Wasserschläuche
Die Wasserschläuche (Utricularia) sind eine Pflanzengattung in der Familie der Wasserschlauchgewächse (Lentibulariaceae). Mit ihren rund 250 Arten[1] ist sie die artenreichste Gattung aller fleischfressenden Pflanzen. Trotz ihres meistens unscheinbaren Äußeren sind sie in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Pflanzen.
Wasserschläuche | ||||||||||||
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Verkannter Wasserschlauch (Utricularia australis) | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Utricularia | ||||||||||||
L. |
Sowohl der deutsche als auch der botanische Name der Gattung, der sich aus dem lateinischen utriculus, „kleiner Schlauch“ herleitet, spielt auf die Gestalt der Fallen an, die an altertümliche Wasser- oder Weinschläuche erinnert.
Beschreibung
Die Morphologie der Wasserschlauch-Arten ist ungewöhnlich, da sie weder echte Wurzeln besitzen, noch bei ihnen im strengen Sinne Blatt und Spross unterschieden werden kann. Ein weiteres charakteristisches Merkmal sind die als Fallen ausgebildeten Fangblasen, deren Funktionsweise einzigartig ist und an Komplexität nur von den eng verwandten Reusenfallen übertroffen wird. Bis auf Fallen, Blüten und Blätter kann je nach Art allerdings auch fast jedes der nachfolgend beschriebenen Organe abwesend sein.
Erscheinungsbild
Wasserschlauch-Arten sind einjährige oder mehrjährige krautige Pflanzen. Die meisten Arten erreichen nur eine geringe Wuchshöhe von bis zu 30 Zentimetern, einige Arten wie Utricularia humboldtii können jedoch Wuchshöhen bis zu 130 Zentimetern erreichen.
Rhizoide
Mit zunehmender Komplexität innerhalb der Gattung besitzen die Wasserschlauch-Arten mehr oder weniger stark entwickelte Rhizoide, die allein der Verankerung im Substrat dienen. Bei den Arten mit einer großen Zahl evolutionär ursprünglicher Merkmale sind sie überhaupt nicht vorhanden, bei jüngeren Arten – mit stärker abgeleiteten Merkmalen, etwa denen der Sektion Pleiochasia – sind sie von einfacher Struktur und nur schwach verdrehter Gestalt. Bei den rheophytischen und lithophytischen Arten hingegen, die schnellfließende Gewässer beziehungsweise blanken Fels besiedeln, sind sie dagegen hoch entwickelt, um die Verankerung an den schwierigen Standorten zu gewährleisten. In manchen Fällen lassen sich Rhizoid und Stolon nicht klar unterscheiden, etwa in der Sektion Phyllaria.
Stolonen
Allgemein wird das Stolon als Spross der meisten Wasserschlauch-Arten betrachtet. Es ist bei terrestrischen Arten wenige Millimeter bis Zentimeter, bei aquatischen bis zu mehreren Metern lang und zumeist in Form eines dichten Geflechts ausgebildet. Bei einigen Arten werden vom Stolon zusätzlich wasserspeichernde Knollen oder Luftsprosse ausgebildet, ersteres etwa bei Utricularia alpina, letzteres bei Utricularia vulgaris. Vereinzelt existieren aber auch einige sehr urtümliche Arten ohne Stolon, ein Beispiel dafür ist die Art Utricularia violacea.
Turionen
Aquatische Wasserschlauch-Arten gemäßigter Klimazonen sterben zum Herbst hin ab und bilden sogenannte Winterknospen (Turionen) – kurze, kompakte Sprosse, die auf den Boden des Gewässers sinken und aus denen im nächsten Frühjahr neue Pflanzen austreiben.
Manche australische Arten ziehen sich während der Trockenzeit in nur 1 Zentimeter große Knollen zurück, aus denen sie mit Beginn der Regenzeit wieder austreiben.
Blätter
Aufgrund der oben erwähnten fehlenden Trennbarkeit von Blatt und Spross wird jeder flächige, grüne Teil der Pflanzen als Blatt angesehen. Sie sind von uneinheitlicher Form, bei terrestrischen Arten häufig länglich oder nierenförmig, bei aquatischen Arten in vom Stolon abgehenden Segmenten vielfach fein unterteilt. Meistens sind die Blätter sehr klein und wenige Millimeter bis Zentimeter groß, bei tropischen Arten können sie aber auch bis über 100 Zentimeter lang sein, etwa bei Utricularia longifolia. Einige wenige Arten wie Utricularia menziesii bilden zerstreute oder dichte Rosetten aus. Zumeist wachsen die Einzelblätter entlang des Stolons aus Augen heraus. Außer den normalen Blättern wachsen am Blütenstiel einige Nebenblätter wie Brakteen, Brakteolen und Schuppenblätter, die als taxonomisches Merkmal von Bedeutung sind.
