Wiener Klassik
Als Wiener Klassik (ca. 1760 – ca. 1825) bezeichnet man eine besondere Ausprägung der musikalischen Epoche der Klassik, als deren Hauptvertreter die u. a. in Wien wirkenden Komponisten Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven gelten. In einem weiteren Sinn ist mit diesem Begriff auch manchmal die „Zeit der Wiener Klassik“ gemeint, und es werden oft auch andere Wiener oder österreichische Komponisten wie Antonio Salieri, Michael Haydn oder Carl Ditters von Dittersdorf und teilweise auch Franz Schubert hinzugerechnet.[1][2]
Der (Wiener) Klassik entspricht in Kunst und Architektur die Epoche des Klassizismus.
Eigenschaften der Musik
Die drei großen Meister der Wiener Klassik gelten als führende Komponisten ihrer Zeit, die musikalische Meisterwerke schufen, die an formaler und ästhetischer Qualität, an Gehalt und Ausdruckskraft die Werke vieler anderer Zeitgenossen übertrafen. Ihre Werke gelten als besonders formvollendet und vereinen die Beherrschung, Perfektionierung und Sublimierung der unterschiedlichsten Musikarten und Kompositionsweisen vom Lied bis zu imitativen Techniken des Kontrapunkts. Stilistisch vereinen sie Eigenschaften des galanten und des empfindsamen Stils und führen verschiedene deutsche, französische und italienische Einflüsse in einer Vielfalt von Gattungen zusammen. Zu den wichtigsten Vorgängern der Wiener Klassiker zählen die Komponisten der Mannheimer Schule.
Typisch für den Zeitstil der Klassik (auch außerhalb Wiens und Österreichs) ist eine Vorliebe für helle Dur-Tonarten und für eine in der Grundtendenz eher heiter beschwingte Musik, die streckenweise zu dramatisch-monumentalen Ausbrüchen tendiert und von starken Kontrasten lebt. Ein im Vergleich zu Barock oder Romantik eher rationaler Grundton entspricht den Idealen der Aufklärung und dem Klassizismus in der Kunst. Besonders die Musik von Haydn und Mozart zeichnet sich oft durch einen gewissen Witz und Humor aus, die zur großen Popularität ihrer Werke beitrugen und -tragen.[3] Hinzu kommt ein auffällig fantasievoller Umgang mit Harmonik, Modulation und Chromatik, sowie eine relativ starke Einbeziehung von Moll-Tonarten, wodurch ausdrucksmäßig tiefere Bereiche erreicht werden, als dies in der zeitgenössischen Musik oft üblich war. Dies gilt vor allem für die Zeit vor 1800.
Insgesamt werden das Heitere und das Ernste, das Leichte und das Intellektuelle in einer charakteristischen Weise durchmischt, wodurch die Musik im Sprachgebrauch der Epoche sowohl „für Kenner und für Liebhaber“[4] ansprechend wird.[5] Dabei muss betont werden, dass einige typisch klassische Gattungen wie Divertimento oder Serenade mehr der Unterhaltung dienen, während das noch ganz neue Streichquartett, als dessen eigentlicher Vater und größter Meister Joseph Haydn gilt, die intellektuellste Gattung der Zeit ist; Sinfonien oder Konzerte liegen im Anspruch etwa in der Mitte.
Typisch für die Kompositionsweise der Wiener Klassik sind drei Verfahren: obligates Accompagnement, durchbrochener Stil und besonders motivisch-thematische Arbeit. Diese Kompositionsverfahren werden in den meisten Gattungen angewandt, nachdem sie hauptsächlich in der Kammermusik (Streichquartett, Sonate u. a.) und in der Orchestermusik (Sinfonie) vornehmlich von Joseph Haydn entwickelt worden sind. Auch in der geistlichen Musik und z. T. selbst in der Oper bestimmen sie die Faktur des Komponierten. Ein entscheidendes Merkmal im Gegensatz zur vorangehenden galanten Epoche und der Musik der Vorklassik ist die Einbeziehung kontrapunktischer und polyphoner Techniken, die zuvor (außer in kirchlicher Musik) völlig aus der Mode waren und oft als Rückgriff auf den Barock verstanden werden.
