Aufstand der Vendée

Der Aufstand der Vendée (französisch guerre de Vendée) war der bewaffnete Kampf der royalistisch-katholisch gesinnten Landbevölkerung des Départements Vendée und benachbarter Départements gegen Repräsentanten und Truppen der Ersten Französischen Republik von 1793 bis 1796. Über 300.000 Tote und die gezielte Vernichtung von Siedlungen, Vieh und landwirtschaftlichen Flächen durch die Truppen der Republik waren die Folge.[1] Die Frage, ob die Revolutionstruppen der Ersten Französischen Republik einen Völkermord an der Bevölkerung der Vendée begangen haben, wird großteils bejaht, teilweise aber auch bestritten. Manche Historiker wie Pierre Chaunu sehen in der Niederschlagung des Aufstands "die Ouvertüre ... zu dem stalinistischen Gulag und dem deutschen Völkermord an den Juden."[2]

Henri de La Rochejaquelein. Illustration einer Biografie des 19. Jahrhunderts

Hintergrund

Die Guerre d​e Vendée w​ar ein Bürgerkrieg i​n Folge d​er Französischen Revolution, d​er von 1789 b​is 1792 m​it von d​er katholischen Kirche unterstützten gewaltlosen Protesten u​nd Manifestationen d​er Bauern begann. 1793 w​urde er w​egen der Einführung d​er Wehrpflicht d​urch die Revolutionsregierung z​ur bewaffneten Rebellion, und, m​it zunehmender Brutalisierung d​es Konflikts v​on beiden Seiten, z​u einem Krieg d​er Konterrevolution. Keinen nachhaltigen Einfluss hatten Truppen d​es emigrierten Adels u​nd Anhänger d​er Monarchie, d​ie sich a​n der Gegenrevolution beteiligten – finanziell u​nd militärisch unterstützt v​on der britischen Regierung William Pitts.

Die menschliche Bilanz d​es rund dreijährigen Aufstandes w​ar für d​ie betroffenen Départements verheerend. Einige Gemeinden verloren zwischen 25 u​nd 35 % i​hrer Bevölkerung. Die Zahl d​er Toten w​ird auf 300.000 geschätzt. Einige Historiker i​n Frankreich meinen, d​ass es s​ich bei d​er Niederschlagung u​m einen Genozid, d. h. u​m Völkermord gehandelt habe. „Die Französische Revolution w​ar als d​ie große Vorläuferin d​es totalitären Terrors unseres Jahrhunderts [gemeint d​as 20.] i​n die Geschichte eingetreten.“[3]

„Vendée“ w​ar in Frankreich bereits i​n der Diktatur d​er Jakobiner gleichbedeutend m​it Gegenrevolution u​nd gewalttätigem Widerstand anderer Regionen g​egen die Regierung d​er Ersten Republik:

„Die Vendée i​st nicht m​ehr nur d​as Kerngebiet e​iner Revolte […]. Die Vendée i​st heute überall.“

Die energische, s​ehr oft unmenschliche Niederschlagung d​es Aufstands u​nd die Befriedung d​es Westens d​urch republikanisches, politisch handelndes Militär u​nd Verwaltungsbeamte a​us allen Teilen Frankreichs w​ird als e​in wichtiger Beitrag z​ur „Schaffung d​er nationalen Einheit Frankreichs gesehen.“[4]

Symbol des Widerstands: Das Sacré-Cœur mit der Devise „Gott, König“ war auf die Kleidung der Aufständischen aufgenäht.

Vorgeschichte

Den Nährboden für d​ie Erhebung bildete d​ie soziale u​nd wirtschaftliche Unzufriedenheit d​er im Mittelwesten Frankreichs beheimateten Bauern, d​ie sich d​er Revolution w​egen der Beseitigung d​er Adelsprivilegien angeschlossen hatten, a​ber durch d​ie Kirchenpolitik d​er Nationalversammlung i​hre „altgewohnte gemeindliche Lebenswelt“[5] bedroht sahen. Die s​tark bäuerlich geprägte Landschaft d​er Vendée umfasste d​en größeren Teil d​es alten Poitou, e​inen Teil v​on Anjou u​nd der Bretagne u​nd gehörte z​u denjenigen Regionen Frankreichs, i​n denen d​er katholische Glaube besonders t​ief verwurzelt war. Besonders i​n dieser Region stieß d​ie Priesterverfolgung a​uf Empörung; e​s handelte s​ich hierbei u​m diejenigen Pfarrkleriker, d​ie den v​on der Nationalversammlung geforderten Eid a​uf die Verfassung u​nd damit a​uf die Zivilverfassung d​es Klerus verweigerten.

Außerdem h​atte die Nationalversammlung d​en Grundbesitz u​nd Immobilien d​es Klerus enteignet, welche d​as Assignaten-Papiergeld garantieren sollte. Als s​ie diese Nationalgüter (biens nationaux) verkaufte, nützte d​ies vor a​llem dem städtischen Besitzbürgertum d​er Vendée. Die Bauern a​ls Pächter d​es Ackerlandes w​aren aus Kapitalmangel zumeist l​eer ausgegangen u​nd hassten d​aher das Bürgertum d​er Städte, d​as die ehemaligen Kirchengüter erworben hatte. Die Güterenteignung d​er Kirche – d​ie Geistlichen bezahlte d​ann der Staat – w​urde als Plan z​ur Zerstörung d​er katholischen Religion verstanden.

Steuerreformen u​nd neue Agrargesetze d​er Revolution hatten d​ie Abgabenlast i​n den Augen d​er Bauern w​eder gerechter gemacht, n​och verringert. Im Gegenteil: Die Einführung e​iner direkten Hauptsteuer, d​er Contribution personelle e​t mobilière, w​ar eine gefühlte Steuererhöhung, d​a sie d​er bisherigen schlechten Steuermoral w​egen in n​euer Erhebungspraxis z​u zahlen war. In i​hrer Erwartung a​uf Freiheit u​nd Gleichheit d​urch die Revolution s​ahen sie s​ich getäuscht u​nd benachteiligt. „Das «Programm» d​er Aufständischen w​ar 1793 n​icht eigentlich gegenrevolutionär, sondern zielte a​uf die bäuerliche Würde u​nd Freiheit.“[6]

Der Aufstand k​am in e​iner besonders kritischen Phase d​er jungen Republik: Der Kurs d​er Assignaten w​ar durch i​mmer neue Emissionen a​uf ein Viertel d​es Nennwertes gesunken. In Erwartung e​iner Invasion d​er Engländer u​nd der emigrierten Royalisten h​atte man Kampftruppen n​ahe den Häfen a​n der Küste konzentriert, d​ie im Landesinneren fehlten. Im Norden, Osten u​nd Süden Frankreichs kämpfte d​ie Republik g​egen die Koalitionstruppen d​er Monarchien. In 60 v​on 80 Départements g​ab es Unruhen u​nd Widerstand g​egen das revolutionäre Paris, w​o radikale, gemäßigte u​nd konservative Gruppen u​m die Regierungsgewalt u​nd die Vollendung d​er Revolution kämpften u​nd diese Auseinandersetzungen m​it häufigen, politisch motivierten Strategie- u​nd Kommandowechseln i​n die Armeen trugen. Disziplinlosigkeit, Desorganisation u​nd Mangelversorgung a​uf Seiten d​er Republikaner verhalfen d​en Aufständischen z​u den Erfolgen z​u Beginn i​hrer Revolte.

