Schienenverkehr in Afghanistan
Der Schienenverkehr in Afghanistan besteht derzeit aus zwei Eisenbahnstrecken für den Güterverkehr.
Historische Ansätze
19. Jahrhundert
Abdur Rahman Khan (1844–1901), der seit 1880 Emir von Afghanistan war, lehnte Eisenbahnen für sein Land strikt ab. Umzingelt von Russland im Norden und von Großbritannien im Südosten hielt er Eisenbahnen für Einfallsschneisen des Kolonialismus.
Bahnstrecke Kabul–Darul-Aman
So erhielt Afghanistan erst in den 1920er-Jahren eine erste, acht Kilometer lange Schmalspurstrecke mit einer Spurweite von 762 mm. Sie wurde im Zuge der Reformen des Königs Amanullah Khan erbaut und führte von der Hauptstadt Kabul zum Darul-Aman-Palast, der als Sitz des Parlamentes vorgesehen war. Nach dem Sturz von König Amanullah Khan 1929 verfiel die Bahnanlage. In der Folgezeit gab es nur einige wenige Feldbahnen für große Bauprojekte in Afghanistan.
Erste Vollbahnanschlüsse
Im Zuge des Sowjetisch-Afghanischen Krieges stellte das Fehlen einer Eisenbahnanbindung für die Streitkräfte der Sowjetunion ein erhebliches logistisches Problem dar und bestätigte so die nahezu hundert Jahre zuvor geäußerten Bedenken von Emir Abdur Rahman Khan.
Um dem logistischen Defizit abzuhelfen, wurden seitens der Sowjetunion je eine Strecke von Turkmenistan und Usbekistan in der dort üblichen Breitspur von 1520 mm ein Stück über die afghanische Grenze hinweg geführt. Damit erhielt das Land erste internationale Bahnanschlüsse. Über den militärischen Transportbedarf hinaus versprechen sich die Beteiligten durch den Ausbau dieser Anfänge eine intensivere Verknüpfung zwischen den Wirtschaften der mittelasiatischen Republiken und der Afghanistans.[1]
Heutige Situation
Organisation und Betrieb
Eisenbahnen in Afghanistan werden von der staatlichen Afghan Railway Authority (AfRA) betrieben.[2] Seit 2015 ist Afghanistan Mitglied der Organisation für die Zusammenarbeit der Eisenbahnen (OSShD).[3] In Afghanistan findet auf der Schiene derzeit ausschließlich Güterverkehr statt.
Momentan bestehen in Afghanistan – ausgehend von kurzen Strecken, die in den Zeiten sowjetischer Intervention über die Grenze gelegt wurden – zwei Inselbetriebe, die beide ausgebaut werden sollen: ein Nordwest-Netz und ein Nordost-Netz. Das südliche Netz, woran auch die Hauptstadt Kabul angeschlossen wird, besteht – bedingt durch die Sicherheitslage – nur auf dem Papier.
Drei Spurweiten
Ein technisches Problem ergibt sich für Afghanistan dadurch, dass es die Schnittstelle für drei unterschiedliche Spurweiten bilden wird. Die im Norden angrenzenden Staaten verwenden die „russische Breitspur“ von 1520 mm, Pakistan hat die „indische Breitspur“ von 1676 mm und die Eisenbahn des Iran baut ihre Strecken in der Normalspur von 1435 mm. Verschiedene Lösungen dazu wurden veröffentlicht.[4][5]
Spurweite:
- Iran nach Herat: 1435mm
- Towraghondi – Herat, Andchoi – Scherberghan, Hairatan – Masar-e Scharif, Kundus – Schirchan Bandar: 1520mm
- Kundus – Masar-e Scharif – Scherberghan – Herat: 1520mm+1676mm
Bahnstrecke vom Iran nach Herat
Im Westen Afghanistans befindet sich eine 124 Kilometer lange, normalspurige Strecke von der iranischen Grenze nach Herat im Bau, die den Anschluss an die Nord-Süd-Bahn der Eisenbahn des Iran herstellt. Die Kosten betragen 230 Millionen US$, wobei der Hauptteil durch den Iran und 62 Millionen US$ durch Afghanistan aufgebracht werden.
