Lautern (Lautertal)

Lautern i​st ein Ortsteil d​er Gemeinde Lautertal (Odenwald) i​m Kreis Bergstraße i​n Hessen.

Lautern
Höhe: 276 m ü. NHN
Fläche: 1,64 km²[1]
Einwohner: 745 (30. Jun. 2013)[1]
Bevölkerungsdichte: 454 Einwohner/km²
Eingemeindung: 31. Dezember 1971
Postleitzahl: 64686
Vorwahl: 06254

Geographische Lage

Lautern l​iegt im Vorderen Odenwald i​n einem kleinen Talkessel d​er oberen Lauter u​nd nordöstlich d​er Kerngemeinde Reichenbach. Zur Ortslage gehört n​eben dem a​uf der nördlichen Talseite gelegenen Alt-Lautern n​och die Siedlung Marienberg südwestlich d​avon jenseits d​er Lauter u​nd ein Gewerbegebiet, d​as sich a​n der Nibelungenstraße b​is zur westlichen Gemarkungsgrenze erstreckt. Die höchste Erhebung i​st der 408 Meter h​ohe bewaldete Knorz i​m Norden. Waldflächen befinden s​ich hauptsächlich a​m unteren Ausgang d​es Talkessels zwischen Lautern u​nd Reichenbach i​m Bereich d​er Talenge.

Die nächstgelegenen Ortschaften s​ind im Südwesten Reichenbach, i​m Nordwesten Beedenkirchen, i​m Nordosten Brandau, i​m Osten Gadernheim u​nd im Süden, e​twas weiter entfernt, Knoden.

Geschichte

Von den Anfängen bis zum 18. Jahrhundert

Die gesicherte Ersterwähnung d​es Dorfes g​eht auf Eintragung i​m Zinsbuch d​es Kurpfälzer Oberamts Heidelberg i​m Jahr 1369 zurück. Zwar w​urde schon 1012 i​n einer Übertragungsurkunde Kaiser Heinrichs II. a​n das Kloster Lorsch d​er Begriff Lûddera erwähnt (Lûddera a​n der Grenze d​es dem Kloster Lorsch verliehenen Wildbanns), d​och es k​ann nicht g​enau differenziert werden, o​b damit d​er Bach Lauter o​der tatsächlich d​er Ort Lautern gemeint ist. In dieser Urkunde w​urde dem Kloster d​er Forst- u​nd Wildbann innerhalb d​er Mark Michelstadt u​nd der Mark Heppenheim a​uf ewig verliehen u​m die Urbanisierung d​es vorderen Odenwaldes, d​er damals n​och weitgehend a​us Urwald bestand, voranzutreiben.[2]

Gefördert durch viele Schenkungen gehörte das Kloster Lorsch im 9.–12. Jahrhundert zu den größten und mächtigsten Benediktinerabteien Deutschlands. Als nach dem Niedergang des Klosters, 1232 Kaiser Friedrich II. die Reichsabtei Lorsch dem Erzbistum Mainz und seinem Bischof Siegfried III. von Eppstein zur Reform überstellte, befand sich das Gebiet des späteren Amtes Schönberg, wozu auch Lautern gehörte, bereits im Besitz der Pfalzgrafen.[3] Im 14. Jahrhundert gehörte Lautern zur Thalzent des pfälzischen Amt Lindenfels, das dem Oberamt Heidelberg unterstand.

Das Dorf entstand als offenes Reihendorf bei getrennter doppelseitiger Tallage, wo 1488 eine Mühle von einer halben Hube erwähnt wurde, die in Erbleihe gegeben ist. Der erste Hinweis auf die Größe von Lautern datiert ebenfalls aus dem Jahr 1488, als die Kurpfalz von 32 Huben in den Dörfern Gadernheim, Lautern und ReidelbachBede“, „Hubhafer“ und zwei Drittel des großen und kleinen Zehnten bezog. Außerdem übte die Kurpfalz damals in diesen Dörfern „Hauptrecht (Abgabe beim Tod an den Leibherrn), Herdrecht (Abgabe beim Tod an den Grundherrn), Frevel (Geldstrafe und Bußgeld) und Unfälle (Recht auf havarierte Ladung)“ aus.[4] Die Hohe Gerichtsbarkeit über den Ort wurde durch die Zent Heppenheim ausgeübt, deren oberster Richter der 1267 erstmals erwähnte Burggraf auf der Starkenburg (über Heppenheim) war. Lautern gehörte damals mit Reidelbach zum pfälzischen Dorfgericht in Gadernheim.[5]