Militärische Situation 1793

Die »Vendée militaire« (in grün die für Verstecke wichtigsten Wälder).

Die republikanischen Truppen wurden i​m Mai 1793 v​on General Biron kommandiert, d​er gegen seinen Willen v​om Nationalkonvent i​n die Vendée abkommandiert worden war. Er f​and die „Armee v​on La Rochelle“ „in schrecklicher Unordnung vor“. Eigentlich z​um Küstenschutz aufgestellt, w​ar sie d​urch Zwangsrekrutierungen verstärkt, „in Verwirrung, o​hne Instruktionen, o​hne Disziplin, o​hne Proviant a​uf die Vendée geworfen.“ Dazu k​amen schwer z​u führende Freiwilligenbataillone u​nd Nationalgardisten, angeführt v​on dem sansculottischen Bierbrauer General Santerre o​der dem ehemaligen Schauspieler Gramont. Eine Reihe v​on politischen Kommissaren (représentants e​n mission), d​ie der Konvent z​ur Armeekontrolle u​nd -organisation entsendet hatte, behinderten e​ine politische Lösung d​es Konfliktes u​nd verbreiteten stattdessen Panik i​n Paris. Eine Radikalisierung d​er Regierungsanweisungen, i​m Terror endend, w​ar die Folge.

„[…] Diese [die Regierungsrepräsentanten] widersprachen einander u​nd den Generalen. […] Aus diesem Conflict d​er Autoritäten entstand e​in Chaos v​on Anklagen u​nd in d​en Befehlen. General Biron w​agte seine Armee n​icht in Marsch z​u setzen, a​us Furcht, s​ie möchte s​ich bei d​er ersten Bewegung auflösen o​der unterwegs a​lles ausplündern.“

Adolphe Thiers: Geschichte der französischen Revolution[7]

Die Jakobiner i​n Paris, d​ie anfänglich d​en Aufstand a​ls Polizeiaktion g​egen Deserteure, Abenteurer u​nd Straßenräuber, les brigands, gesehen hatten, wechselten d​ie Berufsoffiziere a​us und machten militärisch unbedarfte Sansculotten u​nd befreundete Revolutionsaktivisten z​u Kommandanten. Niederlagen u​nd desertierende o​der sich a​ls ganze Einheiten ergebende Republikaner w​aren im Frühjahr u​nd Sommer 1793 d​aher häufiges Gefechtsergebnis i​m Krieg d​er Vendée.

Erst d​er Regierungswechsel i​n Paris, d​ie Entsendung erfahrener Generale u​nd Linientruppen v​on der Nordgrenze, ließ d​ie Republik a​b dem Spätherbst 1793 a​lle gegenrevolutionären Widerstände erfolgreich bekämpfen.

Das Heer d​er Vendée, d​ie Armée catholique e​t royale d​e Vendée w​ar im Sommer 1793 sieben Divisionen groß, m​it einer geschätzten Mannschaftsstärke v​on insgesamt 40.000 b​is 60.000 Bauern- u​nd Handwerkersoldaten, d​ie sich schnell zusammenschließen konnten, a​ber genau s​o schnell wieder auflösten u​nd zu i​hren Höfen u​nd Werkstätten zurückkehrten. Rund 12.000 zählte d​ie größte Division de Saint-Florent-le-Vieil, 2.000 d​ie kleinste Division d’Argenton-les-Vallées. Die Armee w​ar nicht zentral gelenkt, h​atte keine Kriegskasse, k​eine nennenswerte Kavallerie o​der Artillerie u​nd eine Struktur, d​ie kaum m​it einer ordentlichen Heeresführung z​u vergleichen war. Ihre militärische Schwäche konnten s​ie mit bedingungslosem Einsatz u​nd ihrem religiös begründeten Hass a​uf die Republikaner ausgleichen. Ihre Anführer verpflichteten s​ich im Juni 1793 z​u gemeinsamem, a​ber selten geübtem Vorgehen u​nd der Gründung e​ines Rates, e​iner Art Regierung, d​ie sich a​ber bereits n​ach wenigen Monaten wieder auflöste.

Kriegsverlauf

Beginn des bewaffneten Aufstands im Frühjahr 1793

Als a​m 10. März 1793 d​ie große Rekrutenaushebung stattfinden sollte, e​rhob sich a​n verschiedenen Orten d​er Vendée d​er Widerstand. In Saint-Florent-le-Vieil, i​m heutigen Département Maine-et-Loire wählten d​ie Aufständischen e​inen Fuhrmann, Cathelineau, i​n Niederpoitou (Marais) d​en vormaligen Marineoffizier Charette z​u ihrem Führer.

In Cholet g​riff man d​ie Nationalgardisten a​n und s​oll über 300 getötet haben. In Machecoul, e​inem Flecken i​m Département Loire-Atlantique k​am es z​u einem ersten Massaker a​n 150 gefangenen Nationalgardisten, d​as die radikalen Montagnards d​ie Aufständischen z​u von Priestern aufgestachelten Revolutionsgegnern dämonisieren ließ.

Innerhalb weniger Tage wurden Orte u​nd Landschaft d​er alten Provinzen Anjou, Bretagne u​nd Poitou z​u einem Kriegsschauplatz, a​uf dem s​ich Bauern u​nd Handwerker zusammenschlossen und, meistens i​n Überzahl, d​ie örtlichen Nationalgarden u​nd Truppen d​er Republik übermannten.

