Königreich Navarra
Das Königreich Navarra (spanisch Reino de Navarra, französisch Royaume de Navarre) entstand um das Jahr 824 im westlichen Pyrenäenraum. 1512 zerfiel es in einen nach Spanien und einen nach Frankreich orientierten Teil: Ober-Navarra (spanisch Alta Navarra) und Nieder-Navarra (französisch Basse-Navarre). Nieder-Navarra wurde 1620 mit dem Königreich Frankreich vereint, während Ober-Navarra 1841 als Provinz im spanischen Zentralstaat aufging.
Königreich Navarra Nafarroako Erresuma / Reino de Navarra | |
Wappen (1234–1580) des Königreichs Navarra | |
Monarchen | Liste der Könige von Navarra |
Religion | Römisch-katholisch Calvinistisch (1560–1593) |
Gründung | um 824 |
Auflösung | 1620: Basse-Navarre 1841: Alta Navarra |
Nach dem Namen ihrer Residenzstadt führten die ersten Könige Navarras zunächst den Titel „König von Pamplona“. Erst Sancho VI. nannte sich „König von Navarra“ (1162).
Navarra im Mittelalter
Ursprung und das Haus Arista (824–905)
Das Gebiet des späteren Navarra war als Land der Basken während der westgotischen Herrschaft im 5. bis 8. Jahrhundert aufgrund seiner isolierten Gebirgslage weitgehend unabhängig, jedoch ohne einheitliche staatliche Organisation.[1] Nach der arabischen Invasion der Iberischen Halbinsel 711 kam es zunächst unter maurische Herrschaft. Anfang des 9. Jahrhunderts gründete das Frankenreich südlich des Pyrenäenkamms mehrere Grafschaften (Spanische Mark) als vorgeschobene Verteidigungslinie gegen die Mauren. So geriet auch das Gebiet um die Stadt Pamplona unter fränkischen Einfluss. Um 816 gelang es der einheimischen christlichen Adelsfamilie Arista mit Unterstützung des ursprünglich ebenfalls christlichen, zum Islam konvertierten Adelsgeschlechts der Banu Qasi, den fränkischen Statthalter zu vertreiben. Als 824 auch ein maurisches Heer geschlagen wurde, war dies die Geburtsstunde des Königreiches Pamplona, und Íñigo Arista gilt als dessen erster König. In den folgenden zwei Jahrhunderten musste sich das Königreich häufiger Angriffe der Mauren erwehren, konnte seine Unabhängigkeit jedoch verteidigen.
Unter dem Haus Jiménez (905–1234)
Nach dem Tod des letzten Herrschers aus dem Haus Arista, Fortún Garcés († 905), ergriff Sancho Garcés, der Ehemann von Fortúns Enkelin, die Macht und etablierte das Haus Jiménez als neue Herrscherdynastie des Königreichs. Er ging als Sancho I. in die Geschichte ein. Sein Nachfolger, García I., erwarb 925 durch Heirat die Grafschaft Aragón. Im Jahr 934 verwüstete eine Armee des Kalifen Abd ar-Rahman III. Teile Navarras, doch bereits 70 Jahre später erlebte es unter Sancho III. (1000–1035) den Höhepunkt seiner Machtentfaltung; dieser eroberte um 1020 die östlich angrenzenden Pyrenäen-Grafschaften Sobrarbe und Ribagorza und wurde im Jahr 1029 Graf von Kastilien. Damit stieg er zum mächtigsten christlichen Herrscher der Iberischen Halbinsel auf.
In seinem Testament teilte Sancho III. sein Herrschaftsgebiet unter seinen Söhnen auf: García III. wurde König von Pamplona und Ramiro I. erster König von Aragón, während Gonzalo die Grafschaften Sobrarbe und Ribagorza und Ferdinand die Grafschaft Kastilien erhielt. Ferdinand konnte wenig später auch die Herrschaft über das westlich gelegene Königreich León erringen und wurde somit erster König eines vereinigten Kastilien-León.
Das Königreich Pamplona hatte danach nicht mehr lange Bestand: Sancho IV. von Navarra, Sohn Garcías III., wurde im Jahr 1076 ermordet. Die verworrene Lage nutzten seine Vettern, Sancho von Aragón und Alfons VI. von Kastilien-León, um Pamplona unter sich zu teilen. Dabei erhielt der Aragonese den östlichen Teil und wurde als Sancho V. König von Pamplona.