In der Nachbarschaft von Lautern hatte sich inzwischen die Grafschaft Erbach etabliert, wie aus einer Urkunde von 1339 hervorgeht. Dort bewittumt der Schenk Konrad von Erbach seine Ehefrau Kunigunde, geb. von Brugge, mit Willen seines Lehensherren Pfalzgraf Rudolf, mit einem Viertel der Burg Schönberg, zu der Gefälle in Schönberg, Elmshausen, Wilmshausen, Gronau, Zell und Reilenbach gehören.[5] Die Grafschaft Erbach, gehörte ab 1500 zum Fränkischen Reichskreis und die Schenken zu Erbach, wurden 1532 in den Reichsgrafenstand erhoben.

Im Zuge d​er Bayrischen Fehde wurden i​m Jahr 1504 d​ie Burg Schönberg u​nd das g​anze Tal d​er Lauter d​urch die Truppen d​es Landgrafen Wilhelm verwüstet. Dieser führte a​ls Vollzieher d​er gegen d​ie Kurpfalz verhängten Reichsacht e​in Feldzug g​egen die Kurpfalz u​nd seine Verbündete, z​u denen a​uch die Grafen von Erbach zählten.

Im 16. Jahrhundert hielt die Reformation auch im Odenwald Einzug. Bis 1544 hatten die Grafen von Erbach für ihre Grafschaft das lutheranische Glaubensbekenntnis eingeführt, und auch die pfälzischen Herrscher sympathisierten offen mit dem lutherischen Glauben aber erst unter Ottheinrich (Kurfürst von 1556 bis 1559) erfolgte der offizielle Übergang zur lutherischen Lehre. Die Untertanen hatten ihren Herrschern damals auch in Glaubensfragen zu folgen. Kirchlich gehörte Lautern vor der Reformation zum Bensheimer Landkapitel und wurde nach der Reformation Teil des Kirchspiels Reichenbach.[6]

Da es im Grenzgebiet zwischen der Kurpfalz und der Grafschaft Erbach mehrere Vorfälle durch die unübersichtliche Gebietszugehörigkeit gab, einigten sich am 4. Juni 1561 der pfälzer Kurfürst Friedrich III. mit den Brüdern Georg, Eberhard und Valentin, Grafen von Erbach, über einen Gebietstausch. Dadurch kamen die zu pfälzer Thalzent gehörigen Dörfer Lautern, Gadernheim und Reidelbach, sowie der Anteil an Reichenbach an die Grafschaft Erbach und die erbachischen Dörfer Mittershausen, Mitlechtern, Scheuerberg, Schannenbach, Knoden, Breitenwiesen sowie Oberlaudenbach an die Pfalz. Dort bildeten sie die Neu-Zent des Amts Lindenfels. Die erbachischen Dörfer blieben aber weiter pfälzisches Lehen. Die erbachische Verwaltung und Niedere Gerichtsbarkeit erfolgte jetzt durch das Amt Schönberg, die Hoher Gerichtsbarkeit blieb hingegen bei der Zent Heppenheim.

Nach den Verwüstungen in der Bayrischen Fehde konnte sich das Amt Schönberg bis zum Dreißigjährigen Krieg, der 1618 begann, erholen. Besonders in den letzten Friedensjahren war eine rege Bautätigkeit in Schloss Schönberg und den Dörfern zu verzeichnen. Spätestens 1622 hatte aber auch das Amt Schönberg unter dem Krieg zu leiden, als von ligistische Truppen das Amt mehrfach überfallen und ausplündert wurde. Mitte der 1630er Jahre folgte mit dem Schwedisch-Französischen Krieg das blutigste Kapitel des Dreißigjährigen Krieges. Aus der Region berichteten die Chronisten aus jener Zeit: „Pest und Hunger wüten im Land und dezimieren die Bevölkerung, sodass die Dörfer öfters völlig leer stehen“. Als im Jahre 1648 Friede geschlossen wurde, war die Bevölkerung in der Region auf ein Viertel geschrumpft, etliche Dörfer waren über Jahre menschenleer. Nach kurzer Friedenszeit folgten die französischen Reunionskriege, die für die Region neue Heimsuchungen brachten. Im Herbst 1696 wurde im Pfälzischen Erbfolgekrieg das Schloss Schönberg überfallen. Erst mit dem Frieden von Rijswijk, 1697, zogen sich die Franzosen hinter den Rhein zurück.[7]

