Angoulême
Angoulême (okzitanisch Engoleime oder Engoulaeme) ist die Hauptstadt des westfranzösischen Départements Charente in der Region Nouvelle-Aquitaine und zählt 41.603 Einwohner (Stand 1. Januar 2019). Die durchschnittliche Höhenlage beträgt 100 Meter über dem Meeresspiegel.
Angoulême | ||
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Staat | Frankreich | |
Region | Nouvelle-Aquitaine | |
Département (Nr.) | Charente (Präfektur) (16) | |
Arrondissement | Angoulême | |
Kanton | Angoulême-1 Angoulême-2 Angoulême-3 | |
Gemeindeverband | Grand Angoulême | |
Koordinaten | 45° 39′ N, 0° 10′ O | |
Höhe | 25–130 m | |
Fläche | 21,70 km² | |
Einwohner | 41.603 (1. Januar 2019) | |
Bevölkerungsdichte | 1.917 Einw./km² | |
Postleitzahl | 16000 | |
INSEE-Code | 16015 | |
Website | angouleme.fr | |
Blick über die Stadt Angoulême |
Angoulême ist durch das Cité internationale de la bande dessinée et de l’image und das Festival international de la bande dessinée als Stadt des Comics bekannt. Die Stadt wurde mit dem staatlichen Prädikat Ville d’art et d’histoire („Stadt der Kunst und der Geschichte“) ausgezeichnet und zieht zahlreiche Touristen an.
Lage
Angoulême liegt auf einem ca. 100 m hohen Hügel oberhalb der Charente auf einer Höhe zwischen 50 und 130 Metern ü. d. M.; die nächste größere Stadt ist das etwa 45 km (Fahrtstrecke) westlich gelegene Cognac.
Bevölkerungsentwicklung
Jahr | 1800 | 1851 | 1901 | 1954 | 1999 | 2018 |
Einwohner | 13.000 | 21.155 | 37.650 | 43.170 | 43.171 | 41.711 |
Der Bevölkerungszuwachs im 19. und 20. Jahrhundert beruht im Wesentlichen auf der Zuwanderung aus den ländlichen Regionen der Umgebung. Nach dem Höchststand in den 1960er Jahren wanderten viele Einwohner wegen der auf dem Lande deutlich niedrigeren Immobilienpreise in die umliegenden Gemeinden ab.
Wirtschaft
Die Stadt war schon immer ein Platz für Handel, Handwerk und Dienstleistungen aller Art. Im 15. und 16. Jahrhundert spielte die Stadt eine wichtige Rolle für den Weinexport nach England sowie nach Holland und in die Städte des Nordens. Gleichzeitig entstanden – bedingt durch den Holz- und Wasserreichtum an der Charente und ihren Nebenflüssen – mehrere Papiermühlen und -manufakturen. Auch die vom 17. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts betriebenen Eisengießereien im Vorort Ruelle-sur-Touvre sind zu nennen. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich die Stadt zu einem Zentrum der französischen Comic- und Trickfilmproduktion.
