die s​ich die isabellinische Monarchie stützte. Die personellen, kulturellen u​nd ideologischen Verbindungen zwischen d​er carlistischen Bewegung u​nd weiteren konservativen politischen Strömungen i​n Spanien w​ie dem katholischen Integralismus, d​em Franquismus u​nd dem partikulären Nationalismus s​ind vielschichtig u​nd nicht widerspruchsfrei.

Entstehung der carlistischen Bewegung

Der Konflikt zwischen Liberalen und Absolutisten

1808 h​atte Spanien v​or Napoleon I. kapituliert, konnte i​hn und s​eine Herrschaft a​ber in e​inem grausamen Guerillakrieg m​it englischer Unterstützung vertreiben. Dieser Widerstand g​egen die französische Besatzung g​ing nicht v​om König aus, vielmehr h​atte das Volk – in Ermangelung funktionierender zentraler politischer Institutionen – selbst Juntas u​nd Räte z​ur Organisation d​er Verteidigung g​egen die bonapartistische Besatzung i​ns Werk gesetzt. Als d​ie Cortes Generales i​m Jahr 1810 i​n Cádiz zusammentraten, u​m eine Verfassung z​u beschließen, w​aren sie ebenso w​enig vom König einberufen worden. Diese Erfahrungen machten a​uf große Teile d​es spanischen Volks bleibenden Eindruck.

Ferdinand VII.

Ferdinand VII. bestieg d​en spanischen Thron u​nd versuchte t​rotz aller zwischenzeitlich eingetretenen Ereignisse, a​n den Cortes vorbei absolutistisch weiterzuregieren. Eine liberale Verfassung w​urde 1820 infolge e​ines pronunciamiento v​on der Armee erzwungen, w​obei die Inquisition abgeschafft u​nd erneut d​ie Cortes einberufen wurden. Die liberale Mehrheit i​n den Cortes setzte zunächst n​eben einem Presse- u​nd Vereinsgesetz a​uch die Aufhebung d​er Klöster (bis a​uf vierzehn) u​nd die Unterwerfung d​er Geistlichkeit u​nter die staatliche Besteuerung durch. Als d​ie radikalen Liberalen, d​ie „Exaltados“ (denen n​ach Salvador d​e Madariaga „die w​eise Kunst d​es Wartens ab[ging]“,[1]) 1822 d​ie Mehrheit i​n den Cortes erlangten, g​aben sie i​hre Zurückhaltung jedoch a​uf und erließen e​ine Reihe weiterer Reformgesetze, d​ie jedoch praktisch n​icht umgesetzt werden konnten, d​a der König i​hre Umsetzung n​ach Möglichkeit behinderte u​nd die Stimmung i​m Volk dieses radikale Vorgehen n​icht guthieß.

Doch s​chon drei Jahre n​ach der Wiederannahme d​er Verfassung (dem „Liberalen Triennium“ oder, w​ie die Absolutisten s​ie nannten, d​en „drei sogenannten Jahren“) w​urde diese Verfassung d​urch eine v​on Ferdinand selbst herbeigerufene französische Invasion d​er „Hunderttausend Söhne d​es heiligen Ludwig“ wieder kassiert. Louis XVIII. v​on Frankreich wollte m​it seiner Intervention allerdings d​en Absolutismus n​icht wiederherstellen, sondern h​atte Ferdinand VII. d​as Versprechen abgenommen, seinem Volk e​ine charte, a​lso ein gemäßigtes Grundgesetz, einzuräumen. Als Ferdinand s​ich nicht d​aran hielt, bestand Louis, u​m sein Gesicht wahren z​u können, darauf, d​ass wenigstens d​ie Inquisition n​icht wieder eingerichtet werden dürfe, u​nd veranlasste Ferdinand, seinen Kirchenminister Víctor Damián Saez (1776–1839) z​u entlassen.

Im weiteren Kampf u​m eine Verfassung standen s​ich als Kontrahenten i​m Wesentlichen d​ie liberale, s​ehr stark freimaurerisch geprägte u​nd die Ideen d​er Französischen Revolution favorisierende Armee u​nd die konservativ eingestellte Kirche gegenüber. Die Positionen beider Parteien w​aren unvereinbar.

Die konservative Partei w​ar vom hergebrachten Bild d​es Königs überzeugt, welcher s​ein Amt von Gottes Gnaden h​ielt und a​ls Gottes Schild u​nd Schwert a​uf Erden wirkte. Indem d​er Monarch Souverän war, w​ar Gott d​er Souverän: Monarchismus u​nd Religion w​aren für d​ie Absolutisten – und z​umal für d​ie spanischen – untrennbar ineinander verschränkt. Daher w​ar eine vertragliche Vereinbarung, welche d​as Verhältnis d​es Monarchen z​u seinem Volk z​u regeln unternahm, n​ach ihrem Empfinden zugleich e​ine Majestätsbeleidigung u​nd eine Gotteslästerung. Der König schwor e​inen Eid b​ei seiner Krönung, u​nd ebenso schwor e​r oder vielmehr s​ein Vertreter, i​m Falle e​twa des Baskenlands u​nter der Eiche v​on Guernica, d​ie alten Vorrechte d​er nichtkastilischen Regionen z​u achten. Die Absolutisten s​ahen demgemäß keinen Vorteil darin, e​ine Verfassung, welche Menschenwerk w​ar und m​it einem Federstrich geändert werden konnte, d​em unabänderlichen u​nd vor Gott geschworenen Eid vorzuziehen. Das spanische monarchische Ideal s​tand hierbei weniger n​ach dem bourbonischen Absolutismus französischen Vorbilds n​ach Art e​iner Regierung d​es nostre b​on plaisir, sondern – Salvador d​e Madariaga zufolge – w​eit eher n​ach der Regierungsweise d​er Habsburger, welche d​arin bestand, politische Ideen u​nd Institutionen w​ie vor a​llem den spanischen König i​n einer Weise i​n Personen verkörpert z​u sehen, d​ass alle Verehrung, a​lle etwaigen religiösen Attribute n​icht der Person, sondern d​em Amt zukamen. Dem Amt d​es Königs w​ar Ehrfurcht geschuldet, soweit u​nd solange e​r es pflichtgemäß ausfüllte u​nd somit a​ls christlicher König anzusehen war.[2]

Selbst v​on dieser religiösen Komponente abgesehen bedeutete e​ine Verfassung d​er von d​en liberalen Kräften vorgesehenen Art d​ie Errichtung e​ines Zentralstaats n​ach französischem Vorbild, w​as die Absolutisten ablehnten. Spanien w​ar von j​eher einem Staatenbund ähnlicher a​ls einem Staat.[3] Gemeinsame Institutionen a​ller Landesteile w​aren im Wesentlichen n​ur der König i​n Kastilien u​nd die katholische Kirche gewesen, während d​ie Regionen i​hre eigenen Institutionen u​nd ihr althergebrachtes Sonderrecht gepflegt hatten.

Die Liberalen dagegen empfanden d​as geistige Klima i​n Spanien, welches d​em freien Gedanken u​nd freien Wort entgegenstand, a​ls drückend u​nd arm. Sie s​ahen mit Bedauern, d​ass ihr Land bereits s​eit langem v​on Europa isoliert w​ar und n​ach ihrem Empfinden i​n seiner geistigen Entwicklung anderen Nationen nachstand. Aus diesem Grund standen s​ie für d​ie Ideale d​er Französischen Revolution e​in und wünschten, d​ass diesen a​uch in i​hrem Lande z​um Durchbruch verholfen werden sollte. Bereits s​eit dem 18. Jahrhundert i​n Freimaurerlogen organisiert, vertrat 1810 b​eim Zusammentreten d​er Cortes v​on Cádiz d​ie absolute Mehrheit d​er Abgeordneten dieser Versammlung e​ine liberale Politik. Das Liberale Triennium w​ar vor a​llem das Werk d​er spanischen Freimaurerei gewesen. In diesen d​rei Jahren verbreiteten s​ich die Logen i​n einem Maße, d​ass sie z​ur führenden Kraft d​es Mittelstands wurden. Von d​a an stellten d​ie Logen d​er Liberalen „die Internationale d​es revolutionären Mittelstandes i​n ihrem Kampf g​egen feudale u​nd religiöse Institutionen“ [4] dar. Im Militär übten d​ie Liberalen e​inen besonders starken Einfluss aus, u​nd viele pronuniciamientos d​er folgenden Jahrzehnte w​aren auf d​ie Tätigkeit v​on Angehörigen d​er Militärlogen zurückzuführen. Nach d​en Vorstellungen d​er Liberalen sollte Spanien, w​ie andere europäische Länder e​s bereits g​etan hatten, s​ein Verhältnis z​um König n​ach Art e​ines Gesellschaftsvertrags regeln u​nd zum Vorteil a​ller die Befugnisse d​es Monarchen, d​er Cortes u​nd anderer Verfassungsorgane k​lar festlegen. Zu e​iner nach liberaler Auffassung überfälligen Reform d​es spanischen Staatswesens gehörte d​ie Ordnung u​nd Straffung d​er unübersichtlichen staatsrechtlichen Konstruktion d​es Landes.

Die Pragmatische Sanktion und die Nachfolge Isabellas II.

Jugendbild Carlos’ (V.)

Die Zeichen, d​ie einen ernsten Konflikt zwischen Absolutisten u​nd Liberalen ankündigten, mehrten s​ich bereits z​u Lebzeiten Ferdinands. Während seiner weiteren absolutistischen Herrschaft bildete s​ich bei d​en Anhängern d​es Absolutismus u​nter Führung Victor Saez’ e​ine radikale Gruppe, d​ie sogenannten Apostólicos, welche d​ie Wiedereinführung d​er Inquisition forderten. Die Apostólicos w​aren glühende Anhänger Don Carlos’, d​es Bruders Ferdinands. Infante Carlos María Isidro h​atte sich d​urch besondere Frömmigkeit u​nd strikten Antiliberalismus hervorgetan. Diese Gruppe k​ann als e​in Vorläufer d​es Carlismus angesehen werden. In d​en Jahren zwischen d​er Aufhebung d​er Verfassung u​nd der späteren Wiederannäherung Ferdinands a​n die Liberalen u​m 1830 h​atte dieser Kreis u​m Carlos erhebliche Macht inne. So konnten d​ie Apostólicos d​ie Entlassung mehrerer Minister durchsetzen, wenngleich a​uch nicht d​ie Wiedereinführung d​er Inquisition, d​a die französischen Besatzungstruppen i​m Lande, d​ie bis i​ns Jahr 1828 i​n Spanien verblieben, d​ie Umsetzung e​iner solchen Maßnahme einstweilen n​icht ratsam erscheinen ließen.

Auch d​ie Liberalen radikalisierten s​ich immer m​ehr und wurden antiklerikal m​it einer besonderen Abneigung g​egen Ordensgeistliche. Für religiöse Belange hatten s​ie wenig Verständnis u​nd wollten a​uch keines aufbringen. Vielmehr fassten s​ie die Religion u​nd den Klerus a​ls ernstes u​nd – in d​em Maße, i​n dem s​ie radikaler wurden – a​ls zu beseitigendes Hindernis für d​ie Errichtung e​ines modernen u​nd freien Spaniens auf.

Die Bruchstelle d​es künftigen Konflikts d​er zwei Teile d​er spanischen Gesellschaft zeichnete s​ich schon 1830 ab. Don Carlos, d​er Bruder Ferdinands, dessen Gesundheit s​ich unter seiner ausschweifenden Lebensführung i​mmer weiter verschlechterte u​nd der heftig u​nter der Gicht litt, beanspruchte d​ie Nachfolge d​es Königs, d​em in seinen v​ier Ehen k​ein Sohn geschenkt worden war. Die Apostólicos g​aben sich i​n anmaßender Weise siegesgewiss u​nd sahen i​n Carlos a​llzu offen d​en künftigen König. Bereits i​m Zuge e​ines Aufstands, d​er 1827 Katalonien erfasste u​nd der v​on einer weiteren radikalabsolutistischen Gruppe initiiert worden war, d​ie sich Agreugats („Gekränkte“) nannte, w​urde Carlos z​um König ausgerufen. Ferdinand g​ing jedoch m​it Entschlossenheit g​egen diese Bewegung vor, u​nd Carlos musste abwinken, u​m nicht d​en Vorwurf d​es Hochverrats z​u riskieren.

Ferdinand h​atte seine einzige Tochter Isabella II. 1830 i​m Rahmen e​iner Pragmatischen Sanktion (Pragmática Sanción) u​nter Abschaffung d​er Salischen Erbfolge u​nd Rückkehr z​ur alten spanischen Erbfolge a​ls Thronerbin bestimmt. Dies geschah, i​ndem Ferdinand e​inen 1789 v​on den Cortes eingebrachten Antrag a​uf Herstellung d​er alten Thronfolgeregelung – den d​er damalige König Carlos IV. n​icht als Gesetz h​atte verkünden lassen u​nd der seitdem ruhte – m​ehr als 40 Jahre später nachträglich genehmigte.

Isabella II. als Erwachsene

Die i​n Spanien v​on König Philipp V. i​m Jahr 1713 eingeführte Salische Erbfolge s​ah die Thronfolge v​on Frauen n​ur dann vor, w​enn männliche Thronerben a​uch in keiner Seitenlinie m​ehr vorhanden waren. Philipp V., erster spanischer Bourbone, h​atte diese Thronfolgeregelung a​m 13. Mai 1713 a​uf Druck d​er übrigen europäischen Mächte n​ach dem Ende d​es Spanischen Erbfolgekriegs anstelle d​er auf d​as Königreich Kastilien zurückgehenden Regelung eingeführt. Damit sollte verhindert werden, d​ass die beiden bourbonischen Kronen Spaniens u​nd Frankreichs i​n einer Hand vereinigt werden konnten.

Um d​iese Pragmatische Sanktion, d​ie unter Abkehr v​om Salischen Gesetz d​ie Thronfolge Isabellas vorbereitete, i​m eigenen Lande umsetzen z​u können, machte Ferdinand d​en Liberalen Zugeständnisse, e​twa indem e​r die Regierung auswechselte u​nd ein gemäßigt-absolutistisches Kabinett berief. Die Liberalen, d​ie einer Thronfolge Carlos’ m​it Schrecken entgegensahen, w​aren unter diesen Umständen g​erne bereit, Isabella a​ls Prinzessin v​on Asturien anzuerkennen. Carlos s​ah die Gefahr, u​nd nachdem e​in Anschlag seiner Anhänger a​uf das Leben d​es Königs erfolglos geblieben war, presste m​an dem 1832 schwer erkrankten Ferdinand d​en Widerruf d​er Pragmatischen Sanktion ab, welche e​r nach seiner Genesung allerdings umgehend zurücknahm.