Dieser im Jahr 1076 an Aragón gefallene Teil Pamplonas wurde bereits 1134 als Königreich Navarra erneut unabhängig, nachdem Alfons I. von Aragón kinderlos gestorben war. Während ihm in Aragón sein Bruder Ramiro auf dem Thron folgte, wurde in Navarra García IV., ein Urenkel Garcías III., zum König proklamiert.
Das Territorium Navarras hatte einen strategischen Nachteil, der seine weitere Entwicklung behinderte: Außer im Norden war es von Kastilien-León und Aragón eingeschlossen, sodass es sich im Gegensatz zu den anderen christlichen Staaten der Iberischen Halbinsel im Zuge der Reconquista nicht südwärts ausbreiten konnte.
Unter französischem Einfluss (1234–1425)
1234 starb König Sancho VII. ohne legitimen Nachkommen. Die Nachfolge trat sein Neffe, Theobald I., an, der ein Sohn seiner Schwester Blanka und ihres Ehemanns Theobald von Champagne war. So gelangte erstmals ein Herrscher aus dem französischen Hause Blois-Champagne auf den Thron Navarras, nachdem dieses schon zuvor eine stärkere Bindung an Frankreich gesucht hatte, um sich aus der Umklammerung Kastiliens und Aragóns zu lösen.
König Heinrich I. (1270–1274) wurde von seiner erst zwei Jahre alten Tochter Johanna I. beerbt, die 1284 mit einem Sohn des französischen Königs verheiratet wurde, der 1286 als Philipp IV. den französischen Thron bestieg und in die Geschichte Navarras als Philipp I. einging. Damit wurde Navarra ein integraler Bestandteil der französischen Monarchie.[2] Bis 1328 waren alle französischen Könige aus dem Haus der Kapetinger zugleich Könige von Navarra.
Nach dem Aussterben der Kapetinger – Karl IV. von Frankreich, Karl I. von Navarra, starb 1328 kinderlos – konnte sich Navarra zeitweilig von Frankreich lösen: Das für Frankreich geltende salische Recht schloss die weibliche Thronfolge aus; für Navarra galt dies hingegen nicht, sodass dort Karls Nichte, Johanna II., und ihr Ehemann, Philipp III. aus der kapetingischen Seitenlinie, dem Haus Évreux, auf den Thron gelangten, während in Frankreich Philipp VI. von Valois König wurde.[3] Obwohl Navarra von mächtigen Nachbarn (Kastilien-León, Aragón, Frankreich und England, das im Hundertjährigen Krieg Aquitanien besetzt hielt) umringt war, konnte es seine Selbständigkeit wahren.
Innere Wirren und Niedergang (1425–1516)
Mit dem Tod Karls III. (1387–1425) brach eine lange Zeit innerer Wirren an, in denen sich die Adelsparteien der Agramonteses und der Beaumonteses gegenüberstanden:
Karls Tochter Blanka hatte 1419 Johann, einen Bruder des aragonesischen Königs, geheiratet. Als Karl III. starb, bestiegen beide den Thron Navarras. 1441 starb Blanka I. und hinterließ neben zwei Töchtern ihren Witwer und einen Sohn, Karl von Viana. Zwischen Johann, dem Vater, unterstützt von den Agramonteses, und Karl, dem Sohn, unterstützt von den Beaumonteses, kam es zum Konflikt, als Johann 1444 erneut heiratete. 1458 wurde Johann infolge des Todes seines Bruders auch König von Aragón. 1461 starb Karl von Viana in Barcelona, und es ging das Gerücht um, sein Vater habe dabei die Hand im Spiel gehabt.
Als Johann 1479 starb, erbte Eleonore, eine Tochter aus seiner Ehe mit Blanka, die Krone Navarras. Eleonore selbst starb jedoch bereits wenige Wochen danach. Auf dem Thron folgte ihr ihr zwölfjähriger Enkel Franz I., der wiederum nur von einer der Adelsparteien unterstützt wurde und vier Jahre später kinderlos starb. Königin wurde nun seine dreizehnjährige Schwester, Katharina, deren Anspruch auf die Thronfolge ebenso umstritten blieb wie die ihrer Vorgänger.
