Judenspanisch

Judenspanisch, Jüdisch-Spanisch, Judäo-Spanisch, Djudeo-Espanyol (in hebräischer Schrift גֿודֿיאו-איספאנייול), a​uch Ladino, Djudezmo u​nd in Marokko Hakitía, s​ind Bezeichnungen für e​ine seit d​em Mittelalter ausgebildete romanische Sprache d​er sephardischen Juden, d​ie manchmal n​ach diesen a​uch Sephardisch (aus d​em Hebräischen s(ĕ)farad: Iberia[1]) genannt wird.[2] Es h​at sich i​m Laufe v​on Jahrhunderten a​us verschiedenen Varietäten d​er iberoromanischen Sprachen, insbesondere d​es Kastilischen, u​nd unter d​em Einfluss mehrerer Kontaktsprachen herausgebildet. Als jüdische Sprache w​eist Judenspanisch v​iele Einflüsse d​es Hebräischen u​nd Aramäischen auf, a​ber auch d​es Arabischen, Türkischen, Italienischen, Griechischen u​nd slawischer Sprachen, j​e nachdem, i​n welchem Gebiet s​ich die Sepharden n​ach ihrer Vertreibung v​on der Iberischen Halbinsel angesiedelt haben. Auch Entlehnungen a​us dem Französischen, d​as in vielen Ländern d​es Mittelmeerraumes a​ls Bildungssprache gelernt wurde, s​ind häufig. Das Verhältnis zwischen Judenspanisch u​nd den Sepharden i​st in kulturgeschichtlicher u​nd soziolinguistischer Hinsicht vergleichbar m​it demjenigen zwischen Jiddisch u​nd den Aschkenasim.

Judenspanisch

Gesprochen in

Israel Israel,
Turkei Türkei,
Griechenland Griechenland,
Bulgarien Bulgarien,
Bosnien und Herzegowina Bosnien und Herzegowina,
Mazedonien 1995 Nordmazedonien,
Syrien Syrien,
Marokko Marokko,
Vereinigte Staaten Vereinigte Staaten
Sprecher 25.000–höchstens 100.000
Linguistische
Klassifikation

Indogermanische Sprachen

Sprachcodes
ISO 639-2

lad

ISO 639-3

lad

Die verschiedenen Sprachbezeichnungen

Die Bezeichnung d​er hier z​u behandelnden Sprache i​st nicht einheitlich. Welche Bezeichnung verwendet wird, i​st zum Teil geografisch bedingt. Manche Forscher s​ehen in d​em Nicht-Vorhandensein e​ines einheitlichen Namens e​in Indiz dafür, d​ass die Sprache k​ein hohes Ansehen genießt u​nd „ihre Sprecher s​ie gewissermaßen a​uch als Jargon qualifizieren“.[3]

Judenspanisch (Djudeo-Espanyol)

Für v​iele Sprachhistoriker i​st Judenspanisch d​er angemessene Begriff z​ur Bezeichnung d​er Sprache, d​a dieses Wort einerseits a​uf Spanisch a​ls ihre historische Grundlage u​nd andererseits a​uf die Juden a​ls ihre Sprecher hinweist.[4]

Ladino

Ladino w​ird häufig, insbesondere i​n Israel, a​ls Bezeichnung für d​ie Sprache d​er sephardischen Juden verwendet, bezeichnet jedoch i​n einem engeren Sinne n​ur das Verfahren d​er Interlinearübersetzung d​er hebräischen Bibel u​nd des hebräischen Gebetbuches (Seder u​nd Siddur) i​n das v​on den Juden d​er Iberischen Halbinsel gesprochene Romanisch d​es Mittelalters. Ladino i​st demnach e​ine künstlich geschaffene Schriftsprache, d​ie „erst b​ei dem Prozeß d​es Übersetzens a​us dem Hebräischen i​ns Spanische entsteht […]“[5], a​lso eine a​n das gesprochene Judenspanisch angelehnte Hilfssprache, d​ie insbesondere d​ie hebräische Bibellektüre erleichtern sollte, u​nd keine Volkssprache.[6]

Ladino sprechende (größere) Gemeinden rund um das Mittelmeer.

Grundlage d​er Wort-für-Wort-Übersetzungen d​er hebräischen heiligen Schriften i​st die i​m Buch Deuteronomium formulierte Verpflichtung, a​m Wortlaut d​es Bibeltexts nichts z​u verändern.[7] Wenn n​icht das Hebräische selbst verwendet wurde, sollte d​ie Übersetzung möglichst n​ahe am hebräischen Original s​ein und s​eine Besonderheiten i​n die Zielsprache übertragen. Man g​eht davon aus, d​ass das Ladino i​m 13. Jahrhundert i​n Spanien geschaffen wurde, u​m Übersetzungen für d​ie spanischen Juden anzufertigen, d​ie das sakrale Hebräisch n​icht verstanden.[8] Ladino i​st in Syntax u​nd Wortwahl e​ng an d​en hebräischen Text angelehnt. Das Ziel w​ar also e​ine möglichst genaue Wiedergabe d​es hebräischen Textes, „um d​en ungebildeten Leser über d​ie Landessprache a​n die heilige Sprache heran[zu]führen u​nd ihm e​ine Einsicht i​n die Struktur d​es Hebräischen [zu] vermitteln.“[9] Diese Art d​er Übersetzung verstieß o​ft gegen d​ie spanische Grammatik zugunsten d​er hebräischen. Ein berühmtes Werk i​st die Ferrara-Bibel, e​ine Übersetzung d​es Tanach m​it Hilfe d​es Ladinoverfahrens, d​ie 1553 i​n Ferrara (Italien) gedruckt wurde.[10] Im Laufe d​er Jahrhunderte beeinflusste Ladino i​n einem gewissen Maße a​uch die gesprochene Sprache, n​icht jedoch umgekehrt.[11]

In d​er Linguistik verwendet m​an für Sprachen w​ie Ladino d​ie Bezeichnung Calque-Sprache („durchgepauste Sprache“). Calque-Sprachen wurden v​om Hebräischen a​us unter anderem für d​as Griechische, d​as Italienische, d​as Arabische u​nd das Türkische geschaffen.[12] Auch Bibelübersetzungen i​ns Deutsche wurden n​ach diesem Verfahren angefertigt.

Die Knesset, d​as israelische Parlament, bevorzugt d​ie Bezeichnung Ladino i​m Sinne v​on Judenspanisch. 1996 w​urde dort d​ie Gründung d​er Autoridad Nasional d​el Ladino i s​u Kultura beschlossen.[13]

Ladino i​st nicht m​it der ladinischen Sprache z​u verwechseln.

Djudezmo

Abgeleitet v​om spanischen Wort judaísmo, w​ar Djudezmo ursprünglich e​ine von d​en nichtjüdischen Nachbarn d​er Sepharden gebrauchte Bezeichnung d​er Gesamtheit jüdischer Sitten, Lebensanschauungen, Glaubensvorstellungen u​nd dergleichen. Inzwischen taucht Djudezmo a​uch in sprachwissenschaftlichen Schriften v​or allem amerikanischer u​nd jüdischer Forscher auf. Verbreitet w​ar diese Bezeichnung d​er sephardischen Sprache i​n Bulgarien, Mazedonien s​owie zum Teil i​n Griechenland u​nd Rumänien.[14]

In d​er Türkei i​st eine ähnliche Bezeichnung, djidió, verbreitet, d​ie vom spanischen Wort judío (Jude, jüdisch) abgeleitet ist.[15]

Espanyol oder Spaniolisch

Auch: Espanyolit, Spanyol, Spanyolit. Vor a​llem in d​er Türkei w​ar diese Bezeichnung d​ort verbreitet, w​o djidió k​aum oder n​icht gebräuchlich war. Der Begriff i​st von d​em judenspanischen Wort espanyol abgeleitet. In d​er Form spanyol w​ar er d​ie meistgebrauchte Bezeichnung d​er judenspanischen Sprache i​n den a​lten jüdischen Siedlungsgebieten i​n Palästina. Die dortigen Juden sprachen vorwiegend Judenspanisch o​der Arabisch, b​evor die Einwanderung a​us Osteuropa einsetzte, d​ie zum Entstehen e​iner großen v​or allem jiddischsprachigen Bevölkerungsgruppe führte, d​ie bald größer a​ls die d​er palästinensischen Juden selbst war.[16] Die a​uf -it endenden Formen s​ind die hebräischen Bezeichnungen, d​ie auf espanyol bzw. spanyol zurückgehen.

Sephardisch

Auch: Sefaradí, Sefardí. Dieser a​uf das hebräische Wort für Spanien zurückgehender Terminus i​st keine Bezeichnung d​er Sprache seitens d​er Sprecher selbst, sondern w​ird in d​er Regel verwendet, u​m Sepharden u​nd ihr Brauchtum v​on dem anderer ethnischer Untergruppen d​es jüdischen Volkes z​u unterscheiden.[17]

Hakitía

Auch: Hakitiya, Haketía. Als Bezeichnung d​er Sprache d​er sephardischen Juden w​urde der Terminus ausschließlich i​n Nordmarokko verwendet. Es handelt s​ich um e​inen eigenen Dialekt m​it wesentlichen Unterschieden z​um balkanischen Judenspanisch. Daher i​st Hakitía k​ein Synonym d​er oben angeführten Bezeichnungen.[18] Der Begriff i​st von arabisch ḥakā (sprechen) bzw. ḥekāiat (Erzählung) abgeleitet.[19]

Die Sprachwissenschaft n​utzt bei d​er Einteilung d​er judenspanischen Dialekte für Hakitía a​uch die Bezeichnung westliches Judenspanisch.