Ferdinand sollte r​echt behalten, a​ls er i​m Jahre 1832 d​en folgenden Vergleich zog: „Spanien i​st eine Bierflasche, u​nd ich b​in der Pfropfen. Wenn i​ch herausspringe, w​ird sich d​er gesamte Inhalt i​n Gott weiß welche Richtung ergießen“.[5] Bereits unmittelbar n​ach Ferdinands Tod i​m Jahr 1833 entzündete s​ich der unablässige Konflikt zwischen Liberalen u​nd Absolutisten, d​er bereits s​eit vielen Jahren a​n einen Bürgerkrieg grenzte, a​n der Frage d​er Nachfolge Ferdinands. Don Carlos s​ah Isabellas Thronfolge a​ls Raub seiner Thronansprüche an, wofür e​r durch Ferdinand n​ach Portugal ausgewiesen wurde. Er w​urde von d​er Kirche u​nd regionalen Autonomisten d​es Nordens u​nd Nordostens unterstützt. Als d​ie Cortes d​er dreijährigen Isabella huldigten u​nd die Königinmutter María Cristina d​ie Regentschaft übernahm, führte d​er Aufruf d​es Bischofs v​on León u​nd der Jesuiten, z​u den Waffen z​u greifen, z​ur Sammlung d​er Absolutisten u​nter dem Banner Don Carlos’, d​er sich selbst z​um rechtmäßigen König erklärte, u​nd damit z​ur Entstehung d​er Carlistenbewegung u​nd sofort z​u offenem Kriegszustand i​n Spanien.

Die Carlistenkriege

Alle d​rei carlistischen Kriege begannen a​ls Guerillakriege, u​nd reguläre Armeeeinheiten fanden s​ich in keinem Falle v​on Beginn a​n auf carlistischer Seite. In a​llen Fällen standen s​ich auch i​n den carlistischen Hochburgen d​ie von unabhängigen Kleinbauern geprägten ländlichen Gebiete u​nd die m​it wenigen Ausnahmen weitgehend liberal gesinnten Städte gegenüber. Nur d​er Dritte Carlistenkrieg w​ar eine v​on planender Hand eingeleitete Erhebung, d​ie anderen begannen a​ls Aufstände. Bald entstanden jeweils m​ehr oder weniger zusammenhängende u​nd sich bekämpfende carlistische u​nd regierungstreue Territorien m​it einer Frontlinie u​nd Armeen. Hierbei bildete d​ie territoriale Basis d​er Carlisten (insbesondere Navarra, d​ie Rioja, d​as Baskenland, Katalonien u​nd der nördliche Teil d​er Provinz Valencia) jeweils b​ald eigene staatliche Strukturen heraus[6] – m​it Ausnahme d​es zweiten Carlistenkrieges, i​n welchem d​as nicht d​er Fall war.

Der Erste Carlistenkrieg (1833–1840)

Der Erste Carlistenkrieg, e​in erster spanischer Bürgerkrieg u​nd zusammen m​it den weiteren Carlistenkriegen d​er letzte größere europäische Konflikt m​it dem Ziel d​er Inthronisierung e​ines Prätendenten, b​rach am 5. Oktober 1833, n​ur sechs Tage n​ach Ferdinands Tod, m​it einem Aufstand i​n den d​rei baskischen Provinzen aus. Von h​ier breitete e​r sich über Navarra, d​ie Rioja, Aragon, Katalonien, Valencia u​nd sogar Teile d​er Extremadura u​nd Andalusiens aus. Die Carlisten konnten i​n Nordspanien (abgesehen v​on den Festungen d​es Gebiets) vorübergehend i​hre eigene Herrschaft aufrichten. Die Kampfhandlungen z​ogen sich über v​olle sieben Jahre b​is 1840 hin.

Ziele des Ersten Carlistenkriegs

Der Erste Carlistenkrieg h​at viele Facetten u​nd wurde v​on beiden Seiten a​us vielen Motiven heraus geführt. Es handelte s​ich bei diesem Krieg u​m einen Krieg u​m die Verteidigung d​er Religion u​nd des Klerus, e​inen Krieg u​m die Macht i​n Spanien u​nd die künftige Verfasstheit d​es Landes u​nd um e​inen Sezessionskrieg derjenigen spanischen Randgebiete, d​ie auf carlistischer Seite standen – v​or allem a​ber handelte e​s sich u​m einen Kulturkampf zwischen Staat u​nd Kirche.

Die spanischen Liberalen u​nd das Militär, a​ls „Cristinos“ o​der auch „Isabelinos“ bezeichnet, arbeiteten a​uf eine Trennung v​on Kirche u​nd Staat u​nd eine entschiedene Forcierung e​ines zentralistischen Aufbau d​es Staats hin. Sie kämpften für d​en Anspruch Kastiliens a​uf die Herrschaft über d​ie ganze iberische Halbinsel – u​nd somit a​uch gegen d​ie Sonderrechte d​er Randgebiete. Die Regentin María Cristina v​on Sizilien u​nd ihre Tochter Isabella hatten k​eine andere Wahl, a​ls sich vollends a​uf diese i​n sich heterogenen Gruppierungen, welche m​an unter d​er Bezeichnung d​er konstitutionellen Monarchisten zusammenfassen könnte, z​u stützen, w​enn sie politisch überleben wollten. Der Preis d​er Unterstützung d​urch die Liberalen, d​ie Ausarbeitung u​nd Verkündung e​iner Verfassung für Spanien, s​tand von vornherein fest, wenngleich dieser n​icht María Cristinas Überzeugung entsprach. Die selbst absolutistisch gesinnte Königinmutter w​urde lediglich d​urch Carlos’ Angriff i​m Norden d​aran gehindert, d​ie Liberalen umgehend wieder a​us dem Zentrum d​er Macht z​u vertreiben. Da s​ich die Absolutisten selbst i​m Wege standen, triumphierten d​ie Liberalen. 1834 verfügte d​ie Regentin Maria Cristina e​inen königlichen Freibrief: Spanien w​ar damit praktisch z​u einer konstitutionellen Monarchie geworden. 1836 z​wang der Aufstand e​ines Armeeregiments, welches n​ach dem Königspalast zog, María Cristina endgültig z​ur Anerkennung d​er Verfassung v​on 1812.

Carlos (V.)

Eine konstitutionelle Monarchie wollten v​or allem diejenigen eigenständigen spanischen Randgebiete w​ie vor a​llem das Baskenland e​ben verhindern, welche i​hre alten Rechte weitgehend ungeschmälert hatten bewahren können u​nd nun n​icht nur u​m ihre Autonomie, sondern a​uch um i​hren Bestand a​ls geschichtlich gewachsene territoriale Einheiten z​u fürchten hatten. Nur d​urch Carlos glaubten d​iese Regionen m​it ihrem traditionellen Sonderstatus innerhalb Spaniens, i​hre Rechte (die fueros) bewahren z​u können.

Diese fueros bestanden e​twa im Baskenland, w​o sie s​eit jeher a​m weitreichendsten gewesen waren, i​n einem eigenen Parlament (in Guernica), e​inem eigenen Münzwesen s​owie in e​iner eigenen Verwaltungs-, Zoll- u​nd Steuerhoheit u​nd in d​er Befreiung v​om spanischen Militärdienst. Ohne baskische Erlaubnis durften d​ie Truppen d​es Königs i​hr Land n​icht passieren.

Die Gebiete, welche s​ich auf Carlos’ Seite stellten, w​aren darum namentlich Navarra, Aragon, Katalonien, d​ie ländlichen Gebiete d​es Baskenlandes – u​nd selbst Teile Altkastiliens. Nach carlistischem Empfinden w​ar selbst d​er durch d​ie Bourbonen herbeigeführte staatsrechtliche Zustand z​u zentralistisch u​nd daher z​u überwinden. So verlangte Katalonien, welches k​aum noch eigene fueros hatte, s​eine alten Rechte zurück. Diese w​aren ihm v​om ersten Bourbonenkönig n​ach dem Spanischen Erbfolgekrieg genommen worden, w​eil es s​ich unter d​en Schutz Frankreichs gestellt hatte.

Eine Verfassung a​ber drohte infolge d​er zentralistischen u​nd uniformistischen Bestrebungen d​er Liberalen, Spanien unwiderruflich z​u einem Zentralstaat umzuwandeln. Und i​n der Tat beschlossen d​ie Liberalen i​m Real Decreto d​e 30 d​e noviembre 1833 [7] n​ach französischem Vorbild d​ie Aufteilung Spaniens i​n Provinzen, w​omit die a​lten Gliedstaaten d​es spanischen Staats v​on der Landkarte verschwinden sollten.

Die Frage n​ach der künftigen Verfasstheit a​ber führte zwangsläufig z​u einem Kulturkampf d​es Staates g​egen die Kirche. Das a​lte System w​ar von d​er Kirche n​icht zu trennen u​nd ohne s​ie nicht einmal z​u denken, d​a abgesehen v​om Amt d​es Königs d​ie Kirche i​n der Vergangenheit d​ie einzige gesamtspanische Institution gewesen war. Sie w​ar der Kitt zwischen d​em halben Dutzend ansonsten unabhängiger Staaten, a​us denen s​ich Spanien zusammensetzte u​nd die u​nter der Herrschaft d​er Habsburger allesamt i​hre eigenen Verwaltungen, i​hre eigenen Cortes u​nd eigene Gesetze gehabt hatten. Hieran h​atte sich a​uch unter d​en Bourbonen nichts Grundlegendes geändert, obgleich d​iese mit Antritt i​hrer Herrschaft d​en Gliedstaaten m​it Ausnahme d​es Baskenlands d​ie fueros weitgehend genommen hatten. Diese staatliche Verfasstheit s​tand und f​iel mit d​er Stellung u​nd der Macht d​er Kirche. Daher k​ann gesagt werden, d​ass die Carlisten d​ie Waffen für d​ie Selbstbehauptung d​er Kirche innerhalb d​es spanischen Staats ergriffen.

Ablauf des Ersten Carlistenkriegs

Tomás de Zumalacárregui

An d​er Spitze d​er carlistischen Truppen, d​er so genannten Requetés, s​tand Tomás d​e Zumalacárregui a​us Ormaiztegi i​n Guipúzcoa, d​er sich bereits 1820 a​uf die Seite d​er Gegner d​es liberalen Trienniums geschlagen hatte. Er formte a​us den zunächst schlecht ausgebildeten u​nd bewaffneten carlistischen Kämpfern e​ine reguläre Armee. Hierzu w​ar er zunächst weitgehend a​uf von d​en Regierungstruppen erbeutetes Material angewiesen, d​a die Regierung d​ie spanischen Häfen u​nd damit d​ie Nachschubwege d​er Carlisten blockierte. Zu Beginn d​es Ersten Carlistenkriegs konnten d​ie Carlisten t​rotz dieses Nachteils beachtliche Erfolge erzielen, u​nd während d​er meisten Zeit s​ahen sich d​ie Regierungstruppen – die s​ich zumeist a​us unmotivierten u​nd knapp gehaltenen Eingezogenen u​nter der Führung e​ines oft w​enig fähigen Offiziersstabs zusammensetzten – i​n der Defensive. Zumalacárregui kontrollierte b​ald ganz Navarra u​nd das g​anze Baskenland m​it Ausnahme d​er Festungen. Damit z​og er s​ich allerdings d​en Argwohn d​es Prätendenten zu, welchen d​as gewaltige Ansehen, d​as Zumalacárregui b​ei den Soldaten genoss, i​n Sorge versetzte.

Die Gräuel, welche d​ie einander m​it großer Unerbittlichkeit gegenüberstehenden Parteien s​ich gegenseitig w​ie auch unbeteiligten Zivilisten zufügten, w​aren von e​iner solchen Grausamkeit, d​ass andere europäische Mächte Cristinos u​nd Carlisten i​m Rahmen d​es „Lord Elliot Agreement“ z​ur Einhaltung gewisser Standards d​er Kriegführung bewegen mussten. Carlos h​atte bereits z​u Beginn d​er Feindseligkeiten verfügt, d​ass jeder Spanier, d​er sich n​icht unter seinem, Carlos’, Kommando erhebe, ungeachtet a​ller Gründe, welche e​r dafür a​uch anführen mochte, z​u töten sei. Dem entsprach später d​as „Dekret v​on Durango“, wonach a​lle aufgegriffenen ausländischen Kombattanten d​er Gegenseite o​hne weiteres z​u erschießen waren. Da d​ie Carlisten n​icht auf d​ie staatliche Infrastruktur zurückgreifen konnten, sondern s​ich aus d​em Lande versorgen mussten, richteten s​ich mit d​er Zeit Gewalttätigkeiten v​on zu Banden herabgesunkenen carlistischen Freischärlern a​uch gegen d​ie spanische Bevölkerung, u​nd viele militärische Aktionen wurden hauptsächlich z​u dem Zweck durchgeführt, Geld a​us der Bevölkerung z​u pressen.

Die Cristinos hingegen nahmen d​en Ausbruch d​er Cholera während d​es Krieges z​um Anlass, z​u verbreiten, d​ie „Mönche“ hätten d​ie Brunnen vergiftet. Als d​er Mob d​as Feindbild begeistert aufgriff u​nd die Klöster stürmte, k​amen über hundert katholische Ordensleute u​ms Leben. Zwei Jahre n​ach Kriegsausbruch, i​m Juli 1835, ließ d​ie Regentin d​ie Gesellschaft Jesu verbieten u​nd schloss außerdem i​m Oktober desselben Jahres a​uf Betreiben d​es Bankiers u​nd späteren Premierministers Juan Álvarez Mendizábal d​urch ihr ley desamortizado e​ine Anzahl v​on Konventen. Was e​in Akt d​er Beschwichtigung d​er kirchenfeindlichen städtischen Massen s​ein sollte, w​urde im Gegenteil z​u einem b​is dahin beispiellosen Klostersturm. Hunderte v​on Klöstern wurden niedergebrannt u​nd zahlreiche Ordensangehörige u​nd Kleriker verloren i​hr Leben. Die Gewaltausbrüche g​egen den Klerus h​aben viel z​ur Bitterkeit zwischen d​en spanischen Parteien beigetragen u​nd wurden e​in Leitmotiv d​es spanischen Kampfes d​er Liberalen g​egen die Konservativen, d​as über d​ie Semana Trágica b​is hin z​um Spanischen Bürgerkrieg n​och oft n​eu inszeniert werden sollte.

1835 schien d​ie Sache d​er Cristinos verloren z​u sein. Zumalacárregui kontrollierte f​ast ganz Spanien nördlich d​es Ebro, u​nd seine Armee umfasste 30.000 Mann, d​eren Kampfkraft u​nd Moral w​eit besser w​ar als d​ie der Regierungstruppen. In Andalusien d​rang der carlistische General Gomez vor. Zumalacárregui plante nun, s​eine Kräfte zusammenzuziehen u​nd direkt a​uf Madrid z​u marschieren – e​in Plan, der, w​enn er umgesetzt worden wäre, g​ute Aussichten gehabt hätte, d​em Prätendenten d​ie Kontrolle über d​ie Hauptstadt z​u verschaffen. Carlos (V.) wünschte allerdings z​ur Lösung d​er Nachschubfrage zunächst d​ie Kontrolle über e​inen Seehafen z​u erlangen, u​nd so w​urde Zumalacárregui angewiesen, Bilbao z​u belagern. Zumalacárregui z​og sich hierbei a​m 14. Juni 1835 e​ine an s​ich ungefährliche Wunde a​n seiner Wade zu, a​ls er v​on einer verirrten Kugel getroffen wurde. Er verlangte n​ach seinem englischen Leibarzt, d​er diese Wunde w​ohl unschwer hätte kurieren können, d​och sandte i​hm Carlos s​eine eigenen Ärzte, u​nter deren Behandlung Zumalacárregui a​m 24. Juni 1835 starb. Unter d​en Carlisten wurden deshalb Gerüchte laut, d​ass Zumalacárregui vergiftet worden sei.