Bahnstrecke von Turkmenistan nach Herat
Eine zehn Kilometer lange Strecke – davon etwa zwei Kilometer auf afghanischen Gebiet – wurde von Serhetabat in Turkmenistan nach Towraghondi (Torghundi) in Afghanistan Anfang der 1980er-Jahre errichtet. Nach Abzug der Sowjetunion verfiel diese Anlage und wurde erst 2007 wieder betriebsfähig gemacht.[6] Zwischen Afghanistan und Turkmenistan wurde ein Staatsvertrag geschlossen, die Strecke nach Herat zu verlängern.[5] Die Bahnstrecke Towraghondi–Herat soll 124 Kilometer lang werden. Afghanistan hat am 4. April 2016 ein kanadisches Consulting-Unternehmen damit beauftragt, Vorschläge zur technischen Durchführung des Projekts zu unterbreiten.[7]
Bahnstrecke von Turkmenistan nach Andchoi
Am 5. Juni 2013 fand der erste Spatenstich für den Bau der Bahnstrecke Kerki–Andchoi („Lapislazuli-Bahn“[8]) statt. Sie wird in der turkmenischen Spurweite von 1520 mm errichtet. Der 82 Kilometer lange Abschnitt vom turkmenischen Kerki zum Grenzbahnhof Imam Nazar und drei Kilometer weiter bis in den afghanischen Ort Aqina wurde am 28. November 2016 von den Präsidenten beider Staaten, Gurbanguly Berdimuhamedow und Aschraf Ghani, eröffnet.[9] Der Bau der Verlängerung bis zum 35 Kilometer entfernten Andchoi wurde am 26. Juli 2019 begonnen und bereits am 14. Januar 2021 beendet.[10]
Nordost-Netz
Das Nordost-Netz strahlt von Masar-i-Scharif aus.
Bahnstrecke von Usbekistan nach Masar-i-Scharif
Der erste Abschnitt der Strecke nach Masar-e Scharif war eine etwa fünfzehn Kilometer lange Verbindung von Termiz in Usbekistan nach Hairatan in Afghanistan, die während der sowjetischen Invasion zu Anfang der 1980er-Jahre zur Erleichterung des militärischen Nachschubs errichtet wurde. Die Strecke wurde 2009/2010 um 75 Kilometer bis zum Flughafen Masar-e Scharif verlängert.
Westliche Verlängerung nach Andchoi
Ende 2011 hat die Asian Development Bank 300 Millionen US-Dollar für die Verlängerung der Strecke in das 225 Kilometer westlich gelegene Andchoi bereitgestellt (Bahnstrecke Masar-i-Scharif–Andchoi). Diese Stadt ist seit Anfang 2021 an das benachbarte Turkmenistan angebunden.[10] Es besteht zudem von dort die Möglichkeit einer weiteren Verlängerung nach Herat.