Teilung Navarras zwischen Spanien und Frankreich
Der Streit zwischen Agramonteses und Beaumonteses mündete 1512 in einen Bürgerkrieg, in dem Fadrique Álvarez de Toledo den südlich des Pyrenäenkamms gelegenen Teil Navarras für Ferdinand II. von Aragón eroberte. Im Namen seiner zweiten Ehefrau Germaine de Foix, die eine Cousine von Königin Katharina war, erhob Ferdinand Anspruch auf den Thron Navarras und nahm nach der Eroberung des südlichen Teils dieses Königreichs den Titel „König von Navarra“ an, den seither alle Könige Aragóns (und Spaniens) führten.
Basse-Navarre (Nieder-Navarra)
Nachdem Aragonien den größten Teil Navarras einschließlich der Hauptstadt Pamplona erobert hatte, konnten Katharina und ihr Ehemann Johann von Albret die Herrschaft über den kleineren Teil des Königreichs nördlich des Pyrenäenkamms bewahren. Dieses Gebiet wurde als „Nieder-Navarra“ (französisch: Basse Navarre) bezeichnet. Größere Ortschaften waren darin Luxe-Sumberraute, Saint-Jean-Pied-de-Port und Saint-Palais. Ihren Anspruch auf das Gesamtreich gaben die Albret nicht auf. Heinrich II. erhielt dabei militärische Unterstützung von Franz I. von Frankreich, der 1521 den Feldherrn André de Foix an die Spitze eines Heeres berief, mit dem Auftrag, die verlorenen Gebiete Navarras zurückzuerobern. Der Feldzug scheiterte nach anfänglichen Erfolgen mit der vollständigen Niederlage und der Gefangennahme des Heerführers.
Faktisch markierte der Feldzug von 1521 den letzten Versuch zur Rückeroberung des Südteils Navarras für das Haus Albret. Und obwohl die Ansprüche der Albret 1572 an das Haus Bourbon übergingen, das 1589 auch den französischen Königsthron erwarb, wurden keine ernsthaften Anstrengungen mehr unternommen, in den Besitz der Gebiete zu gelangen.
Im Unionsedikt von 1620 wurde der Status Basse-Navarres als eigenständiges Königreich von Ludwig II. (XIII.) aufgehoben, das heißt Nieder-Navarra wurde administrativ und institutionell mit dem benachbarten Béarn vereint und damit zu einem Bestandteil einer der Provinzen der französischen Kronlande. Doch waren beide Gebiete bereits vor dem Edikt gemeinsam verwaltet worden, da sowohl das Béarn als auch Nieder-Navarra zum Besitz der Albret gehört hatten: Bereits Heinrich II. von Navarra (1503–1555) hatte die béarnesische Hauptstadt Pau zu seiner Residenz erhoben.
Nach der Französischen Revolution wurde das Gebiet Nieder-Navarras 1790 in das neugeschaffene Département Basses-Pyrénées (heute: Pyrénées-Atlantiques) integriert und dort wiederum unterteilt in die Kantone La Bastide-Clairence, Hasparren, Iholdy, Saint-Étienne-de-Baïgorry, Saint-Jean-Pied-de-Port und Saint-Palais.
In ihrer Titulatur führten die französischen Könige den navarresischen Königstitel bis 1791 und nochmals während der Restauration von 1814 bis 1830 gleichberechtigt neben dem Namen Frankreichs („roi de France et de Navarre“).
Alta-Navarra (Ober-Navarra)
Das seit 1512 von den Katholischen Königen regierte „Ober-Navarra“ (spanisch: Alta Navarra) blieb zunächst als eigenständiges Königreich erhalten, das von den Herrschern Kastiliens und Aragóns in Personalunion regiert wurde. Diese wurden hier von einem Vizekönig vertreten. Auch nach dem Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714) konnte Navarra seine Rechte behaupten, da es auf Seiten des siegreichen Bourbonen Philipp V. gestanden hatte. Während der französischen Besetzung von 1810 bis 1814 wurde das Königreich Navarra aufgehoben und in eine Präfektur umgewandelt, doch erlangte es nach der Restauration der Herrschaft der Bourbonen seine Autonomie wieder. Diese ging bereits kurz darauf in der Spanischen Revolution (Trienio Liberal, 1820–1823) erneut verloren; 1822 wurde die Provinz Navarra geschaffen, die jedoch nach dem erneuten Einmarsch der Franzosen (unter dem Duc d’Angoulême) 1823 aufgehoben wurde. Während des ersten Carlistenkrieges (1833–1840) unterstützten die Stände Navarras den carlistischen Prätendenten gegen Isabella II. von Spanien. Als diese den Sieg davontrug, beschloss ihre Regierung am 16. August 1841 die endgültige Aufhebung der navarresischen Cortes und Fuero und machte das Land zu einer Provinz des spanischen Zentralstaats. Dennoch ist der Titel des Königs von Navarra bis heute in der spanischen Königstitulatur erhalten.