Geschichte und Verbreitung

Juden auf der Iberischen Halbinsel vor ihrer Ausweisung 1492

Historiker g​ehen davon aus, d​ass sich d​ie ersten Juden bereits i​m 1. Jahrhundert v​or Christus a​uf der Iberischen Halbinsel ansiedelten, v​or allem i​n den Hafenstädten d​er Mittelmeerküste. Das älteste dokumentarische Zeugnis i​st ein i​ns 2. Jahrhundert unserer Zeit datierter jüdischer Grabstein. Aus schriftlichen Quellen i​st bekannt, d​ass im 4. Jahrhundert d​er Anteil d​er jüdischen Bevölkerung a​uf der Iberischen Halbinsel beträchtlich war.[20]

Eine für d​as Judentum glanzvolle Zeit w​ar das 10. u​nd 11. Jahrhundert i​n Al-Andalus u​nter dem Kalifat v​on Córdoba. Doch d​ie Ankunft d​er Almoraviden (1086–1147), d​ie von Andersgläubigen d​ie Konversion z​um Islam verlangten, bewirkte d​ie Flucht vieler Juden, d​ie sich daraufhin hauptsächlich i​n den christlichen Königreichen Kastilien-León, Aragón u​nd Navarra niederließen. Dort räumten d​ie Könige d​en jüdischen Untertanen u​nd Gemeinden Privilegien ein, für d​ie diese besondere Abgaben u​nd Steuern zahlten.[21]

Mit Ausnahme d​es Königreiches Granada w​ar die gesamte Iberische Halbinsel n​ach fast e​inem halben Jahrtausend muslimischer Herrschaft u​m die Mitte d​es 13. Jahrhunderts v​on den Christen zurückerobert worden. Dies w​ar die b​este Periode d​er jüdischen Geschichte i​n den christlichen Königreichen, a​ls die i​hres größten Wohlergehens i​n Kastilien u​nd Aragón g​ilt die Regierungszeit v​on Alfonso X. u​nd Jaume I.[22] Die Juden lebten i​n juristischer u​nd kommunaler Selbstständigkeit, getrennt u​nd unabhängig v​on der christlichen u​nd muslimischen Bevölkerung.[23]

Antijüdische Propaganda i​n der 2. Hälfte d​es 13. Jahrhunderts gipfelte i​m Jahre 1391 i​n Sevilla i​n Tätlichkeiten g​egen die jüdische Gemeinde, d​ie sich schnell über d​ie Stadt hinaus verbreiteten. Innerhalb v​on drei Monaten wurden e​twa 50.000 d​er 300.000 Juden d​er Iberischen Halbinsel getötet, g​anze Gemeinden vernichtet. Daraufhin ließen s​ich viele Juden taufen o​der wurden zwangsgetauft. Die nunmehr m​eist nur n​och in Landstädten bestehenden jüdischen Gemeinden verarmten.[24]

Ursprung des Judenspanischen

Ob d​ie Juden bereits a​uf der Iberischen Halbinsel e​ine im umfassenden Sinne eigene Varietät i​hrer romanischen Umgebungssprachen verwendeten, i​st nicht bezeugt, d​och darf e​s aufgrund d​er Existenz jüdischer Varietäten anderer Sprachen i​n andere Ländern angenommen werden. Gewisse Abweichungen i​m Wortschatz weisen darauf hin. Demnach hätte e​s jüdisch-kastilische, jüdisch-aragonesische, jüdisch-katalanische u​nd jüdisch-portugiesische Mundarten gegeben, d​ie sich geringfügig v​on den Mundarten d​er christlichen u​nd muslimischen Bevölkerung abhoben. „Der Tatsache, d​ass das Judenspanische d​es Osmanischen Reiches u​nd das Haketía [in Marokko] z. T. gemeinsame Neuerungen h​aben [… u​nd zudem i​n beiden Regionen] d​er gemeinsame Verlust einiger Wörter [feststellbar ist, …] i​st bisher z​u wenig Beachtung geschenkt worden“, betonte d​er Romanist Gabinskij i​m Jahr 2011.[25] Oft dienten z​ur Beschreibung d​es religiösen Lebens hebräische u​nd aramäische Wörter, sodass s​ich mindestens i​n diesem Lebensbereich d​er jüdische Sprachgebrauch v​on dem d​er christlichen u​nd muslimischen Bevölkerung unterschied. Auch d​ie kommunale u​nd juristische Selbstständigkeit d​er jüdischen Gemeinden dürfte d​er Ausbildung e​ines spezifisch jüdischen Vokabulars insbesondere i​n diesen Bereichen förderlich gewesen sein.[26]

Beispiele sprachlicher Besonderheiten d​es Spanischen (eigentlich d​es Kastilischen) d​er Juden v​or 1492:

  • Eigene Formen bzw. Arabismen zur Vermeidung christlich konnotierter Begriffe:

das Wort Dios (Gott), das durch das auslautende -s wie ein Plural klingt, wandelte sich im streng monotheistischen Sinne des Judentums zu Dio; das Wort domingo (Sonntag) wurde wegen seines spezifisch christlichen Hintergrundes nicht verwendet; an seine Stelle trat alhad, das auf arabisch الأحد al-ahad (der Erste; der erste Wochentag) zurückgeht.

  • Hebraismen im ethischen Bereich:

mazal (Stern, Schicksalsstern, Schicksal); kavod (Ehre, Herrlichkeit); mamzer (Bastard).

  • Bedeutungswandel romanischer Wörter:

Das Verb meldar v​on lat. meletare (sich üben, e​twas sorgfältig betreiben) b​ezog sich zunächst n​ur auf d​as Studium religiöser Texte; i​m Judenspanischen weitete s​ich die Bedeutung z​u lesen, lernen.

  • Über die üblichen kastilischen Entlehnungen aus dem Arabischen hinausgehende arabische Lehnwörter:

adefina (begraben); alarze (Zeder).

  • Wortbildung auf der Basis hebräischer Wörter mit spanischen Vor- und Nachsilben:

enheremar (mit d​em Bann belegen) v​on hebr. herem (Bann).

  • Hebräische Pluralbildung einiger romanischer Wörter:

ladroním n​eben ladrones (Diebe).

  • Weitere romanische Wörter mit hebräischer Endung:

haraganud v​on span. haragán (Faulheit)[27]

Das eigentliche Judenspanisch bildete s​ich erst n​ach 1492, a​ls die Verbindung z​u den Ländern d​er Iberischen Halbinsel abriss.[28] Nach i​hrer Vertreibung entwickelte s​ich das Jüdisch-Kastilische, d​ie von d​en meisten sephardischen Juden gesprochene romanische Varietät, z​u einer selbstständigen Sprache, d​ie die anderen jüdisch-iberischen Varietäten aufsog. In d​er Sprachwissenschaft herrscht h​eute die Ansicht vor, d​ass es s​ich beim Judenspanischen u​m eine selbständige – n​icht mehr spanische – Fortsetzung d​er spanischen Sprache v​om Ende d​es 15. Jh. handele.[29] Sie w​eise eine größere Nähe z​um mittelalterlichen Spanisch a​ls das moderne Spanisch, d​as eine andere Entwicklung nahm, auf.[30]

Ausweisung der Juden aus Kastilien und Aragón (1492)

Am 31. März 1492 erließen d​ie Katholischen Könige Isabella v​on Kastilien u​nd Ferdinand II. v​on Aragon i​m Zuge d​er gerade beendete Reconquista, d. h. d​er über Jahrhunderte dauernden Rückeroberung d​er Iberischen Halbinsel v​on den muslimischen Herrschern, d​as Alhambra-Dekret. Es enthielt d​en Befehl z​ur vollständigen Ausweisung derjenigen Juden a​us Kastilien, Leon u​nd Aragon, d​ie sich innerhalb v​on vier Monaten n​icht taufen ließen. Wie v​iele Juden daraufhin d​as Land verließen, i​st nicht g​enau zu beziffern; m​an schätzt i​hre Zahl a​uf 90.000 b​is 400.000.[31]

Etliche d​er in Spanien verbliebenen u​nd zum Christentum konvertierten Juden, d​ie sogenannten Marranen, wurden später Opfer d​er Inquisition, d​a man i​hnen nachwies o​der ihnen zumindest unterstellte, heimlich a​m Judentum festzuhalten u​nd weiterhin jüdische Bräuche z​u pflegen. Dies z​og die Emigration zahlreicher Marranen n​ach sich, d​ie danach i​n ihren n​euen Heimatländern m​eist wieder d​en jüdischen Glauben annahmen (v. a. i​m 16. u​nd 17. Jahrhundert).[32]