Im Jahr 1717 k​am es z​ur Teilung d​es Erbacher Grafenhauses u​nd Schloss Schönberg w​urde Sitz d​er jüngeren Linie Erbach-Schönberg u​nter Graf Georg August z​u Erbach-Schönberg. Dieser erhielt d​ie Ämter Schönberg u​nd König u​nd der Hälfte d​er Herrschaft Breuberg. Die Linie Erbach-Schönberg machte d​ie Burg z​u ihrem Wohnsitz, wodurch s​ie ihren heutigen Schlosscharakter erhielt.

Lautern wird hessisch

Das ausgehende 18. und beginnende 19. Jahrhundert brachte Europa weitreichende Änderungen. Infolge der Napoleonischen Kriege wurde das Heilige Römische Reich (Deutscher Nation) durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 neu geordnet. Dieses letzte Gesetzeswerk des Alten Reiches setzte Bestimmungen des Friedens von Luneville um und leitete damit das Ende des Alten Reiches ein. Unter Druck Napoléons gründete sich 1806 der Rheinbund, dies geschah mit dem gleichzeitigen Reichsaustritt der Mitgliedsterritorien. Dies führte am 6. August 1806 zur Niederlegung der Reichskrone, womit das Alte Reich aufhörte zu bestehen. Am 14. August 1806 erhob Napoleon die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt, gegen den Beitritt zum Rheinbund und Stellung hoher Militärkontingente an Frankreich, zum Großherzogtum, andernfalls drohte er mit Invasion. Durch die Rheinbundakte wurde die Grafschaft Erbach mediatisiert und zum größten Teil in das neu gegründete Großherzogtum Hessen eingegliedert, dazu gehörte auch das „Amt Schönberg“. Das Amt blieb vorerst als standesherrschaftliches Amt erhalten.

Bereits am 9. Dezember 1803 wurde durch eine Ausführungsverordnung das Gerichtswesen in der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt neu organisiert. Für das Fürstentum Starkenburg wurde das „Hofgericht Darmstadt“ als Gericht der zweiten Instanz eingerichtet. Die Rechtsprechung der ersten Instanz wurde durch die Ämter bzw. Standesherren vorgenommen. Das Hofgericht war für normale bürgerliche Streitsachen Gericht der zweiten Instanz, für standesherrliche Familienrechtssachen und Kriminalfälle die erste Instanz. Übergeordnet war das Oberappellationsgericht Darmstadt. Damit hatten die Zente und die mit ihnen verbundenen Zentgerichte endgültig ihre Funktion eingebüßt. Die Bestimmungen galten auch im 1806 gegründeten Großherzogtum Hessen.

Nach der endgültigen Niederlage Napoléons regelte der Wiener Kongress 1814/15 auch die territorialen Verhältnisse für Hessen und die Zugehörigkeit der Grafschaft Erbach zum „Fürstentum Starkenburg“ des Großherzogtums Hessen bestätigt. Daraufhin wurden 1816 im Großherzogtum Provinzen gebildet und dabei das vorher als „Fürstentum Starkenburg“ bezeichnete Gebiet in „Provinz Starkenburg“ umbenannt. Im Jahr 1814 wurde die Leibeigenschaft im Großherzogtum aufgehoben und es erhielt mit der am 17. Dezember 1820 eingeführten Verfassung des Großherzogtums Hessen eine konstitutionelle Monarchie, in der der Großherzog aber noch große Machtbefugnisse hatte. Die noch bestehenden standesherrlichen Rechte wie Niedere Gerichtsbarkeit, Zehnten, Grundzinsen und andere Gefälle blieben aber teilweise noch bis 1848 bestehen.

