Geschichte der Musik
Die Geschichte der Musik umfasst unter anderem die Entwicklung des Gesangs und der Melodie, des Rhythmus, der Musikinstrumente, des Zusammenklangs und der Mehrstimmigkeit, der Harmonik und die Entwicklung der Schriftlichkeit und Vervielfältigung (Musik als Zeichensystem und Notation). Außerdem entwickelte die Musik eine Vielfalt von Darstellungsarten, Stilen und Ästhetik.
Frühe Entwicklungen
Die anatomischen Voraussetzungen für einen differenzierten Gesang haben sich vermutlich vor rund zwei Millionen Jahren entwickelt, als sich mit Homo ergaster der aufrechte Gang durchsetzte. Infolgedessen sank der Kehlkopf. Gleichzeitig bildete sich durch die Umstellung der Nahrung hin zu mehr fleischlicher Kost der Kauapparat zurück, die Mundhöhle wurde größer und konnte ein größeres Spektrum an Lauten produzieren. Manche Wissenschaftler sehen die Ursprünge der Musik daher als eine kommunikative Anpassung an das Leben in größeren sozialen Gruppen. Andere wie Geoffrey F. Miller dagegen vermuten, dass es sich bei der Musikalität des Menschen um ein Merkmal handelt, das sich hauptsächlich durch sexuelle Selektion entwickelt hat. Neue Ansätze gehen davon aus, dass beide Faktoren eine Rolle gespielt haben.[1][2] Die weltweit bislang ältesten aufgefundenen Musikinstrumente sind Flöten, die 40.000 Jahre alt sind.[3] Zählt man die menschliche Stimme als Musikinstrument, sind diese sicherlich sehr viel früher zur Produktion von Musik eingesetzt worden.
Die Jungsteinzeit brachte die ersten irdenen Instrumente, unter denen sich Gestaltrasseln in Menschen- und Tierform befanden. In der Bronzezeit, als sich bereits Hochkulturen im vorderasiatischen Raum entwickelten, entstanden die ersten metallurgischen Arbeiten. Überreste von Metallschmuck an vergangenen Tierhörnern gehören dazu, ebenfalls bronzene Hörner in Tierhornform, die im nordischen Kreis gefundenen Luren. Jene waren stets paarig und in gleicher, manchmal sogar fester Stimmung, was sowohl der Klangverstärkung gedient haben kann als auch dem Akkordspiel. Andere Metallarbeiten waren Klapperbleche und Klangplatten.
Analog zur Bildung von Tonleitern unterschied der Musikhistoriker John Frederick Rowbotham in seiner History of music (1885–1887) die Entwicklungsstufen der archaischen Musik nach dem verwendeten Ambitus. So ist vor Terpandros, dem Schöpfer der griechischen Lyrik im 7. Jahrhundert, nur der Tonumfang eines Tetrachords, d. h. einer Quarte zu finden, was Plutarch in seinem Dialog über Musik als Anzeichen älterer Kulturepochen bestätigte. Diese Einordnung ist jedoch nicht als allgemeingültig zu betrachten, da in der Musik anderer Ethnien, z. B. bei den indigenen Völkern Nordamerikas, in Australien und Ozeanien auch Akkordzerlegungen über einen großen Tonraum hinweg vorkommen.[4]
Ursprungsmythen
Die meisten Völker der Welt verstehen die Entstehung der Musik als das Werk von Göttern und Geistern, übernatürlichen oder historisch nicht greifbaren Personen. Es existiert eine Vielzahl von Ursprungsmythen.
Nach hinduistischem Glauben ist Brahma, der Gott der Sprache, auch der Schöpfer der Musik. Sein Sohn Narada herrscht über sie. Shiva wird die Erfindung des Musikbogens zugeschrieben, Sarasvati die Erfindung der Tonleiter. Die Vielzahl der Ragas erklären die Hindus durch eine Legende, nach der viele Hirtinnen (Gopis) den Flöte spielenden Krishna zugleich mit ihren eigenen Melodien zu bezaubern versuchten.