Fallen
Die zumeist an den Stolonen, manchmal aber auch an anderen Teilen der Pflanze wie Blättern oder Rhizoiden wachsenden Fallen sind mikroskopisch kleine oder bis zu einem Zentimeter große, üblicherweise gestielte Fangblasen, die nach dem Saugfallenprinzip funktionieren, einer rein mechanischen Methode, die sich unter allen Karnivoren einzig bei den Wasserschläuchen findet. Innerhalb der Fangblase wird dazu ein Unterdruck aufgebaut, der bei Utricularia vulgaris etwa bis zu 0,14 bar beträgt und die Blasenwände zusammenzieht. Die Fangblase ist mit einer Klappe verschlossen, an der sich einige feine Borsten befinden. Mittels chemischer Lockstoffe oder algenähnlicher Sprosse, die Nahrung vortäuschen, werden Beutetiere angelockt. Sobald die Borsten von diesen berührt werden, öffnet sich die Klappe, und zwar mit der schnellsten bekannten Bewegung im Pflanzenreich: die Dauer des Öffnungs- und Schließvorgangs liegt bei weniger als zwei Millisekunden. Die Borsten nehmen dabei keine Reize auf, sondern dienen quasi als Hebel, durch den die Klappe leicht nach innen gedrückt und so ein Stück weit geöffnet wird. Durch den folgenden, abrupten Druckausgleich wird das vor der Falle liegende Wasser in die Fangblase gespült und das Beutetier mit hineingerissen; danach schließt sich die Falle wieder. In ihr liegende Drüsen beginnen nun die Verdauung der Beute durch die Enzyme Esterase, Phosphatase und Protease. Parallel dazu beginnt die Falle, das überschüssige Wasser abzupumpen und erzeugt so wieder den notwendigen Unterdruck für den nächsten Fang. Dieser Vorgang kann bereits nach fünfzehn Minuten abgeschlossen sein. Zumeist handelt es sich um sehr kleine Beutetiere, darunter Wasserflöhe, Rädertierchen, Fadenwürmer und Schnecken, dazu kommen Protisten wie Wimpertierchen und gelegentlich planktische Algen, selten größere Beute wie kleine Kaulquappen oder Stechmückenlarven, die allerdings nach dem Verdauungsprozess zum Absterben der Falle führen können.
Blütenstände und Blüten
Die Blütenstände sind die einzigen Pflanzenteile, die bei allen Arten über dem Substrat stehen. Die Blüten stehen meistens wechselständig in traubigen Blütenständen an aufrechten, dünnen, bei aquatischen Arten mit Luftkammern versehenen Stängeln, wenn auch gelegentlich nur als Einzelblüte.
Die zwittrigen Blüten sind zygomorph und fünfzählig mit doppelter Blütenhülle. Die gespornten Blüten bestehen in der Regel aus zwei verwachsenen Kelch- und fünf verwachsenen Kronblättern. Sie können ein- oder mehrfarbig in zahlreichen Farben vorkommen, etwa weiß, gelb, rot, violett oder blau, sowie beliebigen Schattierungen dazwischen. Die Blüten variieren größenmäßig zwischen wenigen Millimetern und 7 Zentimetern Länge, einige, insbesondere die großblütiger Arten, ähneln auf den ersten Blick Orchideenblüten.
Früchte und Samen
Die Früchte der Wasserschlauch-Arten sind kleine, meistens runde oder eiförmige Kapselfrüchte. Die Kapselfrüchte sind äußerst vielgestaltig und enthalten zahlreiche Samen. Die Samen sind 0,2 bis 1 Millimeter lang.
Ökologie
Je nach Wasserschlauch-Art und Bedingungen kommen sie gemischt oder wechselnd kleistogam und chasmogam vor, das heißt, sie bestäuben sich selbst, entweder, wie im ersteren Fall, gezwungenermaßen bei geschlossener Blüte oder, wie im zweiteren, bei geöffneter Blüte. Bei Chasmogamie ist dann auch eine Fremdbestäubung möglich.