Südöstliche Verlängerung nach Peschawar
Die Regierungen von Afghanistan, Usbekistan und Pakistan haben am 2. Februar 2021 in Taschkent ein Abkommen über Planung und Bau einer 573 Kilometer langen Strecke von Masar-e Scharif über Kabul nach Peschawar in Pakistan geschlossen[11] und eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingesetzt, die das Projekt vorbereiten soll. Die Strecke soll in Masar-i-Scharif auch an die Bahnstrecke Masar-i-Scharif–Andchoi angeschlossen werden und dem Personen- und Güterverkehr dienen.[12]
Östliche Verlängerung nach Schirchan Bandar und Tadschikistan
Ebenfalls im Mai 2015 wurde mit dem Bau der Bahnstrecke Masar-i-Scharif–Schirchan Bandar in östlicher Richtung von Masar-i-Scharif begonnen. Die Strecke wird über Cholm und Kundus geführt. Von Schirchan Bandar aus soll an das tadschikische Eisenbahnnetz angeschlossen werden. Die beiden Bahnstrecken Masar-i-Scharif–Andchoi und Masar-i-Scharif–Schirchan bilden gemeinsam eine Möglichkeit Verkehr von Turkmenistan unter Umgehung von Usbekistan nach Tadschikistan (und weiter nach China) zu leiten. Zusammen sind sie 640 Kilometer lang und werden von China – und zu einem geringeren Teil von Turkmenistan – finanziert.[13]
2018 liegt die baureife Planung einer grenzüberschreitenden Strecke von Kolchosobod (Tadschikistan), das an das Eisenbahnnetz von Tadschikistan angeschlossen ist, über Pandschi Pojon, den Grenzfluss Pandsch nach Schirchan Bandar vor. Mit dem Bau kann Ende 2018 begonnen werden. Darüber hinaus wird eine Verlängerung bis Kundus erwogen.[14]
Anschluss nach Pakistan
Konkrete Planungen bestehen für die 100 Kilometer lange Bahnstrecke Chaman–Kandahar.[15] Die stellte eine Fortsetzung der pakistanischen Bahnstrecke Quetta–Chaman dar. Die Strecke zum pakistanischen Grenzort Chaman soll ausgebaut werden, der Abschnitt nach Kandahar wäre ein Neubau. Aufgrund der Sicherheitslage im südlichen Afghanistan wird davon aber zunächst nur der grenznahe Abschnitt bis zum ersten afghanischen Ort hinter der Grenze, Spin Buldak, errichtet. Das sind 3,2 Kilometer vom Bahnhof Chaman bis zur Grenze und weitere 11,2 Kilometer von dort bis Spin Buldak. Dieser Abschnitt wird in der von Pakistan genutzten Breitspur von 1676 mm errichtet. Im November 2017 soll der Abschnitt in Betrieb gehen. Ein späterer Weiterbau nach Kandahar soll in Normalspur erfolgen, in Spin Buldak eine Spurwechselanlage errichtet werden.[16]
Südbahn
Im südlichen Teil Afghanistans ist die Bahnstrecke Bamiyan–Sarandsch angedacht. Sie soll über die Hauptstadt Kabul führen und weiter auch Kandahar anbinden, von wo aus über die Bahnstrecke Chaman–Kandahar Pakistan erreicht würde. Aufgrund der prekären Sicherheitslage gibt es abschnittsweise aber noch nicht einmal eine Streckenplanung und es wird bis mindestens 2017 dauern, bevor in Abschnitten mit dem Bau begonnen werden kann. So wird Kabul voraussichtlich vor 2025 einen Bahnanschluss nicht erhalten.[13]
Zukunftsplanungen
Verbindung der Nordnetze
Die beiden nördlichen afghanischen Netze sollen mit einer 551 Kilometer langen Bahnstrecke Scheberghan–Herat, die in Scheberghan von der Bahnstrecke Masar-i-Scharif–Andchoi abzweigt, verbunden werden. Dazu wurde zwischen Afghanistan, Turkmenistan und Tadschikistan ein Staatsvertrag abgeschlossen.[17] Als Baubeginn ist April 2018 angesetzt, fertiggestellt sein soll sie 2022 oder 2023.[13]
Verbindung von Nord- und Südnetz
Eine Verbindung von Pakistan über Kabul nach Usbekistan und weiter nach China war angedacht. Durch diese Verbindung würde der Export von Kupfererz aus der Mine Aynak der China Metallurgical Group gefördert, die die Strecke zu bauen beabsichtigte.[18] Auch hier wurde aber aufgrund der Sicherheitslage im südlichen Afghanistan zunächst davon Abstand genommen. Mit einer Verbindung des Nord- und des Südnetzes wird frühestens in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre gerechnet.[13]
Weitere Vorhaben
Innerhalb der nächsten 25 Jahre plant die afghanische Regierung die Bahnstrecken zu einer Eisenbahn-Ringstrecke von Herat über Masar-i-Scharif, Kabul, Kandahar und zurück nach Herat zu verbinden. Der Eisenbahnring nähme dann auch die Anschlüsse an die Bahnen der Nachbarländer auf.[19] Das gesamte Streckennetz soll eine Länge von 2.800 Kilometern aufweisen und mehrere Milliarden US$ kosten.[20] Im Rahmen der OSShD wird darüber beraten, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Dabei stehen zwei Verbindungen von Masar-e Scharif im Fokus[21]:
- Masar-e Scharif–Herat–Kandahar–Quetta und
- Masar-e Scharif–Kabul–Peschawar
Weblinks
Einzelnachweise
- HaRakevet 96 (März 2012) – Meldung 96:09 H, S. 14f.