Nach chinesischer Mythologie war die Tonleiter das Geschenk eines Wundervogels. Im alten Ägypten war Thot, der Gott der Schreibkunst, Schöpfer der Musik aus dem Wortklang. Hathor war die Göttin von Tanz, Gesang und Kunst. Den Griechen galt der Musensohn Orpheus als Schöpfer der Musik und des Tanzes. Der Sänger soll Götter und Menschen, Tiere und Pflanzen mit seiner Musik berührt und sogar Steine zum Weinen gebracht haben.
In der arabischen Welt besagt eine Legende, der Kameltreiber Maudar ibn Nizar sei von seinem Reittier gestürzt und habe sich die Hand gebrochen. In seinem Schmerz habe er den Kamelen zugerufen und sie wieder zum Laufen gebracht, woraus der Gesang entstanden sei. Die westafrikanischen Völker am Niger glauben, dass die Menschen die Musik von Waldgeistern gelernt hätten. Eine Riesin trage alle Musik der Welt in ihrem Bauch, die Dämonen offenbarten sie ihnen in einzelnen Liedern.
Die mythische Verbindung von Musik und Schmiedekunst ist eine Vorstellung, die in vielen Ethnien erscheint. Nach biblischer Überlieferung ist Jubal der Stammvater der Musiker (Gen 4,19–22 ). Sein Halbbruder Tubal-Kain ist der Ahnherr der Schmiede. Auch im Mittelalter werden beide Bereiche gemeinsam genannt. In Anlehnung an einen Traktat des antiken Mathematikers Nikomachos von Gerasa erklärte Guido von Arezzo, Pythagoras habe die Musik erfunden, als er einen Schmied bei der Arbeit gehört habe (s. Pythagoras in der Schmiede).
In den aztekischen Mythen holte ein Mensch die Musik auf Befehl eines Gottes von der Sonne. Völker mit animistischen Vorstellungen wie die Eskimo glauben, die Melodien seien den Menschen zu Beginn der Zeit durch Geisterbeschwörung vermittelt worden. Andere indigene Völker wie die Seneca verbinden die Entstehung der Musik mit dem Besuch eines Gottes in Menschengestalt oder mit dem Geschenk eines ersten Instruments, das als heilig verehrt wird.[5]
- Der tanzende Krishna hält eine Bansuri-Flöte in seiner Hand
- von den Salomon-Inseln
- Orpheus besänftigt die wilden Tiere mit der Kithara
Epochen der Musik
Als „Epoche“ bezeichnet man in der Musik einen Zeitabschnitt, in dem stilistische Gemeinsamkeiten herrschten.
Jeder musikalische Epochenbegriff ist allerdings als problematisch anzusehen, da er den Eindruck erweckt, verschiedene Stile hätten sich in der Geschichte unmittelbar und vollständig abgelöst. Dieses führt zu Abgrenzungsproblemen, denn tatsächlich gab es stets gleichzeitige stilistische Strömungen, die wenig gemeinsam hatten (oft auch einander widersprachen), fließende Übergänge, nur regional bedeutsame Stile usw. So sind führende Musikwissenschaftler z. B. der Ansicht, dass Wiener Klassik und Romantik eine Großepoche mit innerer Stilvielfalt bilden.