Besonders die Instrumentalmusik erfuhr durch die Wiener Klassiker eine Aufwertung zur autonomen Kunst. Formal war für Konzerte nach wie vor die seit dem Barock bekannte Dreisätzigkeit typisch, in der Reihenfolge: schnell – langsam – schnell. Für Sinfonien und Quartette wurde ab den 1760er-Jahren die Viersätzigkeit typisch, meist mit der Abfolge: schnell – langsam – Menuett – schnell. Haydn verwendete schon seit den 1770er-Jahren gelegentlich eine langsame Einleitung (z. B. in Sinfonien Nr. 50, 57 u.a). Die beiden Mittelsätze können auch umgekehrt erscheinen und das Menuett entwickelte sich unter Haydn inhaltlich und vom Tempo her immer mehr in Richtung Scherzo, das er in den Quartetten op. 30 (1781) zum ersten Mal namentlich verwendet (später aber wieder Menuette). Als ein besonders typisches Merkmal der Wiener Klassik gilt die Sonatenhauptsatzform vieler Kopfsätze. Sie wurde jedoch keinesfalls schematisch, sondern phantasievoll und individuell angewendet, als Rahmen für eine dialektische, thematisch bestimmte Kompositionsweise. Der Finalsatz ist sehr häufig ein Rondo oder eine Mischung aus Sonatensatz und Rondo. Beliebt waren auch Variationssätze, sowohl beim langsamen Satz (v. a. bei Haydn, oder in Mozarts Klavierkonzerten Nr. 15 und 18), als auch im Finale (z. B. Mozart, Klavierkonzerte Nr. 17 oder 24).
Auf dem Gebiet der Oper leistete vor allem Mozart Herausragendes, der Schwerpunkt der beiden anderen liegt deutlicher auf Instrumental- und geistlicher Musik.
Die Grenzen zu vorhergehenden und nachfolgenden Epochen bzw. Stilen sind eher verschwommen. Als ein Meilenstein, wo alle Merkmale der Wiener Klassik voll und idealtypisch ausgeprägt sind, gelten u. a. Haydns Quartette op. 20 von 1772, doch schließt dies nicht aus, dass er auch in den 1760er-Jahren bereits vollausgereifte Werke schrieb.
Die Musik der Wiener Klassiker ist selbst bei jedem einzelnen Komponisten stilistisch nicht völlig einheitlich oder statisch, sondern lässt eine Entwicklung erkennen, die von frühklassischen und sogenannten „Sturm und Drang“-Tendenzen (1770er-Jahre) bis hin zu einer Art monumentalem musikalischem Empire (um und nach 1800) und frühromantischen Anklängen vor allem bei Beethoven führen. Die reifsten Werke von Schubert zählen bereits zur Frühromantik.
Als bedeutender Originalverleger der bekannten Wiener Klassiker Beethoven, Haydn und Mozart galt der Musikalienhändler, Verleger sowie Erfinder des präzisen Notendrucks Heinrich Philipp Boßler.[6] Joseph Haydn hatte eine bevorzugte Stellung in Boßlers Verlagshaus zu Speyer inne.[7] Für Beethoven verlegte H. P. Bossler frühe Originalwerke so beispielsweise die Kurfürsten-Sonaten (WoO 47), deren Gestaltung Boßler außerdem übernahm.[8] Wolfgang Amadé Mozart wurde von Heinrich Philipp Bossler 1784 als Schattenriss überliefert. Außerdem verlegte er Mozarts Ouvertüren Hochzeit des Figaro (KV 492) und Don Giovanni (KV 527) im Original. Mozart komponierte Werke für den Weltstar an der Glasharmonika Marianne Kirchgeßner, sie wurde wiederum durch Bossler künstlerisch betreut.[9] Der bedeutende Impresario Boßler war mit allen Wiener Klassikern persönlich bekannt.
Wien als Musikstadt
Raum und Hintergrund für diese Entwicklungen gab Wien als Haupt- und kaiserliche Residenzstadt der Habsburger, die selber schon seit dem 17. Jahrhundert als besondere Liebhaber und Kenner der Musik galten.[10] Kaiser Joseph II. spielte Cello und Tasteninstrumente, machte täglich mit ausgewählten Musikern Kammermusik und soll eine Vorliebe für Fugen und polyphone Musik gehabt haben (wie sein Großvater Karl VI.).[11] Zu Beethovens Schülern und größten Förderern gehörte der musikalische Erzherzog Rudolf.[12] Verschiedene Adlige des Kaiserhofs hielten sich eine eigene Hofkapelle, darunter auch Haydns Arbeitgeber, die Fürsten Eszterházy.