Geschichte
Bereits in vorrömischer Zeit existierte an der Stelle des heutigen Angoulême ein kleines Oppidum der Gallier auf einem die Charente beherrschenden Bergsporn.[1] Die spätere gallo-römische Siedlung wurde Iculisma (oder Ecolisma) genannt, im 4. Jahrhundert n. Chr. auf Kosten der Santonen zum Hauptort einer eigenen civitas erhoben[2] und der Provinz Aquitania secunda eingegliedert. Eher im 4. als im 3. Jahrhundert wurde sie Sitz eines vom heiligen Ausonius gegründeten Bistums. 419 eroberten die Westgoten die Stadt, denen sie 507 der fränkische König Chlodwig I. entriss und dort eine Kathedrale gründete.[1][3]
Im 9. Jahrhundert plünderten die Normannen Angoulême. In der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts wurde die Stadt der Hauptort des zur Grafschaft erhobenen Angoumois. Die ersten beiden bezeugten Grafen waren Turpion († 863) und dessen Bruder Emenon († 866). Karl der Kahle setzte dann Vulgrin I. († 886) als Grafen von Angoulême ein, der außerdem das Périgord sowie möglicherweise auch die Saintonge und das Agenais besaß. Vulgrin I. konnte die Grafenwürde innerhalb seiner Familie erblich machen. Sein Enkel Guillaume II. († um 945) soll einer Legende zufolge beim Kampf gegen die Wikinger deren Anführer trotz dessen Eisenrüstung mit einem Schwerthieb in zwei Hälften gespalten und deshalb den Beinamen Taillefer (d. h. „Eisenschneider“) erhalten haben. Dieser Beiname wurde dann zum Familiennamen seiner Nachkommen, dem Haus Taillefer, dessen Mitglieder Angoulême bis zum 13. Jahrhundert regierten.[1][4]
In der ausgehenden römischen Kaiserzeit hatte die Umfassungsmauer von Angoulême bloß den zentralen Teil des Plateaus des sich über die Charente erhebenden Hügels eingeschlossen. Die befestigte gräfliche Burg des 11. bis 14. Jahrhunderts befand sich östlich des castrum. Ende des 13. Jahrhunderts fand eine Erweiterung der Stadtmauer nach Südosten statt.[5]
Die ökonomischen Aktivitäten in Angoulême entwickelten sich bis zum 12. Jahrhundert nur wenig weiter. Immerhin lassen sich im 11. Jahrhundert mehrere Münzhandwerker nachweisen. Ein Vorort entstand am Flussufer unweit der Abtei Saint-Cybard, ein weiterer bei L’Houmeau im Zusammenhang mit einem 1280 insbesondere für den Salzhandel errichteten Flusshafen.[5]
Ende des 12. Jahrhunderts eroberte Richard Löwenherz Angoulême dreimal. Die Stadt erhielt 1203 erste Privilegien durch den englischen König Johann Ohneland, der sie im folgenden Jahr nach dem Vorbild von Rouen als Kommune organisierte. Allerdings währte diese Organisationsform nicht lange. 1220 kam die Grafschaft Angoulême durch die Heirat von Isabella mit Hugo X. an das Haus Lusignan. Mit Gui I. († 1308) erlosch die männliche Linie der Taillefer-Lusignan, und der französische König Philipp IV. vereinigte die Grafschaft Angoulême mit der Domaine royal. Sie diente seitdem als Apanage für Angehörige des Königshauses.[5][3]
Im Vertrag von Brétigny (1360) wurden Stadt und Grafschaft an England abgetreten, doch schon 1373 vertrieben die Einwohner selbst die englische Garnison und übergaben ihre Stadt an den Herzog von Berry.[3] Der französische König Karl V. setzte nun die kommunale Selbstverwaltung mit einem Gremium von 100 pairs wieder in Kraft. Diese wählten jährlich zwölf Schöffen sowie einen Zwölferrat und schlugen dem König einen Bewerber für die Funktion des Maire vor.[5] Diese Stadtrechte wurden von den nachfolgenden Königen bestätigt. François de Valois, der zuerst Graf von Angoulême war, bestieg 1515 als Franz I. den französischen Thron und erhob nun die Grafschaft Angoulême zum Herzogtum. Auch ließ er der Stadt Angoulême zahlreiche Gunstbeweise zuteilwerden; so gewährte er u. a. dem Hafen an der Charente Abgabenfreiheit, was den Salzhandel mit der Saintogne förderte.[3]
Von 1527 bis 1530 hielt sich Calvin in Angoulême auf. Die Stadt erlitt während der französischen Religionskriege schwere Zerstörungen, besonders 1568 nach ihrer Eroberung durch protestantische Truppen unter Coligny. 1636 war Angoulême und dessen Umland das Zentrum eines Aufstands der Croquants.[6] Während der sich in der Mitte des 17. Jahrhunderts abspielenden Kriege der Fronde hielt die Stadt dem König die Treue und blieb dafür im Besitz ihre Privilegien, die sie ebenso wie ihre alte städtische Organisation bis 1765 behielt. Im 18. Jahrhundert war Angoulême Hauptstadt der Provinz Angoumois und Sitz eines königlichen Prévôt sowie einer Sénéchaussée.[3]
Sehenswürdigkeiten
Prähistorische Funde zeigt das Musée archéologique. Zu den mittelalterlichen Überresten zählen die denkmalgeschützten Befestigungsanlagen aus dem 12. und 13. Jahrhundert (im 16. und 17. Jahrhundert verändert); von dem früheren Schloss sind am heutigen Rathaus zwei Türme erhalten, der Tour Lusignan (13. Jahrhundert) und der Tour de Valois (15. Jahrhundert). Der ehemalige Bischofspalast (12., 15. und 18. Jahrhundert) beherbergt heute das städtische Museum.
