Sozialleistung
Sozialleistungen sind die im Sozialgesetzbuch vorgesehenen Dienst-, Sach- und Geldleistungen (§ 11 SGB I).
Deutschland hat im Jahr 2009 30,1 % seines Bruttoinlandsprodukts für Sozialleistungen aufgewendet und lag damit im europaweiten Vergleich auf Rang 4.[1] Im Jahr 2013 waren es 29 %,[2] im Jahr 2016 29,4 %. Der Funktion nach entfiel 2016 der größte Anteil mit 43 % auf Leistungen bei Krankheit, Gesundheitsversorgung und Invalidität, der geringste mit 3,4 % auf Wohnen und soziale Ausgrenzung.[3]
Funktion und Einteilung
Sozialleistungen dienen zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit, insbesondere ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen, zu schaffen, die Familie zu schützen und zu fördern, den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen (§ 1 SGB I). Außerdem sollen die erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen.
Eine Sozialleistung im Sinne der §§ 11, 45 SGB I liegt regelmäßig dann vor, wenn die Leistung durch einen Sozialleistungsträger nach den Bestimmungen des SGB einem Sozialleistungsberechtigten zu erbringen ist und diesen individuell begünstigt; sie wird dann in aller Regel auch der Verwirklichung eines sozialen Rechts im Sinne der §§ 3 bis 10 SGB I dienen.[4]
Sozialleistungen mit Ausnahme von sozialen Sachtransfers, d. h. monetäre Sozialleistungen, sind nach einer Definition von Eurostat „Bartransfers an die privaten Haushalte zur Abdeckung von Lasten, die durch bestimmte Risiken oder Bedürfnisse entstehen, z. B. Alterssicherungsleistungen, Familienleistungen, Leistungen für Kinder und Leistungen für Behinderte.“[5]
In Deutschland werden die beitragsfinanzierten Sozialleistungen von den unterschiedlichen Sozialversicherungsträgern als Entgeltersatzleistungen bei Verwirklichung der versicherten Risiken erbracht, etwa bei Krankheit, Arbeitsunfällen oder Pflegebedürftigkeit, bei Arbeitslosigkeit und zur Absicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Daneben gibt es die steuerfinanzierten Transferleistungen, die Hilfebedürftigkeit voraussetzen. Hierzu gehören insbesondere das Arbeitslosengeld II und die verschiedenen Formen der Sozialhilfe einschließlich der Kriegsopferfürsorge.
Die verschiedenen Sozialleistungen und die zuständigen Leistungsträger nennt das Erste Buch Sozialgesetzbuch (SGB I),[6] für das Verwaltungsverfahren und den Sozialdatenschutz gilt das Zehnte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB X).
Gesetzgebungskompetenz
Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 und Nr. 12 GG auf die öffentliche Fürsorge (ohne das Heimrecht) sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung.[7][8] Die Gesetzgebungszuständigkeit liegt daher bei den Ländern, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG).[9]
Sozialversicherung
Für die Sozialversicherung im Sinne des Grundgesetzes sind das Versicherungsprinzip und das Solidarprinzip kennzeichnend. Das Solidarprinzip verlangt, dass „die bei den verschiedenen Versicherten bestehenden ungleichen Risiken“ ausgeglichen werden, „wobei der Ausgleich der gesamten Solidargemeinschaft obliegt und nach sozialen Gesichtspunkten zu erfolgen hat“. Das Versicherungsprinzip fordert demgegenüber, dass ein von der Bedürftigkeit des Einzelnen unabhängiger Risikoausgleich herbeigeführt wird. Der Versicherungsschutz muss grundsätzlich das Äquivalent für die Beitragsleistung des Mitglieds sein.[10]
Öffentliche Fürsorge
Der Begriff der „öffentlichen Fürsorge“ setzt voraus, dass eine besondere Situation zumindest potenzieller Bedürftigkeit besteht, auf die der Gesetzgeber reagiert. Dabei genügt es, wenn eine – sei es auch nur typisierend bezeichnete und nicht notwendig akute – Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen einhergehenden Lebenssituation besteht, auf deren Beseitigung oder Minderung das fragliche Gesetz zielt.[11]
Auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge hat der Bund das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht (Art. 72 Abs. 2 GG).