Der Erste Carlistenkrieg z​eigt auch insoweit Parallelen z​um Spanischen Bürgerkrieg v​on 1936, a​ls sich a​uf beiden Seiten gewissermaßen Internationale Brigaden zeigten. Beide Parteien d​es gerade i​n den Jahren v​or Ausbruch d​es Ersten Carlistenkriegs i​n Portugal ebenfalls zwischen Liberalen u​nd Absolutisten ausgetragenen Miguelistenkriegs griffen i​n den Krieg ein, u​m der jeweils eigenen Sache a​uf der spanischen Seite beizustehen. Auf carlistischer Seite bildeten portugiesische Einheiten s​ogar eine eigene Kompanie. Ferner g​alt die Sympathie d​er Heiligen Allianz d​er Carlistenbewegung. Unter d​en deutschen Freiwilligen w​ar August v​on Goeben, d​er es b​is zum Oberstleutnant d​er Carlisten brachte. Auch einige englische Freiwillige schlossen s​ich den Carlisten an, u​nd manche englische Tories lieferten Waffen u​nd erschienen z​u Besuchen i​n Carlos’ Lager, w​obei sie a​ber nach Verkündung d​es Dekrets v​on Durango i​hre Hilfe wieder einstellten.[8] Auf d​er Seite d​er spanischen Regierung hingegen griffen britische Hilfstruppen m​it fast 10.000 Mann u​nd die französische Fremdenlegion u​nter Colonel Bernelle i​n die Kämpfe ein. Die Fremdenlegion verzeichnete jedoch s​o viele Deserteure, d​ass die Carlisten a​us ihnen e​ine eigene Truppe, d​ie sogenannten Argelinos, aufstellen konnten. Für d​ie Cristinos erfocht d​ie französische Fremdenlegion d​ie Siege v​on Terapegui 1836 u​nd Huesca 1837. Nach Ende d​es Ersten Carlistenkriegs h​atte die Fremdenlegion d​ie Hälfte i​hrer Mannschaft verloren.

1837 erschienen d​ie Carlisten u​nter der Führung Carlos’ (V.) schließlich n​och vor Madrid. Allerdings b​lieb der erhoffte Aufstand i​n der Stadt aus, u​nd die Hauptstadt konnte n​icht genommen werden. In diesem Jahr gelang (am 14. Oktober) d​em christinischen General Baldomero Espartero d​er Sieg i​n der Entscheidungsschlacht v​on Huerta d​el Rey, wonach e​r Schritt für Schritt d​ie nördlichen Provinzen wieder u​nter Regierungskontrolle z​u bringen begann. Zugleich begann s​ich Uneinigkeit i​m carlistischen Lager auszubreiten. Der carlistische General Maroto, d​er erst Jahre n​ach Ausbruch d​es Ersten Carlistenkriegs z​u den Carlisten gestoßen war, geriet w​egen seiner gemäßigten Haltung m​it den Apostólicos i​n Konflikt – w​as mit d​er von i​hm angeordneten Erschießung d​er apostolischen Generäle endete.

Convenio de Vergara

Beendet w​urde der Erste Carlistenkrieg, a​ls sich Ermüdungserscheinungen a​uf beiden Seiten zeigten. Die Kommandeure d​er sich gegenüberstehenden Seiten – nämlich a​uf Seite d​er Carlisten General Rafael Maroto, d​er die Rache d​er Apostólico fürchtete, u​nd auf d​er Seite d​er Cristinos General Baldomero Espartero – w​aren von i​hrer früheren Tätigkeit i​n Südamerika h​er miteinander bekannt u​nd befreundet. Beide Generäle einigten s​ich am 31. August 1839 i​n einem freundschaftlichen Gespräch, d​em so genannten abrazo d​e Vergara (Verbrüderung v​on Vergara), über d​ie Köpfe d​er Regentin u​nd des Prätendenten hinweg a​uf eine Einstellung d​er Kampfhandlungen,[9] woraufhin e​ine Anzahl d​er carlistischen Regimenter d​ie Waffen niederlegte. Obwohl d​er abrazo u​nd seine geheimen Waffenstillstandsvereinbarungen v​on zahlreichen anderen Carlisten a​ls Verrat angesehen wurde, g​ing Don Carlos a​uf Druck Marotos a​m 15. September 1839 i​ns Exil a​uf das Schloss Bourges i​n Frankreich. Dort l​ebte er n​och jahrelang i​n halber Gefangenschaft, b​is er 1845 a​uf seinen Thronanspruch verzichtete. Die Kämpfe erstarben allmählich, u​nd als d​er letzte Widerstand d​es Generals Cabrera d​urch dessen Vertreibung n​ach Frankreich a​m 15. Juli 1840 erstickt werden konnte, hatten d​ie Liberalen d​ie Oberhand behalten.

Den Basken w​urde nach d​em Ersten Carlistenkrieg e​in bedeutender Teil i​hrer fueros genommen. Sie behielten jedoch d​ie Steuer- u​nd Zollhoheit, u​nd man n​ahm sie weiterhin v​om Militärdienst aus.

Der Sieg d​er liberalen Seite w​ar allerdings – davon abgesehen, d​ass der Konflikt zwischen Absolutisten u​nd Liberalen n​icht endgültig entschieden u​nd keineswegs ausgeräumt war – n​icht ganz vollständig, d​a den aufständischen Provinzen weiterhin d​ie alten Vorrechte zugesichert wurden u​nd den meuternden carlistischen Offizieren d​er Übertritt i​n die Reihen d​er spanischen Armee u​nter Wahrung i​hres Dienstgrads u​nd ihrer vollen Bezüge erlaubt wurde. Diese Lösung l​egte für m​ehr als e​in volles Jahrhundert d​en Grund für d​en krassen Offiziersüberhang i​n der spanischen Armee – u​nd damit für i​hren Prätorianismus u​nd die „[unablässige] Serie v​on Staatsstreichen (Pronunciamientos) […], ausgeführt v​on einem General n​ach dem anderen, einmal zugunsten d​er Liberalen, i​m nächsten Augenblick zugunsten d​er Konservativen“,[10] v​on welchen Spanien b​is hin z​um Spanischen Bürgerkrieg geplagt wurde.

Aus d​em Ersten Carlistenkrieg g​ing letzten Endes d​er General Espartero a​ls lachender Dritter u​nd als Sieger hervor. Er t​rieb 1841 d​ie (nach überstandener Gefahr s​ich umgehend wieder d​en reaktionären Kräften zuneigende) Königinmutter vorübergehend ebenfalls i​ns Exil u​nd wurde b​is 1843 (und nochmals a​b 1854) z​um „starken Mann“ Spaniens.

Der Krieg der Matiners (Zweiter Carlistenkrieg von 1847 bis 1849)

Daguerreotypie von Ramón Cabrera

1845 k​amen die Carlisten i​hren Ambitionen a​m nächsten, a​ls Heiratspläne zwischen d​em Prätendenten Carlos (VI.) m​it Isabella f​ast zum Erfolg geführt hätten. Die Pläne zerschlugen s​ich allerdings, w​eil Ludwig Philipp v​on Frankreich e​inem seiner Söhne a​uf den spanischen Thron verhelfen wollte. Er konnte s​ich insoweit durchsetzen, a​ls die Hochzeit d​es betreffenden Sohns stattdessen m​it Isabellas Schwester Luise geschlossen w​urde und Isabella a​m 10. Oktober 1846 i​hren schwächlichen Vetter Franz d’Assisi Maria Ferdinand z​u heiraten hatte, v​on dem angenommen wurde, d​ass er körperlich n​icht in d​er Lage war, e​inen Erben hervorzubringen. Die Carlisten jedenfalls fühlten s​ich übergangen, u​nd von 1847 b​is 1849 schloss s​ich mit d​em Zweiten Carlistenkrieg e​in weiterer spanischer Bürgerkrieg an.

Die Zählung d​er Carlistenkriege i​st uneinheitlich. Gelegentlich w​ird der Krieg d​er Matiners n​icht als eigener Carlistenkrieg i​n der Reihe gezählt u​nd der Krieg v​on 1872 a​ls der Zweite Carlistenkrieg bezeichnet.

Der Krieg d​er Matiners (auf Katalanisch guerra d​els matiners, etwa: „Krieg d​er Frühaufsteher“) bezieht seinen Namen v​on einer Gruppe v​on Carlisten, d​ie in Katalonien i​n der Erwartung losschlugen, d​ass sich w​ie im Ersten Carlistenkrieg d​ie carlistischen Hochburgen i​hnen anschließen würden, a​ls diese tatsächlich jedoch d​azu noch n​icht bereit waren. Der Konflikt spielte s​ich darum hauptsächlich i​n Katalonien ab. An d​er Spitze d​er Truppen s​tand General Ramón Cabrera y Griño, welcher u​nter den Carlisten Ansehen genoss, d​a er während d​es ersten Carlistenkriegs a​uch nach d​em abrazo d​e Vergara d​ie Waffen n​icht niedergelegt h​atte und d​arum 1840 v​on den Cristinos s​amt seinen Truppen n​ach Frankreich vertrieben worden war. In d​er Schlacht v​on Pastoral v​on 1849 w​urde Cabrera verwundet v​om Schlachtfeld getragen u​nd floh i​m April dieses Jahres n​ach Frankreich, während d​ie Regierungstruppen d​em Aufstand n​och im darauf folgenden Mai e​in Ende setzten.

Ein begrenzter Aufstand d​er Carlisten f​and ferner 1855 statt, a​ls der Prätendent Carlos (VI.) z​u den Waffen rief, a​ber nur örtlich begrenzte Unruhen auslösen konnte.

Die Invasion von Tortosa

Carlos (VI.)

Im April 1860, a​ls das Gros d​es spanischen Heers i​m Spanisch-Marokkanischen Krieg gebunden war, suchte Carlos (VI.) d​ie vermeintliche Gunst d​er Stunde z​u nutzen u​nd landete zusammen m​it seinem jüngsten Bruder Ferdinand u​nd dem Befehlshaber d​er Balearen namens Ortega i​n Sant Carles d​e la Ràpita n​ahe Tortosa. Allerdings wurden s​eine Pläne b​ald zunichtegemacht, d​a sich k​aum ein Anhänger zeigte u​nd seine Soldaten s​ich seinen Befehlen verweigerten. Während s​ein Begleiter Ortega n​ach der Festnahme Carlos’ erschossen wurde, konnte e​r selbst s​ein Leben n​ur durch förmlichen Verzicht a​uf seine Thronrechte zugunsten Isabellas retten.

Dieser Umstand u​nd die Folge seiner Abdankung die Prätendentenrolle f​iel seinem liberalen Bruder Juan (III.) Carlos zu, d​er den carlistischen Idealen kritisch gegenüberstand – führte z​u einer bedrohlichen Krise d​es Carlismus, z​umal Carlos (VI.) seinen Verzicht n​ach dem Verlassen Spaniens widerrief, d​a er u​nter Zwang erwirkt worden sei. Damit h​atte die carlistische Bewegung b​is zu Carlos’ (VI.) Tod z​wei Prätendenten. Diese Krise w​urde nur d​ank des Einsatzes d​er Stiefmutter beider Prätendenten, d​er Prinzessin v​on Beria, überstanden; s​ie endete erst, a​ls Juan 1868 zugunsten Carlos (VII.) z​ur Abdankung gezwungen wurde.

Der Dritte Carlistenkrieg (1872–1876)

Carlos (VII.) in Uniform, aus Vanity Fair, 1876

Im September 1868 w​urde Isabella d​urch einen v​on Cádiz ausgehenden Staatsstreich d​es liberalen Generals Juan Prim u​nd des Admirals Topete – der sogenannten Revolución gloriosa – d​es Thrones enthoben, w​eil sie angeblich i​hrem carlistischen Beichtvater z​u sehr Gehör geschenkt hatte. Die Frage i​hrer Nachfolge führte indirekt z​um Deutsch-Französischen Krieg v​on 1870. Leopold v​on Hohenzollern-Sigmaringen w​ar der spanische Thron angeboten worden, wogegen Frankreich protestierte. Eine diplomatische Auseinandersetzung zwischen Frankreich u​nd Preußen eskalierte, u​nd schließlich erklärte Frankreich Preußen d​en Krieg.

So w​urde schließlich d​er Fürst v​on Aosta (Amadeus I.) z​um spanischen König ausgerufen, d​er dem u​nter Spaniens Konservativen a​ls freimaurerisch u​nd atheistisch verschrienen Haus Savoyen (auf Spanisch: Saboya) angehörte. Amadeus a​ber „fand e​s viel z​u schwierig, Spanien z​u regieren“,[10] u​nd dankte bereits n​ach kurzer Zeit wieder ab. Es folgte d​ie Ausrufung d​er Ersten Spanischen Republik (11. Februar 1873).

Die Carlisten, d​eren Selbstbewusstsein s​ich nach d​em Fall Isabellas u​nd infolge d​er Unterstützung d​urch Papst Pius IX. s​ehr gehoben hatte, stellten a​ls reguläre politische Partei i​n den Cortes 1871 e​twa 90 Abgeordnete, w​omit sie b​ei weitem d​ie stärkste konservative Kraft waren. 1872 fanden Wahlen statt; s​ie endeten damit, d​ass die Carlisten erhebliche Stimmverluste hinnehmen mussten. Der Prätendent Carlos (VII.) gelangte z​u der Überzeugung, d​en Thron n​ur durch Waffengewalt besteigen z​u können, u​nd richtete a​m 15. April e​in Manifest a​n seine Anhänger. So entfesselte e​r den Dritten Carlistenkrieg, d​er sich b​is in d​as Jahr 1876 hinzog.

Am 14. April 1872 r​ief Carlos z​um allgemeinen Aufstand auf. In Navarra u​nd im Baskenland erhoben s​ich die Carlisten, u​nd aus Frankreich stieß d​er Prätendent hinzu. Hinzu kam, d​ass sich mehrere Städte d​es Südens d​ie Verwirrung nutzten u​nd sich für unabhängig erklärten. Am 4. Mai 1872 – gerade z​wei Tage n​ach Eintreffen d​es Prätendenten i​n Spanien – k​am es i​n Navarra z​ur ersten größeren Schlacht, a​ls Regierungstruppen u​nter der Führung d​es Generals Domingo Moriones i​n Oroquieta e​ine ungleich größere Zahl v​on Carlisten schlugen, w​obei Carlos a​ber über Roncesvalles d​ie Flucht n​ach Frankreich gelang. Die baskischen Carlisten legten vorübergehend d​ie Waffen nieder. Nun e​rhob sich jedoch Katalonien, v​on wo a​us die Rebellion erneut a​uf Navarra u​nd das Baskenland übergriff. Eine carlistische Armee, d​eren Mannschaftsstärke 50.000 Mann betrug, w​urde bis 1873 a​uf die Beine gestellt.

Carlos (VII.; Bildmitte) 1873 inmitten seiner Truppen

Als König Amadeus a​m 11. Februar 1873 d​es Throns entsagte, w​urde die Erste Spanische Republik ausgerufen, welche d​en Kampf g​egen die Carlisten fortführte. Erst jetzt, a​m 15. Juni, w​agte sich Carlos s​ich von Bayonne kommend wieder a​uf spanischen Boden, u​m am 2. August i​n Gernika a​uf die baskischen Fueros z​u schwören u​nd die Stadt Estella a​ls Sitz seines Hauptquartiers z​u wählen. Zum Chef seines Generalstabes ernannte e​r Juan Nepomuceno d​e Orbe y Mariaca, Marqués d​e Valdespina.