Die herkömmliche Einteilung der europäischen Musikgeschichte sieht dabei meistens wie folgt aus:
- Prähistorische Musik
- Musik des Altertums
- Klassische Musik
- Alte Musik
- Musik des Mittelalters (8. bis 14. Jahrhundert)
- Musik der Renaissance (15. und 16. Jahrhundert)
- Barockmusik (ca. 1600 bis 1750)
- Klassik (ca. 1730 bis 1830)
- Musik der Romantik (19. Jahrhundert)
- Alte Musik
- Neue Musik (20. und 21. Jahrhundert)
- Jazz (seit dem 19. Jahrhundert)
- Pop- und Rockmusik (mit Unterteilung nach Jahrzehnten)
Kulturelle Entwicklung
Mit der Differenzierung der sozialen Gruppen entstanden die Rollen von Schamane oder Medizinmann, später bildete sich ein Priesterkönigstand heraus. Gesänge, Klänge und Rhythmen dienten auf frühen Kulturstufen auch zur (magischen) Vertreibung von Dämonen[6] bzw. zur Herstellung von Wohlbefinden. Mit der zunehmenden Vielfalt und dem technisch verbesserten Bau von Instrumenten löste sich die Musik nun allmählich aus der kultischen Bindung. Ihre Strukturen wurden geordneter und Skalen begannen sich zu formen, Zentraltöne und Intervalle als erste Anzeichen von harmonischen Beziehungen kristallisierten sich heraus, Konsonanz- und Dissonanzprinzipien mit Quinte und Quarte als Leitintervallen regelten den Zusammenklang.[7]
Die Auswahl und Ordnung aus dem Tonvorrat führte zu Tri-, Hepta- und Pentatonik. Die beiden letzteren sind bis heute dominierende Skalenmodellen: siebenstufig im Vorderen Orient und in Europa, und fünfstufig in Ostasien. Das Satzbild war überwiegend heterophon oder zeigte erste Ansätze zu Parallelführung, Kanon- und Imitationsformen, vor allem aber zu durchklingenden Borduntönen, die eine feste Stimmung und ein harmonisches Grundgerüst erzeugten und gleichzeitig erforderten. Die rhythmische Gliederung folgte fast ausschließlich dem Urprinzip von Hebung und Senkung, das sich aus der Körperbewegung des Schreitens herleiten lässt. Taktschläge, -zahl und -gruppierung folgten wiederum der Zweiteiligkeit, die zu vier, acht, sechzehn usw. Elementen ausgeweitet wurde, wie es bis heute im Periodenbau der Fall ist. Als Urelemente der Gestaltung bestimmten Wiederholung, Kontrast, Variation und Kontinuität den melodisch-rhythmischen Aufbau.[8]
Altorientalische Kulturen
Die Sumerer pflegten die kultische Musik der staatlichen Priestermusiker und -musikerinnen, die gesungen, teilweise mit Instrumentalbegleitung, aber nie rein instrumental war. Dabei bildeten sich entsprechend den Funktionen – Klagelieder, Götterhymnen – Genres, für die einzelne Musikergruppen zuständig waren. Zu den in Ritualen verwendeten Trommeln gehörten mannshohe Rahmentrommeln und Kesseltrommeln wie die ab dem Anfang des 2. Jahrtausends gespielte große Bronzetrommel Lilissu.
Die Babylonier und Assyrer, die gegen 1800 v. Chr. das Erbe der Sumerer antraten, verkleinerten die Standharfe zur Tragharfe und führten das Plektron ein, das ein rhythmisch genaueres Spiel erlaubte. Die Weiterentwicklung waren Langhalslauten.[9] Neue Blasinstrumente waren der Doppelaulos, Flöten und Trompeten mit gebogener Röhre. Aus den Grifflöchern schließt man auf fünf- bis siebenstufige Tonleitern. Zugleich vergrößerten die Assyrer die Ensembles – ein Relief im Palast Assurbanipals zeigte schließlich eine Prozession aus elf Instrumentalisten und 15 Sängern – und begannen, eine weltliche Kunstmusik auszubilden.[10]
China
China, das bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. eine Hochkultur aufbaute, verfügte bereits im Altertum über eine voll entwickelte Musik. Die wichtigsten Anregungen bekamen die Chinesen aus dem Westen, vor allem aus Mesopotamien. Eigene Erfindungen waren ein auf Zahlenverhältnissen beruhendes Skalensystem, pentatonische Gebrauchstonleitern und eine feste Tonhöhenstimmung. Bereits in der Xia-Dynastie (ca. 2200–1800 v. Chr.) erschienen Vorläufer der Qin, einer fünfsaitigen Wölbbrettzither. Die Kompositionen waren einstimmig und homophon, was sich im Laufe der Geschichte nur unwesentlich ändern sollte.