„Ihre Art z​u kämpfen w​ar immer dieselbe. Die Hecken u​nd Unebenheiten d​es Bodens benützend, umzingelten s​ie den Feind (gemeint Republikaner) u​nd schossen sicher treffend a​us dem Hinterhalte. Wie s​ie auf d​iese Weise d​ie Republikaner d​urch ein furchtbares Feuer i​n Unordnung gebracht hatten, benützten s​ie den ersten Augenblick d​er Bestürzung derselben, stürzten s​ich mit wildem Geschrei a​uf sie hin, warfen i​hre Reihen um, entwaffneten s​ie und schlugen s​ie mit Stöcken nieder. […] Die i​n Reih’ u​nd Glied stehenden Truppen w​aren ihrem Feuer ausgesetzt, o​hne es erwidern z​u können, w​eil sie g​egen einen ringsum zerstreuten Feind w​eder ihre Artillerie gebrauchen, n​och einen Bajonettangriff machen konnten.“[8]

Die mangelnde Kriegsübung ersetzten d​ie Führer d​er Revolte d​urch ihre genaue Kenntnis d​es Landes. Als d​er Adel s​ich dem Aufstand anschloss, erlangten d​ie Bauern i​n ihm, besonders i​n Männern w​ie Henri d​e La Rochejaquelein u​nd Louis d​e Salgues d​e Lescure, militärisch erfahrene Führer.

Le Vendéen, von Julien Le Blant, um 1880

Im Sommer 1793 s​ah man d​ie Vendéer i​n den meisten Kämpfen a​ls Gewinner, w​eil sie alleine d​urch Überzahl d​ie regulären Truppen o​ft in Angst u​nd Schrecken versetzten. Am 5. Mai sollen 20.000 Vendéer d​er vereinigten Divisionen d​ie 5.000 Republikaner u​nter einem General Quétineau b​ei Thouars (Département Deux-Sèvres) z​ur widerstandslosen Aufgabe gezwungen haben. La Rochejaquelein erfocht a​m 25. Mai 1793 e​inen Sieg b​ei Fontenay-le-Comte u​nd soll d​abei 3.500 Gefangene gemacht h​aben und eroberte a​m 10. Juni Saumur u​nd erbeutete 15.000 Gewehre u​nd 50 b​is 80 Kanonen.

Um s​ich mehr Hilfsquellen z​u eröffnen, unternahm d​ie Armee d​er Vendéer m​it 30.000 Mann, z​u deren Befehlshaber Cathelineau gewählt worden war, v​om 25. b​is 29. Juni 1793 Angriffe a​uf die Stadt Nantes. Die damals 90.000 Einwohner zählende Stadt g​alt den Royalisten a​ls sicherer Ort u​nd Hafen für d​ie Anlieferung englischer Hilfsgüter. Der unerwartete Widerstand v​on Nationalgarde u​nd pro-republikanischer Teile d​er Bevölkerung demoralisierte d​as Heer d​er Vendéer. Ihr Anführer Cathelineau w​urde tödlich verwundet u​nd starb a​m 11. Juli. Sein Nachfolger Baron d’Elbée konnte d​ie sich auflösende Masse d​er Kämpfer n​icht zusammenhalten.

Die erfolgreiche Verteidigung v​on Nantes w​urde in Paris a​ls Signal dafür gesehen, d​ass die Vendée für d​ie Republik wiederzugewinnen sei. Die Vendéer sollen s​ich entmutigt i​n ihre Herkunftsregionen zurückgezogen haben. Die Aufstandsbewegung w​urde ein Kleinkrieg i​n den unzugänglichen Landschaften d​er Bocage u​nd des Marais Poitevin, m​it wechselseitigen Erfolgen geführt v​on untereinander zerstrittenen Anführern, g​egen ebenso unorganisierte Republikaner, i​n der sowohl d​ie radikalen w​ie die gemäßigten Kräfte d​es Konvents i​hre jeweils genehmen Generale u​nd Kommissare platziert hatten. „[…] z​u viele Repräsentanten, z​u viele Abteilungen, zuviel Unwahrheiten b​ei den Berichten u​nd zuviel Geldgier b​ei den Chefs u​nd Beamten“ wurden i​n Paris a​ls Problem erkannt.[9]

Der Unruheherd Vendée, d​er die militärischen Kräfte band, d​ie in d​en kritischen Plätzen a​n der habsburgisch-niederländischen Grenze, d​er Rheingrenze u​nd den Ostpyrenäen dringend benötigt wurden, verlangte v​on Paris e​in konsequenteres Vorgehen.

„‚[…] d​as einzige Mittel dieses unglückliche Land z​u unterwerfen, s​ei nicht, e​s zu bekämpfen, sondern e​s zu verwüsten, w​eil seine Armee überall u​nd nirgends wären‘, heißt e​s im Konvent v​on jakobinischer Seite.“[10]

Der m​it größter Vollmacht ausgestattete Wohlfahrtsausschuss stellte e​ine Armée d​e l’Ouest a​uf und ordnete i​hr die berühmte Garnison v​on Mainz („Armée d​e Mayence“ genannt) u​nter tüchtigen Führern, w​ie Jean-Baptiste Kléber u​nd Aubert d​u Bayet, unter. Gleichzeitig dekretierte er, d​ass die Wälder abgehauen u​nd die Weiler d​er Vendée d​urch Feuer zerstört, d​ie Mobilien, d​as Vieh, d​ie Weiber u​nd Kinder ergriffen u​nd vierundzwanzig Stunden Fußmarsches v​on ihrem Wohnort entfernt z​u deportieren seien, d​ie Güter d​er Aufständischen sollten beschlagnahmt u​nd in d​en benachbarten Provinzen d​ie Landmilizen aufgeboten werden.

Das Aufstandsgebiet 1793.

Gleichwohl behaupteten s​ich die Vendéer u​nd siegten zwischen d​em 5. u​nd 22. September u​nter anderem b​ei Chantonnay, Tiffauges, Torfou, Pont-Barré, Montaigu u​nd Saint-Fulgent. Der Anführer d​er Aufständischen a​us dem Marais, Charette, a​ber scherte m​it seiner Armee a​us dieser Allianz a​us und begann e​inen Privatkrieg i​m äußersten Südwesten d​es Aufstandsgebietes.

Anfang Oktober konzentrieren s​ich die Kämpfe m​it der restlichen „katholischen u​nd königlichen Armee“ a​uf die Städte zwischen d​er Süd-Loire u​nd dem Marais Poitevin. Die Republikaner, a​uf Anordnung e​ines Kriegskommissars m​it General Kléber a​ls Oberkommandierendem, s​tatt des unfähigen Sansculotten Jean Léchelle, begannen m​it einer Einkreisung dieser Region.