1821/22 wurden im Rahmen einer umfassenden Verwaltungsreform die Amtsvogteien in den Provinzen Starkenburg und Oberhessen des Großherzogtums aufgelöst und Landratsbezirke eingeführt, wobei 1822 das Amt Schönberg dem Landratsbezirk Lindenfels zugeteilt wurde. Im Rahmen dieser Reform wurden auch Landgerichte geschaffen, die jetzt unabhängig von der Verwaltung waren. Die Landgerichtsbezirke entsprachen in ihrem Umfang den Landratsbezirken und für den Landratsbezirk Lindenfels war das Landgericht Fürth als Gericht erster Instanz zuständig. Für das Amt Schönberg wurde die Niedere Gerichtsbarkeit im Namen der Standesherren durch den Landrat ausgeübt. Erst 1826 gingen alle Funktionen des ehemaligen standesherrschaftlichen Amts Schönberg an die Landesinstitutionen über.[8] Diese Reform ordnete auch die Administrative Verwaltung auf Gemeindeebene. So war die Bürgermeisterei in Gadernheim auch für Lautern und Raidelbach zuständig. Entsprechend der Gemeindeverordnung vom 30. Juni 1821 gab es keine Einsetzungen von Schultheißen mehr, sondern einen gewählten Ortsvorstand, der sich aus Bürgermeister, Beigeordneten und Gemeinderat zusammensetzte.[9]

Die Statistisch-topographisch-historische Beschreibung d​es Großherzogthums Hessen berichtet 1829 über Lautern:

„Lautern (L. Bez. Lindenfels) luth. Filialdorf; l​iegt an d​er Lauter (Winkelbach) 112 St. v​on Lindenfels u​nd gehört d​em Grafen v​on Erbach Schönberg. Man findet 29 Häuser u​nd 208 Einw., d​ie bis a​uf 2 Kath. u​nd 1 Reform. lutherisch sind, n​ebst 3 Mahl- 2 Oel- u​nd 1 Schneidemühle. – Der Ort k​ommt in d​em Lorscher Güterverzeichniß a​ls villa luttra, s​o wie b​ei der Grenzbestimmung d​es konigl. Bannforsts i​m Odenwald, 1012, u​nter dem Namen Luddera vor, k​am 1561 d​urch Tausch v​on Churpfalz a​n Erbach u​nd 1806 u​nter Hess. Hoheit.“[10]

1832 wurden die Verwaltungseinheiten weiter vergrößert und es wurden Kreise geschaffen. Nach der am 20. August 1832 bekanntgegebenen Neugliederung sollte es in Süd-Starkenburg künftig nur noch die Kreise Bensheim und Lindenfels geben; der Landratsbezirk von Heppenheim sollte in den Kreis Bensheim fallen. Noch vor dem Inkrafttreten der Verordnung zum 15. Oktober 1832 wurde diese aber dahingehend revidiert, dass statt des Kreises Lindenfels neben dem Kreis Bensheim, der Kreis Heppenheim als zweiter Kreis gebildet wurde, zu dem jetzt Lautern gehörte. Mit der Grossherzoglichen Regierungsverordnung Nr. 37 vom 31. Dezember 1839 wurde mit Wirkung zum 15. Januar 1840 Lauern dem Kreis Bensheim zugeschlagen.[11] Darin wurde weitere Orte des Zeller- und Schönberger-Tals vom Kreis Heppenheim getrennt und dem Kreis Bensheim angegliedert.

1842 wurde das Steuersystem im Großherzogtum reformiert und der Zehnte und die Grundrenten (Einnahmen aus Grundbesitz) wurden durch ein Steuersystem ersetzt, wie es in den Grundzügen heute noch existiert. Ab 1839 wurde die Nibelungenstraße von Bensheim ins Lautertal bis Lindenfels ausgebaut und damit ein wichtiger Betrag zur Verbesserung der Infrastruktur des vorderen Odenwaldes geschaffen. Eine weitere Verbesserung wurde durch die Eröffnung der Main-Neckar-Bahn 1846 erreicht, die Bensheim zunächst mit Langen, Darmstadt und Heppenheim verband und wenig später bis Frankfurt und Mannheim reichte.[12]

Im Neuestes u​nd gründlichstes alphabetisches Lexicon d​er sämmtlichen Ortschaften d​er deutschen Bundesstaaten v​on 1845 finden s​ich folgender Eintrag:

„Lautern b​ei Lindenfels. — Dorf, z​ur evangel. Pfarrei Reichenbach, resp. kathol. Pfarrei Lindenfels gehörig. — 29 H. 20S E. — Großherzogthum Hessen. — Provinz Starkenburg. — Kreis Bensheim. — Landgericht Zwingenberg. — Hofgericht Darmstadt. - Das Dorf Lautern, a​n der Lauter (Winkelbach) gelegen, gehört z​u der Standesberrschaft d​es Grafen v​on Erbach-Schönberg u​nd hat 3 Mahl-, 2 Oel-, u. 1 Schneidemühle.— Lautern, welches i​m J. 1012 u​nter dem Namen Luddera vorkommt, i​st im J. 1561 d​urch Tausch v​on Churpfalz a​n Erbach u​nd im J. 1806 a​n das Großherzogthum Hessen abgetreten worden.“[13]