Unter den Sakralbauten sind die Kathedrale St-Pierre hervorzuheben sowie die Kirche St-André (12. und 16. Jahrhundert) und die ehemalige Kapelle der Cordeliers (13.–15. Jahrhundert) sowie der Schlafsaal der Mönche (16. Jahrhundert). Im 19. Jahrhundert errichtete Paul Abadie der Ältere die Kirche St-Jacques, sein gleichnamiger Sohn, Restaurator der Kathedrale, die neoromanische Kirche St-Martial und die neogotische Kirche St-Ausone.
- Kathedrale Saint-Pierre
- Tympanon
- Kapelle Saint-Roch
- Kirche Sacré-Cœur
- Kirche Saint-Jacques de l'Houmeau
- Kirche Saint-Ausone
- Kirche Saint-Cybard
- Kirche Saint-Martial
- Interieur der Kirche Saint-Martial
- Chapelle des Cordeliers
- Lanterne des morts Totenleuchte an der Kirche Saint-André
Sehenswerte Museen sind:
- Musée d’Angoulême
- Musée de la Société archéologique et historique de Charente
- Fonds régional d’Art contemporain (FRAC)
- Musée de la Résistance et de la Déportation (seit 2009 den Archives départementales de la Charente angegliedert)
- Musée du papier
- Centre national de la Bande dessinée et de l’Image
Kathedrale St-Pierre
Die spätromanische Kathedrale St-Pierre (1105–1128), Sitz des römisch-katholischen Bistums Angoulême, wurde in sehr kurzer Zeit errichtet. Sie ist ein Beispiel für die in dieser Region verbreiteten aquitanischen Kuppelkirchen. Diese werden nach dem bedeutendsten, in Périgueux entstandenen Bau dieser Gruppe von Sakralbauten der sogenannten „Périgord-Schule“ zugeordnet. Merkmal dieser typischen Bauform ist die Überwölbung des Langhauses mit aufeinanderfolgenden Kuppeln.
Die mehrgeschossige, durch fünffache Bogenstellung aufgeteilte Fassade der Kathedrale ist mit reichem Skulpturenschmuck besetzt und für die Geschichte der romanischen Bauplastik in Südwestfrankreich von Bedeutung; allerdings hat sie durch eine im 19. Jahrhundert von Paul Abadie durchgeführte Restaurierung gelitten.
Kultur
In Angoulême findet jährlich das Festival International de la Bande Dessinée d’Angoulême statt, eines der bekanntesten Comicfestivals Europas.
In Angoulême spielt Balzacs Roman Verlorene Illusionen.
Wirtschaft
Angoulême ist Zentrum des örtlichen Weinanbaugebietes. Erwerbsquellen sind Weinanbau und Weinhandel, wie auch Fremdenverkehr, Papierindustrie, Maschinenbau und elektronische Industrie.
Verkehr
Die Stadt ist per Autobahn gut zu erreichen. Der Flughafen Angoulême-Cognac wird unter anderem von Ryanair ab London-Stansted angeflogen.