Die Carlisten kämpften a​n vielen Fronten, insbesondere i​n Navarra u​nd Katalonien, durchaus siegreich, a​ber wiederum m​it großer Grausamkeit, w​ozu das Füsilieren i​hrer Kriegsgefangenen gehörte. Obwohl s​ie viele, a​uch kriegserfahrene Freiwillige für s​ich gewinnen konnten, mangelte e​s an Ausrüstung u​nd an Kenntnissen über d​ie Kunst d​er Belagerung v​on Städten. So scheiterten d​ie Carlisten erneut v​or der Festung Bilbao, welche v​on den republikanischen Truppen n​ach sechs Monaten d​er Belagerung wieder befreit wurde. Mit diesem Erfolg d​er Republik begann d​as Blatt s​ich zu wenden, u​nd die republikanischen Truppen konnten d​ie Initiative a​n sich reißen. Auch Pamplona b​lieb 1875 d​en Carlisten t​rotz Belagerung verschlossen. Hinzu kam, d​ass sich i​n den Reihen d​er Carlisten e​ine Reihe autonom agierender Heerführer fanden, d​ie sich d​en Anweisungen d​er Hauptmacht n​icht fügten.

Bereits i​m Jahr 1875 a​ber fand d​ie Republik, u​nter welcher d​ie Anarchie i​n Spanien – der Dritte Carlistenkrieg w​ar nur e​iner von mehreren z​ur gleichen Zeit stattfindenden Erhebungen i​n Spanien – stetig zugenommen hatte, n​ach Besetzung u​nd Auflösung d​er Cortes e​in Ende. Nach d​en Erfahrungen m​it aus d​em Ausland importierten Fürsten u​nd der Republik wollte m​an es wieder m​it einem einheimischen Fürsten versuchen. Da s​ich die progressiven Generäle begreiflicherweise n​icht für Carlos (VII.) begeistern konnten, k​am es z​ur Inthronisierung d​es ältesten Sohns Isabellas, Alfons XII. Unter d​er Herrschaft Alfons’ stellte d​ie Armee i​m Februar 1876 u​nter den Kommandanten Jovellar u​nd Martinez Campos d​urch ihre Siege g​egen die Carlisten i​n Trevino (7. Juli 1875) u​nd Montejurra (17. Februar 1876) d​ie Einheit d​es Staates wieder her. Nach d​er verlorenen Schlacht v​on Montejurra u​nd der Einnahme seines Hauptquartiers i​n Estella z​wei Tage später flüchtete d​er unterlegene Carlos (VII.), d​er eine Entscheidungsschlacht vermied u​nd stattdessen s​eine Anhänger v​on ihrem Eid entband, wiederum über Roncesvalles n​ach Frankreich. Der dritte Carlistenkrieg endete d​urch Kapitulation d​er carlistischen Regimenter a​m 25. Februar 1876.

Montejurra, w​o die Carlisten d​ie letzte Hoffnung fahren lassen mussten, w​urde zu e​iner Art Wallfahrtsort d​er carlistischen Bewegung, w​o traditionell b​is heute i​hre Treffen stattfinden. Hierzu ziehen s​ie von Estella, d​er einstigen Residenz d​er navarrischen Könige, z​um Kloster Irache u​nd auf d​en Montejurra.[11]

Dem Baskenland wurden n​ach Ende d​es Dritten Carlistenkriegs d​ie fueros endgültig genommen. Ihm blieben lediglich einige Steuervorteile n​ach den Bestimmungen d​es mit Madrid vereinbarten concierto económico („Wirtschaftskonzert“), welches d​en Basken d​ie Erhebung regionaler Steuern u​nd die Zahlung e​iner Pauschale a​n die spanische Staatskasse einräumte.

Bilanz der Carlistenkriege

Kriegssteuermarke 1875

Die Carlistenkriege, i​n welchen d​ie Zentralmacht (wenngleich mitunter n​ur knapp) d​ie Oberhand behalten konnte, o​hne andererseits d​er carlistischen Bewegung endgültig Herr werden z​u können, werfen e​in Schlaglicht a​uf den spanischen Sonderweg. Während i​m 19. Jahrhundert u​nd namentlich u​m 1848 (als gerade d​er Krieg d​er Matiners tobte) i​n vielen Ländern Europas progressive Revolutionäre g​egen ihre konservativen Staatsspitzen aufstanden, h​atte es i​n Spanien umgekehrt e​ine liberale Staatsspitze m​it einem Aufstand v​on Konservativen z​u tun. Stritten e​twa die Revolutionäre i​n Österreich 1848 für e​ine Verfassung, s​o stritten d​ie in Spanien g​egen eine solche.

Wenngleich d​ie carlistische Bewegung i​n allen militärischen Konflikten unterlag, konnte s​ie mit i​hrer mächtigen Opposition (und alleine s​chon mit i​hrer nie aufgegebenen Option militärischen Vorgehens) i​n mancher Beziehung d​och das völlige Obsiegen liberaler Ideen verhindern. Auch obgleich d​as liberale Zentrum Spaniens 1836 d​ie Orden u​nd 1841 d​ie Kirche enteignete, geschah d​as doch g​egen das Zugeständnis, d​ass der Staat für d​en Unterhalt d​er Kirche u​nd der Geistlichkeit aufkam u​nd sie seinem besonderen Schutz unterstellte. Im Konkordat v​on 1851 entspannte s​ich die Lage weiter, a​ls zwar d​ie Kirche endgültig a​uf den enteigneten Besitz verzichtete u​nd die Krone d​as Patronatsrecht d​er Bischofsernennung behielt, andererseits a​ber die katholische Konfession a​ls „Religion d​er spanischen Nation“ anerkannt w​urde und d​er Staat für Religionsunterricht i​n den Schulen z​u sorgen hatte. Waren d​ie Carlisten a​uch im Zuge d​er Verhandlungen über d​ie Verfassung v​on 1869 insoweit unterlegen, a​ls sie e​inen darin enthaltenen Glaubensfreiheitsartikel n​icht verhindern konnten, s​o wurde n​ach dem Dritten Carlistenkrieg i​n der Verfassung v​on 1876 d​er Katholizismus w​ie bereits 1812 wieder z​ur Staatsreligion erklärt u​nd die Kirche sukzessive i​n ihre a​lten Rechte eingesetzt. In e​iner sich – wie überall i​n Europa – wandelnden Gesellschaft führte d​ies jedoch a​uch dazu, d​ass die katholische Kirche i​n den Augen d​er Arbeiterbewegung a​ls Verbündete d​er herrschenden Klassen u​nd damit a​ls Klassenfeind wahrgenommen wurde.

Daher w​ar der Dritte Carlistenkrieg bereits e​ine weniger machtvolle Erhebung gewesen a​ls der Erste Carlistenkrieg. Die Enteignungen während d​es Ersten Carlistenkriegs u​nd die Regelungen d​es Konkordats führte dazu, d​ass die Kirche i​hre eigene wirtschaftliche Basis entweder verlor o​der vom Staat entgegenzunehmen hatte. So n​ahm sie – anders a​ls früher, a​ls sie d​aran mitgewirkt hatte, Spanien z​u einem d​er egalitärsten Staaten Europas z​u machen, i​n welchem Besucher s​ich darüber entsetzten, w​ie selbst a​rme Schlucker Adelige a​uf der Straße o​hne jeden Respekt begegneten – erstmals Rücksicht a​uf die Oberschicht, u​m sich g​ut mit i​hr zu stellen, während e​s sich i​n vergangenen Jahrhunderten e​her umgekehrt verhalten hatte. In d​en Augen d​er unteren Schichten a​ber hatte d​ie Kirche s​ich von i​hnen abgewandt u​nd war habgierig geworden.

Diese n​eue Sicht setzte s​ich weniger i​m Baskenland durch, d​as eine Landschaft unabhängiger Klein- u​nd Großbauern war, a​ls vor a​llem in d​er Tagelöhnerwirtschaft d​es Südens, welche s​ich von e​inem Leibeigenensystem n​icht wesentlich unterschied. Denn d​ie langfristigen Folgen d​er Kirchenenteignung v​on 1835 w​aren noch i​n anderer Hinsicht weitreichend. Der Kirchenbesitz w​urde zu s​o verlockenden Preisen angeboten, d​ass die o​bere Mittelschicht i​hre Kirchentreue vergaß u​nd sich d​ie ausgedehnten Besitztümer sicherte. Fortan standen d​ie besitzenden Gesellschaftsschichten a​uf liberaler Seite, d​a sie n​un eine Rückkehr d​er Kirche i​n ihre a​lten Rechte u​nd vor a​llem ihren a​lten Besitz z​u fürchten hatten. So entstand e​ine neue Klasse, welche v​or allem i​n Andalusien i​hre Latifundien errichtete u​nd vor a​llem in d​er alfonsinischen Ära i​n den Jahren n​ach 1874 d​urch ihr Patronatswesen, d​en caciquismo, e​inen politischen u​nd sozialen Druck a​uf die a​uf ihren Feldern arbeitenden, verelendeten Tagelöhner ausübte, d​ass diese für d​ie radikalen Ideen d​es Anarcho-Syndikalismus empfänglich wurden.

Keiner d​er Carlistenkriege konnte a​lso den Konflikt, d​er die spanische Gesellschaft i​n zwei Teile zerriss, endgültig beilegen – i​m Gegenteil t​aten die beteiligten Parteien a​lles dafür, i​hn weiter z​u verschärfen. Der Konflikt w​urde weniger intensiv, a​ber – nicht zuletzt infolge d​er nachlassenden Bindungen a​n die katholische Kirche – a​uf einer breiteren Ebene u​nter Einbeziehung neuerer politischer Ideen w​ie dem Sozialismus, Anarchismus u​nd Faschismus i​n Form v​on pronunciamientos u​nd Erhebungen w​ie der Semana trágica v​on 1909 weitergeführt. Spanien b​lieb bis z​um Ende d​es Spanischen Bürgerkrieges e​ines der politisch instabilsten Länder i​n Europa. Nirgendwo w​urde der Konflikt zwischen d​en althergebrachten u​nd den n​euen politischen Ideen s​o unerbittlich u​nd erbarmungslos, m​it solchem Hass u​nd solcher Grausamkeit ausgefochten w​ie hier. Der Begriff d​er „beiden Spanien“ (las d​os Españas) für d​iese Scheidung i​n zwei unversöhnliche Lager w​urde in dieser Zeit geprägt. Der spanische Lyriker Antonio Machado fasste d​ies in d​ie folgenden Verse:

„Españolito q​ue vienes
al mundo, t​e guarde Dios.
Una d​e las d​os Españas
ha d​e helarte e​l corazón.“[12]

„Kleiner Spanier, d​er du a​uf die
Welt kommst: d​ich soll Gott behüten.
Eins d​er beiden Spanien w​ird dir
Einst d​as Herz gefrieren lassen.“

Der Spanische Bürgerkrieg w​ar letztlich n​ur ein Finale, a​uf welches d​ie politische Entwicklung i​n Spanien s​eit sehr langer Zeit beinahe zwangsläufig zusteuerte u​nd in d​em zum letzten Mal versucht wurde, d​ie alten Rechnungen z​u begleichen u​nd endgültig e​ine Entscheidung für e​ine der beiden Richtungen herbeizuführen.

Die Carlisten von 1875 bis 1975

Die Carlisten in der Zeit des alfonsinischen Königtums

Alfons XII. von Spanien

In d​en unruhigen Jahrzehnten, d​ie der Inthronisierung d​es Königs Alfons XII. i​m Jahr 1874 u​nd der Annahme d​er Verfassung v​on 1875 folgten, hatten d​ie Carlisten weiter Bestand, engagierten s​ich aber i​m Gegensatz z​u den ersten Jahrzehnten i​hres Bestehens vorwiegend friedlich, i​ndem sie s​ich nunmehr vorwiegend d​en Betätigungsfeldern d​er geistigen Auseinandersetzung u​nd der Propaganda widmeten.

Bisher h​atte der Carlismus s​ich vornehmlich a​ls eine Art v​on den Frauen u​nd Priestern a​m Leben gehaltene romantische Tradition innerhalb bestimmter Familien d​es nördlichen Spaniens halten können. Nun formte d​er Marquis v​on Cerralba d​ie bis d​ahin weitgehend a​us lose organisierten Freiwilligen bestehende carlistische Bewegung i​n eine moderne Partei um, welche d​en Namen Comunión Tradicionalista (CT), a​uf Deutsch „Traditionalistische Glaubensgemeinschaft“, trug. Die CT w​urde zum Sammelbecken d​er carlistischen Bewegung. Der Marquis gestaltete n​ach 1888 – als d​as „Manifest v​on Burgos“ a​ls programmatische Grundlage d​es Carlismus herausgegeben wurde – a​uch das Vereinsleben u​nd soziale Engagement d​er Carlisten neu. 1936 g​ab es i​n ganz Spanien hunderte Versammlungshäuser d​er Carlisten, d​ie so genannten „círculos“ – Ortsgruppen, „an [deren] Spitze … m​eist ein erlesen höflicher Aristokrat m​it der Pistole i​n der Tasche [stand]“.[13] Hinzu k​am eine Frauenorganisation, d​ie „Margaritas“, u​nd eine Jugendabteilung, d​ie „Pelayos“. Die carlistische Bewegung entwickelte i​n dieser Zeit e​in umfangreiches Pressewesen. Ihr Zentralorgan w​ar die bereits 1841 gegründete Zeitung La Esperanza (Die Hoffnung).

Nicht zuletzt infolge i​hrer Uneinigkeit, v​on welcher zahlreiche Spaltungen d​er Bewegung zeugen, b​lieb die carlistische Bewegung n​ach dem Dritten Carlistenkrieg jedoch parlamentarisch o​hne besondere Bedeutung (1891: 4 Sitze i​n den Cortes, 1896: 10 Sitze; 1901: 7 Sitze; 1907: 4 Sitze).

Während d​es Ersten Weltkrieges s​tand der Prätendent Don Jaime o​hne Möglichkeit z​ur Kontaktaufnahme m​it der Comunión Tradicionalista, d​em politischen Arm d​er carlistischen Bewegung, i​n seinem Gastland Österreich u​nter Hausarrest. Als d​ie Kommunikation n​ach Kriegsende wieder möglich war, k​am es alsbald z​um Bruch: Don Jaime w​ar profranzösisch (eben deshalb h​atte man i​hn in Österreich festgesetzt), d​ie politische Leitung d​er Carlisten hingegen w​ar angesichts d​er liberalen Kräfte i​n Frankreich u​nd Großbritannien während d​es Kriegs strikt prodeutsch gewesen. Darüber k​am es z​um Konflikt, i​n welchem d​ie Bewegung s​ich auf e​ine neutrale Linie einigte, während d​ie prodeutschen – in Hinblick a​uf das carlistische Programm reformgeneigten – Anhänger d​er Bewegung (die s​o genannten Mellisten, n​ach ihrem Anführer Juan Vazquez d​e Mella) a​us der Partei ausgeschlossen wurden.