In der Shang-Dynastie kamen Trommeln, Gefäß- und Rohrflöten sowie bronzene Glocken hinzu. Der Konfuzianismus ordnete sowohl das quintenzirkelähnliche Tonartensystem mit der Yin-Yang-Unterscheidung „weiblicher“ und „männlicher“ Skalen als auch die kosmologisch orientierte Musiktheorie. Stile, Genres und Instrumentenverwendung waren genau festgelegt. Während der Zhou-Dynastie rückte die Musik in ihrer ethisch-erzieherischen Wirkung auf den Menschen in den Mittelpunkt der Staats- und Gesellschaftsphilosophie. Die Musik wurde staatlich geregelt, die offizielle ästhetische Anschauung folgte den Ansichten des jeweiligen Kaisers. Um 300 v. Chr. werden siebenstufige Skalen entwickelt. Wichtige musiktheoretische Quellen des Konfuzianismus sind das Buch der Lieder und das Buch der Riten. Das Ritenbuch überliefert die Systematisierung der Musikinstrumente nach Materialkategorien (bāyīn): Metall, Stein, Fell, Kürbis, Bambus, Holz, Seide und Erde. Zu den wichtigsten Neuerungen gehörten die Lithophone, Querflöten und die Mundorgeln mit bis zu 17 Pfeifen.
Die restaurative Han-Dynastie um die Zeitenwende öffnete die chinesische Musik weiter für westliche Einflüsse. Der Aulos gelangte nach China, ebenso die Laute als Pipa. Die erste systematische Notenschrift wurde entwickelt. Das kaiserliche Musikbüro sammelte und archivierte Dokumente der alten Musik, pflegte Kult-, Hof-, Militär- und Volksmusik und unterhielt eigene Auslandsabteilungen.[11][12]
Indien
Über die Musik der Indus-Kultur im dritten vorchristlichen Jahrtausend gibt es nur Vermutungen. Sie hat möglicherweise Anregungen der mesopotamischen und ägyptischen Kultur aufgenommen. Durch die Einwanderung der mit den Griechen verwandten Arier gegen 1500 v. Chr. gelangten westliche Einflüsse nach Indien. Aus den beiden Kulturen entstand der vedische Kult, der zunächst den Brahmanen vorbehalten blieb und erst um 200 v. Chr. den niederen Kasten offen stand. In der letzten vedischen Schrift, der Nātyaveda, finden sich die ersten Aufzeichnungen zur Musik Indiens. Die Musikanschauung glich der griechischen Einheit von Tonkunst, Sprache, Tanz und Gestik, sie wurde als Form des Theaters angesehen. Nach vedischen Vorstellungen war die Kultmusik von Kunst-, Volks- und Unterhaltungsmusik streng getrennt; Erstere unterstand dem Gott Brahma, letztere Shiva.
Das Tonsystem beruht auf einer Einteilung der Oktave in 22 mikrotonale Shrutis, die nicht nach einer mathematischen Teilung, sondern nach dem Gehöreindruck unterschieden werden; in diesem Punkt weicht die indische Musik von ihren griechischen Vorbildern ab. Aus diesem Tonvorrat werden – analog zu den europäischen Tongeschlechtern Dur und Moll – siebenstufige Skalenmodelle gebildet. Eine sehr differenzierte Abstufung unterscheidet zwischen konsonanten und dissonanten Intervallen. Parallel zu den griechischen Modaltonarten, die auf wechselnden Grundtönen derselben Tonleiter beruhen, bilden die Ragas das Grundgerüst der Melodik. Wie die griechischen Modi haben Ragas nicht nur einen Klangcharakter, ihnen sind auch Tages- und Jahreszeiten, Spielanlässe, Affekte und ethische Prinzipien zugeordnet, die bei der Auswahl der „richtigen“ Tonleiter beachtet werden müssen.