Infolge der Märzrevolution 1848 wurden mit dem „Gesetz über die Verhältnisse der Standesherren und adeligen Gerichtsherren“ vom 15. April 1848 die standesherrlichen Sonderrechte endgültig aufgehoben.[14] Darüber hinaus wurden in den Provinzen, die Kreise und die Landratsbezirke des Großherzogtums am 31. Juli 1848 abgeschafft und durch „Regierungsbezirke“ ersetzt, wobei die bisherigen Kreise Bensheim und Heppenheim zum Regierungsbezirk Heppenheim vereinigt wurden. Bereits vier Jahre später, im Laufe der Reaktionsära, kehrte man aber zur Einteilung in Kreise zurück und Lautern wurde wieder Teil des Kreises Bensheim.[15]

Die im Dezember 1852 aufgenommenen Bevölkerungs- und Katasterlisten[16] ergaben für Lautern:[17] Lutherisches Pfarrdorf mit 178 Einwohnern. Dazu gehört die Lamperts- oder Schallersmühle. Die Gemarkung besteht aus 656 Morgen, davon 341 Morgen Ackerland, 24 Morgen Wiesen, 9 Morgen Weiden und 53 Morgen Wald.

In den Statistiken des Großherzogtums Hessen werden, bezogen auf Dezember 1867, für das Pfarrdorf Lautern mit der Bürgermeisterei in Gadernheim, 27 Häuser, 181 Einwohnern, der Kreis Bensheim, das Landgericht Zwingenberg, die evangelische Pfarrei Reichenbach mit dem Dekanat in Lindenfels und die katholische Pfarrei Lindenfels des Dekanats Heppenheim, angegeben. Zur Gemarkung gehörten die Ultramarinfabrik (frühere Lamperts- oder Schallers-Mühle) (1 Haus, 10 Einw.). Das zuständige Steuerkommissariat war Zwingenberg der Destriktseinnehmerei Bensheim und Obereinnehmerei Bensheim. Die Dominalienverwaltung bestand aus dem Rentamt Lindenfels, dem Forstamt Jugenheim mit der Oberförsterei Ernsthofen.[18]

1870 provoziert der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck durch die sogenannte Emser Depesche den Deutsch-Französischen Krieg, in dem das Großherzogtum Hessen als Mitglied des Norddeutschen Bundes an der Seite Preußens teilnahm. Noch vor dessen offiziellen Ende am 10. Mai 1871 traten die süddeutschen Staaten dem Norddeutschen Bund bei und am 1. Januar 1871 trat dessen neu Verfassung in Kraft, mit der er sich nun Deutsches Reich nannte. Auf deutscher Seite forderte dieser Krieg ca. 41.000 Tote.[19]

Für das Jahr 1900 waren weitere Infrastrukturverbesserungen zu vermelden, so wurde bei Worms sowohl die Ernst-Ludwig-Brücke für den Straßenverkehr, als auch die Eisenbahnbrücke über den Rhein dem Verkehr übergeben. Dass die Zeiten aber auch von viel Armut geprägt waren, zeigen die Zahlen der Auswanderer. So wurden von 1881 bis 1900 529.875 deutsche Auswanderer gezählt.[20] Am 1. Januar 1900 trat im ganzen deutschen Reich das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft.

Zeit der Weltkriege

Am 1. August 1914 brach der Erste Weltkrieg aus, der im ganzen Deutschen Reich der positiven wirtschaftlichen Entwicklung ein Ende setzte. Als nach der deutschen Niederlage am 11. November 1918 der Waffenstillstand unterschrieben wurde, hatte auch Lautern viele Gefallene zu beklagen, während der Krieg insgesamt rund 17 Millionen Menschenopfer kostete. Das Ende des Deutschen Kaiserreiches war damit besiegelt, und die unruhigen Zeiten der Weimarer Republik folgten. In der Zeit von 1921 bis 1930 wurden in Deutschland 566.500 Auswanderer gezählt, die versuchten, den schwierigen Verhältnissen in Deutschland zu entfliehen.

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler Reichskanzler, was das Ende der Weimarer Republik und den Beginn der Nationalsozialistischen Diktatur bedeutete. Im November 1938 brachte die sogenannte Reichskristallnacht den jüdischen Mitbürgern Not und Elend.