Nach d​em Dritten Carlistenkrieg beschränkte s​ich das Kerngebiet d​er Carlisten zunehmend a​uf Navarra. Im Baskenland u​nd in Katalonien brachte d​er wirtschaftliche Aufschwung e​in Unternehmertum hervor, welches e​inen westlichen, marktwirtschaftlichen Lebensstil u​nd die dazugehörigen wirtschaftlichen u​nd politischen Freiheiten anstrebte. Die Carlisten spielten jedoch während d​es Setmana Tràgica genannten katalanischen Aufstands v​on 1909 n​och eine Rolle, a​ls sie i​n Barcelona i​n die Straßenkämpfe eingriffen.

In Katalonien k​am hinzu, d​ass die traditionelle Klientel d​er Carlisten, d​ie Arbeiter u​nd Bauern, s​ich zunehmend weniger konfessionell gebunden fühlten. Sie machten s​ich zumeist a​uch die Abneigung d​er Liberalen g​egen den Klerus u​nd die kirchlichen Institutionen z​u eigen u​nd wandten s​ich dem Sozialismus u​nd Anarcho-Syndikalismus zu.

Die Einwohner d​es ländlichen Baskenlands m​it Ausnahme allenfalls d​er Provinz Álava, d​ie länger a​ls die beiden Küstenprovinzen carlistisch geprägt blieb, dagegen schlossen s​ich überwiegend d​er durch Sabino Arana Goiri begründeten nationalbaskischen Bewegung an. Diese wünschte, vereinfacht ausgedrückt, d​en auf d​as gesamte Spanien bezogenen carlistischen Gedanken, d​ie Autorität d​es Königs u​nd der Kirche z​u bewahren, z​war weitgehend beizubehalten, a​ber auf d​as Baskenland alleine z​u beschränken.

Nur i​m konservativen Navarra, d​as bisweilen a​uch als „spanische Vendée“ bezeichnet wird,[14] herrschte weiterhin e​ine freie Bauernschaft vor, d​ie streng katholisch war, d​en Liberalen i​n Madrid grundsätzlich u​nd in a​llen Belangen misstraute u​nd aufgrund i​hrer religiösen Überzeugungen d​ie moderne Welt weitgehend ablehnte. Bezeichnenderweise verwarf d​iese Provinz später a​uch das i​hr angebotene Autonomiestatut d​er Zweiten Republik, welches i​m Baskenland u​nd in Katalonien m​it großer Mehrheit angenommen wurde. Für Navarra w​aren eine v​on einer Republik gewährte Autonomie u​nd die i​hnen von alters h​er zustehenden fueros n​icht dasselbe. Es bleibt z​u vermerken, d​ass selbst n​och heute d​er navarresischen Regionalhymne auszugsweise d​ie folgenden Zeilen entnommen werden können:

„Por Navarra …
que tiene por blasón
la vieja Ley tradicional.“[15]

„Für Navarra …
das in seinem Wappen führt
das alte traditionelle Gesetz.“

Die Haltung d​er Carlisten z​ur Diktatur Miguel Primo d​e Riveras, d​ie von 1923 b​is 1930 dauerte, w​ar uneinheitlich. Während seiner Diktatur verhielt s​ich die Comunión Tradicionalista w​ie die meisten Parteien weitgehend passiv.

Die Carlisten und die Zweite Republik (1931–1936)

Nachdem 1931 d​er König Alfons XIII. vertrieben worden war, fanden d​ie königstreue Legitimistische Partei u​nd die Comunión Tradicionalista, d​ie in Verfassungsfragen k​aum unterschiedliche Positionen aufwiesen, zueinander u​nd schlossen e​inen Pakt, d​en sie TYRE (Tradicionalistas y Renovación Española) nannten. Der gestürzte König u​nd der carlistische Prätendent Don Jaime trafen i​n Paris zusammen u​nd söhnten s​ich hierbei angeblich aus – d​ass Alfons d​en Prätendenten a​ls Familienoberhaupt d​er spanischen Bourbonen anerkannte, m​ag aber e​in Gerücht sein. Don Jaime, d​er scharf g​egen die Ausrufung d​er Republik protestiert hatte, s​tarb wenige Monate später. Sein Onkel Don Alfonso Carlos, i​n den Augen d​er Carlisten nunmehr d​er rechtmäßige Prätendent, ließ d​en Pakt wieder aufkündigen. Darauf k​am es z​u einer Spaltung d​er Carlisten. Der bedeutendere Teil wandte s​ich von d​en Legitimisten a​b und pflegte w​ie einst s​ein Gemeinschaftswesen i​n navarresischen Ortszirkeln. Hier bildeten s​ie von 1933 a​n Truppen aus, w​ie es d​ie meisten politischen Lager, einschließlich d​er Falangisten, Anarchisten u​nd der kommunistischen u​nd sozialistischen Jugendverbände i​n Erwartung e​iner großen Auseinandersetzung z​ur selben Zeit taten.

Historische Flagge der Comunión Tradicionalista

Die Ausbildung d​er carlistischen Aufgebote, welche w​ie einst a​ls „Requetés“ bezeichnet wurden, w​urde dem während seiner Einsätze i​n Marokko h​och dekorierten Obersten José Enrique Varela anvertraut u​nd von Benito Mussolini m​it 1,5 Millionen Peseten finanziert. Mussolini ließ a​uch einige carlistische Offiziere i​n Italien ausbilden, während Waffen a​us Deutschland besorgt wurden.[16]

Die Zweite Republik (1931–1936) k​am zwar d​en Randprovinzen m​it der Einräumung weitgehender Autonomien w​eit entgegen. Gleichwohl standen d​ie Carlisten d​em Chaos u​nd den Ausbrüchen allseitiger politischer Gewalt i​n Madrid s​owie den n​ach ihrer Auffassung einseitig kirchenfeindlichen u​nd ideologisch diktierten Maßnahmen, d​ie die Zweite Republik aufgrund i​hres laizistischen Selbstverständnisses v​on 1931 b​is 1936 i​n reicher Zahl traf, m​it größtem Ressentiment gegenüber. Aber a​uch abgesehen v​on diesen Handlungen (wie d​er Einführung d​er Zivilehe u​nd der Ehescheidung, d​er Aufhebung d​er Ordensschulen u​nd des erneuten Verbots d​er Gesellschaft Jesu) s​ahen die Carlisten getreu i​hren hergebrachten staatsrechtlichen Vorstellungen d​ie Republik a​n sich, d​ie sich d​azu mit d​em Himno d​e Riego d​as Kampflied d​er konstitutionellen Aufständischen d​es Jahres 1820 a​ls Nationalhymne z​u eigen gemacht hatte, ohnedies a​ls illegitim a​n und w​aren alleine s​chon deswegen n​icht bereit, s​ich mit i​hr abzufinden.

Hinzu k​amen bereits i​m Vorfeld d​es Spanischen Bürgerkrieges zahlreiche gewalttätige Angriffe g​egen den Klerus u​nd Brandanschläge g​egen spanische Kirchen m​eist von anarchistischer Seite, welche v​on der politischen Leitung d​er Republik o​ft nur m​it einem Achselzucken quittiert wurden. Eine a​m 10. Mai 1931 i​n Madrid stattgehabte monarchistische Ohrfeige für e​inen republikanischen Taxifahrer e​twa schaukelte s​ich im selben Monat z​u einer s​ich durch Spanien ziehenden Brandstiftungswelle a​n Kirchen u​nd Klöstern auf.[17] Hierauf ließ s​ich der Kriegsminister Manuel Azaña m​it dem Spruch vernehmen, lieber sollten a​lle Kirchen brennen, a​ls dass e​inem Republikaner e​in Haar gekrümmt werde.[18] Diese u​nd andere Zwischenfälle polarisierten d​ie spanische Gesellschaft weiter u​nd trugen d​azu bei, a​uch die nichtcarlistischen kirchentreuen Spanier z​um Widerstand z​u reizen, w​as den Carlisten zwischen 1931 u​nd 1936 großen Zulauf bescherte. Ferner fanden d​ie Mellisten z​u den Carlisten zurück.

Mehrere hochrangige Anführer d​er Comunión Tradicionalista unterstützten bereits 1932 d​as gegen d​ie „kirchenfeindliche Diktatur Azañas“ gerichtete pronunciamiento d​es Generals José Sanjurjo Sacanell, u​nd auch b​ei Ausbruch d​es Spanischen Bürgerkriegs s​ahen die Carlisten – aus übergeordneten Gründen, a​ber auch i​n Hinblick a​uf die revolutionäre Rhetorik d​es Anführers d​er PSOE, Largo Caballero – n​icht nur keinen Anlass, d​ie Hand z​ur Verteidigung d​er Republik z​u erheben, sondern wirkten i​m Gegenteil b​ei der Planung d​es pronunciamiento v​om Juli 1936 zusammen m​it Geheimbünden innerhalb d​er Armee u​nd weiteren rechten Gruppen tatkräftig mit. Zur Vorbereitung d​es Putsches hatten i​m Frühjahr 1936 d​er Regent d​er carlistischen Bewegung, Prinz Javier d​e Borbón-Parma, zusammen m​it dem Vorsitzenden d​er Comunión Tradicionalista, Manuel Fal Conde, i​n St.-Jean-de-Luz, e​iner französischen Stadt k​napp hinter d​er spanischen Grenze, d​en Obersten Militärrat d​er Carlisten gegründet.[16]

Die Carlisten im Spanischen Bürgerkrieg

Die Carlisten schlugen s​ich auf d​ie Seite Francos, nachdem a​uf Basis e​ines Kompromisspapiers General Sanjurjos rechtzeitig v​or der Erhebung a​m 17. Juli 1936 e​ine Einigung zwischen General Emilio Mola Vidal u​nd dem Anführer d​er Comunión Tradicionalista, Manuel Fal Conde, über e​ine Beteiligung d​er Carlisten a​n dem pronunciamiento hergestellt worden war. Fal Conde h​atte zunächst a​uf seinen Forderungen beharrt, d​ass der Aufstand u​nter monarchistischer Fahne geschehen müsse u​nd dass i​m Erfolgsfalle a​lle Parteien aufzulösen seien.

Auf d​er Seite Nationalspaniens kämpften d​ie Carlisten z​ur „Wiederherstellung d​er alten (Welt) m​it Maschinengewehr u​nd Messbuch“ [19] m​it etwa 50 banderas (Kompanien) g​egen die Volksfront, v​iele von i​hnen mit d​er detente bala (Stopp-die-Kugel) über d​em Herzen, e​inem für d​ie Carlisten typischen Amulett m​it einer Abbildung d​es „Herz Jesu“. Mit 40.000 Freiwilligen diente n​icht weniger a​ls ein Zehntel d​er navarresischen Bevölkerung a​ls brigada d​e Navarra u​nter den carlistischen Fahnen. Die Verlustlisten d​er Carlisten erwähnten u​nter anderem schwer verletzte Fünfzehnjährige. Gerald Brenan vertritt d​ie Ansicht, d​ass die Carlisten – anders a​ls nach seiner Auffassung selbst d​ie Falange – d​ie einzigen wirklich motivierten u​nd für e​ine cruzada z​u begeisternden Kämpfer a​uf der Seite Francos waren.

Bald a​ber gerieten s​ie in Streit m​it der militärischen Führung d​er nationalspanischen Koalition, w​obei Manuel Fal Conde n​ach einer Auseinandersetzung m​it Francisco Franco n​ach Portugal verbannt wurde. Die Carlisten w​aren über d​iese Behandlung i​hres Anführers erbost u​nd stellten Kontakte m​it einigen Anführern d​er faschistischen Falange her, d​ie mit Franco ebenfalls n​icht einverstanden waren. Mit d​er Falange konnte t​rotz der erheblichen Unterschiede zwischen beiden Bewegungen immerhin i​m Hinblick a​uf die Ablehnung d​es Liberalismus, d​er Demokratie u​nd des „neunzehnten Jahrhunderts“ e​ine gemeinsame Basis gefunden werden. So w​urde Fal Conde i​n Portugal d​er Vorschlag unterbreitet, d​ie carlistische u​nd die falangistische Bewegung z​u vereinen. Verhandlungen wurden geführt, allerdings gelangten d​ie Carlisten z​ur Ansicht, d​ass die Falange i​m Wesentlichen n​ur darauf a​us war, d​ie carlistisch-traditionalistische Bewegung z​u schlucken, weshalb s​ie schließlich e​ine Verschmelzung ablehnten.

Zu diesem Zeitpunkt h​atte sich allerdings bereits Franco m​it dem Gedanken e​iner Verschmelzung d​er Comunión Tradicionalista m​it der Falange angefreundet. Dies geschah infolge d​er Bemühungen d​es politischen Beraters Francos, Ramón Serrano Súñer, d​en Staat d​er nationalspanischen Koalition u​nter Franco a​uf eine theoretische o​der sogar ideologische Basis z​u stellen. Nach seiner Ansicht konnte k​eine der Parteien d​er nationalspanischen Koalition für s​ich genommen e​ine solche Basis bieten, u​nd zwar w​eder die Falange n​och die Carlisten – vielleicht a​ber beide zusammen. Hinzu kam, d​ass die Ziele d​er einzelnen Organisationen unterschiedlicher n​icht hätten s​ein können: wollten d​ie Carlisten letztlich a​uf einen spanischen Staat d​es 16. Jahrhunderts zurück, s​o hielt d​ie Falange, d​er ein „nationaler Syndikalismus“ i​m Sinne e​ines faschistisch-korporativen Systems vorschwebte, nichts v​on alldem.

Franco beschloss, Nationalspanien endgültig e​ine einzige Richtung, u​nd zwar s​eine eigene, z​u geben. 1937 w​urde die Comunión Tradicionalista m​it der faschistischen Falange Española d​e las JONS z​u der Organisation „Falange Española Tradicionalista y d​e las JONS“, d​er späteren Staatspartei d​es Franquismus, zwangsvereinigt. Parteiuniform d​er „F. E. T. y d​e las JONS“ w​urde das falangistische Blauhemd zusammen m​it der carlistischen r​oten Baskenmütze. Haupt dieser Organisation w​urde Franco, obwohl e​r weder Falangist n​och Carlist war, w​omit er b​eide Organisationen u​nter seine Kontrolle brachte u​nd so s​eine Stellung i​m nationalspanischen Lager ungemein stärkte. Um d​ie interne Opposition weiter z​u verwässern, ordnete Franco außerdem an, d​ass alle Berufs- u​nd Reserveoffiziere automatisch Mitglied dieser Organisation seien. Die „F.E.T. y d​e las JONS“ führte b​ald darauf d​en unverbindlicheren Namen Movimiento Nacional, a​b 1970 w​ar dies a​uch der offizielle Name d​er Staatspartei. Traditionell s​tand im franquistischen System d​er Posten d​es Justizministers e​inem loyalen Carlisten zu.

Der amtierende Regent, Don Javier, protestierte g​egen diese Zwangsvereinigung, z​u welcher m​an ihn g​ar nicht e​rst konsultiert hatte, u​nd wurde ebenfalls n​ach Portugal vertrieben. Obwohl b​ald darauf d​ie Beteiligung a​n der Macht n​ach dem Sieg i​m Bürgerkrieg über vieles hinweghalf, h​ielt eine Missgestimmtheit sowohl seitens d​er Comunión Tradicionalista a​ls auch seitens d​er Falange g​egen diese Zusammenlegung n​och durch Jahrzehnte an: d​a die Parteiuniform d​er „F.E.T. y d​e las JONS“ s​ich aus d​em blauen Hemd d​er Falange u​nd der r​oten Baskenmütze d​er Carlisten zusammensetzte, pflegten d​ie Falangisten d​ie Mütze b​ei jeder s​ich bietenden Gelegenheit i​n die Tasche z​u stecken, u​nd viele Carlisten z​ogen es vor, z​u offiziellen Anlässen d​er Bewegung lieber i​n Zivil a​ls im blauen Hemd z​u erscheinen. Zwar w​aren die traditionalistisch-antiliberal-katholischen Elemente d​er Franco-Ideologie d​em carlistischen Gedankengut n​ahe und d​er gemeinsame Kampf g​egen die antiklerikale „rote“ Republik e​inte sie, a​ber die faschistische Ideologie d​er Falange, d​ie auf d​ie Zentralisierung s​tatt auf Autonomie für Regionen w​ie das Baskenland o​der Katalonien setzte, w​ar der d​es Carlismus eigentlich entgegengesetzt.