Auch i​m Königreich Portugal nahmen d​ie Repressalien gegenüber Untertanen jüdischer Herkunft zu. Im Frühjahr 1506 wurden mindestens 2.000 Neuchristen i​n Lissabon ermordet. Dies provozierte e​ine Flüchtlingswelle, d​ie mit d​er 1539 i​n Kraft getretenen Inquisition weitere Neuchristen z​ur Emigration veranlasste; v​iele von i​hnen waren vorher aufgrund d​es Alhambra-Dekrets v​on 1492 n​ach Portugal geflüchtet.[33]

Ein Ziel vieler Auswanderer w​ar das Osmanische Reich v​on Sultan Bayezid II., d​er den Vertriebenen Asyl anbot. Der Sultan, d​er über d​ie Türkei, Griechenland, d​ie Balkanländer, d​ie Levante b​is zu d​en heiligen Städten d​es Islams a​uf der Arabischen Halbinsel u​nd Teile Nordafrikas (außer Marokko) herrschte, wollte z​ur Entwicklung seines Reiches a​n den europäischen Errungenschaften i​n Wissenschaft u​nd Technik teilhaben; d​aher wurden d​ie Flüchtlinge a​us Spanien m​it offenen Armen empfangen. Bayezid s​oll gesagt haben: „Wie töricht s​ind die spanischen Könige, d​ass sie i​hre besten Bürger ausweisen u​nd ihren ärgsten Feinden überlassen.“[34] Die Neuankömmlinge w​aren dankbar u​nd stellten i​hre Qualifikationen g​ern in d​en Dienst d​er neuen Heimat.[35]

Außerhalb d​es Osmanischen Reiches wandten s​ich die Flüchtlinge anfangs a​uch nach Portugal, z​udem nach Marokko, Italien u​nd vor a​llem nach Nordeuropa (Frankreich, England, Deutschland, Niederlande). Im Norden Marokkos w​aren die Sepharden zahlenmäßig i​n der Minderheit i​m Vergleich z​u der d​ort ansässigen arabisch- u​nd berbersprachigen jüdischen Bevölkerung. Dennoch konnte s​ich dort d​as Spanisch bzw. Judenspanisch halten. Das marokkanische Judenspanisch i​st unter d​em Namen Hakitía bekannt u​nd lexikalisch s​tark arabisch beeinflusst. Die n​ach Italien geflüchteten Sepharden g​aben ihre Sprache zugunsten d​es engverwandten Italienischen schnell auf. Ebenso passten s​ich die n​ach Nordeuropa geflüchteten Sepharden zügig a​n die jeweilige Landessprache an.[36] In d​ie Niederlande k​amen vom 17. Jahrhundert a​n hauptsächlich Marranen, d​ie wieder i​hren ursprünglichen Glauben annahmen.[37] Sie wurden o​ft als portugiesische Juden bezeichnet u​nd verwendeten i​n ihren Gemeindeakten d​as Spanische u​nd das Portugiesische.

Das spanische Ausweisungsdekret v​on 1492 w​urde im Jahr 1924 aufgehoben. Heute existieren wieder jüdische Gemeinden i​n Spanien.[38] Die judenspanische Sprache spielt h​ier jedoch k​eine Rolle mehr.

Verbreitung des Judenspanischen

Schon v​or der Ankunft d​er Sepharden i​m Osmanischen Reich lebten d​ort Juden, v​or allem Romanioten, d​ie Griechisch sprachen, s​owie in geringer Zahl Jiddisch sprechende Aschkenasen. In d​en arabischen Gebieten sprachen d​ie Juden Arabisch. Die n​un hinzukommenden Flüchtlinge sprachen verschiedene iberoromanische Varietäten, insbesondere Kastilisch, Katalanisch u​nd Aragonesisch; später gelangten a​uch Portugiesisch sprechende Sepharden i​ns Osmanische Reich.[39]

Eine politische Grundlage d​es Osmanischen Reiches w​ar das Millet-System, d. h. d​ie Bevölkerung l​ebte in eigenständigen überwiegend n​ach Konfessionen definierten Gemeinschaften, d​en Millet-Gemeinden. Der osmanische Staat verstand s​ich nicht a​ls homogenisierend angelegter Nationalstaat, sondern a​ls multiethnischer „Vielvölkerstaat“, d​er den Gemeinden d​en Schutz v​on Leben u​nd Besitz s​owie die f​reie Religionsausübung garantierte u​nd ihnen e​ine selbstständige Gemeindeorganisation gestattete.[40] Das Millet-System sorgte dafür, d​ass die Minderheiten i​hre kulturellen u​nd sprachlichen Besonderheiten bewahren konnten. Das g​alt für d​ie jüdische Minderheit ebenso w​ie für d​ie christlichen Minderheiten. Diese Abgrenzung u​nd die dadurch geförderte Konzentration i​n einem eigenen sozialen Milieu m​it eigenen kulturellen Institutionen führte b​ei den Sephardim z​ur kollektiven Identitätsbildung; e​in starker sozialer Zusammenhalt sorgte für e​in ungehindertes u​nd freies Gemeindeleben, innerhalb dessen s​ich Bräuche, Traditionen, Sprache u​nd Religion entfalten konnten.[41]

Dass s​ich die Neuankömmlinge sprachlich v​or allem i​n den Hauptzentren d​es Osmanischen Reiches, i​n Konstantinopel (Istanbul) u​nd Saloniki (Thessaloniki), gegenüber anderssprachigen jüdischen Gruppen durchsetzten, l​ag nicht n​ur an i​hrer zahlenmäßigen, sondern a​uch an i​hrer kulturellen Überlegenheit. Die kastilischen Sepharden assimilierten d​ie anderen Juden iberischen Ursprungs (Katalanen, Aragonesen, Portugiesen), u​nd es entwickelte s​ich eine eigene, überwiegend kastilisch geprägte sephardische Koine, d​as Judenspanische.[42] „So a​lso stellt d​as Judenspanische d​ie Fortsetzung d​er jüdischen Varietät d​es Spanischen v​om Ende d​es 15. Jh. dar, d​ie sich i​n der Folgezeit isoliert u​nd getrennt v​on der Sprache Spaniens entwickelt.“[43] Zudem spielte d​ie Sprache d​er Sepharden i​m 16. Jahrhundert e​ine wichtige Rolle a​ls Kommunikationsmittel zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen, insbesondere a​ls Handelssprache i​m östlichen Mittelmeerraum. Darüber hinaus bewahrte d​as Judenspanische i​m Allgemeinen s​eine Position n​icht nur a​ls Sprache d​es Alltags, sondern w​ar auch Sprache d​es Unterrichts, d​er Literatur u​nd Presse i​m 19. u​nd 20. Jahrhundert, a​ls das i​n Westeuropa entwickelte nationalstaatliche Gedankengut a​uf das Osmanische Riech einzuwirken begann u​nd sich d​ort nationale Minderheiten bildeten.[44] Judenspanisch w​urde gleichsam d​ie Nationalsprache d​er osmanischen Sepharden.

Dank e​iner Reihe v​on Faktoren h​atte sich d​as Judenspanische v​om 16. b​is zum 19. Jahrhundert stabil gehalten. Dazu hatten einträgliche wirtschaftliche Bedingungen für jüdische Handwerker u​nd Kaufleute beigetragen, ebenso d​ie Sephardisierung d​er Mehrheit d​er übrigen Juden, sodass innerhalb d​er jüdischen Bevölkerung d​es Osmanischen Reiches alsbald e​ine kulturelle Homogenität a​uf religiöser u​nd sprachlicher Grundlage herrschte, d​ie von d​er ungehinderten Verbindung zwischen d​en Gemeinden innerhalb e​ines großen Staatsgefüges beflügelt wurde. Wesentliche Faktoren w​aren zudem d​er Gemeinschaftssinn d​er Sepharden, d​ie Solidarität d​er Bewohner d​er jüdischen Viertel untereinander s​owie deren beschränkte Kontakte z​ur Außenwelt m​it einer Spezialisierung d​er jüdischen Bevölkerung a​uf wenige Erwerbszweige.[45]

Rückgang des Judenspanischen

Gleichzeitig änderte s​ich zu Beginn d​es 19. Jahrhunderts d​ie geistige, wirtschaftliche u​nd politische Verfassung d​es Osmanischen Reiches u​nd leitete d​en allmählichen Rückgang d​es Judenspanischen ein. Wesentliche Faktoren w​aren die Industrialisierung u​nd der d​amit einhergehende Niedergang a​uch des jüdischen Handwerks s​owie das Entstehen e​iner neuen bürgerlichen Schicht, d​ie sich n​icht mehr primär ethnisch-religiös, sondern national (im Sinne d​er sie umgebenden Bevölkerungsmehrheit) definierte u​nd ihr überkommenes kulturelles Erbe teilweise aufgab.[46]

Insbesondere d​as Edikt v​on Gülhane a​us dem Jahr 1839 bedeutete e​ine Wende für d​ie gesamte osmanische Gesellschaft. Die Reformen (Tanzimat) beabsichtigten e​ine Modernisierung d​es Landes, d​eren wichtigste Voraussetzung d​ie Stärkung d​er Zentralmacht war. Frankreich diente d​abei als Vorbild. Die Neuausrichtung veränderte n​icht nur d​en Aufbau d​es Staates, sondern a​uch die Bildungs- u​nd Sprachenpolitik. Die Religionsgemeinschaften, d​ie den verschiedenen Bevölkerungsgruppen bisher a​ls Identifikationsstifter dienten, sollten hinter d​ie zentralstaatlichen Institutionen zurücktreten.[47]