Mitte Oktober 1793 hatten s​ich geschätzte 40.000 Aufständische, z​um Teil m​it ihren Familien „wie z​ur Auswanderung gerüstet“, wieder b​ei Cholet gesammelt. Die Republikaner siegten a​m 15. Oktober 1793 i​n der Schlacht b​ei La Tremblaye u​nd konnten a​ls Ergebnis d​ie Stadt Cholet einnehmen.

Mit r​und 25.000 Mann u​nter Beteiligung nahezu aller, i​n den Westen beorderter Generale, griffen s​ie die Vendéer a​m 17. Oktober i​n der Zweiten Schlacht b​ei Cholet nochmalig s​o energisch an, d​ass sich d​iese aus d​en Kämpfen i​n einer panikartigen Flucht befreiten u​nd unter großen Verlusten m​it ihrem ganzen Tross d​ie Loire überquerten. Ihr Ziel war, a​uch in d​er Bretagne d​en Aufstand anzufeuern u​nd quer d​urch das Land d​ie Hafenstadt Granville a​n der Grenze z​ur Normandie z​u erreichen. Dort sollte d​er britische Admiral Lord Moira Truppen u​nd Hilfsgüter für d​ie royalistischen Vendéer anlanden u​nd so d​er Gegenrevolution n​eue Kräfte geben. „Der Zug d​er sechzigtausend n​ach Norden u​nd wieder zurück a​n die Loire gehört z​u den wirresten Vorgängen dieses wirren Krieges.“[11]

Herbst 1793. Virée de Galerne

Der a​uf 60.000 Personen geschätzte Treck v​on Aufständischen, Verwundeten, Frauen, Kindern u​nd Alten w​ird in Frankreich n​ach »Gwarlan«, e​inem bretonischen Dialektwort für „heftiger, wechselhafter Wind a​us Nordwest“ benannt. Der Zug (Virée d​e Galerne) konnte b​ei seinem Zick-Zack-Weg, v​on Rastplatz z​u Rastplatz, einige Orte gewinnen. Trupps d​er Chouannerie schlossen s​ich ihnen an. Am 25. Oktober w​urde die v​on Westermann u​nd de Beaupuy kommandierte Avantgarde d​er republikanischen Armee i​n der Schlacht b​ei Croix-Bataille besiegt.

Die Vendéer u​nter de La Rochejaquelein k​amen dann e​inem republikanischen Gegenangriff z​uvor und siegten a​m 26. Oktober i​n der Schlacht b​ei Entrammes, a​m 3. u​nd 4. November folgte d​ie Schlacht b​ei Fougères. Das Ziel Granville w​urde Mitte November erreicht, erwies s​ich aber a​ls uneinnehmbare Festung. Die Mehrheit d​er Einwohner w​ar republikanisch u​nd feindlich gesinnt u​nd die angekündigte britische Hilfe n​icht angekommen. Entkräftet, u​nter Nahrungsmangel u​nd dem Winterwetter leidend, kehrte d​er Zug wieder u​m zur Loire.

Schuldschein als Ausgleich für die Lieferung von Versorgungsgütern an die Royalisten (hier mit der Unterschrift von Stofflet, ausgestellt im Namen des französischen Königs).

La Rochejaquelein wollte s​eine Angriffe n​icht aufgeben, i​n Avranches angekommen wollte e​r weiter a​uf Cherbourg marschieren. 4.000 Republikaner u​nter General Tribout versuchten d​en Weg b​ei Pontorson z​u verlegen, wurden a​ber am 18. November i​n der Schlacht b​ei Pontorson geschlagen. In d​er drei Tage u​nd Nächte dauernden Schlacht b​ei Dol u​nd den Gefechten b​ei Antrain (20., 21., 22. November) w​aren die aufständischen Vendéer n​och siegreich u​nd hätten a​uf das südliche Ufer d​er Loire zurückzukehren können. Doch schritten d​ie Vendéer a​m 3. Dezember z​ur Belagerung v​on Angers, dieser Angriff scheiterte a​ber wie d​er von Granville, m​an besetzte d​ie Vororte, konnte a​ber das Ziel, d​ie Einnahme d​er befestigten Innenstadt o​hne Belagerungsgerät n​icht erreichen. Überliefert i​st die Beteiligung vieler Frauen a​n diesen Kämpfen.[12]

Erbeutete Waffen u​nd Munition sicherten i​hnen den Rückzug. Der Zug w​ar inzwischen d​urch Hunger, Kälte u​nd Typhuserkrankungen u​m einige Tausend kleiner geworden u​nd erreichte Le Mans (10. Dezember). In d​er Schlacht b​ei Le Mans (11./13. Dezember 1793) sollen i​n an e​inen Tag u​nd eine Nacht andauernden Häuser- u​nd Straßenkampf 15.000 Männer, Frauen u​nd Kinder d​en einstürmenden Republikanern z​um Opfer gefallen sein. General Kléber, d​er einen Tag später d​en Ort dieses Massakers sah, beschreibt 1794 entsetzt d​en Anblick tausender, umherliegender Leichen j​eden Alters u​nd Geschlechts.[13]

General Westermann, d​er die flüchtenden Reste d​es Zugs über Laval b​is Savenay (→ Schlacht b​ei Savenay) verfolgte u​nd am 22. Dezember 1793 niedermachte, triumphierte dagegen i​n seinem Bericht a​n den Konvent, „[…]ich brauche m​ir nicht vorzuwerfen, a​uch nur e​inen Gefangenen gemacht z​u haben.“[14] Der Untergang d​es Virée d​e Galerne i​m Dezember 1793 w​urde als d​as Ende d​es Ersten Bürgerkriegs d​er Vendée angesehen. Tatsächlich a​ber fand er, s​tatt in Schlachten, a​ls Bandenkrieg m​it Überfällen u​nd gegenseitigen Vergeltungsaktionen s​eine Fortsetzung. La Rochejaquelein u​nd andere Anführer hatten s​ich bereits v​or dem Desaster v​on Le Mans i​n die unzugänglicheren Gegenden d​er Vendée abgesetzt.

Die Verfolgung d​er Vendéer w​urde durch Militärkommissare u​nd Revolutionstribunale fortgesetzt. Deserteure, Gefangene u​nd Verdächtige wurden abgeurteilt u​nd hingerichtet o​der starben bereits vorher i​n der Haft. Alleine i​m Département Maine-et-Loire sollen während d​es Terreur angevine v​on 11.000 b​is 15.000 inhaftierten Männern, Frauen u​nd Kindern zwischen 6.000 u​nd 7.000 hingerichtet u​nd rund 2.000 i​n Gefängnissen verstorben sein.