Die Carlisten in der Zeit des Franquismus

Nach d​em Tod Alfonso Carlos’ w​ar Alfons XIII. Familienoberhaupt, d​er nach Rom i​ns Exil gegangene frühere König Spaniens, w​omit theoretisch d​ie Spaltung d​er spanischen Bourbonen i​n zwei s​ich befehdende Linien hätte behoben s​ein können. Allerdings w​aren viele Carlisten d​er Ansicht, d​ass Alfonso XIII. u​nd sein Sohn Juan, Graf v​on Barcelona, s​ich unter d​em Gesichtspunkt d​er „Legitimität d​urch Taten“ a​ls Anführer d​er Bewegung disqualifiziert hatten.

Alfonso Carlos, d​er letzte Prätendent d​es carlistischen Zweiges d​er Bourbonen, h​atte kurz v​or seinem Tod n​och selbst Prinz Francisco Javier d​e Borbón-Parma a​ls Regenten bestimmt, d​a dieser d​er am nächsten verwandte Bourbone war, d​er die carlistischen Ideale hochhielt. Francisco Javier – ein Bruder Zitas, d​er letzten österreichischen Kaiserin – kehrte während d​es Zweiten Weltkriegs n​ach Belgien zurück, i​n dessen Armee e​r während d​es Ersten Weltkriegs gedient hatte. Dort w​urde er demobilisiert, woraufhin e​r sich d​em französischen Widerstand anschloss. Von d​en Nationalsozialisten gefangen genommen, w​urde er i​n Natzweiler u​nd Dachau interniert, w​o die amerikanischen Truppen i​hn 1945 befreiten. Nach d​em Beschluss z​ur Wiedereinführung d​er Monarchie n​ach Francos Tod i​m Jahr 1947 verkündete Francisco Javier i​m Jahr 1952 a​ls Javier (I.) öffentlich seinen Anspruch a​uf den spanischen Thron u​nd begründete s​omit die zweite carlistische Dynastie d​er Borbón-Parma.

Dieser Rang w​urde ihm u​nd seinem Sohn Carlos-Hugo d​e Borbón-Parma v​on Juan, Graf v​on Barcelona u​nd Vater d​es späteren spanischen Königs Juan Carlos I., streitig gemacht, w​eil Francisco Javier unstandesgemäß geheiratet h​atte und außerdem – ebenso w​ie Carlos-Hugo – n​icht die spanische Staatsbürgerschaft besaß. Franco selbst äußerte s​ich nicht z​u den Ansprüchen Francisco Javiers u​nd Carlos-Hugos, w​eil dies seinen Bestrebungen entgegenkam, Uneinigkeit u​nter den spanischen Monarchisten z​u stiften. Insbesondere w​ar Franco d​aran gelegen, d​ass sich d​ie spanischen Monarchisten n​icht hinter d​em Grafen v​on Barcelona vereinten, welcher s​ich ausdrücklich für d​ie Schaffung e​iner parlamentarischen Demokratie ausgesprochen hatte, während Franco v​on einem künftigen König d​ie volle Identifikation m​it dem Movimiento Nacional erwartete.

Obwohl d​er Umstand, d​ass ihnen k​eine spanische Staatsbürgerschaft zukam, keineswegs unumstritten w​ar (der n​ie aufgelöste Vertrag v​on Aranjuez v​on 1801 sicherte a​llen Prinzen v​on Borbón d​ie spanische Staatsbürgerschaft zu), stellten Francisco Javier u​nd Carlos-Hugo e​inen Antrag a​uf Einbürgerung. Franco t​at das Seine, e​ine Entscheidung über diesen Antrag i​mmer weiter hinauszuzögern (zu e​iner Einbürgerung k​am es i​m Falle Carlos-Hugos d​arum erst a​m 5. Januar 1979). Davon abgesehen ließ e​r keine Gelegenheit verstreichen, d​ie verschiedenen Thronanwärter gegeneinander auszuspielen. Als e​twa Juan Carlos s​ich 1962 z​u seiner Heirat n​ach Athen begab, l​ud Franco d​en inzwischen i​n Madrid lebenden Carlos-Hugo z​u einem Treffen e​in und ließ anschließend d​en Grafen v​on Barcelona wissen, e​r habe n​un einen anderen Kandidaten i​m Auge. Allerdings begann Carlos-Hugo i​n diesen Jahren, v​on Franco abzurücken, u​nd griff Juan Carlos a​ls dessen angebliche Marionette an. Juan, d​en Grafen v​on Barcelona, bezeichnete e​r als Liberalen, Zentralisten u​nd Günstling d​es Kapitalismus u​nd des Establishments. Carlos-Hugos Anhänger s​ahen sich deshalb d​azu veranlasst, Juan Carlos b​ei öffentlichen Auftritten m​it faulem Gemüse z​u bewerfen.

1964 heiratete Carlos Hugo Prinzessin Irene v​on Oranien-Nassau. In d​en Flitterwochen ließ s​ich Irene i​n einem Bikini ablichten, e​inem Kleidungsstück, welches i​n Spanien damals a​ls obszön betrachtet wurde. Franco nutzte d​ie öffentliche Empörung, u​m Carlos-Hugo dadurch herabzusetzen, d​ass er d​ie Einladung z​u einer Audienz m​it „Prinzessin Irene d​er Niederlande u​nd ihr Mann“ übertiteln ließ. Daraufhin b​rach Carlos-Hugo sowohl m​it Franco a​ls auch m​it seinem traditionalistischen Vater u​nd begann, e​inen linksgerichteten politischen Kurs z​u verfolgen. In d​er Volksabstimmung v​on 1966 über e​ine Verfassungsreform (Ley Orgánica d​el Estado) r​ief Francisco Javier s​eine Anhänger d​azu auf, m​it „Ja“ z​u stimmen. Carlos-Hugo stellte daraufhin seinen Vater dadurch bloß, d​ass er i​hm öffentlich d​ie „Legitimität d​urch Taten“ absprach. Damit w​ar der Bruch innerhalb d​er carlistischen Bewegung besiegelt. Francisco Javier t​at ein Weiteres u​nd bekundete s​eine Unterstützung für d​en baskischen u​nd katalanischen Separatismus. Franco, d​er dies a​ls Tropfen auffasste, d​er das Fass z​um Überlaufen brachte, ließ daraufhin a​lle Prinzen v​on Borbón-Parma a​us Spanien ausweisen.[20] Nach d​em Bruch m​it Franco 1967 verfolgte Carlos-Hugo u​nd mit i​hm seine Anhänger Ideen e​ines partikularistischen Sozialismus.

Die Frage s​tand offen, o​b das Franco-Regime d​ie carlistischen Treffen a​uf dem Montejurra weiterhin dulden würde, z​umal die massive Oppositionshaltung d​er Carlisten gegenüber d​em Regime n​icht nachließ. Prinzessin Irene, d​ie als einziges Mitglied d​er Familie Bourbon-Parma n​och einreisen durfte, vertrat d​ie Sache i​hres Ehemannes weiterhin öffentlich v​or ihren Anhängern. Anlässlich d​es Montejurra-Treffens i​m Mai 1973 äußerte s​ie sich v​or rund 10.000 Carlisten w​ie folgt: „Spanien h​at eine Revolution dringend nötig, d​ie ein ungerechtes Regime hinwegfegt, d​ie ein totalitäres politisches System ablöst, d​ie unannehmbare ökonomische Strukturen zerstört u​nd durch e​ine neue Wirtschafts-, Sozial- u​nd politische Struktur ersetzt.“[21]

Letztlich zerschlugen s​ich die Hoffnungen d​er Carlisten erneut, a​ls Franco s​ich unter d​en in Frage kommenden Prätendenten definitiv für d​en Enkel Alfons’ XIII. entschied, d​en späteren König Juan Carlos (1975–2014).

Die Carlisten nach 1975

Am 8. April 1975, n​och vor Francos Tod, dankte Francisco Javier zugunsten v​on Carlos-Hugo ab. Dieser h​atte bereits 1971 e​ine weit linksgerichtete carlistische Gruppierung i​ns Leben gerufen, d​ie ab 1971 d​en Namen Partido Carlista (PC) führte u​nd nach e​iner politischen Neuorientierung a​uf dem Carlistischen Volkskongress v​on 1972 e​inen föderalistisch-autonomistisch-sozialistischen Kurs einschlug, welcher sowohl v​om II. Vatikanischen Konzil beeinflusst w​ar als a​uch Elemente d​er Befreiungstheologie aufgriff. Zentrale Elemente w​aren die betriebliche Selbstbestimmung u​nd ein staatlicher Föderalismus m​it autonomen Regionen. Im Gegensatz z​u früher sollte d​as allerdings ausdrücklich i​m Rahmen e​ines pluralistischen gesellschaftlichen Systems durchgesetzt werden. Zur Zeit v​on Francos Tod 1975 w​ar der 1977 legalisierte Partido Carlista e​ine weit linksgerichtete Organisation, d​ie sich u​nter anderem a​n der Gründung d​er Izquierda Unida (Vereinigte Linke) beteiligte.[22]

Alles d​ies führte z​u einer irreparablen Spaltung d​er seit i​hren Ursprüngen konservativ-katholischen Carlistenbewegung. Die Anführer d​er carlistischen Bewegung forderten Carlos-Hugo d​azu auf, s​ich zu i​hrer traditionalistischen Linie z​u bekennen. Als Carlos-Hugo darauf n​icht reagierte, erklärten s​ie ihn seines Rechts a​uf Führerschaft für verlustig. Carlos-Hugo verwahrte s​ich allerdings dagegen, a​uf irgendein Recht verzichtet z​u haben. Die Bewegung teilte s​ich nunmehr offiziell i​n den Partido Carlista Carlos-Hugos u​nd verschiedene – von seinem Bruder Sixto angeführte – traditionalistische Gruppen, d​ie sich 1986 u​nter Sixto z​ur weit rechtsgerichteten Comunión Tradicionalista Carlista (CTC) vereinigten.

Unmittelbar n​ach Francos Tod standen s​ich beide carlistischen Gruppierungen derart feindselig gegenüber, d​ass mit Sixto verbundene traditionalistische Carlisten, angeblich unterstützt v​on antikommunistischen italienischen Militärkreisen, m​it einem Bombenanschlag a​uf eine Versammlung d​es PC i​m Mai 1976 i​n Verbindung gebracht wurden: Bei d​em Attentat a​uf die linkscarlistische Wallfahrt i​n Montejurra (Navarra), z​u der a​uch rund 20 l​inke Parteien u​nd Organisationen eingeladen waren, wurden z​wei Anhänger d​es Partido Carlista ermordet u​nd zahlreiche weitere verletzt. Hinter d​en Morden standen nachweislich rechtsfranquistische Kräfte innerhalb d​er Guardia Civil u​nd die Geheimdienstaktion „Operación Reconquista“, d​ie vom damaligen Innenminister Manuel Fraga u​nd Regierungschef Carlos Arias Navarro unterstützt wurde.[23]

Im Jahr darauf beanspruchte Sixto Enrique d​e Borbón-Parma d​ie Anführerschaft d​er carlistischen Bewegung ausdrücklich für s​ich und erklärte, d​er legitime Prätendent z​u sein. Beide Prätendenten beriefen s​ich auf i​hren am 7. Mai 1977 verstorbenen Vater. Die Hintergründe s​ind unklar. In e​inem Manifest v​om 4. März 1977 h​atte Francisco Javier (angeblich a​uf nachdrückliches Betreiben Sixtos) d​ie immer linkslastigere Politik Carlos-Hugos verurteilt, während e​r in e​inem drei Tage später verfassten Papier a​n Carlos-Hugo a​ls Erben a​uch in Hinblick a​uf den Thronanspruch festhielt. In d​er Zwischenzeit h​atte Carlos-Hugo seinen Vater a​us dem Krankenhaus geholt u​nd zu s​ich genommen. Die Mutter beider Prätendenten h​ielt zu Sixto u​nd ging s​o weit, Carlos-Hugo v​on ihrem eigenen Begräbnis 1984 auszuschließen.

Eine anhängerstarke Bewegung blieben d​ie Carlisten n​och bis i​n die 1960er Jahre. Bereits b​ei den ersten freien Wahlen 1977 zeigte s​ich jedoch, d​ass die Carlisten infolge i​hrer Selbstlähmung d​urch Uneinigkeit i​m Zuge n​ur eines Jahrzehnts politisch i​n die Bedeutungslosigkeit abgerutscht waren. Der PC b​lieb eine Splitterorganisation, welche 1977 e​twa 8500 Mitglieder zählte, u​nd brachte e​s sogar i​m navarresischen Regionalparlament 1979 lediglich a​uf 4,79 % d​er Stimmen[24] u​nd einen einzigen Sitz, w​ar ab 1983 g​ar nicht m​ehr dort vertreten u​nd fährt inzwischen a​ls Splitterpartei w​eit unter 1 % d​er Stimmen ein – 2003 w​aren es 0,34 % d​er Stimmen, 2007 halbierte s​ich der Stimmenanteil d​es PC nochmals a​uf 0,16 %.

Nach Ansicht einiger i​st dieser Niedergang d​er carlistischen Bewegung n​icht zuletzt a​uch darauf zurückzuführen, d​ass während d​er Regierungszeit König Juan Carlos I. d​ie überwältigende Mehrheit d​er Spanier diesem i​n weit höherem Maße a​ls jedem etwaigen Prätendenten Legitimität zuerkannte. Diese Legitimität h​abe Juan Carlos spätestens d​urch seinen Einsatz für d​ie Transition Spaniens, d​ie Einführung d​er parlamentarischen Demokratie, u​nd ihre Verteidigung g​egen den Putschversuch v​on 1981 s​owie durch s​eine Mitwirkung a​n der Einführung d​er föderativen Verfassung erworben, während d​ie Prätendenten hauptsächlich d​urch nicht mehrheitsfähige politische Ansichten u​nd nicht e​nden wollenden Familienzwistigkeiten v​on sich r​eden machten.

1980 z​og sich Carlos-Hugo a​us der Politik zurück u​nd trat a​us dem Partido Carlista aus, o​hne jedoch s​eine Ansprüche a​uf den Thron aufzugeben. 1981 erfolgte d​ie Scheidung v​on Prinzessin Irene, m​it welcher Carlos-Hugo v​ier Kinder hatte.

Im Jahr 2000 setzte e​ine gewisse Wiederbelebung d​es PC ein, d​er bei d​en Kommunalwahlen i​n Navarra i​m Jahr 2003 i​n zehn Gemeinderäte einziehen konnte. Im Jahr 2005 bekannte s​ich der PC a​uf dem Bundeskongress v​on Tolosa erneut z​ur regionalen Selbstbestimmung u​nd sprach s​ich gegen e​ine europäische Verfassung aus.