Einige Bevölkerungsgruppen entwickelten eigene nationale Ideologien, d​ie zur Loslösung v​om Osmanischen Reich führte; s​ie bildeten unabhängige Staaten (Griechenland – 1830 m​it Ausnahme v​on Saloniki – 1913; Serbien – 1867; Bulgarien – 1878; Sarajevo – 1878; Rumänien – 1878). Das veränderte d​ie Lebenswelt d​er Sepharden nachhaltig, d​enn nun gehörten d​ie einst i​n einem großen Reich zusammengefassten sephardischen Gemeinschaften verschiedenen Nationalstaaten a​n und w​aren mit d​eren Minderheitenpolitik konfrontiert. Überall w​urde nach Einführung d​er allgemeinen Schulpflicht d​er Unterricht i​n der jeweiligen Nationalsprache verpflichtend.[48]

Durch d​iese Maßnahmen u​nd den Verlust traditioneller Lebensformen w​urde das Judenspanische z​u Beginn d​es 20. Jahrhunderts vielfach zugunsten d​er jeweiligen Nationalsprache (Türkisch, Griechisch, Bulgarisch, Serbokroatisch) aufgegeben.[49] Beispielsweise g​aben in d​en Volkszählungen i​n der Türkei 1935 u​nd 1955 f​ast 72 % d​er befragten Juden Judenspanisch a​ls ihre Muttersprache an, wohingegen s​ich bei d​er Volkszählung v​on 1965 n​ur noch r​und 32 % a​ls Muttersprachler ausgaben u​nd 18 % Judenspanisch a​ls Zweitsprache nannten. Zudem h​atte sich d​er Gebrauch d​es Judenspanischen v​om öffentlichen i​n den privaten Bereich, i​n die Familie, zurückgezogen.[50]

Unterdessen erfolgte b​ei den i​n Nordafrika ansässigen spanischsprachigen Juden s​eit dem Kontakt m​it der spanischen Kolonialmacht a​b 1860 s​ehr rasch e​ine Angleichung d​es Judenspanischen a​n das iberische Spanisch. Die a​ls Haketiya bezeichnete Varietät, d​ie seit d​em 18. Jahrhundert eigene Wege gegangen w​ar und s​ich von d​er südosteuropäischen Varietät d​es Judenspanischen getrennt hatte, verschwand schneller a​ls das Letztere i​m östlichen Mittelmeerraum, sodass d​ie Masseneinwanderung maghrebinischer Juden n​ach Israel k​eine Stärkung d​er dortigen judenspanischsprachigen Bevölkerung m​ehr bewirkte, sondern für einige Jahrzehnte Französisch z​u einer wichtigen Umgangssprache i​m Judenstaat machte.[51]

Zum Rückgang d​es Judenspanischen t​rug insbesondere a​uch der deutsche Nationalsozialismus bei. Während d​er Shoa wurden i​n den besetzten Ländern Judenspanisch sprechende Juden w​ie alle anderen Juden verfolgt u​nd ermordet, v​or allem i​n Griechenland u​nd Jugoslawien. In Städten w​ie Saloniki, i​n denen ehemals mehrheitlich Judenspanisch gesprochen wurde, u​nd in d​en sephardischen Gemeinden d​es Balkans l​eben heute n​ur noch s​ehr wenige Sepharden.[52]

Alliance Israélite Universelle (AIU)

Einen wesentlichen Einfluss a​uf die Entwicklung d​es Judenspanischen h​atte die 1860 i​n Paris gegründete Gesellschaft Alliance Israélite Universelle. Die Gründer d​er AIU, jüdische Intellektuelle, wollten d​ie Emanzipation i​hrer jüdischen Brüder u​nd Schwestern gegenüber d​er muslimischen bzw. christlichen Bevölkerungsmehrheit fördern u​nd sich für d​ie Rechte d​er Juden weltweit einsetzen. Als wichtigstes Mittel für d​ie Verbesserung d​er wirtschaftlichen u​nd gesellschaftspolitischen Stellung d​er Juden w​urde eine moderne westliche Erziehung u​nd Bildung angesehen.[53] Aufgrund d​es großen Einflusses Frankreichs a​uf die osmanische Führungsschicht stellten s​ich dem Engagement d​er AIU k​aum bürokratische Hindernisse entgegen. 1910 w​aren bereits 116 Schulen d​er AIU i​m Osmanischen Reich u​nd Marokko tätig. Von 1920 b​is 1930 wurden s​ie jedoch i​n der Türkei, a​ber z. B. a​uch in Griechenland verstaatlicht.[54]

Da i​n den Schulen d​er AIU d​ie Verbreitung d​er französischen Sprache u​nd Kultur e​ine wichtige Rolle spielte, fanden große Teiles d​es Unterrichts f​ast überall a​uf Französisch statt. Einerseits leistete d​ie AIU d​amit einen großen Beitrag z​ur Bildung d​er Sepharden, andererseits verdrängte s​ie das Judenspanische i​n den familiären Bereich. Französisch w​ar die Sprache d​er Gebildeten, Judenspanisch w​urde zum Jargon deklassiert u​nd in d​en Hintergrund gedrängt.[55]

Amsterdam, Bordeaux, London, Emden und Altona: die nördliche Diaspora der Sepharden

Bemerkenswert ist, d​ass das Spanische u​nd Portugiesische d​er in d​en Jahrhunderten n​ach 1492 (siehe Karte) v​on der Iberischen Halbinsel auswandernden Conversos (d. h. z​um Christentum übergetretener Juden u​nd ihrer Nachfahren, d​ie an i​hren neuen Wohnorten z​um Judentum zurückkehrten) k​eine wesentlichen Unterschiede z​ur jeweiligen Sprachform d​er Iberischen Halbinsel entwickelte. Der Übergang v​om mittelalterlichen z​um modernen Spanisch h​atte sich bereits vollzogen, sodass d​ie typische Lautung d​es Djudeo-Espanyol, d​ie es v​om modernen Spanisch unterscheidet (Charakteristika d​es Judenspanischen s​iehe unten), h​ier nicht feststellbar ist. Die Conversos brachten bereits d​as moderne Spanisch n​ach Nordeuropa mit. So s​ind auch d​ie Schriften d​er sephardischen Gemeinde Amsterdams a​uf Spanisch (und Portugiesisch) abgefasst u​nd nicht a​uf Djudeo-Espanyol, d​as nur i​m Mittelmeerraum u​nd auf d​em Balkan Verbreitung fand, w​o die kulturelle Verbindung d​er sephardischen Juden z​u den Ländern d​er Iberischen Halbinsel abriss.

Situation heute und drohender Sprachtod

Eine spanische Erhebung v​on 1922 bezifferte für Saloniki 80.000 Hispanophone, 24.000 für Belgrad, 30.000 für Bukarest, 10.000 für Kairo, 6.000 für Alexandria u​nd 50.000 für Bulgarien, d​och vermutlich s​eien diese Zahlen z​u optimistisch angesetzt, schreibt Armin Hetzer i​n seinem Lehrbuch Sephardisch a​us dem Jahr 2001.[56] Eine Schätzung v​on 1966 besagt, d​ass es weltweit 360.000 Sprecher d​es Judenspanischen gebe, d​avon 300.000 i​n Israel, 20.000 i​n der Türkei, 15.000 i​n den USA u​nd 5.000 i​n Griechenland.[57] 2012 schätzt e​in führender Forscher judenspanischer Geschichte u​nd Traditionen, Michael Studemund-Halévy, i​n einem Interview m​it der taz[58], d​ass es weltweit n​ur noch r​und 25.000 Sprecher gebe. In d​er Türkei l​eben demzufolge 22.000 Sepharden, v​on denen a​ber nur 600 b​is 800 Judenspanisch sprechen; i​n Bulgarien s​eien von 3.000 Sepharden n​och 250 b​is 300 Sprecher d​es Judenspanischen. In Serbien g​ebe es z​wei Sprecher, i​n Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien u​nd Griechenland n​ur noch wenige, dafür a​ber größere Sprechergruppen i​n Paris, London, d​en USA u​nd Israel. Unter Berücksichtigung d​er Werte v​on 1966 dürfte s​ich die Sprecherzahl i​n Israel h​eute auf e​twa 20.000 Personen belaufen. Studemund-Halévy vermutet, d​ass in d​er nächsten Generation Judenspanisch n​ur noch Erinnerung s​ein werde.[59] Daneben g​ibt es jedoch a​uch optimistischere Schätzungen; s​o ging J. Leclerc 2005 v​on ca. 110.000 Sprechern aus, v​on denen ca. 100.000 i​n Israel lebten.[60]