Auch die Rhythmik ist modal. Ihre Elemente sind ein-, zwei- und dreifache Tondauern (zu denen in einigen Typen der Musik noch halbe und Viertelwerte hinzukommen), die zu Talas geformt werden, festen Rhythmusabläufen mit jeweils geregelter Betonung der Tondauern. Der Grundpuls der Musik trifft sich in der ersten Schlagzeit wieder, während durch Überlagerungen verschiedener Betonungen innerhalb eines Taktes Polyrhythmik entstehen kann.
Zu den ältesten Instrumenten gehörten Flöten und Trommeln. Vinas als Sammelbezeichnung für eine Gruppe von Saiteninstrumenten sind bereits in den ältesten Veden beschrieben. Aus dem Westen gelangten persische Lauten wie die Tar, aus der die Langhalslaute Tanpura und im 18. Jahrhundert über die Zwischenstufe Rubab die Kurzhalslaute Sarod wurde, in den indischen Kulturraum. Während der Mogulzeit ersetzte die aus Persien stammende Shehnai ältere indische Schalmeienarten. Auf indischem Boden entwickelte sich ein reiches Inventar an Blas-, Saiten- und Schlaginstrumenten.
Die vedische Kultmusik ist einstimmig und rein vokal. Sie besteht im Wesentlichen aus einer Textrezitation auf drei benachbarten Tonhöhen. Mit der Ausbreitung des Islam nach Nordindien im 14. Jahrhundert wurde sie zurückgedrängt, bei den südindischen Völkern blieb sie erhalten. Ab 1500 schließlich wurden die vedische Kultur, ihre Musik und die Hochsprache Sanskrit nur noch von einer intellektuellen Oberschicht praktiziert. In den folgenden Jahrhunderten grenzten sich zwei unterschiedliche Musikstile deutlich voneinander ab: der strenge Dhrupad-Stil, dessen Musiker hoch verehrt wurden, mit der Stabzither Rudra vina als Hauptinstrument und der männlichen Gesangsstimme, und der freiere Khyal-Stil, der auch von Frauen gesungen und häufig mit der Streichlaute Sarangi begleitet wurde.[13]
Altes Ägypten
Die Musik des Alten Ägypten ist in Hieroglypheninschriften, Grabdekorationen und Musikinstrumenten als Grabbeigaben dokumentiert. Die vordynastische Zeit brachte Klappern, Rasseln, mundstücklose Längsflöten und einfache Trompeten hervor. Die Musik stand noch ganz im Zeichen des Kultes, der magische Tanz war Masken- oder Waffentanz.
Das Alte Reich, das um 2700 v. Chr. begann, erweiterte das Instrumentarium um die Bogenharfe, die in ihrer gestreckten Form noch deutlich an den Musikbogen erinnerte und lediglich einen kleinen Resonanzkörper aufwies. In dieser Zeit emanzipierte sich die weltliche Musik, die im Rahmen von Festen erklang. Neben vokalen und gemischten Ensembles gab es erstmals reine Instrumentalmusik in unterschiedlichen Besetzungen. Auch Frauen der höheren Gesellschaftsschichten standen Tanz und Musizieren auf Harfe und Flöte offen.[14] Reliefs in den Grabkammern lassen auf mehrstimmige Musik schließen, ähnlich wie bei den assyrischen Blasinstrumenten weisen die Grifflöcher auf fünf- und siebenstufige Skalen hin. Als erste Kultur entwickelte das Alte Reich in Ergänzung einer ansatzweise vorhandenen Notenschrift die Chironomie: einem Dirigenten gleich vermittelte der Leiter einem Ensemble Tonschritte und Rhythmus durch genau festgelegte Handbewegungen und Armstellungen.