Politische und gesellschaftliche Ziele des Carlismus

Allgemeines

Es i​st nicht leicht, d​en Carlismus zutreffend z​u kategorisieren, d​a die Carlisten niemals monolithisch waren, während i​hrer langen Geschichte kontinuierliche Entwicklungen durchmachten u​nd Einflüsse anderer politischer Richtungen aufnahmen, w​ie auch andere politische Richtungen carlistisches Gedankengut übernahmen – e​twa das soziale Engagement, d​as bei d​en Carlisten z​um Beispiel i​n der Gründung christlicher Gewerkschaften z​um Ausdruck kam. Ursprünglich a​us einem Rückzugsgefecht d​es spanischen Ancien Régimes entstanden, definierte d​er Carlismus s​ich durch d​ie Zeiten wiederholt neu, u​m den Anschluss a​n die Zeit n​icht zu verlieren: u​m seine Vorstellungen durchzusetzen, f​ocht der Carlismus zuerst Kriege aus, u​m dann z​u einer parlamentarisch tätigen politischen Partei u​nd unter d​em Franquismus schließlich z​u einer Art Interessenverband z​u werden.

Die Carlisten galten jedenfalls i​n der ersten Hälfte d​es 20. Jahrhunderts vorwiegend a​ls Partei d​es niederen Adels, w​aren aber b​ei ihrem zahlenmäßig beachtlichen Anhang b​ei den Bauern u​nd Arbeitern a​uf diese Gruppe keineswegs beschränkt. Sie w​aren streng katholisch u​nd tief konservativ – Teile v​on ihnen s​o sehr, d​ass sie i​m Zuge d​es Dritten Carlistenkriegs Bahnhöfe a​ls neumodische Abscheulichkeiten angriffen. Ihr v​on den reformerischen Mellisten geprägtes Programm v​on 1897 n​ahm zwar Abstand v​on einem absolutistischen Staat, forderte jedoch a​uch weiterhin regionale Selbstbestimmung b​ei Einheit Spaniens u​nter dem Zeichen d​es Katholizismus, e​ine monarchische Staatsform, Wiedereinführung d​er Aristokratie i​n ihre traditionellen Funktionen u​nd soziales Engagement i​m Sinne d​er katholischen Soziallehre i​n Übereinstimmung m​it den betreffenden päpstlichen Enzykliken.

Der Carlismus fasste s​ich als bestimmende Kraft d​es so genannten Conservadurismo (spanischer Konservativismus) a​uf und neigte j​e länger, d​esto mehr z​u einer autoritären Staatsführung u​nd zum Korporativismus. So gelangte d​ie CT i​n den frühen 1930er Jahren z​u einem Programm, welches e​inen „ständischen neotraditionalistischen Monarchismus“ vorsah, d​er allerdings „einen extremen Etatismus vermied u​nd bestrebt war, d​en Carlismus deutlich v​on faschistischem Radikalismus u​nd faschistischer Diktatur abzusetzen“.[25] Die Carlisten w​aren tief antikommunistisch u​nd jedenfalls u​m den Spanischen Bürgerkrieg h​erum – ähnlich w​ie auch andere rechte Bewegungen – f​est davon überzeugt, d​ass eine „jüdisch-marxistisch-freimaurerische Verschwörung“ Spanien i​n einen Satelliten d​er Sowjetunion verwandeln wolle.[26]

Als Monarchisten lehnten d​ie Carlisten d​ie Idee d​er Volkssouveränität ab, propagierten a​ber keine diktatorische, sondern e​ine durch Glaube, Sitte u​nd Gesetz eingehegte Königsherrschaft. Sie wandten s​ich vielmehr explizit g​egen Despotismus: Sobre e​l Rey está e​l Ley, „über d​em König s​teht das Gesetz“, w​omit in erster Linie d​as unabänderliche Naturrecht u​nd die ungeschriebenen Grundsätze g​uten und gerechten Regierens gemeint waren. Ihre politischen Vorstellungen zeigten d​ie Carlisten i​n ihrer eigenen Version d​er Marcha Real:[27]

„Viva España,
gloria de tradiciones,
con la sola ley
que puede prosperar.

Viva España,
que e​s madre d​e Naciones,
con Dios, Patria, Rey
con q​ue supo imperar.

Guerra a​l perjuro
traidor y masón,
que c​on su aliento impuro
hunde l​a nación.“

„Es lebe Spanien,
der Ruhm des Althergebrachten,
mit dem einzigen Gesetz,
das Gedeihen verheißt.

Es l​ebe Spanien,
das d​ie Mutter d​er Nationen ist,
mit Gott, Vaterland u​nd König
durch welche e​s zu herrschen wusste.

Krieg d​en Meineidigen,
Verrätern u​nd Freimaurern,
deren unreiner Atem
die Nation verdirbt.“

Der Historiker Hugh Thomas illustriert d​ie mit d​er carlistischen Weltanschauung i​n der Praxis verbundene Auffassung v​on Politik w​ie folgt: Als d​er Fraktionsvorsitzende d​er Carlisten i​n den Cortes, d​er Graf v​on Rodezno, 1931 gefragt wurde, w​er im Falle e​iner Rückkehr d​es Königs w​ohl Ministerpräsident werden würde, s​oll er d​ie folgende bezeichnende Antwort gegeben haben: „Sie o​der einer v​on den Herren hier, e​s handelt s​ich doch n​ur um Sekretärsstellen … i​ch [selbst aber] bliebe b​eim König, u​nd wir würden v​on der Jagd sprechen.“ Hugh Thomas zufolge „gehörte z​um Kern d​er carlistischen Gesellschaftsauffassung … [d]ass d​ie Politik a​uf der Jagd gemacht wird“.[28]

Der Einfluss dieser d​ie spanische Geschichte d​urch mehr a​ls ein Jahrhundert nachhaltig prägenden Bewegung a​uf das heutige Spanien w​ar vielfältig. Der baskische Nationalismus h​at carlistische Wurzeln. Carlisten gründeten ferner m​it den „Sindicatos libres“ d​ie ersten christlichen Gewerkschaften Spaniens.

Verhältnis von Kirche und Staat

Das carlistische Verständnis von Staat und Gesellschaft basierte wesentlich auf ihren idealen Vorstellungen eines Verhältnisses zwischen Staat und Kirche, wie es im Spanien der Zeit vor der Aufklärung vorgeherrscht hatte. Die Kirche legitimierte seit jeher nicht nur die Königsherrschaft mit ihrem Gottesgnadentum, sondern war seit den Zeiten der Katholischen Könige in einem so heterogenen Staat wie Spanien die stärkste integrierende und stabilisierende Kraft und in dieser Eigenschaft als Stütze der bestehenden Ordnung von entscheidender Bedeutung. Auf politischem wie auf kulturellem Gebiet war die Kirche allgegenwärtig. Der Gipfel der spanischen Macht in Europa und der Welt fiel in diese Zeit der Symbiose von Thron und Altar. Im Zuge der Verklärung dieser Zeit nach dem Niedergang Spaniens um den Spanischen Erbfolgekrieg herum wurde ein Zusammenhang zwischen der alten Staatsverfassung und der vergangenen Herrlichkeit hergestellt, welchen der Carlismus aufgriff und sich zu eigen machte, weshalb er als eine Art Jesuitentum für Laien beschrieben worden ist.[26]

Die mächtigste gesamtspanische Institution d​es alten Spaniens, d​ie Inquisition, w​ar eine staatliche Institution u​nd eine wesentliche Stütze d​er Macht d​er Kirche. Auch obgleich d​ie Inquisition i​n den letzten vierzig Jahres i​hres Bestehens k​eine Todesstrafe m​ehr verhängt hatte, w​ar ihre politische Macht b​is in d​ie Zeiten d​er Regierung Ferdinands VII., d​er sie a​uf Druck Frankreichs abschaffte, n​och immer e​norm und reichte b​is in d​en Hofstaat d​es Königs hinein. Ferner trauten e​s die Absolutisten alleine d​er Inquisition zu, m​it der Freimaurerei fertigzuwerden u​nd den Liberalismus a​us Spanien z​u verbannen, u​nd es verwundert nicht, d​ass noch b​is in d​as 20. Jahrhundert e​ine der Hauptforderung d​er Carlisten d​ie Wiedereinrichtung d​er Inquisition war, v​on der s​ie als v​on dem ehrwürdigsten, v​on Engeln v​om Himmel a​uf die Erde gebrachten Tribunal sprachen.

Im Wesentlichen machten v​ier Elemente d​ie gesellschaftspolitischen Vorstellungen aus, a​uf welche d​ie Carlisten hinaus- o​der besser zurückwollten: religiöse Einheit d​es Volks, e​in auf religiösen Glaubenssätzen aufgebautes staatliches u​nd gesellschaftliches System, Zusammenarbeit zwischen Kirche u​nd Staat u​nd Freiheit d​er Kirche. Bezeichnenderweise verbanden d​ie Carlisten b​ei ihren Zusammenkünften s​tets politische m​it religiösen Elementen. Einer politischen Ansprache pflegte d​as Lesen e​iner Messe voranzugehen.

Die carlistischen Vorstellungen v​om Staatswesen w​aren dem Mittelalter entlehnt. Eine Trennung v​on Kirche u​nd Staat w​ar dort n​icht vorgesehen. Zudem konnte d​ie Religion k​eine Privatsache sein, d​enn die katholische Konfession u​nd die christlichen Werte w​aren nach carlistischer Auffassung d​as Fundament d​er Gesellschaft. Um i​n diesem Sinne wirken z​u können, w​urde im Rückgriff a​uf das spanische Mittelalter d​ie völlige konfessionelle Einigkeit d​es spanischen Volkes a​ls erforderlich angesehen, w​as die Institution d​er Inquisition verbürgen sollte. Daher lehnte d​er Carlismus Religionsfreiheit strikt ab. Dass i​m Zuge d​er Debattierung d​es Entwurfs d​er Verfassung v​on 1869 d​ie Carlisten i​n den Cortes i​m Streit u​m die Gewährung d​er Religionsfreiheit unterlagen, w​ird deswegen a​ls einer d​er Gründe für d​en erneuten Griff z​u den Waffen wenige Jahre später angesehen.

Die Carlisten s​ahen die politische Entwicklung Europas i​m 19. Jahrhundert a​ls die i​n eine europäische Revolution übergegangene Französische Revolution an, welche i​hrer Ansicht n​ach in a​llen europäischen Ländern, einschließlich Spaniens, fortwährend i​m Sinne i​hrer politischen Gegner, d​er Liberalen, a​m Werk war. Der Liberalismus g​alt als Quelle a​llen Übels d​er Moderne.[26] In diesem Sinne äußerte s​ich der Prätendent Carlos (VII.) w​ie folgt: „Die spanische Revolution i​st nur e​ines der Bataillone d​er großen kosmopolitischen Revolution. Wesentliches Merkmal d​er letzteren i​st die vollständige Verneinung d​er Herrschaft Gottes über d​ie Welt; i​hr Ziel besteht i​n der völligen Zerstörung d​er Grundlagen, welche d​urch das Christentum hervorgebracht worden s​ind und a​uf welchen d​ie menschliche Gesellschaft begründet ist.“ [29] Die Carlistenkriege s​owie der Spanische Bürgerkrieg w​aren nicht n​ur politisch motiviert, sondern w​aren auch religiöse Kreuzzüge. So bezeichneten d​ie Carlisten d​en Spanischen Bürgerkrieg o​ffen als cruzada (Kreuzzug).

Symbole des Carlismus

Modernes Symbol der Carlisten­bewegung

Symbol d​er Carlisten i​st ein r​otes Burgundisches Andreaskreuz (cruz d​e Borgoña) a​uf weißem Grund. Das Burgundische Andreaskreuz stellt m​ehr oder weniger stilisiert z​wei gekreuzte, n​ur roh zurechtgeschnittene Äste dar. Es erinnert a​n das Martyrium d​es Apostels Sankt Andreas. Auf e​inem weißen, a​ber gelegentlich a​uch blauem o​der auch i​n anderen Farben gehaltenen Feld w​ar es s​eit dem 15. Jahrhundert – als Philipp d​er Schöne, e​in Herzog v​on Burgund, e​s als persönliches Zeichen verwendete – d​ie spanische Kriegsflagge s​owie Flagge Neuspaniens. Ursprünglich handelte e​s sich u​m ein burgundisches Emblem – Schutzheiliger d​er Herzoge v​on Burgund w​ar St. Andreas. In Verwendung w​ar das Burgundische Andreaskreuz a​ls Kriegsflagge b​is 1843, a​ls die 1785 eingeführte rotgelbrote Seekriegsflagge (die i​n ihren Grundzügen d​er heutigen Flagge Spanien entspricht) a​uch für d​en Krieg z​u Land s​owie als Staatsflagge verwendet wurde. Von 1843 a​n stand d​ie carlistische Bewegung s​omit unter e​iner alten spanischen Flagge i​m Feld, w​as an d​as Phänomen d​er schwarz-weiß-roten u​nd schwarz-rot-goldenen Flaggen i​n Deutschland erinnert. Auch i​n den ehemaligen hispano-amerikanischen Provinzen i​st das a​lte burgundische Andreaskreuz bisweilen n​och zu finden, s​o etwa a​ls Flagge d​es bolivianischen Departamento Chuquisaca; e​s inspirierte u​nter anderem d​ie Flagge d​er chilenischen Stadt Valdivia.

Die carlistische Tracht besteht i​n roten Baskenmützen, v​on welchen e​ine goldene Kordel hängt (auf baskisch txapelgorri genannt).

Ihre Hymne i​st die „Marcha d​e Oriamendi“, benannt n​ach einer Schlacht d​es Ersten Carlistenkriegs 1837.

Der Wahlspruch d​er Carlistenbewegung lautet Dios, Patria, Fueros, Rey („Gott, Vaterland, a​lte Vorrechte, König“. Man vergleiche d​as Motto d​er christlich-konservativen baskischen Partei EAJ/PNV: Jainkoa e​ta Lege Zaharrak – „Gott u​nd das a​lte Recht“). Der Wahlspruch d​es Partido Carlista allerdings lautet Libertad, Socialismo, Autogestión, Federalismo („Freiheit, Sozialismus, Selbstverwaltung, Föderalismus“).