Erst mit der Verabschiedung des Autonomiestatuts am 10. August 1982 erhielt Navarra als so genannte „Foralgemeinschaft“ (span.: Comunidad Foral de Navarra) in den Grenzen von Alta-Navarra und mit Pamplona als Hauptstadt wieder den Status einer autonomen Gebietskörperschaft.
Seitens der baskischen Nationalbewegung wird ganz Navarra nördlich und südlich der Pyrenäen als eines der historischen Territorien des Baskenlandes betrachtet, auch wenn die baskische Sprache lediglich im nördlichen Teil der spanischen Region und in Teilen des französischen Nieder-Navarra verbreitet ist.
Siehe auch
Literatur
- J. Azurmendi: Die Bedeutung der Sprache in Renaissance und Reformation und die Entstehung der baskischen Literatur im religiösen und politischen Konfliktgebiet zwischen Spanien und Frankreich. In: Wolfgang W. Moelleken, Peter J. Weber (Hrsg.): Neue Forschungsarbeiten zur Kontaktlinguistik. Dümmler, Bonn 1997. ISBN 978-3-537-86419-2
- Spanische Mark. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Band 15, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig/Wien 1885–1892, S. 98.
- P. Schmidt (Hrsg.): Kleine Geschichte Spaniens. Reclam, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-017039-7.
- C. Collado Seidel: Kleine Geschichte Kataloniens. C. H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-54787-4, S. 18 ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- D. W. Lomax: Die Reconquista. Die Wiedereroberung Spaniens durch das Christentum. Heyne, München 1980, ISBN 3-453-48067-8.
- A. R. Lewis: The Development of Southern French and Catalan Society 718-1050. Hrsg.: The Library of Iberian Resources online. The University of Texas Press, 1965, S. 322.
- Detlev Schwennicke: Europäische Stammtafeln. Band II, 1984.
- M.-A. Caballero Kroschel: Reconquista und Kaiseridee. Die iberische Halbinsel und Europa von der Eroberung Toledos (1085) bis zum Tod Alfonsos X. (1284). Krämer, Hamburg 2008, ISBN 978-3-89622-090-5.
- K. Herbers: Geschichte Spaniens im Mittelalter. Kohlhammer, Stuttgart 2006, ISBN 3-17-018871-2.
- M. H. d’Arbois de Jubainville: Histoire des Duc et des Comtes de Champagne I-IV, Paris 1859–1865, V-VI: Catalogue des Actes des Comtes de Champagne, Paris 1863 und 1866.
- E. Garnier: Tableaux généalogiques des souverains de France et des ses grands feudataires, Paris 1863.
- L. Dussieux: Généalogie de la Maison de Bourbon. 2. Auflage, Paris 1872.
- Wilhelm Prinz von Isenburg: Stammtafeln zur Geschichte der europäischen Staaten. 2 Bände, Marburg 1953.
- F. de Béthencourt: Historia genealogica y heraldica de la monarquia espagnola. 9 Bände, Madrid 1879ff.
- H. Virgnault: Généalogie de la maison de Bourbon, 1949.
- G. Sirjean: Encyclopédie généalogique des Maisons Souveraines du Monde. 13 Bände, Paris 1966ff.
- M. Kasper: Baskische Geschichte in Grundzügen. Wiss. Buchges., Darmstadt 1997, ISBN 3-89678-039-5.
- M. Schnettger: Der Spanische Erbfolgekrieg. 1701–1713/14. Beck, München 2014, ISBN 978-3-406-66173-0.
Weblinks
Einzelnachweise
- Brockhaus-Enzyklopädie in 24 Bänden. Bd. 15. Völlig neubearb. Auflage. Brockhaus-Verlag, Mannheim 1991, S. 395.
- Brockhaus-Enzyklopädie. Bd. 15, S. 395.
- Brockhaus-Enzyklopädie. Bd. 15, S. 395.