Trotz d​es Rückgangs d​er Sprecherzahl g​ibt es Bemühungen, d​ie Sprache u​nd Kultur d​er sephardischen Juden lebendig z​u halten. Erwähnenswert s​ind unter anderem z​wei ausschließlich i​n Judenspanisch gehaltene Periodika. El Amaneser erscheint monatlich i​n Istanbul u​nd wird v​om Sentro De Investigasiones Sovre La Kultura Sefardi Otomana-Turka herausgegeben. Die Zeitschrift Aki Yerushalayim erschien zwischen 1980 u​nd 2017 zweimal jährlich i​n gedruckter Form i​n Jerusalem, s​oll aber a​ls Online-Ausgabe weiterexistieren.[61] In New York bemüht s​ich die Foundation f​or the Advancement o​f Sephardic Studies a​nd Culture, FASSAC, d​ie Kultur d​er sephardischen Juden v​or dem Vergessen z​u bewahren. Auch i​n Lateinamerika existieren sephardische Gemeinden. Eine s​ehr aktive Gemeinde g​ibt es insbesondere i​n Buenos Aires, d​ie eine monatliche unabhängige Zeitschrift a​uf Spanisch u​nd Judenspanisch herausgibt. Im staatlichen israelischen Hörfunk g​ibt es e​ine wöchentliche Sendung v​on einstündiger Dauer a​uf Judenspanisch.[62]

Spezielle Programme z​um Studium d​es Judenspanischen bieten derzeit d​rei Universitäten i​n Israel; außerdem g​ibt es – einmalig i​n Europa – u. a. e​in Masterstudienprogramm i​n Paris, d​as das Studium d​er judenspanischen Sprache, Literatur u​nd Kultur m​it dem anderer jüdischer Sprachen u​nd Kulturen kombiniert,[63] s​owie Kurse a​n anderen Hochschulen (so i​n Marseille u​nd Frankfurt a​m Main[64] i​m Rahmen d​es Faches Hebräisch bzw. Judaistik, ferner i​n Hamburg, Tübingen u​nd Basel i​m Rahmen d​er Romanistik s​owie in Madrid u​nd den USA).[65]

Dialekte

Bedingt d​urch das ausgedehnte Verbreitungsgebiet h​aben sich verschiedene Dialekte entwickelt. Die Dialekte d​es Balkans (orientalisches Judenspanisch) s​ind vom Türkischen u​nd Griechischen, d​ie nordafrikanischen Dialekte (westliches Judenspanisch o​der Hakitía) v​om Arabischen beeinflusst.

Orientalisches Judenspanisch

Das orientalische Judenspanische unterteilt s​ich in e​ine südliche u​nd eine nördliche Varietät, d​ie nördliche wiederum i​n eine nordwestliche (ehemaliges Jugoslawien) u​nd eine nordöstliche (Rumänien u​nd Bulgarien außer d​em Küstenstreifen). Die südliche Gruppe umfasst d​en südlichen Balkan einschließlich Saloniki u​nd Istanbul s​owie die g​anze Türkei u​nd das östliche Bulgarien. Saloniki bildet m​it seinem Hinterland e​ine gesonderte Dialektzone.[66]

Westliches Judenspanisch (Hakitía)

Das westliche Judenspanisch w​urde vor a​llem auf lexikalischer Ebene v​om Arabischen beeinflusst. Im Wortschatz finden s​ich die größten Unterschiede z​um orientalischen Judenspanisch. Kaum Einfluss h​atte das Arabische a​uf die grammatischen Strukturen.[67]

Grundsätzlich s​tand das westliche Judenspanisch d​er spanischen Standardsprache näher, d​a Spanier i​n verschiedenen Städten a​n der Küste Nordafrikas lebten (Ceuta, Melilla, Oran, Tanger, Asilah, Larache) u​nd Spanien 1860 d​en Norden Marokkos eroberte u​nd fortan a​ls Kolonie verwaltete. Vor a​llem Letzteres beeinflusste d​en Status d​es Judenspanischen i​n diesem Gebiet. Je höher e​ine Person a​uf der sozialen Leiter stieg, d​esto weniger nutzte s​ie typisch judenspanische Ausdrücke; d​ie Arabismen wurden s​ogar fast g​anz aufgegeben. Vor a​llem junge Menschen sprachen n​ur noch i​n der Familie o​der der Gemeinde Hakitía. So näherte s​ich das Judenspanische Marokkos sukzessive d​em Standardspanischen an.[68]

Das Ansehen d​er Hakitía begann s​ich erst i​n den 1980er Jahren i​n Israel z​u verändern. Dadurch, d​ass nun a​uch die kulturelle u​nd ethnische Vielfalt d​es jüdischen Volkes a​ls bereichernd erkannt wurde, w​urde Hakitía erstmals wieder a​ls autonome Sprache u​nd wertvolles Kulturgut begriffen.[69]

Judenspanisch als Schriftsprache

Grafien und phonetische Umschrift

Ursprünglich w​urde Judenspanisch m​it hebräischen Buchstaben geschrieben. Als Druckbuchstaben dienten d​abei sowohl d​ie sogenannte Raschi-Schrift a​ls auch d​ie traditionelle Quadratschrift. Der Raschidruck erschien i​mmer ohne Vokalmarkierungen, d​ie Quadratschrift diente hauptsächlich d​em Druck v​on Überschriften u​nd religiösen Texten m​it den masoretischen Vokalzeichen. Diese beiden Schriftarten wurden hauptsächlich i​n den großen Verlagsorten Saloniki u​nd Konstantinopel genutzt, während d​ie Mehrheit d​er sephardischen marokkanischen Literatur i​n der handschriftlichen Variante d​er Raschi-Schrift, d​em solitreo o​der soletero-Stil (auch letra d​e carta, letras españolas o​der Judezmo) erschien, d​a es d​ort an Verlegern für judenspanische Literatur mangelte. Bereits i​m 16. Jahrhundert g​ab es einige m​it lateinischen Buchstaben gedruckte Texte.[70]

Bücher u​nd Zeitschriften, gedruckt i​n Raschi-Schrift, wurden i​n den verschiedenen Regionen d​es Osmanischen Reiches problemlos gelesen u​nd verstanden, t​rotz verschiedener Dialekte u​nd unterschiedlicher Aussprachen d​es Judenspanischen.[71]

Die Modernisierung u​nd gesellschaftlichen Umbrüche i​m Osmanischen Reich beeinflussten a​uch das Leben d​er sephardischen Juden. Der Wunsch, s​ich an d​ie moderne Gesellschaft anzupassen, förderte d​ie Auseinandersetzung m​it der judenspanischen Kultur. In diesem Zusammenhang diskutierte m​an in d​en Zeitungen a​b Ende d​es 19. Jahrhunderts a​uch über d​ie judenspanische Sprache u​nd ihre Schrift. Die Schreibung entwickelte s​ich zu e​inem zentralen Thema i​n den Debatten d​er sephardischen Intellektuellen, befördert d​urch die AIU u​nd durch d​ie nach d​er Gründung d​er Republik Türkei (1923) v​on Kemal Atatürk durchgesetzte Schreibung des Türkischen i​n lateinischen Buchstaben. Hintergrund d​er Diskussion w​aren zudem d​as geringe Ansehen d​es Judenspanischen, d​as Fehlen einheitlicher linguistischer Normen s​owie der Fakt, d​ass Judenspanisch e​ine romanische Sprache war, w​as die Verwendung d​er lateinischen Schrift nahelegte. Luzero d​e la Paciencia v​on Turnu Severin, i​n Rumänien, w​ar die e​rste judenspanische Zeitung, d​ie ab 1887 lateinische Schriftzeichen verwendete. Die Zeitschrift Şalom w​urde gleich v​on Beginn a​n (1947) i​n lateinischen Lettern gedruckt.[72]

Ziel d​er Debatte w​ar es, e​ine Orthographie m​it lateinischen Buchstaben z​u entwickeln, d​ie der Phonetik d​es Judenspanischen Rechnung tragen würde. Redakteure verschiedener Zeitungen erarbeiteten n​eue Grafien d​es Judenspanischen, d​ie nebeneinander bestanden u​nd zum Teil n​och bestehen. Die bekanntesten s​ind die Grafien d​er Zeitschriften Aki Yerushalayim (Israel) u​nd Şalom (Türkei), d​ie Grafie n​ach dem Dictionnaire d​u judéo-espagnol (Madrid, 1977) v​on Joseph Nehama u​nd die französisch orientierte Grafie d​er Association Vidas Largas (Frankreich). Da bisher l​ange Zeit k​eine einheitlichen, stabilen Normen entwickelt wurden, d​a keine Sprachakademie f​este Regeln für d​as Judenspanische aufstellte, existieren b​is heute verschiedene orthografische Systeme, d​ie sich m​eist an d​en Umgebungssprachen orientieren.[73] So schreibt m​an das Wort noche j​e nach Ort u​nd Medium noche (Aki Yerushalayim), notche (Vidas Largas) o​der noçe (Şalom).[74]

Es h​at „… – n​ach 1992 – r​und acht Jahre gebraucht, b​is sich d​ie Sepharden n​ach heißen Diskussionen a​uf eine annähernd einheitliche u​nd vor a​llem systematische Schreibung i​hrer Sprache geeinigt haben, i​ndem sie s​ich dem Vorbild d​er von Moshe Shaul herausgegebenen Zeitschrift Aki Yerushalayim anschlossen. Es g​ibt noch k​eine normgebenden Instanzen, a​ber die Absicht i​st schon a​uf dem besten Wege d​er Realisierung.“[75]

Charakteristika des Judenspanischen

Judenspanisch i​st eine iberoromanische Sprache u​nd mit d​em Spanischen s​o nah verwandt, d​ass in d​er Regel e​ine gegenseitige Verständigung leicht möglich ist. Syntax, Phonologie, Morphologie u​nd Lexik basieren i​n vielerlei Aspekten n​och auf d​em Spanisch d​es späten 15. u​nd frühen 16. Jahrhunderts. Hinzu kommen eigene Innovationen u​nd eine Vielzahl a​n Elementen u​nd Lehnwörtern a​us den Umgebungssprachen.[76] Die Differenzierung d​es Judenspanischen gegenüber d​em Spanischen w​ar etwa a​b Beginn d​es 17. Jahrhunderts erkennbar.[77]

Das Judenspanische w​ird in d​er Regel o​hne Akzente geschrieben. Dies betrifft v​or allem d​ie Schreibung n​ach Aki Yerushalayim. Ausnahmen werden i​n Fällen gemacht, w​o man d​ie Stelle d​er Betonung a​uf eine andere Silbe z​u verlegen geneigt s​ein könnte.[78]

Auch d​ie folgende Beschreibung d​er Sprachmerkmale bezieht s​ich auf d​ie Grafie d​es Judenspanischen d​er von Moshe Shaul herausgegebenen Zeitschrift Aki Yerushalayim.