Wien blickte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts besonders im Bereich der Oper auf eine lange Tradition zurück[13] und verfügte auch sonst über eine vielschichtige Musikkultur. Es gehörte neben Neapel, Paris und London (öffentliches Konzert) zu den tonangebenden Musikstädten Europas und war ein bedeutender Anziehungspunkt, vor allem für Musiker und Komponisten aus den von den Habsburgern regierten Gebieten, zu denen damals ganz besonders auch weite Teile Norditaliens (Mailand, Toskana) und Böhmen gehörten.
Zu den direkten Wegbereitern der Wiener Klassik gehörten Georg Christoph Wagenseil und Georg Matthias Monn (siehe auch: Wiener Schule (Vorklassik)), die stilistisch noch zur Frühklassik zählen, so wie auch die Musik Joseph Haydns in seinem Frühwerk noch frühklassische Züge aufweist. Zu Haydns und Mozarts wichtigsten Wiener Kollegen gehörten auch einige böhmische Komponisten, wie Johann Baptist Vanhal oder Leopold Koželuh. Der Organist und Domkapellmeister Johann Georg Albrechtsberger war ein Lehrer von Beethoven. Etwa mit dem Beginn der Wiener Klassik fällt die 1771 erfolgte Gründung der Tonkünstler-Sozietät zusammen, die „öffentliche“ Konzerte veranstaltete, die freilich in erster Linie von der aristokratischen und gehobenen bürgerlichen Gesellschaft Wiens besucht wurden.
Am Kaiserhof wirkten im Zeitraum von 1760 bis 1790 die bedeutenden Opernkomponisten Christoph Willibald Gluck, Florian Leopold Gassmann und Antonio Salieri (die beiden letzteren gehörten auch zum privaten Quartettzirkel Josephs II.)[14]. Zur gleichen Zeit wirkte auch Vincenzo Righini in Wien. Überhaupt hatte die italienische Oper in Wien einen ungewöhnlich hohen Stellenwert im Vergleich zu den meisten anderen Regionen in Deutschland und auf dem Programm der Wiener Hofoper wurden regelmäßig Werke der international bekanntesten Komponisten gespielt, von denen einige, wie Giovanni Paisiello, Domenico Cimarosa oder Vicente Martín y Soler[15] auch vorübergehend in Wien wirkten – der letztere arbeitete in den 1780er-Jahren mit Mozarts Librettist Lorenzo da Ponte zusammen, genau wie auch Salieri. Einen besonderen Erfolg hatte zu dieser Zeit die Opera buffa, die mit ihrem Witz und Esprit auch auf die Instrumentalmusik besonders von Haydn und Mozart einen nicht zu unterschätzenden Einfluss ausübte. Haydn kannte das Buffa-Repertoire sehr gut, da er an der Hofoper in Eszterháza in den 1770er- und 1780er-Jahren nicht nur seine eigenen Opern aufführte, sondern auch zahlreiche Werke der italienischen Starkomponisten.[16] In Wien selber förderte Kaiser Joseph II. ab 1776 das Deutsche Nationalsingspiel, für das u. a. Mozart seine Entführung aus dem Serail schrieb; das kaiserliche Singspielprojekt hatte jedoch nicht den erhofften Erfolg beim Publikum und musste nach einigen Jahren schließen.[17]
Joseph Haydn lebte zwar in Kindheit und Jugend in Wien, war jedoch von 1761 bis 1790 eigentlich fast ständig in den Residenzen der Esterházy in Eisenstadt und Fertöd,[18] und zwischen 1791 und 1795 war er die meiste Zeit in London.[19] Er gehörte also zu dieser Zeit eigentlich nur am Rande zum Wiener Musikleben. Aufgrund zahlreicher Kopien und Drucke waren seine Werke (besonders Quartette und Sinfonien) jedoch nicht nur in Wien und Deutschland, sondern in ganz Europa bekannt, und Haydn war aufgrund der außergewöhnlichen Qualität seiner geistsprühenden Musik spätestens ab den 1770er-Jahren eine internationale musikalische Berühmtheit. Schon ab Anfang der 1780er-Jahre wollte man ihn nach London holen[20] und er bekam Kompositionsaufträge aus Paris (Pariser Sinfonien) und Spanien (Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze). Seine perfekt durchorganisierte und dabei ästhetisch ansprechende und unterhaltsame Instrumentalmusik war Vorbild für viele Komponisten auch außerhalb österreichischer Lande, darunter neben Mozart und Beethoven junge Musiker wie Joseph Martin Kraus, dessen Sinfonien Haydn selber in Eszterháza aufführte, Antonio Rosetti oder Adalbert Gyrowetz, von dem eine Sinfonie unter Haydns Namen veröffentlicht wurde.