- Afghanistan. In: HaRakevet 2015 / 111:09, G: Afghanistan (iv), S. 16.
- G. Afghanistan. In: HaRakevet 29, Nr. 1 = Ausgabe 108 v. März 2015, S. 27.
- HaRakhevet 90 (September 2010), S. 21: Ost-West-Schienenverbindung in Normalspur zwischen China und dem Iran
- Walter Rothschild: Other Middle East Railways - G. Afghanistan, who is building quicker?. In: HaRakevet 95 = Jg. 25/4 (Dezember 2011), S. 19.
- Afghan rebuild underway. In: Railway Gazette International, 12. Juli 2007.
- Herat Line Feasibility Study. In HaRakevet 113, S. 18.
- NN: The Lapis Lazuli Line Opens. In: HaRakevet 115 (Dezember 2016), S. 21.
- red: Turkmenistan. In: IBSE-Telegramm 313 (12/2016), S. 14; NN: The Lapis Lazuli Line Opens. In: HaRakevet 115 (Dezember 2016), S. 21.
- Railway opening forges ‘bonds of friendship’ between Afghanistan and Turkmenistan. In: Railway Gazette International. 14. Januar 2021, abgerufen am 18. Januar 2021 (englisch).
- NN: Signing of the roadmap for the historical project of the Masar-i-Scharif–Kabul–Peshawar railway. In: OSJD Bulletin 2/2021, S. 33f.
- NN: Strategic plan signed for 573km trans-Afghan railway. In: International Railway Journal vom 9. Februar 2021.
- Afghanistan. In: HaRakevet 2015 / 111:09, G (d): Afghanistan, S. 16.
- Meldung aus Railway Gazette International vom 18. Juli 2018. In: HaRakevet 122 (September 2018), S. 27.
- Vgl. Construction of Afghan railway launched. In: railwaygazette.com. 27. Januar 2010, abgerufen am 6. Dezember 2010 (englisch).
- Afghanistan. In: HaRakevet 2015 / 111:09, G: Afghanistan (a), S. 16.
- HaRakevet 104 (März 2014), S. 17, 104:08 Other Middle East Railways, F. Turkmenistan – Afghanistan – Tadjikistan, S. 17.
- Vgl. Agreement signed for north-south corridor. In: railwaygazette.com. 23. September 2010, abgerufen am 6. Dezember 2010 (englisch).
- Ivan Watson: "After nearly a century, a modern Afghan railroad is under construction" (vgl. Eisenbahnkarte). CNN, 27. September 2010, abgerufen am 2. Januar 2011 (englisch).
- Christian Neef: Der Schöne Traum. In: Der Spiegel. Nr. 19, 2010 (online).
- NN: Republic of Uzbekistan: New Way in the Developement and Progress. In: OSJD Bulletin 3/2019, S. 1–15 (5).