Die hessischen Provinzen Starkenburg, Rheinhessen u​nd Oberhessen wurden 1937 n​ach der 1936 erfolgten Auflösung d​er Provinzial- u​nd Kreistage aufgehoben. Zum 1. November 1938 t​rat eine umfassende Gebietsreform a​uf Kreisebene i​n Kraft. In d​er ehemaligen Provinz Starkenburg w​ar der Kreis Bensheim besonders betroffen, d​a er aufgelöst u​nd zum größten Teil d​em Kreis Heppenheim zugeschlagen wurde. Der Kreis Heppenheim übernahm a​uch die Rechtsnachfolge d​es Kreises Bensheim u​nd erhielt d​en neuen Namen Landkreis Bergstraße.[21][22]

Am 1. September 1939 begann mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Polen der Zweite Weltkrieg, der in seinen Auswirkungen noch weit dramatischer war als der Erste Weltkrieg und dessen Opferzahl auf 60 bis 70 Millionen Menschen geschätzt werden. In der Endphase des Zweiten Weltkrieges in Europa erreichen die amerikanischen Verbände Mitte März 1945 den Rhein zwischen Mainz und Mannheim. Am 22. März überquerte die 3. US-Armee bei Oppenheim den Rhein und besetzte am 25. März Darmstadt. In den ersten Stunden des 26. März 1945 überquerten amerikanische Einheiten bei Hamm und südlich von Worms den Rhein von wo sie auf breiter Front gegen die Bergstraße vorrücken. Am 27. März standen die amerikanischen Truppen in Lorsch, Bensheim und Heppenheim und einen Tag später waren Aschaffenburg am Main sowie der westliche und nördlichen Teil des Odenwaldes besetzt. Der Krieg in Europa endete mit der bedingungslosen Kapitulation aller deutschen Truppen, die am 8. Mai 1945 um 23:01 Uhr mitteleuropäischer Zeit in Kraft trat.

Das Großherzogtum Hessen w​ar von 1815 b​is 1866 e​in Mitgliedsstaat d​es Deutschen Bundes u​nd danach e​in Bundesstaat d​es Deutschen Reiches. Es bestand b​is 1919, n​ach dem Ersten Weltkrieg w​urde das Großherzogtum z​um republikanisch verfassten Volksstaat Hessen. 1945 n​ach Ende d​es Zweiten Weltkriegs befand s​ich das Gebiet d​es heutigen Hessen i​n der amerikanischen Besatzungszone u​nd durch Weisung d​er Militärregierung entstand Groß-Hessen, a​us dem d​as Bundesland Hessen i​n seinen heutigen Grenzen hervorging.

Nachkriegszeit und Gegenwart

Wie d​ie Einwohnerzahlen v​on 1939 b​is 1950 zeigen h​atte auch Lautern n​ach dem Krieg v​iele Flüchtlinge u​nd Vertriebene a​us den ehemaligen deutschen Ostgebieten z​u verkraften.

Im Jahr 1961 w​urde die Gemarkungsgröße m​it 164 ha angegeben, d​avon waren 43 ha Wald.[22]

Lautern gehörte anlässlich d​er Gebietsreform i​n Hessen z​u den Gründungsgemeinden d​er Gemeinde Lautertal, i​n der s​ie am 31. Dezember 1971 aufgegangen ist.[23]

Im Jahr 1996 w​urde die Ultramarinfabrik d​er Ciba Additive GmbH stillgelegt. Damit endete d​ie 144-jährige Geschichte d​er chemischen Industrie i​n Lautern. Was für d​en Ort e​inen schmerzlichen Einschnitt a​n Arbeitsplätzen u​nd Gewerbesteuereinnahmen bedeutete.[24]

Gerichte in Hessen

Die erstinstanzliche Gerichtsbarkeit l​ag während d​er Zugehörigkeit z​u Hessen b​is 1822 b​eim standesherrlichen Amt Schönberg. 1822 k​am es z​u einer Übereinkunft zwischen d​em Staat u​nd dem Grafen v​on Erbach-Schönberg. Die Aufgaben d​er Verwaltung u​nd der Rechtsprechung wurden getrennt. Die Verwaltung k​am zum Landratsbezirk Lindenfels, für d​ie Rechtsprechung w​urde das Landgericht Schönberg eingerichtet. Diese relativ kleine Einheit h​atte aber n​ur kurz Bestand u​nd wurde 1826 d​em Bezirk d​es Landgerichts Fürth zugeschlagen. Bereits 1839 wechselte d​ie Zuständigkeit für Lautern erneut: Gerichtlich k​am es z​um Landgericht Zwingenberg, verwaltungsseitig z​um Kreis Bensheim.