Öffentlicher Verkehr
Der Bahnhof der Stadt befindet sich nördlich der Altstadt an der Bahnstrecke Paris–Bordeaux. Der Hochgeschwindigkeitszug TGV verbindet die Stadt mit Paris in 2 Stunden 10 Minuten. Des Weiteren gibt es TER-Verbindungen nach Poitiers, Limoges, Bordeaux und Royan.
Von 1900 bis 1933 verkehrte die Straßenbahn Angoulême mit sieben Linien. Heutzutage tragen Busse der Société d’économie mixte des transports du grand Angoulême (STGA) die Hauptlast des öffentlichen Verkehrs.
Städtepartnerschaften
Die Stadt Angoulême pflegt Partnerschaften mit folgenden Städten
Persönlichkeiten
- Mellin de Saint-Gelais (≈1491–1558), Hofdichter der Renaissance
- Margarete von Navarra (1492–1549), Königin von Navarra, Diplomatin und Schriftstellerin
- François Ravaillac (1578–1610), Mörder des französischen Königs Heinrich IV.
- Jean-Louis Guez de Balzac (1597–1654), Autor
- Jean-Baptiste Vivien de Châteaubrun (1686–1775), Dramatiker
- Marc-René de Montalembert (1714–1800), Ingenieur für Waffentechnik und Festungsbau
- Jean-Baptiste Vallin de La Mothe (1729–1800), Architekt
- Charles Augustin de Coulomb (1736–1806), Physiker und Begründer der Elektrostatik und Magnetostatik
- Pierre Mathieu Joubert (1748–1815), konstitutioneller Bischof von Angoulême und Politiker der Französischen Revolution
- Jacques-Pierre Maygrier (1771–1834), Wundarzt, Anatom, Geburtshelfer und Lehrbuchverfasser
- Émile Prudent (1817–1863), Pianist, Komponist und Musikpädagoge
- André Castaigne (1861–1929), Maler
- Maurice Dumesnil (1884–1974), Pianist
- Henry Bardon (1910–2003), Altphilologe
- Maurice Duverger (1917–2014), Jurist, Politikwissenschaftler, Autor und Politiker
- Pierre-Jean Rémy (1937–2010), Diplomat und Schriftsteller
- Philippe Marchand (1939–2018), Jurist und Politiker
- Michel Montignac (1944–2010), Autor und Begründer einer Ernährungsdiät
- Dominique Langevin (* 1947), Physikerin
- Catherine Quéré (* 1948), Politikerin
- Guillaume Faye (1949–2019), Journalist und Autor der Neuen Rechten
- Mireille d’Ornano (* 1951), Politikerin
- Fabien Foret (* 1973), Motorradrennfahrer
- Amandine Bourgeois (* 1979), Sängerin
- Paul Poux (* 1984), Radrennfahrer
- Emmeline Ragot (* 1986), Mountainbikerin
- Adrien Silva (* 1989), portugiesischer Fußballspieler
Literatur
- Marcel Durliat: Romanische Kunst. Herder, Freiburg/B. 1983, ISBN 3-451-19402-3.
Einzelnachweise
- Ch. Higounet: Angoulême. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 1. Artemis & Winkler, München/Zürich 1980, ISBN 3-7608-8901-8, Sp. 639.
- Ferdinand Haug: Iculisma. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band IX,1, Stuttgart 1914, Sp. 858.
- Angoulême, in La Grande Encyclopédie, 1886–1902, Bd. 2, S. 1167.
- Angoulême (Comté), in La Grande Encyclopédie, 1886–1902, Bd. 2, S. 1169.
- Ch. Higounet: Angoulême. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 1. Artemis & Winkler, München/Zürich 1980, ISBN 3-7608-8901-8, Sp. 640.
- Henry Kamen: Die europäischen Volksaufstände 1550–1660 und die Struktur der Revolten. In: Winfried Schulze (Hg.): Europäische Bauernrevolten der frühen Neuzeit, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-518-27993-9, S. 151.