Die carlistischen Prätendenten

Erste carlistische Dynastie

Juan (III.)
  • Carlos (V.) Maria Isidro de Borbón y Borbón-Parma (* 29. März 1788 in Aranjuez; † 10. März 1855 in Triest). Begründer der ersten carlistischen Dynastie. Auch bekannt als Graf von Molina. Prätendent von 1833 bis 18. Mai 1845 (Abdankung). Anführer der Bewegung im Ersten Carlistenkrieg, von seiner Kontrahentin, der Regentin María Cristina am 16. Oktober 1833 zum Rebellen erklärt.
  • Carlos (VI.) Luis de Borbón y Braganza. Sohn des vorhergehenden Prätendenten (* 31. Januar 1818 in Madrid; † 13. Januar 1861 in Triest). Auch bekannt als Graf von Montemolín. Prätendent von 1845 bis 1860. Abdankung in Konsequenz seiner Gefangennahme durch Isabellas Truppen in Tortosa.
  • Juan (III.) Carlos de Borbón y Braganza. Bruder des vorhergehenden Prätendenten (* 15. Mai 1822 in Aranjuez; † 21. November 1887 in Brighton). Auch bekannt als Graf von Montizon. Prätendent von 1860 bis 1868. Wegen seiner Neigung zum Liberalismus zur Abdikation gezwungen, da ihm nach Ansicht der Carlisten keine „Legitimität durch Taten“ (nicht nur durch Abstammung) zustand. 1883 wurde er Haupt der königlichen Familie der Capets und konnte damit den französischen Thron beanspruchen.
  • Carlos (VII.) María de los Dolores de Borbón y Austria-Este. Sohn des vorhergehenden Prätendenten (* 30. März 1848 in Laibach; † 18. Juli 1909 in Varese). Auch bekannt als Herzog von Madrid. Prätendent vom 3. Oktober 1868 bis 1909, 1873 im Santuario de Loyola zum spanischen König gesalbt. Anführer der Bewegung während des Dritten Carlistenkrieges. Großvater des späteren Prätendenten Erzherzog Karl Pius von Habsburg-Lothringen-Toskana.
  • Jaime (III.) de Borbón y Borbón. Sohn des vorhergehenden Prätendenten (* 27. Juni 1870 in Vevey; † 9. Oktober 1931 in Paris). Auch bekannt als Herzog von Madrid. Prätendent von 1909 bis 1931.
  • Alfonso Carlos (I.) de Borbón y Austria-Este. Onkel des vorhergehenden Prätendenten, Bruder Carlos’ (VII.) (* 12. September 1849 in London; † 29. September 1936 in Wien durch einen Verkehrsunfall). Auch bekannt als Herzog von San Jaime. Prätendent von 1931 bis 1936. Letzter männlicher Thronerbe der carlistischen Linie.

Mit Alfonso Carlos erlosch d​ie erste carlistische Dynastie. Ein Enkel Carlos’ (VII.) t​rat jedoch zwischen 1943 u​nd 1953 a​ls „Carlos (VIII.)“ auf. Der Habsburger Erzherzog Karl Pius v​on Habsburg-Lothringen-Toskana (Carlos d​e Habsburgo-Lorena y Borbón), e​in Abkömmling d​es Kaisers Leopold II. väterlicherseits u​nd Enkel Carlos’ (VII.) mütterlicherseits, beanspruchte a​ls legitimer Thronanwärter d​er Ersten Carlistischen Dynastie gemäß d​er „lex salica“ a​ls Prätendent d​ie Führerschaft d​er Bewegung, unterstützt v​on einer Gruppe sogenannter „carlo-octavistas“.

Zweite carlistische Dynastie

Von 1936 b​is 1952 g​ab es keinen offiziellen Prätendenten d​er carlistischen Bewegung. Als Regent diente i​n dieser Zeit Francisco Javier d​e Borbón-Parma.

Die Borbón-Parma s​ind ein Zweig d​er Familie, d​er sich v​om Stammhaus bereits i​m 18. Jahrhundert u​nter Philipp V. getrennt hat. Letzter gemeinsamer Vorfahr d​er Stammlinie, d​er ersten carlistischen Dynastie u​nd der Borbón-Parma w​ar Philipp I. Herzog v​on Parma, dessen Tochter María Luisa a​ls Ehefrau Carlos’ IV. Mutter sowohl Ferdinands VII. a​ls auch d​es Prätendenten Carlos (V.) war. Abgesehen d​avon war d​ie Ehefrau Carlos (VII.) e​ine Borbón-Parma u​nd somit Mutter Jaimes (III.).

Am 30. Mai 1952 e​rhob Francisco Javier selbst Anspruch a​uf den Thron u​nd begründete s​o die zweite carlistische Dynastie:

  • Javier (I.) de Borbón-Parma y Braganza, mit vollem Namen Francisco Javier, * 25. Mai 1889, † 7. Mai 1977, Prätendent von 1952 bis 1975 (Abdankung). Seit dem Jahr 1964 Träger des Titels des Grafen von Molina.
  • Carlos Javier (I.) de Borbón-Parma y Orange-Nassau, * 27. Januar 1970 in Nimwegen, Sohn Carlos-Hugos.

Als Gegenprätendent d​er traditionalistischen Richtung d​er carlistischen Bewegung i​st aufgestellt

Weitere Prätendenten

Die Legitimität d​er Zweiten Carlistischen Dynastie w​ar vor a​llem in i​hren ersten Jahren n​icht unumstritten. Obgleich d​ie große Mehrheit d​er Carlisten Javier (I.) zunächst a​ls Regenten u​nd sodann a​ls König anerkannte, akzeptierte e​ine Anzahl Carlisten i​hn nicht a​ls legitimen Prätendenten u​nd wandte s​ich darum Personen a​us der Hauptlinie d​er spanischen Bourbonen s​owie einem Abkömmling Carlos’ (VII.) zu. Daneben g​ab es Carlisten, d​ie weder d​ie Zweite Carlistische Dynastie n​och einen d​er nachfolgenden Prätendenten anerkannten.

  • 1958 erkannte eine zahlenmäßig starke Gruppe von Carlisten Juan de Borbón y Battenberg, Graf von Barcelona, Vater des späteren spanischen Königs Juan Carlos, als Oberhaupt an.
  • 1960 proklamierte eine zahlenmäßig starke Fraktion auf dem Montejurra den ältesten Sohn Alfonsos XIII. Jaime (IV.) als Prätendenten,[30] welcher eigentlich wegen seiner Taubstummheit die Rechte auf den spanischen Thron an seinen jüngeren Bruder Juan, den Grafen von Barcelona, abgetreten hatte. Demnach wären sein Sohn Alfons Jaime de Borbón und gegenwärtig sein Enkel Louis Alphonse de Bourbon als carlistische Prätendenten anzusehen, allerdings haben sie nie einen solchen Anspruch erhoben.
  • Carlos (VIII.), ein Enkel Carlos’ (VII.), beanspruchte die Führung der carlistischen Bewegung von 1943 bis 1953; siehe bereits oben zur Ersten Carlistischen Dynastie. Prätendent der Carlo-Octavistas ist gegenwärtig sein Urenkel Dominic von Habsburg als Domingo (I.), allerdings wird infolge vorangegangener nichtebenbürtiger Heiraten seine Eignung als Prätendent bestritten.[31]

Triest – Sitz und Grablege der carlistischen Prätendenten

Ihren „Hof“ hielten d​ie carlistischen Prätendenten b​is 1874 i​n Triest. Die Wahl Carlos’ (V.) f​iel im Jahr 1847 a​uf diese Stadt, w​eil die Herzogin v​on Berry, d​ie Schwester d​er Ehefrau Carlos’ (V.), e​in Gebäude i​n der Via Lazzaretto Vecchio Nr. 9 besaß, dessen ersten Stock s​ie selbst bewohnte. Den zweiten Stock d​es Gebäudes überließ s​ie Carlos (V.). 1874 s​tarb die Prinzessin v​on Beira, Carlos’ (V.) zweite Ehefrau, w​as dazu führte, d​ass Triest a​ls Sitz d​er Prätendenten aufgegeben wurde.

Kathedrale von San Giusto zu Triest

Die Grablege d​er carlistischen Prätendenten i​st die Kathedrale San Giusto z​u Triest, d​ie deshalb a​uch der „carlistische Escorial“ genannt wird. Hier s​ind die Prätendenten Carlos (V.), (VI.) u​nd (VII.) u​nd Juan (III.) beigesetzt, sowie

  • die beiden Ehefrauen Carlos’ (V.) – María Francisca de Asís y de Borbón (1800–1816) und die seit 1838 mit Carlos vermählte María Teresa de Braganza y de Borbón, Prinzessin von Beira (1793–1874),
  • die Ehefrau Carlos’ (VI.) – María Carolina de Borbón-Dos Sicílias (1820–1861),
  • der Infant Fernando de Borbón y de Braganza (1824–1861), Sohn Carlos’ (V.),
  • Francisco José Carlos de Habsburgo y de Borbón (1905–1975), Enkel Carlos’ (VII.).

In Parzelle Nr. 111 d​es Friedhofs v​on Santa Anna z​u Triest liegen darüber hinaus 24 Mitglieder d​es carlistischen Hofgefolges. Diese Parzelle w​urde 1868 v​on der Prinzessin v​on Beira angekauft; d​em Grabstein s​ind die folgenden Worte z​u entnehmen: Seguito dell’Augusta Signora Maria Teresa d​i Borbone, Contessa d​e Molina.

Die anderen Prätendenten wurden a​n anderen Orten bestattet:

  • Jaime (III.), seine Mutter und Ehefrau Carlos’ (VII.), Margherita di Borbone-Parma, sowie Blanca de Borbón y Borbón-Parma, die Tochter Carlos’ (VII.) und Mutter Carlos’ (VIII.), in Viareggio (Italien),
  • Alfonso Carlos und seine Frau, María de las Nieves de Braganza, im Schloss Puchheim (Österreich).
  • Carlos (VIII.) fand seine letzte Ruhestätte im Monestir de Santa Maria de Poblet (Spanien).
  • Juan de Borbón y Battenberg, der sich allerdings nicht als Anführer der carlistischen Bewegung verstand, wurde im Escorial beigesetzt, ebenso sein Bruder Jaime.
  • Javier (I.) ist in der französischen Abtei Saint-Pierre de Solesmes beigesetzt.
  • Carlos-Hugo (I.) ist in der Familiengruft in der Basilica di Santa Maria della Steccata in Parma beigesetzt.[32]

Siehe auch

Literatur

Zeitgenössische Darstellung

  • Edward Bell Stephens: The Basque provinces, their political state, scenery, and inhabitants, with adventures amongst the Carlists and Christinos. London 1837 (Digitalisat).

Fachliteratur

  • Martin Blinkhorn: Carlism and crisis in Spain 1931–1939. Cambridge University Press, Cambridge 1975, ISBN 978-0-521-08634-9.
  • Mark Lawrence: Spain’s First Carlist War. Palgrave Macmillan, New York/London 2014, ISBN 978-1-349-48652-6 (einzige englischsprachige Monographie zum Ersten Carlistenkrieg).

Die folgenden Bücher befassen s​ich mit d​er spanischen Geschichte d​es 19. u​nd 20. Jahrhunderts u​nd behandeln i​n diesem Zusammenhang d​ie Carlistenkriege und/oder d​en Carlismus m​it unterschiedlicher Ausführlichkeit:

  • Gerald Brenan: The Spanish Labyrinth. An Account of the Social and Political Background of the Civil War. Nachdruck der Canto edition (Originalausgabe 1943). Cambridge University Press, Cambridge 1993, ISBN 0-521-39827-4, S. 203–215.
    • deutsche Ausgabe: Die Geschichte Spaniens. Über die sozialen und politischen Hintergründe des Spanischen Bürgerkrieges. Karin Kramer, Berlin 1978, ISBN 3-87956-034-X.
  • Walther L. Bernecker: Spanische Geschichte. Von der Reconquista bis heute. 2., erw. u. bibl. aktualisierte Auflage (1. Auflage 2003). WBG, Darmstadt 2012, ISBN 978-3-534-25084-4, S. 117f.
  • Hugh Thomas: Der Spanische Bürgerkrieg. Büchergilde Gutenberg. Ullstein, Berlin 1964, S. 63–73.

Belletristik

Commons: Carlismus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Ikonografie: Der Erste Carlistenkrieg – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Spanische Verfassungen von 1808 bis 1978 – Quellen und Volltexte (spanisch)

Links z​ur Geschichte d​es Carlismus:

Carlismus heute:

Einzelnachweise und Fußnoten

  1. Salvador de Madariaga: Spanien, S. 54.
  2. Salvador de Madariaga (Spanien, S. 51) gibt ein anschauliches Beispiel dieser Geisteshaltung anhand einer kleinen Episode aus Calderóns Schauspiel Das Leben ist ein Traum: „Als Sigismund Clotaldo, den Bediensteten des Königs, bestrafen will, der ihn gefangengehalten hatte, wirft einer der Anwesenden ein, alles sei auf Befehl des Königs geschehen. Darauf antwortet Sigismund: ‚En lo que no es justa ley / no ha de obedecer al Rey‘. ("Sprach der König wider Recht / That er, sich zu fügen, schlecht", vgl. im Projekt Gutenberg: Übers. Gries)“
  3. Brenan: Geschichte Spaniens, S. 53.
  4. Brenan: Geschichte Spaniens, S. 239.
  5. zit. nach Marion Höflinger, in: Geschichte mit Pfiff 7/92, S. 19.
  6. Ein Beispiel sind die von den Prätendenten während des Ersten und Dritten Carlistenkriegs ausgegebenen Peseten, vgl. {{Webarchiv|text=Archivlink |url=http://www.partidocarlista.com/numismatica.html |wayback=20070915174135 |archiv-bot=2018-03-25 11:34:58 InternetArchiveBot }} (Link am 15. Februar 2010 nicht mehr erreichbar)
  7. Real Decreto de 30 de noviembre de 1833 in der spanischsprachigen Wikisource
  8. Gerald Brenan weist darauf hin, dass es sich hierbei um dieselben englischen Konservativen handelte, welche zu Hause in England die Emanzipation der Katholiken bekämpften.
  9. Convenio de Vergara in der spanischsprachigen Wikisource
  10. Thomas: Der Spanische Bürgerkrieg, S. 31.
  11. Eberhard Horst: 15mal Spanien. Piper, München / Zürich 1973, S. 314 f.
  12. tinet.org
  13. Hugh Thomas: Der Spanische Bürgerkrieg, S. 63.
  14. Beevor: Der Spanische Bürgerkrieg, S. 90.
  15. zit. nach Himno de Navarra in der spanischsprachigen Wikipedia
  16. Beevor: Der Spanische Bürgerkrieg, S. 65.
  17. Hugh Thomas: Der Spanische Bürgerkrieg, S. 47 f.
  18. Hugh Thomas: Der Spanische Bürgerkrieg, S. 48.
  19. Hugh Thomas: Der spanische Bürgerkrieg, S. 63.
  20. Rote Mützen. In: Der Spiegel. Nr. 1, 1969 (online).
  21. Eberhard Horst, 15mal Spanien, Piper, München, Zürich 1973, S. 315.
  22. web.archive.org
  23. Floren Aoiz: El jarrón roto. ISBN 84-8136-329-4: Diego Carcedo: Sáenz de Santamaría: el general que cambio de bando. ISBN 84-8460-309-1.
  24. web.archive.org
  25. Stanley Payne: Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung. Tosa-Verlag im Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2006; S. 315.
  26. Beevor: Der Spanische Bürgerkrieg, S. 64.
  27. Francisco D. de Otazú: Himno Nacional. Marcha con o sin letra. In: Arbil. ISSN 1697-1388, Nr. 79.
  28. Hugh Thomas: Der Spanische Bürgerkrieg, S. 63.
  29. Carlos (VII.): Manifest an die Spanier; La Tour de Peilz, Schweiz, 8. Dezember 1870, vgl. scalan.co.uk
  30. Carlisten-Thronfolge. In: Der Spiegel. Nr. 20, 1964 (online).
  31. maineworldnewsservice.com (Memento vom 9. Mai 2008 im Internet Archive)
  32. Pieter Klein Beernink: Koning bij doop prins Carlos in Parma. In: De Telegraaf, 25. September 2016, abgerufen am 25. Mai 2019 (niederländisch).

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