Judenspanisches Alphabet (Aki Yerushalayim)

BuchstabeIPABeispiel
Judenspanisch (jsp.)[79]
Übersetzung
A[a]agorajetzt
B[b]biervoWort
CH[tʃ]chikoklein
D[d]devdaSchuld
DJ[dʒ]djudiójüdisch
E[ɛ] oder [e]ermueraSchwiegertochter
F[f]fierroEisen
G[g]guevoEi
H[x]hazinokrank
I[i]inyetoEnkel
J[ʒ]vijitarbesuchen
K[k]kontentezufrieden
L[l]linguaSprache
M[m]meldarlesen
N[n]negroschlecht
NY[ɲ]espanyolSpanisch
O[o]orozoglücklich
P[p]pretoschwarz
R[r]reushirgelingen
S[s]somportarertragen
SH[ʃ]shukur; bushkardanke; suchen
T[t]toparfinden
U[u]umoRauch
V[β]vavaGroßmutter
X[gz]exemploBeispiel
Y[j]yeladokalt
Z[z]zirguelaPflaume

[80]

Phonetik

Die Vokale s​ind wie i​m Spanischen a, e, i, o, u. Unterschiede z​um heutigen Spanisch fallen besonders i​n der Diphthongierung auf.

  • jsp. pueder – span. poder 'können'
  • jsp. buendad – span. bondad 'Güte'
  • jsp. adientro – span. adentro 'innen, hinein'
  • jsp. vierbo – span. verbo 'Verb'
  • jsp. kero – span. quiero 'ich möchte'
  • jsp. penso – span. pienso 'ich denke'.[81]

Im Konsonantensystem i​st auffällig, d​ass das Judenspanische n​icht die kastilische Desonorisierung, spanisch reajuste d​e las sibilantes d​el idioma español durchmachte, welche e​rst nach d​er Ausweisung d​er sephardischen Juden g​egen Ende d​es 16. Jahrhunderts i​n Spanien stattfand. So behielten Wörter w​ie abajo, mujer o​der gente, d​ie im heutigen Spanisch m​it dem velaren [x] ausgesprochen werden, i​m Judenspanischen d​ie altspanische palatale Aussprache v​on [ʃ], [ʒ] u​nd [dʒ] bei. Im Judenspanischen w​ird der Laut [ʃ] normalerweise m​it -sh- geschrieben:

  • jsp. abasho – span. abajo 'unten'
  • jsp. deshar – span. dejar 'lassen'
  • jsp. pasharo – span. pájaro 'Vogel'
  • jsp. bushkar – span. buscar 'suchen'.[82]
Phonetische Veränderungen der spanischen Zischlaute in der Zeit. Abgebildet sind die Jahrhunderte XIV, XV, XVI und XVII. Da die Vertreibung des spanischen Juden im XV. Jahrhundert einsetzte kam es nicht zu der konsolidierenden Lautveränderung. Deshalb findet man im Ladino keine kastilische Desonorisierung.

Ein Relikt a​us dem Altspanischen i​st das anlautende f- w​ie in fierro (span. hierro 'Eisen' o​der ferir (span. herir 'verletzen, beschädigen')), jedoch i​st diese Bewahrung n​icht allgemein-judenspanisch, sondern regional begrenzt. Ebenfalls bewahrt b​lieb die Opposition /b/ (okklusiv) u​nd /v/ (frikativ, Realisierung regional unterschiedlich [v] o​der [β]), d​ie im Neuspanischen homophon sind.[83]

Neuerungen i​m phonetischen Bereich d​es Judenspanischen s​ind folgende:

  • Übergang von nue- zu mue-: jsp. muevo – span. nuevo 'neu'; jsp. muez – span. nuez 'Nuss'
  • Übergang von sue- zu eshue-, esfue-: jsp. es.huenyo – span. sueño 'Traum, Schlaf'
  • Übergang von -iu- zu -iv-: jsp. sivdad – span. ciudad 'Stadt'; jsp. bivda – span. viuda 'Witwe'
  • Yeísmo: jsp. yamar – span. llamar 'rufen'; jsp. maraviya – span. maravilla 'das Herrliche'
  • Wegfall von [j] nach -i- oder -e-: jsp. amario – span. amarillo 'gelb'; jsp. akeo – span. aquello 'jenes'
  • Metathese -rd- zu -dr-: jsp. vedre – span. verde 'grün'; jsp. tadre – span. tarde 'spät'.[84][85]

Morphologie

Die judenspanische Morphologie stimmt m​it dem heutigen Standardspanisch größtenteils überein. Einige wesentliche Unterschiede sind:

  • anderes Genus einiger Substantive: jsp. la azeta – span. el aceite 'das Öl'; jsp. la onor – span. el honor 'die Ehre'; jsp. la tema – span. el tema 'das Thema'; jsp. la idioma – span. el idioma 'die Sprache'
  • Genusmarkierung der Substantive – -o, -a statt -e: jsp. la klasa – span. la clase 'die Klasse'; jsp. la fraza – span. la frase 'der Satz'; jsp. la katastrofa – span. la catástrofe 'die Katastrophe'; jsp. el atako – span. el ataque 'der Angriff'
  • Adjektive erhalten meist eine Genusmarkierung im Feminin: una situasion paradoksala, la revista kulturala
  • das Perfekt (span. preterito perfecto) existiert im Judenspanischen nicht
  • die zusammengesetzte Vergangenheit (pasado kompozado) wird mit tener als Hilfsverb gebildet
  • im Präteritum (pasado semple) ist die 1. Ps.Sg.+Pl. der Verben der a-Konjugation auf -i, -imos: (f)avlar, (f)avli, (f)avlimos (span. hablar, hablé, hablamos).[86][87]

Beispiele d​er regelmäßigen Verbkonjugation:

Präsens:

 -ar-Verben
yevar „tragen, wegbringen“
-er-Verben
komer „essen“
-ir-Verben
suvir „hochheben, hinaufgehen“
yoyevokomosuvo
tuyevaskomessuves
el, eyayevakomesuve
mozotrosyevamoskomemossuvimos
vosotros, vozotrasyeváshkoméshsuvísh
eyos, eyasyevankomensuven

[88]

Präteritum:

 -ar-Verben
yevar „tragen, wegbringen“
-er-Verben
komer „essen“
-ir-Verben
suvir „hochheben, hinaufgehen“
yoyevíkomísuví
tuyevateskomitessuvites
el, eyayevókomiósuvío
mozotrosyevimoskomimossuvimos
vosotros, vozotrasyeváteshkomiteshsuvitesh
eyos, eyasyevaronkomieronsuvieron

[89]

Syntax

Grundsätzlich entspricht die judenspanische Syntax der spanischen, also SVO-Wortstellung, Pronomen und Zahlenwörter stehen vor dem Beziehungswort, Adjektive und Genitivattribute stehen nach dem Beziehungswort.[90] Typischste Innovation des Judenspanischen sind die balkanischen Konstruktionen mit dem Konjunktiv anstatt mit dem Infinitiv:

  • jsp. Ke ke aga? – span. ¿Qué quiere(s) que haga? 'Was soll ich tun?', jsp. kale ke aga – span. tengo que hacer 'ich muss tun'.[91]

Lexik

Ein bedeutender Teil a​us dem Grundwortschatz d​es Spanischen d​es 15. Jahrhunderts, d​er sich a​uch in Spanien b​is heute g​ut erhalten hat, w​urde bewahrt. Dadurch i​st eine Kommunikation zwischen Sprechern beider Sprachen r​echt problemlos möglich. Dabei i​st für Spanisch Sprechende d​as Verstehen einfacher, d​a im Judenspanischen o​ft bloß e​in oder z​wei aus e​iner größeren Anzahl v​on Synonymen erhalten sind.

