Volkssprache
Volkssprache nennt man die Sprache einer Bevölkerung überall dort, wo eine ältere Sprachform oder eine fremde Sprache in Religion, Wissenschaft oder auf der Bühne verwendet wird. Dies war und ist in vielen Kulturkreisen zeitweise der Fall.
Zur Terminologie
Volkssprache wird teilweise sinnverwandt mit Landessprache, Muttersprache und Vernakularsprache verwendet. Der Begriff Volkssprache taucht vor allem dann auf, wenn die einheimische Sprache im Gegensatz zu einer Fremdsprache (vor allem als Sprache der Religion oder Wissenschaft) oder aber im Sinne von „niedere Sprachebene“ in Abgrenzung zu höheren Sprachebenen gesehen wird.
Zur Rolle der Volkssprachen
Im mittleren und westlichen Europa stand den einzelnen Volkssprachen jahrhundertelang Latein als Liturgie- und Literatur-Sprache gegenüber. Zur Zeit Karls des Großen gewann das Deutsche als Volkssprache an Bedeutung für die Vermittlung des Glaubens. Diesem Ziel diente auch Martin Luthers deutsche Bibelübersetzung, die nicht auf einer einfachen Übernahme einer der Umgangssprachen beruhte.[1] Es handelt sich bei dieser „Hinwendung zu den Volkssprachen“ um einen Trend, der in der frühen Neuzeit in ganz Europa zu beobachten ist.[2] Die Volkssprache wird in diesem Zusammenhang auch als Vulgärsprache bezeichnet.[3]
Volkssprache wird jedoch nicht nur im Gegensatz zur Sprache der Wissenschaft, dem Lateinischen, gesehen. Betont wird auch, dass Volkssprache einen sozialen Aspekt ansprechen kann, wenn etwa für die Zeit um 1450 erklärt wird, dass in Halle das Niederdeutsche als Volkssprache und das Mitteldeutsche als Sprache der Gebildeten dient.[4]
In Norddeutschland verlor die niederdeutsche Volkssprache über Generationen vor der hochdeutschen Gottesdienst-, Schrift- und Verkehrssprache an Boden. Ihre Bedeutung als Schriftsprache hat sie weitgehend verloren;[5] sie existiert jedoch als Umgangssprache und Sprache der schönen Literatur weiter und wird auch in den regionalen Medien gepflegt. Stellmacher bezeichnete die Situation des Niederdeutschen 1990 mit „Zweitsprache“, die oft erst nach dem Hochdeutschen gelernt, aber noch vielfältig verwendet wird.[6]
Weitere Aspekte von Volkssprache
Im Zeitalter des Hellenismus existierten neben der griechischen Koine viele Volkssprachen weiter.
In Indien haben sich die Volkssprachen vom heiligen Sanskrit weit entfernt.
Die arabische Schriftsprache wird nur in den Moscheen, für den Schriftverkehr und international verwendet. Sie unterscheidet sich deutlich von den verschiedenen Varianten der arabischen Volkssprachen.
Einige altorientalischen Christen verwenden noch heute die (von Jesus von Nazaret gesprochene) aramäische Sprache für die Gottesdienste, während ihre Volkssprache heute Arabisch ist.
Im nachkolonialen Afrika gelten weitgehend europäische Kultur- und Verkehrssprachen als Amtssprachen (Englisch, Französisch, Portugiesisch) neben und über den einheimischen Volkssprachen.
Siehe auch
Literatur
- Hans Arens: Sprachwissenschaft: Der Gang ihrer Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart. Band 1. Athenäum-Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1969, ISBN 3-8072-2077-1. Arens thematisiert Volkssprache unter mehreren Gesichtspunkten.
- Andreas Gardt: Geschichte der Sprachwissenschaft in Deutschland. De Gruyter, 1999, ISBN 3-11-015788-8. Kapitel: Aufwertung der Volkssprache und frühe Grammatikschreibung des Deutschen, S. 45–71.
- Helmut Glück (Hrsg.), unter Mitarbeit von Friederike Schmöe: Metzler Lexikon Sprache. 3., neu bearbeitete Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2005, ISBN 3-476-02056-8.
- Georg Objartel: Deutsche Literatursprache der frühen Neuzeit. In: Lexikon der germanistischen Linguistik. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Hrsg. v. Hans Peter Althaus, Helmut Henne, Herbert Ernst Wiegand. Niemeyer, Tübingen 1980, S. 712–719; Kapitel Latinität und Volkssprache. ISBN 3-484-10392-2.
Weblinks
Einzelnachweise
- C.J. Wells: Deutsch: eine Sprachgeschichte bis 1954. Niemeyer, Tübingen 1990, ISBN 3-484-10638-7.
- Gardt 1999, S. 45.
- Hans Joachim Störig: Abenteuer Sprache. Ein Streifzug durch die Sprachen der Erde. 2., überarbeitete Auflage. Langenscheidt, Berlin/München 1997, ISBN 3-581-66936-6, S. 154.
- Adolf Bach: Geschichte der deutschen Sprache. 9., durchgesehene Auflage, VMA-Verlag, Wiesbaden o. J.; S. 237. Abkürzungen aufgelöst.
- Timothy Sodmann: Untergang des Mittelniederdeutschen als Schriftsprache. In: Jan Goossens (Hrsg.): Niederdeutsch. Sprache und Literatur. Eine Einführung. Band 1: Sprache. Karl Wachholtz Verlag, Neumünster 1973, S. 116–129.
- Dieter Stellmacher: Niederdeutsche Sprache. Eine Einführung. Peter Lang, Bern/ Frankfurt am Main/New York/Paris 1990, ISBN 3-261-04145-5, S. 102 f.