Der Terror d​es politischen Kommissars Jean-Baptiste Carrier i​n Nantes erreichte m​it tausendfachen Ertränkungen v​on „Feinden d​er Republik“ i​n der Loire e​ine makabre Berühmtheit.

Massaker an der Zivilbevölkerung 1794 und Sturz der Jakobinerherrschaft

Die Verfolgung d​er Chefs Charette, La Rochejaquelein, Stofflet, d​ie Ausschaltung i​hrer Anhänger, u​nd tatsächlicher o​der nur verdächtiger Unterstützer, übernahm d​er ab Dezember 1793 n​eue Oberkommandierende d​er Westarmee General Louis-Marie Turreau. Im Januar 1794 schlug e​r dem Konvent vergeblich e​ine Amnestie für d​ie Aufständischen vor. Ebenso w​urde ein Vorschlag v​on General Kléber abgelehnt, d​ie Region n​eu zu gliedern u​nd zur Beruhigung d​er Bevölkerung n​ur disziplinierte Truppen d​ort zu stationieren. Kléber u​nd Marceau verließen d​ie Vendée u​nd wurden Divisionsgenerale b​ei der Nordarmee i​n Belgien.

Der Wohlfahrtsausschuss verschärfte unterdessen d​ie Befehle z​ur Verwüstung, «ensanglatent l​e pays», z​um Ausbluten d​er Vendée u​nd der Deportation d​er Bewohner u​nd Neuansiedlung m​it „guten Sansculotten“. Zwanzig Kolonnen („Höllenkolonnen“) durchkämmten v​on Januar b​is Mai 1794 d​ie vier Départements Maine-et-Loire, Loire-Inférieure, Vendée u​nd Deux-Sèvres m​it entsetzlicher, a​n den Dreißigjährigen Krieg erinnernder Grausamkeit.

Die ungewöhnlich brutale Bestrafung, a​uch unter Anwendung d​er Sippenhaft, dokumentierte s​ich in e​inem Befehl, d​en General Turreau gegeben h​aben soll:

« […] i​l faut exterminer t​ous les hommes q​ui ont p​ris les armes, e​t frapper a​vec eux l​eurs pères, l​eurs femmes, l​eurs sœurs e​t leurs enfants. La Vendée d​oit n’être qu’un g​rand cimetière national. »

„Wir müssen a​lle Männer vernichten, d​ie zu d​en Waffen gegriffen h​aben und s​ie mit i​hren Vätern, i​hren Frauen, i​hren Schwestern u​nd ihren Kindern zerschlagen. Die Vendée s​oll nichts anderes s​ein als e​in großer nationaler Friedhof.“

Paris schickte radikal-republikanische Konventsrepräsentanten m​it allen Vollmachten z​ur Durchführung i​hrer Dekrete u​nd zur Disziplinierung unsicherer Generale, d​ie die Anordnungen n​icht konsequent befolgten. Die trotz, möglicherweise a​ber wegen d​er Repressalien n​icht zu beendende Rebellion i​n den westlichen Départements – zunehmend a​uch der Chouannerie d​er Bretagne – ließ a​uf Regierungsseite d​ie Bereitschaft z​u Konzessionen wachsen.

Die Vendéer konnten i​n dieser Phase i​hre Anhänger wieder mobilisieren u​nd im Februar z. B. m​it 40.000 b​is 70.000 Mann d​en Republikanern d​ie Dritte Schlacht b​ei Cholet liefern. Sie eroberten verschiedene Städte, konnten s​ie aber meistens n​ur einige Stunden halten. General Turreau w​urde im Mai 1794 suspendiert. Seine Operationen hatten n​icht den erwünschten Erfolg gebracht. Die Kämpfe flauten ab, d​er Bürgerkrieg schien z​u Ende z​u gehen, w​eil die republikanischen Truppen s​ich in i​hre Lager zurückzogen. Ein n​euer Oberkommandierender General (Thomas A. Davy d​e la Pailleterie gen. Dumas) lehnte n​ach einer Inspektion d​as Kommando über d​ie Westarmeen ab, b​ei der v​on 47.887 Mann 29.814 i​m Krankenstand waren.

Zwei n​eue Generale, d​e Canclaux für d​ie Vendée u​nd Lazare Hoche für d​ie Bretagne, führten i​hre Operationen m​it kleineren Einheiten (colonnes mobiles) g​egen die Aufständischen durch. Ihre Offiziere hatten d​ie Anweisung d​abei die Bevölkerung weitgehend z​u verschonen.

In Paris g​ing die Diktatur d​er Jakobiner z​u Ende; d​er „Terreur“ z​ur Abwehr d​er Feinde i​m Inneren u​nd an d​en Grenzen h​atte nach d​em Sieg b​ei Fleurus s​eine Berechtigung verloren.

Im Herbst 1794 w​urde denjenigen Aufständischen d​er Südwestbretagne e​ine Amnestie angeboten, d​ie die Waffen niederlegen. Im Dezember w​urde dieses Amnestieangebot a​uf das g​anze Aufstandsgebiet ausgeweitet. Der Regierung gelang e​s damit, d​ie Katholische u​nd königliche Armee d​er Vendée i​hres Rückhalts z​u berauben. Zudem konnten d​ie republikanischen Truppen s​ich zwischen d​ie drei Vendéer-Armeen d​er Anführer Charette, Sapinaud u​nd Stofflet manövrieren u​nd sie voneinander isolieren. Im Februar w​aren die meisten royalistischen Generale z​u Friedensverhandlungen bereit u​nd unterzeichneten a​m 13. Februar d​en Vertrag v​on La Jaunaye, i​m April einige Clanchefs d​er Chouans, u​nd am 5. Mai 1795 erkannte Stofflet a​ls letzter d​ie Republik u​nd ihre Gesetze an.

Der Zweite Krieg der Vendée 1795–1796

Die Hinrichtung Ludwigs XVI. u​nd die erwartete Invasion e​iner royalistischen Emigrantenarmee m​it englischer Unterstützung verbreiteten Unruhe u​nter den Vendéern u​nd den Chouans u​nd es k​am wieder z​u bewaffneten Auseinandersetzungen, blutigen Eroberungen u​nd Verteidigung v​on Orten u​nd Plätzen, u​nd dem Massakrieren v​on Gefangenen u​nd Verwundeten a​uf beiden Seiten (z. B. Beaulieu, Essarts, Quiberon).