Nach dem Ende des Mittleren Reiches, in der Zweiten Zwischenzeit, nahm Ägypten Anregungen der vorderasiatischen Hyksos auf. Sie führten die aus der Beduinenkultur stammende Leier ein, das Sistrum in der Gestalt, die noch gegenwärtig als Kultinstrument der Koptischen Kirche dient, schließlich Doppelfelltrommeln. Letztere begleiteten die wilden Springtänze, die die Hyksos aus dem Osten mitbrachten; sie lösten die gemessenen Schreit- und Figurentänze des Alten Reiches ab.[15]
Eine letzte Innovation der Hyksos war der im Neuen Reich übliche schalmeienartige Doppelaulos, der schließlich zum griechischen Instrument wurde. Die Musikkultur gedieh zu einer allgemeinen Blüte, einzelne Genres nach ihren Funktionen etablierten sich als Tanz-, Militär-, Kultmusik. Die Instrumente erlaubten virtuoses Spiel, vor allem auf der sich technisch weiter entwickelnden Harfe, die als Schulter-, Winkel-, Bogen- und Standharfe gespielt wurde und wegen eines größeren Resonanzkastens, bis zu zwölf Saiten und kunstvoller Verzierungen das wichtigsten Instrument der ägyptischen Tonkunst dieser Epoche war. Eine mit Bünden versehene Langhalslaute ergänzte das Instrumentarium. In der Zeit des Neuen Reiches entwickelten sich kleinstufige Skalen, die später die klassische arabische Musik übernahm. Ebenso wurden Borduntöne auf den Doppelinstrumenten geblasen.[16]
Die Spätzeit brachte die Darbuka und Beckentypen nach Ägypten. In der Restaurationsepoche betrachtete das Musikdenken die alte Kunst der vergangenen Jahrhunderte als vorbildhaft und als sittliches Erziehungsziel.[17]
Palästina und Syrien
Palästina befand sich für lange Zeit im stetigen Kulturaustausch mit seinen Nachbarregionen. Phönizier und Hebräer waren die bestimmenden Völker des Landes.
Die Phönizier gelten als eigentliche Erfinder des Doppelaulos im 2. Jahrtausend; unsicher ist, ob sie auch das Psalterium zuerst gebaut haben. Ihr Instrumenteninventar kannte Doppelblasinstrument, Leier und Rahmentrommel, die aus dem Zweistromland stammten. In der Stadt Ugarit wurden Tontafeln mit hurritischen Hymnen gefunden, die die ältesten Musiknotationen der Welt darstellen.[18]
Die Musik der Hebräer, die vorwiegend durch alttestamentliche Quellen belegt ist, begann bereits in der Frühzeit der Geschichte Israels bis ca. 1000 v. Chr. Sie entsprach im Wesentlichen der ägyptischen Kultur, wie sie die Israeliten vor dem Exodus kennengelernt hatten. Erste Instrumente waren der Kinnor, eine Tragleier mit fünf bis neun Saiten, und der bis heute tradierte Schofar; beide waren für den kultischen Gebrauch im Tempel bestimmt. Dazu kamen Längsflöten und zahlreiche Schlaginstrumente nach mesopotamischen Vorbildern.
In der Königszeit (ab ca. 1000) übernahmen die Juden einige Instrumente ausländischer Herkunft, die Doppelschalmei, die Winkelharfe und zitherartige Zupfinstrumente aus Phönizien. Unter den Leviten bildete sich ein Berufsmusikerstand heraus, der in großer Chor- und Orchesterbesetzung die Tempelmusik versah. Die Musiker waren in Zünften organisiert und unterhielten Tempelschulen zur Ausbildung des Nachwuchses. Zur Zeit der Reichsteilung nach Salomo (926–587) entwickelte sich die synagogale Musik, deren Vorbild die Psalmen Davids gewesen waren. Sie wurden schließlich der Ausgangspunkt für die frühchristliche Musik.[19]
Antike
Die mathematisch-rationale Musikauffassung wird auf Pythagoras zurückgeführt, dem mit der Legende Pythagoras in der Schmiede die Entdeckung der Intervallproportionen zugeschrieben wird; Platon und Aristoteles gelten wegen ihrer Beschäftigung mit der ästhetischen Wirkung als Begründer der Musikphilosophie. Mit Aristoxenos’ Unterscheidung zwischen theoretischer Lehre und praktischer Musikausübung beginnt die Differenzierung von Wissenschaft und Kunst, Vernunfterkenntnis und Sinneswahrnehmung, die in den Epochen der abendländischen Musikgeschichte jeweils eine eigene Bewertung erfuhr und in denen eine der beiden Seiten im Vordergrund der Betrachtung stand.