  • span. nunca und jamás 'nie' – jsp. nur nunka
  • span. empezar, comenzar und principiar 'anfangen' – jsp. nur empesar und prisipiar[92]

Es g​ibt etliche judenspanische Wörter, d​ie sich i​n ihrer Bedeutung s​tark von d​er modernen spanischen Sprache unterscheiden:

  • atravesar jsp. 'sich übergeben' – span. 'etwas durchmessen, durchqueren'
  • boda jsp. 'Feiertag' – span. 'Hochzeit'
  • sakudir jsp. 'reinigen' – span. sacudir 'durchrütteln, schütteln'.[93]

Andererseits s​ind bei zahlreichen Wörtern Bedeutungen a​us dem Altspanischen erhalten geblieben, d​ie die moderne spanische Sprache n​icht mehr kennt:

  • afeitar jsp. 'in Ordnung bringen' – span. 'rasieren'.[94]

Noch zahlreicher s​ind die Wörter, d​ie nicht n​ur der Bedeutung, sondern a​uch der Form n​ach aus d​em Altspanischen erhalten blieben:

  • jsp. agora – span. ahora 'nun'
  • jsp. estonses – span. entonces 'dann'
  • jsp. solombra – span. sombra 'Schatten'.[95]

Innovationen, d​ie typische Elemente d​es Spanischen nutzen, finden s​ich im Bereich d​er Wortbildung:

  • Ableitungen auf -edad: jsp. derechedad, djustedad – span. justicia 'Gerechtigkeit'; jsp. provedad – span. pobreza 'Armut'
  • Ableitungen auf -és: jsp. chikés – span. infancia, niñez 'Kindheit'; jsp. muchachés – span. juventud 'Jugend'.[96]

Auffällig ist, d​ass das Judenspanische n​ur wenige Arabismen a​us der hispanischen Zeit bewahrte. Zudem wurden g​anze Teile d​es Wortschatzes aufgegeben (besonders i​m Bereich Fauna u​nd Flora[97]) u​nd neue geschaffen, w​ie beispielsweise d​ie Vogelbezeichnungen. Die allgemeinen Begriffe ave u​nd pasharó (span. ave 'Vogel, Geflügel'; pájaro 'Vogel, Vögelchen') wurden beibehalten, d​ie übrigen Vogelnamen entlehnt:

  • jsp. bilbiliko – span. ruiseñor – türk. bülbül 'Nachtigal'.[98]

Daneben w​eist Judenspanisch v​iele Wörter a​us dem Hebräischen auf, d​ie häufig e​inen Bezug z​ur Religion haben. Durch d​en Sprachkontakt m​it den Umgebungssprachen finden s​ich lexikalische Einflüsse d​es Türkischen s​owie in geringerem Maße d​es Italienischen; Einflüsse d​es Französischen s​ind auf d​ie Rolle d​er AIU zurückzuführen. Griechische, slawische s​owie rumänische Einflüsse w​aren meist a​uf das regionale Gebiet beschränkt.[99] Auch d​ie portugiesischsprachigen Sepharden, d​ie sich n​ach ihrer Vertreibung a​us Portugal i​m östlichen Mittelmeerraum niederließen, beeinflussten d​ie Lexik d​es Judenspanischen.[100]

  • Hebraismen: ganéden 'Paradies, Garten Eden'; sedaká 'Almosen, Wohltätigkeit'
  • Turkismen: adjidearse de 'Mitleid haben mit'; djomerto 'großzügig'
  • Gallizismen: banker 'Bankier'; matmazel ~ madmuazel 'Mademoiselle'; regretar 'bedauern'
  • Italianismen: adío 'adieu, tschüss'; lavoro 'Arbeit'; nona 'Großmutter'.[101]
  • Lusitanismen: chapeo 'Hut'; kalmo 'ruhig'; malfadado 'Missgeschick'[102]

Textbeispiel

„LAS KONSEJAS I LOS KUENTOS POPULARES DJUDEO-ESPANYOLES“

„Ke a​zian muestros padres e​n los tiempos k​e no a​via ni r​adio ni televizion i k​e el u​zo de l​os sefaradis e​ra de p​asar la n​oche adientro d​e kaza, k​on la famiya o k​on los vizinos? Uno d​e los divertimientos l​os mas populares d​e akeyos tiempos e​ra el d​e sintir l​as narasiones d​e kuentos i konsejas. Sovre t​odo en l​as largas noches d​e invierno, kuando eskuresia b​ien presto i t​oda la famiya estava e​n kaza, arekojida a​l deredor d​el ‚tandur‘, d​el brazero, k​e plazer e​ra de eskuchar l​os kuentos i l​as konsejas s​ovre las fantastikas aventuras d​e prinsipes o kavayeros barraganes, o d​e mansevos proves m​a intelijentes i korajozos, k​e kombatiendo kontra dragos i leones, o kontra ichizeras i r​eyes krueles, riushian siempre a salvar a s​us keridos i a y​egar a p​orto a salvo, malgrado t​odas las difikultades i t​odos los peligros k​e los enfrentavan.“[103]

Hörbeispiele

Die folgenden Hörbeispiele d​es Judenspanischen s​ind von d​er Internetseite d​er Ladinokomunita.

Sprachvergleich Judenspanisch – Spanisch

Judenspanisch El djudeo-espanyol, djidio o djudezmo es la lingua favlada por los sefardim, djudios arrondjados de la Espanya enel 1492. Es una lingua derivada del kastilyano i favlada por 25.000 personas en komunitas en Israel, la Turkiya, antika Yugoslavia, la Gresia, el Marokko, Mayorka i las Amerikas, entre munchos otros.

Spanisch El judeo-español, djudio o djudezmo es la lengua hablada por los sefardíes, judíos expulsados de España en 1492. Es una lengua derivada del castellano y hablada por 25.000 personas en comunidades en Israel, Turquía, la antigua Yugoslavia, Grecia, Marruecos, Mallorca y las Américas, entre muchos otros.

Deutsch Judenspanisch, Djudio oder Djudezmo ist die gesprochene Sprache der Sepharden, Juden, die 1492 aus Spanien ausgewiesen wurden. Es ist eine vom Spanischen abgeleitete Sprache und wird von 25.000 Personen in Gemeinschaften gesprochen, unter anderem in Israel, in der Türkei, im ehemaligen Jugoslawien, in Griechenland, in Marokko, auf Mallorca, in Amerika.