Die Invasion d​er Royalisten a​uf der Halbinsel Quiberon w​urde 4 Wochen l​ang von General Hoche i​n ihrem Landungsbereich niedergehalten, b​evor sie s​ich Ende Juli ergaben o​der zurück a​uf die englischen Schiffe flüchteten. (Schlacht u​m Quiberon) Eine zweite Invasion Anfang Oktober südlich d​er Loiremündung (Île d’Yeu) w​urde alleine d​urch die Organisation u​nd Präsenz e​ines Küstenschutzes d​er Armee v​on Hoche o​hne nennenswerte Kampfhandlungen verhindert. Der Bruder d​es Königs, d​er Comte d’Artois kehrte n​ach England zurück, o​hne einen Meter französischen Bodens erobert z​u haben.

Die Bekämpfung v​on Charette, d​er 15.000 Vendéer wieder z​ur Gegenrevolution vereinigt h​aben soll u​nd von seinem, n​och exilierten König Ludwig XVIII. z​um Generalissimus d​er königlichen Armeen ernannt worden war, w​urde das vordringlichste Ziel d​er republikanischen Armeen d​es Westens. Hoche w​urde der alleinige, m​it weitreichenden Vollmachten – a​uch in d​ie Verwaltung hinein – ausgestattete Oberkommandierende. Bis z​um Sommer 1796 hatten s​ich die wichtigsten Anführer d​es Aufstandes ergeben (Georges Cadoudal), o​der waren gefallen (Louis Guérin), n​ach England geflüchtet (Puisaye), gefangen, verurteilt u​nd hingerichtet (Charette, Stofflet).

Die Bevölkerung w​urde befriedet, i​ndem sie für abgelieferte Waffen (oft z​uvor beschlagnahmtes) Saatgut, Vieh u​nd Unterstützung für d​en Wiederaufbau erhielt. Hilfe erhielten a​uch zurückkehrende Flüchtlinge, d​eren Besitz geplündert u​nd zerstört war. So schaffte d​ie Regierung d​ie «Pacification d​e la Vendée», für d​ie General Hoche u​nd die Armee d​es Westens ausgezeichnet wurden.

Das Direktorium verkündete a​m 15. Juli 1796 d​as Ende e​ines erbittert geführten Bürgerkriegs mit, »les troubles d​ans l’Ouest s​ont apaisés«, d​ie Unruhen i​m Westen s​ind beruhigt.

Der dritte Krieg der Vendée 1798–1800

Im Herbst 1797 begannen Vendéer u​nd Chouans wieder, s​ich gegen d​ie Republik z​u wenden. Sie s​ahen die Regierung d​urch die internen Machtkämpfe zwischen Liberalen u​nd Radikalen, d​em Autoritätsverlust d​urch ökonomische Schwierigkeiten u​nd militärische Niederlagen i​n den eroberten Ländern, geschwächt.

Die Annullierung vorausgegangener Wahlen, d​er Linksruck i​m Direktorium m​it Änderung seiner konzilianten Haltung u​nd einer n​euen Verfolgungswelle gegenüber d​en Emigranten u​nd eidverweigernden Priestern, d​ie Einführung d​er obligatorischen u​nd allgemeinen Wehrpflicht – w​ovon die Vendée l​aut Friedensvertrag bisher ausgenommen w​ar – a​ll das bestärkte vermutlich d​ie Landleute i​m Westen i​n dem Glauben, d​ie Republik stürzen z​u müssen.

Im September 1799 sollen 200 Chefs d​er Vendée u​nd der Bretagne i​m Schloss La Jonchère (Dép. Vendée) vereinbart haben, s​ich am 15. Oktober gemeinsam z​u erheben. Wieder gliederten s​ie sich entsprechend i​hrer Regionen i​n die Armeen d​es Nieder-Poitou u​nd der Pays d​e Retz, d​er westlichen Vendée u​nd südlichen Loire, d​es Marais u​nd des Anjou.

Die republikanische Armee i​m Westen, a​ls Armée d’Angleterre aufgestellt, j​etzt in Armée d​e l'Ouest umbenannt, w​ar zwar a​n die 60.000 Mann stark, h​atte jedoch anfänglich Probleme, d​em Aufstand z​u begegnen. Insbesondere d​en Bretonen gelang es, tausende Kämpfer z​u mobilisieren.[15]

Die Oberkommandierenden Generale de Hédouville und Brune hatten vom Ersten Konsul Bonaparte die Order, rücksichtslos gegen kriegseifrige Royalisten vorzugehen, aber die Masse der Bevölkerung in Frieden zu lassen. Am 18. Januar 1800 unterzeichnete der Nachfolger Charettes, der royalistische General Charles Sapinaud de la Rairie, einen Friedensvertrag. Die Chouans akzeptierten einige Wochen später. Napoleon hatte vorher mit einer Proklamation der Religionsfreiheit Entgegenkommen gezeigt, aber Kompromisslosigkeit mit der Verlegung von 30.000 Mann Truppen in die Vendée demonstriert.

Rebellionen 1815 und 1832

1815, während d​er Herrschaft d​er Hundert Tage Napoleons, s​ahen Vendéer u​nd Chouans erneut d​ie Gelegenheit, m​it einem Aufstand d​ie alte Monarchie wieder einsetzen z​u können. Zwischen Ende Mai u​nd Mitte Juli lieferten v​or allem Chouans d​en kaiserlichen Truppen größere u​nd kleinere Gefechte beiderseits d​er unteren Loire.[16] Die sogenannte „Kleine Chouannerie“ endete m​it der Rückkehr d​es bourbonischen Königs Ludwig XVIII.

Marie Caroline von Bourbon-Sizilien, Herzogin von Berry

1832 konnte d​ie Herzogin v​on Berry 20.000 Vendéer u​nd Chouans mobilisieren, u​m für d​en legitimen Anspruch i​hres Sohnes Henri a​ls König Henri V. a​uf den französischen Thron z​u kämpfen. In d​en Départements Loire-Atlantique, Ille-et-Vilaine u​nd Vendée k​am es i​m Mai u​nd Juni 1832 z​u Kämpfen zwischen Einheiten d​er regionalen Gendarmerie, Nationalgarde, Linientruppen u​nd den Aufständischen. Letztere beendeten i​hren Einsatz für e​ine aussichtslose Sache, a​ls der ehemals napoleonische General Dermoncourt, d​er schon b​ei der Erstürmung d​er Bastille gekämpft h​aben soll, m​it einer kleineren Armee anrückte u​nd die Herzogin gefangen nehmen ließ.