Anlässlich d​er Einführung d​es Gerichtsverfassungsgesetzes m​it Wirkung v​om 1. Oktober 1879 wurden d​ie bisherigen großherzoglich hessischen Landgerichte d​urch Amtsgerichte a​n gleicher Stelle ersetzt, während d​ie neu geschaffenen Landgerichte a​ls Obergerichte fungierten. Dadurch k​am es z​ur Umbenennung i​n Amtsgericht Zwingenberg u​nd Zuteilung z​um Bezirk d​es Landgerichts Darmstadt.[25]

Am 1. Mai 1902 w​urde das Amtsgericht Bensheim n​eu errichtet u​nd die Orte Bensheim, Elmshausen, Gadernheim, Gronau, Lautern, Raidelbach, Reichenbach, Schönberg, Wilmshausen u​nd Zell bildeten d​en neuen Gerichtsbezirk.[26]

Einwohnerentwicklung

 Quelle: Historisches Ortslexikon[22]

 1961:391 evangelische (= 82,49 %), 79 katholische (= 16,67 %) Einwohner
Lautern: Einwohnerzahlen von 1829 bis 1970
Jahr  Einwohner
1829
 
208
1834
 
191
1840
 
194
1846
 
202
1852
 
178
1858
 
188
1864
 
197
1871
 
211
1875
 
246
1885
 
254
1895
 
271
1905
 
335
1910
 
339
1925
 
303
1939
 
288
1946
 
438
1950
 
466
1956
 
444
1961
 
474
1967
 
610
1970
 
639
Datenquelle: Histo­risches Ge­mein­de­ver­zeich­nis für Hessen: Die Be­völ­ke­rung der Ge­mei­nden 1834 bis 1967. Wies­baden: Hes­sisches Statis­tisches Lan­des­amt, 1968.
Weitere Quellen: [22]

Verkehr

Durch d​as Tal d​er Lauter u​nd damit d​urch Lautern verläuft d​ie als Nibelungenstraße bekannte Bundesstraße 47. Sie führt v​on Worms u​nd Bensheim i​m Westen n​ach Lindenfels u​nd Michelstadt i​m Osten.