Rechtsschutz
Für die meisten Streitigkeiten über Sozialleistungen sind die Sozialgerichte zuständig (§ 51 SGG), für bestimmte Leistungen wie etwa das Wohngeld oder das BAföG auch die Verwaltungsgerichte oder die Finanzgerichte für das Kindergeld (§ 54 BAFöG, § 33 FGO).
Je nach Rechtsschutzziel kann die Aufhebung eines Bescheids (Anfechtungsklage) oder die Verurteilung zu dessen Erlass (Verpflichtungsklage) beantragt werden (§ 54 SGG). Vor Klageerhebung muss meistens ein Vorverfahren durchgeführt werden (§ 78SGG). Möglich sind auch bestimmte gerichtliche Feststellungen wie die Feststellung, welcher Versicherungsträger in einer bestimmten Angelegenheit zuständig ist (§ 55 SGG) sowie bei Eilbedürftigkeit eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz (§ 86a und § 86b SGG).
Vor den Sozialgerichten und den Landessozialgerichten brauchen sich die Versicherten nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen (§ 73 Abs. 1 SGG), sie haben jedoch das Recht dazu. Eine Vertretung ist erst vor dem Bundessozialgericht erforderlich (§ 73 Abs. 4 SGG). Die Vertretung dürfen dort auch Sozialverbände oder Gewerkschaften übernehmen, nicht hingegen Rentenberater.
Stellt sich nach einem Überprüfungsantrag heraus, dass Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht wurden, so können sie noch für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren rückwirkend erbracht werden (§ 44 SGB X), verzinslich zu 4 % p. a. (§ 44 SGB I).[12] Diese Zinsen sind steuerrechtlich Einkünfte aus Kapitalvermögen, unabhängig davon, wie die Sozialleistung selbst steuerrechtlich behandelt wird.[13]
Bei bestimmten Pflichtverletzungen, insbesondere von Beratungs- und Auskunftspflichten, kann der Versicherungsträger im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zur Kompensation verpflichtet sein.
Siehe auch
Weblinks
- Überblick zur sozialen Sicherung in Deutschland auf der Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
- Statistisches Bundesamt - Beiträge zum Thema "Sozialleistungen" aus der Monatszeitschrift "Wirtschaft und Statistik"
- Social Security Programs Throughout the World Übersicht über die Sozialsysteme weltweit in englischer Sprache.
Einzelnachweise
- Eurostat 2011
- Sozialleistungsquoten in ausgewählten EU-Ländern 2003 und 2013 in % des BIP Eurostat 2015
- Sozialschutz im Jahr in 2016: Anteil des EU-BIP, der für Sozialschutz ausgegeben wird, leicht gesunken. Höchste Anteile in Frankreich, Finnland und Dänemark eurostat, Pressemitteilung vom 12. Dezember 2018.
- BSG, Urteil vom 6. August 2014 - B 11 AL 7/13 R
- Glossar:Sozialleistungen eurostat, abgerufen am 26. Juni 2020.
- §§ 18 ff. SGB I
- Jan-Erik Schenkel: Sozialversicherung und Grundgesetz. Die Gesetzgebungskompetenz für die Sozialversicherung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) und ihre Bedeutung für die Gestaltung der Sozialsysteme. Duncker & Humblot, Berlin 2008. ISBN 978-3-428-12700-9. Inhaltsübersicht
- BVerfG, Urteil vom 3. April 2001 - 1 BvR 2014/95 Rdnr. 70 (zur Schaffung der sozialen Pflegeversicherung als eines neuen Zweigs der Sozialversicherung).
- Ingwer Ebsen: Föderalismus und Sozialversicherung GGW 2005, S. 7–14.
- Hans-Jürgen Papier: Mindestsicherungselemente im System der Alterssicherung: Spielräume und Grenzen aus verfassungsrechtlicher Sicht Deutsche Rentenversicherung, Heft 1, März 2019, S. 1–7.
- BVerfG, Urteil vom 21. Juli 2015 - 1 BvF 2/13 Rdnr. 29 (zum Betreuungsgeldgesetz).
- vgl. BSG, Urteil vom 17. November 1981 - 9 RV 26/81
- BFH, Urteil vom 9. Juni 2015 - AZ VIII R 18/12