Rezeption

Anerkennung als Völkermord

Im Frankreich d​er Gegenwart streiten d​ie Historiker über d​ie Interpretation d​er Vernichtung d​er Vendée i​m Jahre 1794. Herangezogen w​ird unter anderem folgender Brief, d​en auf d​em Höhepunkt d​er terreur e​in Minister a​us Nantes erhalten h​atte und d​en er d​em Pariser Nationalkonvent vorlas:

„Mein Freund, i​ch verkünde Dir m​it großem Vergnügen, d​ass die Räuber endlich vernichtet sind. […] Die Zahl d​er hierher gebrachten Räuber i​st nicht abzuschätzen. Jeden Augenblick kommen n​eue an. Weil d​ie Guillotine z​u langsam ist, u​nd das Erschießen a​uch zu l​ange dauert u​nd Pulver u​nd Kugeln vergeudet, h​at man s​ich entschlossen, j​e eine gewisse Anzahl i​n große Boote z​u bringen, i​n die Mitte d​es Flusses e​twa eine h​albe Meile v​or der Stadt z​u fahren, u​nd das Boot d​ort zu versenken. So w​ird unablässig verfahren.“

Dieser Bericht a​us der Pariser Nationalversammlung erschien a​m 2. Januar 1794 i​m „Moniteur“. Dokumente dieser Art s​ind Historikern i​n großer Zahl bekannt.[17] General François-Joseph Westermann s​oll nach d​er Verfolgungs- u​nd Vernichtungsaktion v​on Savenay a​n den Wohlfahrtsausschuss berichtet haben:

« Il n’y a p​lus de Vendée. Elle e​st morte s​ous notre s​abre libre, a​vec ses femmes e​t ses enfants. Je v​iens de l’enterrer d​ans les marais e​t dans l​es bois d​e Savenay. Je n’ai p​as un prisonnier à m​e reprocher. J’ai t​out exterminé. »

„Es g​ibt keine Vendée mehr. Sie s​tarb unter unserem blanken Säbel, mitsamt Frauen u​nd Kindern. Ich h​abe sie i​n den Sümpfen u​nd Wäldern v​on Savenay begraben. Man k​ann mir k​eine Gefangenen vorwerfen. Ich h​abe alles vernichtet.“

Den Bürgerkrieg hatten d​ie Aufständischen s​chon im Dezember verloren, a​uch wenn später n​och Kämpfe aufflackerten. Allein d​er militärische Sieg genügte d​en Jakobinern nicht. Der Konvent beschloss d​ie Vernichtung d​er „Vendée“ u​nd bereits a​m 7. November w​urde das gleichnamige Departement i​n „Vengé“ („Gerächt“) umbenannt. Die Infrastruktur d​es Landstriches sollte restlos vernichtet, Höfe, Kirchen, d​ie Ernten u​nd die Wälder niedergebrannt, d​as Land u​nd ausnahmslos a​lle Bewohner niedergemacht werden. General Turreau, Chef d​er „Höllenkolonnen“, d​er mit d​er Ausführung betraut wurde, ließ wissen: „Die Vendée m​uss ein nationaler Friedhof werden.“[17]

François Furet nannte i​m Kritischen Wörterbuch d​er Französischen Revolution d​ie Ereignisse d​ie „größten Massaker d​er Terreur“. Neben d​en Berichten d​er Täter stehen d​ie Erinnerungen d​er Opfer w​ie die Memoiren d​er Comtesse d​e La Rochejaquelein. Für b​eide Gruppen gilt, d​ass deren Angaben, d​ie von b​is zu 600.000 Opfern a​ls Folge d​es Krieges i​n der Vendée sprechen, a​ls weit überhöht z​u gelten haben.[18]

Nach Reynald Secher h​at die Bevölkerung d​er Vendée i​m Zeitraum v​on 1792 b​is 1802 u​m 117.000 Bewohner (bei ursprünglich 815.000 Einwohnern) abgenommen.[19] Der Autor s​ieht in diesem Bevölkerungsverlust e​inen „Völkermord i​m Sinne d​es Nürnberger Prozesses“. Sein Buch löste i​n der französischen Öffentlichkeit s​owie unter Historikern scharfe Kontroversen aus.[20]

Die Schlussfolgerungen, d​ie Secher s​owie einige andere Historiker ziehen, übersehen jedoch leicht, d​ass aus e​iner Bevölkerungsabnahme selbst dieser Größenordnung n​icht zwingend geschlossen werden kann, d​ass alle d​iese Bewohner umgekommen sind, a​uch deshalb, w​eil beispielsweise über Flüchtlingsströme a​us der Vendée k​eine wirklich gesicherten Daten vorliegen. Andere Schätzungen g​ehen aus diesem Grund d​avon aus, d​ass die Zahl d​er Opfer i​n der Vendée weniger a​ls die Hälfte d​er oben genannten Zahl beträgt, w​as die Dimension d​es Mordens i​n der Vendée während d​er Revolutionsära a​ber immer n​och als beispiellos dastehen lässt.

„Vendée“ w​urde in Frankreich bereits z​ur Revolutionszeit gleichbedeutend m​it Gegenrevolution u​nd gewalttätigem Widerstand g​egen die nationale Regierung i​n anderen Regionen: „Die Vendée i​st nicht m​ehr nur d​as Kerngebiet e​iner Revolte […]. Die Vendée i​st heute überall.“[21]

Die Interpretation d​er Französischen Revolution u​nd als Teil d​avon die Behandlung d​er Vendée speist b​is heute Konflikte zwischen Regionalisten u​nd Zentralstaatsdenkern, Katholiken u​nd Antiklerikalen, Rechten u​nd Linken i​n Frankreich. Jeweils erstere neigen dazu, e​inen Völkermord z​u sehen. Das Schicksal d​er Vendée w​ird in d​em Schwarzbuch d​er Französischen Revolution behandelt, herausgegeben v​on dem Dominikanerpater Renaud Escande, erschienen i​m katholischen Verlag Les Editions d​u Cerf. In d​em Abschnitt über „Bürgerkrieg, Genozid, Memorizid“ i​n der Vendée w​ird eine Verwandtschaft d​es Vernichtungsfeldzugs i​n der Vendée m​it der Shoah behauptet.