Es handelt sich um Lichtkeimer.
Vorkommen
Wasserschlauch-Arten sind (mit Ausnahme von ariden Gebieten, der Antarktis und der ozeanischen Inselwelt) weltweit verbreitet. Ihr Verbreitungsschwerpunkt liegt in Südamerika, gefolgt von Australien. Durch ihre Karnivorie sind die Pflanzen weitgehend unabhängig vom Vorhandensein von Nährstoffen im Boden und bevorzugen sehr nährstoffarme, halbschattige bis vollsonnige Standorte. Sie findet sich zumeist in sauren Verhältnissen, einige Arten sind zwar durchaus kalktolerant, werden aber an entsprechenden (üblicherweise relativ nährstoffreichen) Standorten meistens durch andere Vegetation verdrängt.
Alle Arten der Gattung haben ihren Lebensraum zumindest während der vegetativen Phase im oder am Wasser. Die Mehrzahl (etwa 60 %) lebt terrestrisch, also auf nassen, selten sumpfigen Böden, rund 15 % sind aquatisch, teils verankert, teils frei flottierend. Die verbleibenden 25 % sind als sogenannte Rheophyten spezialisiert auf sehr schnell fließende Gewässer (z. B. Utricularia rigida), besiedeln als Lithophyten glatte Untergründe oder leben epiphytisch, also als Aufsitzer auf oder in anderen Pflanzen (z. B. in Moosen, an rauen Baumrinden oder gar in den Trichtern von Bromelien), wie z. B. Utricularia humboldtii, die sich sogar in den Trichtern von Brocchinia reducta, einer anderen Karnivore, findet.
In Mitteleuropa vorkommende Arten
In Mitteleuropa sind nur wenige Arten beheimatet:
- Verkannter Wasserschlauch (Utricularia australis R.Br.)
- Bremis Wasserschlauch (Utricularia bremii Heer)
- Mittlerer Wasserschlauch (Utricularia intermedia Hayne)
- Kleiner Wasserschlauch (Utricularia minor L.)
- Blassgelber Wasserschlauch (Utricularia ochroleuca R.W.Hartm.)
- Dunkelgelber Wasserschlauch (Utricularia stygia G.Thor)
- Gewöhnlicher Wasserschlauch (Utricularia vulgaris L.)
Alle diese Arten sind eng miteinander verwandt und gehören zur Sektion Utricularia. Sie sind manchmal nur an einzelnen Merkmalen voneinander zu unterscheiden. Alle leben innerhalb von Gewässern und sind im gesamten deutschsprachigen Raum gefährdet oder stark gefährdet; Bremis Wasserschlauch ist sogar unmittelbar vom Aussterben bedroht. An diesem Rückgang hat der Mensch durch die Vernichtung von Feuchtbiotopen wie Mooren und durch Gewässer-Eutrophierung (übermäßigen Nährstoffeintrag aus der Landwirtschaft) wesentlichen Anteil.
Systematik
Die Gattung Utricularia wurde durch Carl von Linné aufgestellt.
Die Gattung Utricularia wurde durch den britischen Botaniker Peter Taylor in 35 Sektionen aufgeteilt. Auf einem Supertree aus zwei molekulargenetischen Studien basierend (Jobson et al. 2003; Müller et al. 2004) wurden 2006 Taylors Sektionen in großen Teilen bestätigt und neue Untergattungen vorgeschlagen, dieser modifizierten Fassung wird hier weitgehend gefolgt.[2] Da einige monotypische Sektionen im Rahmen dieser Untersuchungen nicht berücksichtigt wurden, wurde hierbei auf Taylors Arbeit zurückgegriffen, die Sektion Minutae wurde erst 2008 erstbeschrieben, ihre Einordnung in der Untergattung Bivalvia gilt als vorläufig.[3] Ergänzungen und Regionsangaben folgen der World Checklist of Selected Plant Families.[1]
Untergattung Polypompholyx (Lehm.) P.Taylor
Untergattung Utricularia
Untergattung Bivalvaria
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Phylogenetik
Das folgende Kladogramm der Gattung Utricularia ist ein sogenannter „Supertree“, der – wie obige Systematik – auf zwei molekulargenetischen Studien basiert (Jobson et al. 2003; Müller et al. 2004) und gibt die Verwandtschaftsverhältnisse der Gattung bis auf Sektionsebene wieder.[2] Da die Sektionen Vesiculina bzw. Aranella polyphyletisch sind, tauchen sie mehrfach innerhalb des Kladogramms auf (*), einige monotypische Sektionen fanden im Rahmen dieser Untersuchung keine Berücksichtigung und sind daher hier nicht dargestellt.