Die Musikliteratur der Antike brachte zahlreiche Definitionsversuche hervor, unter denen zwei besonders wichtig sind. Claudius Ptolemäus nahm im 2. Jahrhundert in der Harmonica eine Mittlerstellung zwischen Aristoxenos und Euklid ein. Er bezeichnete die Musik als „(…) die Fähigkeit, die zwischen hohen und tiefen Tönen bestehenden Unterschiede zu erkennen“. Aristeides Quintilianus dagegen bezeichnet sie als eine „(…) Wissenschaft vom Melos und von dem, was zum Melos gehört“. Die ptolemäische Definition wird wörtlich unter anderem bei Porphyrios zitiert, die aristeidische bei Iulius Pollux und Michael Psellos. Allen Bestimmungen ist zu eigen, dass sie das musikalische Material, die Tonleiter, und ihre mathematischen Grundlagen in den Mittelpunkt rückten und sie als die Natur des Tongefüges verstanden.
Zwei weiteren spätantiken Definitionen kommt eine weiter reichende Bedeutung zu. Augustinus’ von Hippo Frühschrift De musica bestimmt „Musica est scientia bene modulandi“ (etwa: „Musik ist die Kunst, den Takt zu halten“). In der Schrift De institutione musica des Boëthius knüpft der Autor an Ptolemaios an: „Musica est facultas differentias acutorum et gravium sonorum sensu ac ratione perpendens“ (etwa: „Musik ist die Fähigkeit, die Unterschiede zwischen hohen und tiefen Tönen mit Sinn und Geist genau zu bemessen“). Die Definition des Augustins übernehmen wortgetreu Pietro Cerone und Athanasius Kircher, jene des Boëthius ebenso wortgetreu Hieronymus von Prag, Franchinus Gaffurius, Gregor Reisch und Glarean. Erstmals wurde damit die Musik auch als akustisches Phänomen beschrieben, das gleichermaßen von der Vernunft durchdrungen wie auch sinnlich wahrgenommen werden kann.
Neuzeit
Wie in den Definitionen der Antike tritt in der Barockzeit das dialektische Verhältnis von Wissenschaftslehre und Kunstpraxis und die daraus folgende Doppelfunktion der Musik hervor.[20] In diesem Sinne drückte Johann Mattheson es in Der vollkommene Capellmeister (1739) aus: „Musica ist eine Wissenschaft und Kunst, geschickte und angenehme Klänge klüglich zu stellen, richtig an einander zu fügen, und lieblich heraus zu bringen, damit durch ihren Wollaut Gottes Ehre und alle Tugenden befördert werden.“[21] Er verband Emotion und Rationalität in seiner Musikanschauung. Während der Barockepoche stilisierte und systematisierte die Affektenlehre die Gefühlsregungen.
Deutlicher differenzierte Friedrich Wilhelm Marpurgs Der critische Musicus an der Spree (1750): „Das Wort Musik bezeichnet die Wissenschaft oder die Kunst der Töne; sie ist eine Wissenschaft, insofern ihre Regeln aus gewissen Gründen erwiesen werden können, eine Kunst, insofern die erwiesenen Regeln zur Wirklichkeit gebracht werden können.“[20] Und selbst in den zeitgenössischen Definitionen, die Wohlklang und Schönheit als das Wesen der Musik bezeichneten, war der rationalistische Zeitgeist ersichtlich; Leonhard Euler formulierte 1739: „Musica est scientia varios sonos ita conjungendi, ut auditui gratam exhibeant harmoniam“[22] („Musik ist die Wissenschaft, die verschiedenen Töne so zu verbinden, dass sie dem Gehör eine liebliche Harmonie darbieten“).