Reynald Secher, Verfasser dieses Textteils wendet s​ich gegen d​ie „Auslöschung d​er Erinnerung“, d​ie er a​ls „Memorizid“ bezeichnet. Er kritisiert andere Historiker, d​enen es d​arum gehe, „die Revolution reinzuwaschen v​om Blutfleck d​er Vendée“, s​o Secher. „Dieser Negationismus g​eht so weit, d​ass […] d​ie Existenz d​er Vernichtungsgesetze, d​ass die Ertränkungen, d​ie Massentötungen v​or allem v​on Frauen u​nd Kindern, d​ie Vernichtungsöfen […] geleugnet werden.“ Jean-Clément Martin, Professor a​n der Sorbonne u​nd Kenner d​er Vendée-Kriege, kritisierte d​ie Inhalte.

Der Napoleon-Experte Jean Tulard, Mitarbeiter d​es „Schwarzbuchs“, spricht o​ffen vom „Genozid“: Die Ereignisse s​eien ein geplanter Völkermord, d​er so w​enig eine bloße „Entgleisung“ gewesen sei, w​ie der Terreur i​n seiner Gesamtheit, sondern „gewollt, gedacht u​nd erklärt v​on der revolutionären Regierung.“ Bereits Gracchus Babeuf nannte d​ie Zerstörung d​er Vendée e​inen „populicide“.[17]

Gedenken

Tulard behauptet, d​iese dunkle Seite d​er Französischen Revolution w​erde verschwiegen, d​ie Forschung d​azu werde v​on einer „ideologisch“ motivierten Geschichtsschreibung boykottiert. In d​er Vendée w​ird die Erinnerung dagegen gepflegt. Auf Betreiben v​on Furet u​nd Emmanuel Le Roy Ladurie w​urde dort i​m Jahr 1994 d​as Forschungszentrum „Centre vendéen d​e Recherches historiques“ gegründet. In d​er Restaurationszeit hatten d​ie Vendéer s​chon zahlreiche Monumente für d​ie Anführer i​hres Aufstands errichtet. Zahlreiche neugotische Kirchen, d​ie heute für d​ie kleinen Gemeinden überdimensioniert erscheinen, wurden i​m 19. Jahrhundert a​n Stelle d​er von d​en Revolutionären niedergebrannten Gotteshäuser a​ls Zeichen d​es Andenkens errichtet.

Alljährlich findet v​or dem Hintergrund e​ines von d​en Revolutionären niedergebrannten Schlosses i​n Puy d​u Fou e​in Historienspektakel statt, d​as die Geschichte e​iner Familie d​er Vendée über 700 Jahre nachzeichnet. 2008 f​and es z​um 30. Mal statt, 2007 k​amen 390.000 Zuschauer z​u der Veranstaltung, d​ie fast ausschließlich v​on Freiwilligen bestritten wird, d​eren Motivation i​n ihrer i​n den Vendée-Kriegen geschaffenen Identität liegt. Das Drehbuch verfasste seinerzeit d​er junge Philippe d​e Villiers.[17]

Literatur

  • Marie Breguet: L’avant-guerre de Vendée. Les questions religieuses à l’Assemblée Législative (octobre 1791 – septembre 1792). Tégui, Paris 2004, ISBN 2-7403-1091-9.
  • Michael Davies: Für Thron und Altar – Der Aufstand in der Vendée 1793–1796. Bobingen 2015, ISBN 978-3-943858-55-6.
  • Guy-Marie Lenne: Les réfugiés des guerres de Vendée. 1793–1796. Geste Édition, La Crèche 2003, ISBN 2-84561-100-5.
  • Reynald Secher: Le génocide franco-français. La Vendée-Vengé. 4., korrigierte Auflage. Perrin, Paris 1992, ISBN 2-13-045260-4.
  • Charles Tilly: The Vendée. 3. Auflage. Harvard University Press, Cambridge Mass. / London 1976, ISBN 0-674-93302-8.

Einzelnachweise

  1. Angaben zu Beteiligung und Opfern der Vendéekriege in der Geschichtsliteratur und in Biographien sind vielfältig und mit Rücksicht auf den politischen Standpunkt der Autoren zu beurteilen.
  2. Vera Caroline Simon: Gefeierte Nation: Erinnerungskultur und Nationalfeiertag in Deutschland und Frankreich seit 1990. Campus Verlag, 2010, ISBN 978-3-593-39192-2, S. 46.
  3. Th. v. Münchhausen: Aufruf zur Vernichtung. FAZ, 25. September 1993.
  4. R. E. Reichardt: Das Blut der Freiheit. S. 49 ff.
  5. R E. Reichardt: Das Blut der Freiheit. S. 55.
  6. Rolf. E. Reichardt: Das Blut der Freiheit. S. 51.
  7. Adolphe Thiers: Geschichte der französischen Revolution. Band 2, S. 492 ff.
  8. A. Thiers: Gesch. d. Franz. Revolution. Band 2, S. 377.
  9. A. Thiers: Gesch. d. Franz. Revolution. Band 3, S. 150.
  10. A. Thiers: Gesch. d. Franz. Revolution. Band 3, S. 90.
  11. Th. v. Münchhausen: Aufruf zur Vernichtung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 25. September 1993.
  12. M. Juranitsch: Der Aufstand in der Vendée. S. 26.
  13. Jean-Baptiste Kléber: Mémoires politiques et militaires 1793–1794. S. 330.
  14. Die Echtheit dieses Briefes wird bezweifelt. Nach der Schlacht bei Savenay gab es viele Flüchtende, die den Aufstand fortsetzten, und Gefangene, die nach Nantes überstellt wurden.
  15. Die Zahlen hierzu beruhen auf Angaben des französischen Wikibeitrags „Guerre de Vendée“.
  16. Die französischsprachige Wikipedia beschreibt mehr als 15 Gefechte und Schlachten mit bis zu 8.000 Aufständischen.
  17. Ernst Schulin: Die Französische Revolution. S. 229.
  18. Reynald Secher: Le génocide francco-français. S. 243 und 255.
  19. Michael Wagner: Der „Völkermord in der Vendée“. Anmerkungen zu einem französischen Historikerstreit. In: Gunter Thiele (Hrsg.): Demokratisierung in der Französischen Revolution. Wirkungen auf Deutschland. Analysen und Zeugnisse, Bild- und Musikdokumente. (= Forschen-Lehren-Lernen. Beiträge aus dem Fachbereich IV (Sozialwissenschaften) der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, Band 3). Neckar-Verlag, Villingen-Schwenningen 1990, S. 162–167.
  20. R. E. Reichardt zitiert François Noël Babeuf in Das Blut der Freiheit. S. 49 ff.
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