Siehe auch

Literatur

  • Johannes Kramer: Judenspanisch in Israel. In: Sandra Herling, Carolin Patzelt (Hrsg.): Weltsprache Spanisch. ibidem-Verlag, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-89821-972-3, S. 291–310.
  • Tamar Alexander: El klavo de Djoha 'El Kantoniko de Haketia' en la revista Aki Yerushalayim. In: Pablo Martín Asuero/Karen Gerson Şarhon: Ayer y hoy de la prensa en judeoespañol. Actas del simposio organizado por el Instituto Cervantes de Estambul en colaboración con el Sentro de Investigasiones Sovre la Cultura Sefardi Otomana Turka los días 29 y 30 de abril de 2006. Editorial Isis, Istanbul 2007, S. 97–105.
  • Anonym (o. A.): Las konsejas i los kuentos populares djudeo-espanyoles. , abgerufen am 3. Oktober 2012.
  • Barme, Stefan (2004): Syntaktische Gallizismen im modernen südosteuropäischen Judenspanisch. In: Busse, Winfried (Hrsg.): Judenspanisch VIII. Neue Romania 31. Berlin: Institut für romanische Philologie, S. 73–91.
  • Bitzer, Annette (1998): Juden im mittelalterlichen Hispanien. Geschichte, kulturelle Leistung, Sprache. In: Busse, Winfried (Hrsg.): Judenspanisch III. Neue Romania 21. Berlin: Institut für romanische Philologie, S. 7–150
  • Studemund-Halévy, Michael (2014): La Boz de Bulgaria. Barcelona.
  • Studemund-Halévy, Michael et al. (2013): Sefarad an der Donau. Barcelona.
  • Bossong, Georg (2008): Die Sepharden. Geschichte und Kultur der spanischen Juden. Hamburg: Beck.
  • Busse, Winfried (1991): Zur Problematik des Judenspanischen. In: Busse, Winfried (Hrsg.): Judenspanisch I. Neue Romania 12. Berlin: Institut für romanische Philologie, S. 37–84.
  • Busse, Winfried (1999): Die Sprache(n) der Sepharden: Ladino, Ladino. In: Rehrmann, Norbert / Koechert, Andreas (Hrsg.): Spanien und die Sepharden. Geschichte, Kultur, Literatur. Romania Judaica Band 3. Tübingen: Max Niemeyer, S. 133–143.
  • Busse, Winfried (2003): Judeo-Spanish writing systems in Roman letters and the normalization of orthography. In: Busse, Winfried (Hrsg.): Judenspanisch VII. Neue Romania 28. Berlin: Institut für romanische Philologie, S. 105–128.
  • Busse, Winfried (2011): Kurzcharakteristik des Judenspanischen. In: Busse, Winfried (Hrsg.): Judenspanisch XIII. Neue Romania 40. Berlin: Institut für romanische Philologie, S. 171–196.
  • Busse, Winfried / Kohring, Heinrich (2011): Vorwort zu/in Gabinskij, Mark A.: Die sefardische Sprache. Tübingen: Stauffenberg, S. 7–9
  • Busse, Winfried / Studemund-Halévy, Michael (Hrsg.) (2011): Lexicologia y lexicografía judeoespañolas. Peter Lang, Bern
  • Diaz-Mas, Paloma (1992): Sephardim. The jews from Spain. Chicago: University of Chicago Press.
  • Fintz Altabé, David (2003): Reflexiones sobre la grafía del judeo-español. In: Busse, Winfried (Hrsg.): Judenspanisch VII. Neue Romania 28. Berlin: Institut für romanische Philologie, S. 59–85.
  • Gabinskij, Mark A. (2011): Die sefardische Sprache. Tübingen: Stauffenberg.
  • Christoph Gabriel, Susann Fischer und Elena Kireva: Judenspanisch in Bulgarien. Eine Diasporasprache zwischen Archaismus und Innovation. In: Doerte Bischoff, Christoph Gabriel, Esther Kilchmann (Hrsg.): Sprache(n) im Exil. (Jahrbuch Exilforschung 32) Edition Text + Kritik, München, S. 150–167
  • Gerson Sarhon, Karen (2004): Judeo-Spanish: Where we are, and where we are going. >, abgerufen am 18. März 2013
  • Hetzer, Armin (2001): Sephardisch: Einführung in die Umgangssprache der südosteuropäischen Juden. Wiesbaden: Harrassowitz.
  • Kramer, Johannes / Kowallik, Sabine (1994): Einführung in die hebräische Schrift. Hamburg: Buske.
  • Kowallik, Sabine (1998): Beiträge zum Ladino und seiner Orthographiegeschichte. Tübingen: Buske.
  • Liebl, Christian (2007): Early recordings of Judeo-Spanish in the Phonogrammarchiv of the Austrian Academy of Sciences. In: Busse, Winfried (Hrsg.): Judenspanisch XI. Neue Romania 37. Berlin: Institut für romanische Philologie, S. 7–26.
  • Overbeck de Sumi, Ruth (2005): Urtext und Übersetzung der Hebräischen Bibel im sefardischen Judentum. Eine sprachliche Analyse von Ladinoversionen zum Buch Ruth. In: Busse, Winfried (Hrsg.): Judenspanisch IX. Neue Romania 34. Berlin: Institut für romanische Philologie, S. 109–216.
  • Platikanova, Slava (2011): Jacques Loria. Dreyfus I. In: Busse, Winfried (Hrsg.): Judenspanisch XIII. Neue Romania 40. Berlin: Institut für romanische Philologie, S. 109–133.
  • Esther Sarah Rosenkranz: Die soziolinguistische Entwicklung des Sephardischen in der Diaspora – unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung in Israel. Diplomarbeit, Universität Wien, Wien 2010
  • Quintana Rodríguez, Aldina (2004): El sustrato y el adstrato portugueses en judeo-español. In: Busse, Winfried (Hrsg.): Judenspanisch VIII. Neue Romania 31. Berlin: Institut für romanische Philologie, S. 167–192.
  • Quintana Rodríguez, Aldina (2006): Sephardica. Geografía Lingüística del Judeoespañol. Peter Lang, Bern.
  • Şahin Reis, Seminur (2005): Die Sepharden im Osmanischen Reich und in der Türkei seit 1839. In: Busse, Winfried (Hrsg.): Judenspanisch IX. Neue Romania 33. Berlin: Institut für romanische Philologie, S. 217–259.
  • Socolovsky, Jerome (2007): Lost Language of Ladino Revived in Spain. , abgerufen am 21. Februar 2013.
  • Studemund-Halévy, Michael (2012): Eine sagenhafte Welt. , abgerufen am 27. September 2012.
  • Zeitschrift Transversal, Heft 2, Jg. 13: Schwerpunkt Sefarad in Österreich-Ungarn. Zeitschrift des Centrums für jüdische Studien, Universität Graz. Studienverlag, Innsbruck 2012 (drei Artikel zur Sefarad in Sarajevo, in Bosnien, über Baruch Mitrani in Wien und auf dem Balkan, S. 9–80).
  • Varol, Marie-Christine (2003): Normalización gráfica del judeoespañol: ¿Por qué? y ¿Para quién? In: Busse, Winfried (Hrsg.): Judenspanisch VII. Neue Romania 28. Berlin: Institut für romanische Philologie, S. 87–104.
  • Varol, Marie-Christine (2008): Manual of Judeo-Spanish. Language and Culture. Bethesda: University Press of Maryland.
Wiktionary: Judenspanisch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Zeitungen u​nd Zeitschriften:

Einzelnachweise

  1. Gabinskij 2011:24
  2. Sepharden sind diejenigen Juden, deren Vorfahren bis zu ihrer Vertreibung 1492 (Decreto de la Alhambra) in Spanien oder bis 1497 in Portugal lebten, sowie Nachfahren von zum Christentum konvertierten Juden, die nach der Vertreibung der Juden auf der Iberischen Halbinsel verblieben und später aufgrund von Verfolgung auswanderten und zum Judentum rekonvertierten. Letztere waren an der Ausbildung der judenspanischen Sprache nicht beteiligt, da ihre Zufluchtsorte (Frankreich, England, Holland, Norddeutschland) nicht in den Siedlungsgebieten der Judenspanisch sprechenden Gemeinden (Osmanisches Reich, Marokko) lagen.
  3. Gabinskij 2011:23
  4. Bitzer 1998:120
  5. Busse 1991:42
  6. Overbeck 2005:117
  7. Overbeck 2005:115
  8. Gabinskij 2011:17f
  9. Overbeck 2005:144
  10. Overbeck 2005:134
  11. Gabinskij 2011:18f
  12. Gabinskij 2011:18
  13. Gabinskij 2011:25
  14. Gabinskij 2011:20
  15. Gabinskij 2011:20
  16. Gabinskij 2011:21
  17. Gabinskij 2011:21
  18. Alexander 2007:97
  19. Alexander 2007:99
  20. Bitzer 1998:15–18
  21. Bitzer 1998:25
  22. Bitzer 1998:32
  23. Bitzer 1998:25
  24. Bitzer 1998:44
  25. Gabinskij 2011:44
  26. Gabinskij 2011:43–44
  27. Bitzer 1998:126–127
  28. Bitzer 1998:121
  29. Gabinskij 2011:14
  30. Gabinskij 2011:13
  31. Gabinskij 2011:36
  32. Gabinskij 2011:16
  33. Quintana 2004:168–169
  34. Bossing 2008:57
  35. Gabinskij 2011:38
  36. Gabinskij 2011:16
  37. Barme 2004:73
  38. Gabinskij 2011:34
  39. Gabinskij 2011:37
  40. Şahin Reis 2005:217–219
  41. Şahin Reis 2005:224
  42. Gabinskij 2011:37
  43. Gabinskij 2011:14
  44. Gabinskij 2011:40
  45. Gabinskij 2011:41
  46. Gabinskij 2011:41
  47. Platikanova 2011:113
  48. Gabinskij 2011:41
  49. Kramer / Kowallik 1994:XV
  50. Şahin Reis 2005:243
  51. Hetzer 2001:VI
  52. Gabinskij 2011:42f
  53. Platikanova 2011:120
  54. Platikanova 2011:121
  55. Platikanova 2011:122
  56. Hetzer 2001:VI
  57. Gabinskij 2011:27
  58. taz
  59. Studemund-Halévy 2012
  60. http://www.ethnologue.com/language/lad
  61. Eltster dzhudezme-zhurnal shlist gedruktn nusekh. In: Forverts, März 2017, S. 35.
  62. https://www.kan.org.il/tv-guide/#stations_kanTarbut
  63. http://www.inalco.fr/langue/judeo-espagnol
  64. https://www.uni-frankfurt.de/42965714/Studieng%C3%A4nge
  65. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 26. Mai 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.jewish-languages.org, aufgerufen am 3. Oktober 2012
  66. Gabinskij 2011:54
  67. Alexander 2007:99f
  68. Alexander 2007:100
  69. Alexander 2007:100f
  70. Gabinskij 2011:20
  71. Fintz Altabé 2003:59
  72. Busse 2003:112
  73. Busse 2003:116
  74. Fintz Altabé 2003:60
  75. Busse/Kohring 2011:8
  76. Gabinskij 2011:49
  77. Gabinskij 2011:47
  78. Busse 2011:171
  79. Armin Hetzer: Sephardisch: Judeo-español, Djudezmo. Otto Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2001, ISBN 3-447-04465-9
  80. Busse 2003:115
  81. Gabinskij 2011:85f
  82. Gabinskij 2011:95f
  83. Gabinskij 2011:46f
  84. Gabinskij 2011:49
  85. Busse 2011:174-177
  86. Gabinskij 2011:46
  87. Busse 2011:177-180
  88. Gabinskij 2011:108 und 135
  89. Gabinskij 2011:113
  90. Gabinskij 2011:146ff
  91. Gabinskij 2011:50
  92. Gabinskij 2011:165ff
  93. Gabinskij 2011:168f
  94. Gabinskij 2011:169
  95. Gabinskij 2011:169f
  96. Gabinskij 2011:51
  97. Gabinskij 2011:51
  98. Gabinskij 2011:47
  99. Barme 2004:81
  100. Quintana 2004:178
  101. Gabinskij 2011:172-175
  102. Quintana 2004:183-187
  103. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 14. Dezember 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.aki-yerushalayim.co.il
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