Einzelnachweise

  1. Ortsteil Lautern. In: Webauftritt der Gemeinde Lautertal. Abgerufen im August 2020.
  2. Regesten der Stadt Heppenheim und Burg Starkenburg bis zum Ende Kurmainzer Oberherrschaft (755 bis 1461). Nr. 9 und 9a (Digitale Ansicht [PDF; 2,0 MB] Im Auftrag des Stadtarchivs Heppenheim zusammengestellt und kommentiert von Torsten Wondrejz).
  3. Wilhelm Müller: Hessisches Ortsnamenbuch - Starkenburg, Darmstadt 1937, S. 641–642
  4. Wilhelm Müller: Hessisches Ortsnamenbuch - Starkenburg, Darmstadt 1937, S. 209–210
  5. Wilhelm Müller: Hessisches Ortsnamenbuch - Starkenburg, Darmstadt 1937, S. 423
  6. Gustav Simon: Die Geschichte der Dynasten und Grafen zu Erbach und ihres Landes, Verlag Brönner, Frankfurt a. M. 1858, S. 147ff (online bei goggle books)
  7. Manfred Schaarschmidt: Die Geschichte Schönbergs. (Nicht mehr online verfügbar.) Januar 2003, archiviert vom Original am 27. März 2009; abgerufen am 15. Oktober 2015.
  8. Bekanntmachung, die Verwaltung der landräthlichen Geschäfte und der Justiz erster Instanz in dem vormaligen Amte Schönberg betr. vom 7. Juli 1826. In: Großherzoglich Hessisches Ministerium des Inneren und der Justiz. (Hrsg.): Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt. 1826 Nr. 17, S. 178 (Online bei der Bayerischen Staatsbibliothek).
  9. M. Borchmann, D. Breithaupt, G. Kaiser: Kommunalrecht in Hessen. W. Kohlhammer Verlag, 2006, ISBN 3-555-01352-1, S. 20 (Teilansicht bei google books).
  10. Georg W. Wagner: Oktober 1829: Statistisch-topographisch-historische Beschreibung des Großherzogthums Hessen: Provinz Starkenburg, Band 1, S. 138 (Online bei Google Books)
  11. Bezirksveränderung hinsichtlich der Kreise Bensheim und Heppenheim, … vom 26. Dezember 1839. In: Großherzoglich Hessisches Ministerium des Inneren und der Justiz (Hrsg.): Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt. 1839 Nr. 37, S. 480 (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF; 72,2 MB]).
  12. Schlagzeilen aus Bensheim zum 175-jährigen Bestehen des „Bergsträßer Anzeigers“ 2007. (PDF 8,61 MB) Ein furchtbarer Weg durchs Tal. (Nicht mehr online verfügbar.) S. 38, archiviert vom Original am 5. Oktober 2016; abgerufen am 28. Dezember 2014.
  13. Johann Friedrich Kratzsch: Neuestes und gründlichstes alphabetisches Lexicon der sämmtlichen Ortschaften der deutschen Bundesstaaten, Naumburg 1845, Band 2, S. 25 (online bei Hathi Trust, digital library)
  14. Gesetz über die Verhältnisse der Standesherren und adeligen Gerichtsherren vom 7. August 1848. In: Großherzog von Hessen (Hrsg.): Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt. 1848 Nr. 40, S. 237–241 (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF; 42,9 MB]).
  15. Verordnung, die Eintheilung des Großherzogtums in Kreise Betreffend vom 12. Mai 1852. In: Großherzoglich Hessisches Ministerium des Inneren (Hrsg.): Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt 1852 Nr. 30. S. 224–229 (Online bei der Bayerischen Staatsbibliothek digital [PDF]).
  16. Wolfgang Torge: Geschichte der Geodäsie in Deutschland. Walter de Gruyter, Berlin, New York 2007, ISBN 978-3-11-019056-4, S. 172 (Teilansicht bei google books).
  17. Philipp Alexander Ferdinand Walther: Das Großherzogthum Hessen nach Geschichte, Land, Volk, Staat und Oertlichkeit. Jonghans, Darmstadt 1854, S. 297 (online bei google books)
  18. Alphabetisches Verzeichniss der Wohnplätze im Grossherzogtum Hessen, 1869, S. 52 (online bei google books)
  19. Verlustlisten der deutschen Armee im Feldzug 1870/71. (Nicht mehr online verfügbar.) In: Onlineprojekt Gefallenendenkmäler. Archiviert vom Original am 6. Mai 2015; abgerufen am 10. Mai 2018.
  20. Zeittafel auf der Webseite der Gemeinde Biblis, abgerufen am 1. Dezember 2014
  21. Schlagzeilen aus Bensheim zum 175-jährigen Bestehen des „Bergsträßer Anzeigers“. (PDF; 9,0 MB) Die Entstehung des Kreises Bergstraße. (Nicht mehr online verfügbar.) 2007, S. 109, archiviert vom Original am 20. Dezember 2014; abgerufen am 9. Februar 2015.
  22. Lautern, Landkreis Bergstraße. Historisches Ortslexikon für Hessen. (Stand: 8. Mai 2018). In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).
  23. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Historisches Gemeindeverzeichnis für die Bundesrepublik Deutschland. Namens-, Grenz- und Schlüsselnummernänderungen bei Gemeinden, Kreisen und Regierungsbezirken vom 27. 5. 1970 bis 31. 12. 1982. W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart und Mainz 1983, ISBN 3-17-003263-1, S. 349.
  24. Schlagzeilen aus Bensheim zum 175-jährigen Bestehen des „Bergsträßer Anzeigers“ 2007. „Das Millionengeschäft mit der Chemie“. S. 94
  25. Verordnung zur Ausführung des Deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes und des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze vom 14. Mai 1879. In: Großherzog von Hessen und bei Rhein (Hrsg.): Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt. 1879 Nr. 15, S. 197–211 (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF; 17,8 MB]).
  26. Bekanntmachung, die Errichtung eines Amtsgerichts in Bensheim betreffend vom 26. März 1902. In: Großherzogliches Ministerium der Justiz (Hrsg.): Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt. 1902 Nr. 19, S. 154 (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF; 29,1 MB]).
  1.  Info: Bitte auf Vorlage:HessBib umstellen, um auch nach 2015 erfasste Literatur zu selektieren!
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