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Subgenus Polypompholyx |
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Verwendung
Die Wasserschlauch-Arten haben weder als Lebens- noch als Heilmittel eine Bedeutung für den Menschen. Wegen ihrer Karnivorie und ihrer ansprechenden Blüten sind jedoch viele Arten bei Liebhabern in Kultur; die heimischen Arten finden sich darüber hinaus auch in Gartenteichen. Als Zierpflanzen sind sie jedoch ohne kommerzielle Bedeutung.
Literatur
- Peter Taylor: The Genus Utricularia. A Taxonomic Monograph (= Kew Bulletin. Additional Series. 14). Royal Botanic Gardens – Kew, London 1989, ISBN 0-947643-72-9.
- Wilhelm Barthlott, Stefan Porembski, Rüdiger Seine, Inge Theisen: Karnivoren. Biologie und Kultur fleischfressender Pflanzen. Ulmer, Stuttgart 2004, ISBN 3-8001-4144-2.
Weiterführende Literatur
- Richard W. Jobson, Julia Playford, Kenneth M. Cameron, Victor A. Albert: Molecular phylogenetics of Lentibulariaceae inferred from plastid rps16 intron and trnL-F DNA sequences: implications for character evolution and biogeography. In: Systematic Botany. Band 28, Nr. 1, 2003, ISSN 0363-6445, S. 157–171, JSTOR 3093945.
- Kai Müller, Thomas Borsch: Phylogenetics of Utricularia (Lentibulariaceae) and molecular evolution of the trnK intron in a lineage with high substitutional rates. In: Plant Systematics and Evolution. Band 250, Nr. 1/2, 2005, ISSN 0378-2697, S. 39–67, JSTOR 23654255.
Einzelnachweise
- Rafaël Govaerts (Hrsg.): Utricularia. In: World Checklist of Selected Plant Families (WCSP) – The Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew, abgerufen am 24. Dezember 2018.
- Kai F. Müller, Thomas Borsch, Laurent Legendre, Stefan Porembski, Wilhelm Barthlott: Recent Progress in Understanding the Evolution of Carnivorous Lentibulariaceae (Lamiales). In: Plant Biology. Band 8, Nr. 6, 2006, ISSN 1435-8603, S. 748–757, doi:10.1055/s-2006-924706.
- Allen Lowrie, Ian D. Cowie, John G. Conran: A new species and section of Utricularia (Lentibulariaceae) from northern Australia. In: Telopea. Band 12, Nr. 1, 2008, ISSN 0312-9764, S. 31–46, (online)
- Christel Kasselmann: Aquarienpflanzen. Ulmer Verlag, Stuttgart 1995; 2., überarbeitete und erweiterte Auflage 1999, ISBN 3-8001-7454-5, S. 427.
- Sergio Zamudio, Martha Olvera: A new species of Utricularia (Lentibulariaceae) from Guerrero, Mexico. In: Brittonia. Band 61, Nr. 2, 2009, ISSN 0007-196X, S. 119–125, JSTOR 40648096.
- Guang-Wan Hu, Chun-Lin Long, Ke-Ming Liu: Utricularia mangshanensis (Lentibulariaceae), a new species from Hunan, China. In: Annales Botanici Fennici. Band 44, Nr. 5, 2007, ISSN 0003-3847, S. 389–392, ((Digitalisat, PDF; 508,76 KB)).
- Andreas Fleischmann, Fernando Rivadavia: Utricularia rostrata (Lentibulariaceae), a new species from the Chapada Diamantina, Brazil. In: Kew Bulletin. Band 64, Nr. 1, 2009, ISSN 0075-5974, S. 155–159, JSTOR 20649635.
- Piyakaset Suksathan, John A. N. Parnell: Three new species and two new records of Utricularia L. (Lentibulariaceae) from Northern Thailand. In: Thai Forest Bulletin (Botany). Band 38, 2010, ISSN 0495-3843, S. 23–32, online.