Arthur Schopenhauer schließlich räumte der Musik in seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung (1819) eine zentrale Position ein:
„Die Musik ist also keineswegs, gleich den anderen Künsten, das Abbild der Ideen; sondern Abbild des Willens selbst, dessen Objektivität auch die Ideen sind: deshalb eben ist die Wirkung der Musik so sehr viel mächtiger und eindringlicher als die der anderen Künste: denn diese reden nur vom Schatten, sie aber vom Wesen.“
1849 taucht in Richard Wagners Schrift Die Kunst und die Revolution der Begriff Gesamtkunstwerk auf. Diese Idee war vor allem von Arthur Schopenhauers Vorstellung beeinflusst, wonach Kunst und Musik unter dem Begriff der Ästhetik zusammengefasst werden können.
Literatur
- Guido Adler: Handbuch der Musikgeschichte. Frankfurt am Main: Frankfurter Verlags-Anstalt 1924. Nachdruck der 2. Auflage 1930. München: Deutscher Taschenbuch Verlag. ISBN 3-423-04039-4
- Kurt Honolka, (Hrsg.): Knaurs Weltgeschichte der Musik. 2 Bdd. München: Droemersche Verlagsanstalt, 2. Auflage 1979. ISBN 3-426-03610-X
- Anne Draffkorn Kilmer: The Strings of Musical Instruments: their Names, Numbers, and Significance, Studies in Honor of Benno Landsberger = Assyriological Studies xvi (1965), 261–68.
- Anne Draffkorn Kilmer, Miguel Civil: Old Babylonian Musical Instructions Relating to Hymnody, Journal of Cuneiform Studies, xxxviii (1986), 94–98.
- Robert Lach: Die Musik der Natur- und orientalischen Kulturvölker. In: Guido Adler (Hrsg.): Handbuch der Musikgeschichte, S. 3–34
- Ulrich Michels: Dtv-Atlas zur Musik. München: Deutscher Taschenbuch Verlag und Kassel/Basel/Tours/London: Bärenreiter 1977. ISBN 3-423-03022-4
- Steven Mithen: The singing Neanderthals – The origin of music, language, mind and body. London, 2006.
- Kurt Reinhard: Musik in Urzeiten. In: Kurt Honolka (Hrsg.): Knaurs Weltgeschichte der Musik, Bd. 1, S. 9–23
- M. L. West: The Babylonian Musical Notation and the Hurrian Melodic Texts. In: Music & Letters, lxxv, Nr. 2, Mai 1994, S. 161–79.
Weblinks
Einzelnachweise
- Mithen, 2006, S. 178f
- Eine gute Übersicht bietet Gabor Paál: Die Schwester der Sprache – Wie der Mensch die Musik entdeckte. (Audio) SWR 2, Sendung vom 15. Dezember 2008
- Walter Willems (dpa/boj): Ursprung der Musik Die größten Hits der Steinzeit (8. November 2017). Abgerufen am 24. Januar 2020.
- Lach S. 5
- MGG-S, Bd. 6, Sp. 1422 f.
- Werner Friedrich Kümmel: Musik und Medizin. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1018.
- Reinhard S. 11 und 12
- Reinhard S. 12
- Reinhard S. 14
- Reinhard S. 15
- dtv-Atlas S. 169
- Reinhard S. 21
- dtv-Atlas S. 167
- Reinhard S. 16
- Reinhard S. 17
- Reinhard S. 18
- dtv-Atlas S. 165
- http://www.thenational.ae/arts-culture/music/syrian-tablet-fragment-shatters-long-held-beliefs-about-origin-of-music#full
- dtv-Atlas S. 163
- MGG-S, Bd. 6, Sp. 1198
- Johann Mattheson: Der vollkommene Capellmeister. Hamburg 1739. S. 5
- Leonhard Euler: Tentamen novae theoriae musicae ex certissimis harmoniae principiis dilucide expositae. St. Petersburg 1739. Kap. 3 De musica in genere, § 1, 7
- Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Leipzig 1819. Bd. 1, § 52