[21] Ignaz Pleyel war ein Schüler Haydns und wurde sogar von Mozart geschätzt. Selbst der aus einem ganz anderen musikalischen Milieu stammende Luigi Boccherini – einer der bedeutendsten Kammermusikkomponisten der Zeit, der zwar in seiner Jugend einige Jahre in Wien verbracht hatte,[22] aber seinen sehr persönlichen Stil mehr aus italienischen, französischen und spanischen Inspirationsquellen kreierte – nahm Anregungen aus Haydns Werken an.[23]
Mozart erreichte während seines kurzen Lebens trotz seiner Reisen in Jugendjahren nicht annähernd eine solch internationale Berühmtheit als Komponist, sondern war nach seinem Umzug nach Wien 1781 eher eine lokale Größe. Erst nach seinem frühen Tode fanden seine Werke eine weitere Verbreitung und es setzte nach und nach eine Glorifizierung seiner Person ein. Als entscheidend für die Konstitution einer „Wiener Klassik“ werden vor allem die Jahre nach Mozarts Übersiedelung nach Wien angesehen, obwohl er (wie Haydn) schon vorher Werke komponiert hatte, die dem entsprechenden Maßstab gerecht wurden. Doch bildete sich nach 1781 bis zu einem gewissen Grad eine kompositorische Interaktion zwischen Joseph Haydn und Mozart heraus, unter anderem mit der Anregung, die von Haydns neuartigen Streichquartetten (op. 33, 1781) und seinen Symphonien vor allem auf den jüngeren Komponisten ausging, dann aber auch inspirierend auf Haydn zurückwirkte.
Der junge Beethoven gehörte bereits in Bonn zu den Hofmusikern von Erzherzog Maximilian Franz (ein Bruder Josephs II.) und kam dadurch schon früh mit einem typisch wienerischen Repertoire in Kontakt. Er reiste zuerst kurzfristig 1787 nach Wien; wieder zurück in Bonn wurde er 1790 von dem durchreisenden Haydn persönlich ermuntert, zum Studium nach Wien zu kommen.[24] Beethoven vereinte in seinem Werk Einflüsse von Haydn und Mozart, wie es auch sein Gönner Graf Ferdinand Ernst Gabriel von Waldstein in einem (nicht ganz stimmigen) Bonmot formulierte: „Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie: Mozarts Geist aus Haydns Händen.“
Komponisten, die zu Beethovens Zeit eine nicht ganz unwichtige Rolle im Wiener Musikleben spielten, waren (nach wie vor) sein Lehrer Salieri, der nach seiner Opernkarriere auf geistliche Musik umstieg, und der Klaviervirtuose und Komponist Johann Nepomuk Hummel, der auch ein Schüler von Mozart war. Andere wichtige Klavierkomponisten (aber nicht nur) waren Anton Diabelli und Joseph Czerny. Einige Jahre lang gehörte auch der italienische Gitarrist Mauro Giuliani zum Wiener Musikleben der Beethovenzeit. Ein erfolgreicher Opernkomponist war Joseph Weigl. Auch Peter von Winter schrieb einige Werke für Wiener Bühnen, wo zu Beginn des 18. Jahrhunderts nach wie vor italienische Opern beliebt waren, unter anderem von Giovanni Simone Mayr, der zwar in Italien wirkte, aber ein Verehrer der Wiener Klassiker war und in der Instrumentierung seiner Opern von ihnen beeinflusst war. Nach ca. 1815 wurden auch Werke von Rossini in Wien gespielt und waren beim Wiener Publikum sehr beliebt; der taube Beethoven hat sie jedoch nie gehört und Rossini hatte keinen nennenswerten Einfluss auf die Wiener Klassik (aber sehr wohl auf die Wiener Tanzmusik des Biedermeier von Joseph Lanner und Johann Strauss Vater).
Einflüsse von außerhalb Wiens
Neben den insgesamt bereits reichen Einflüssen des Wiener Musiklebens hatten alle drei Wiener Klassiker auch andere Vorbilder. So wies Haydn selber darauf hin, dass er in seinem eigenen Clavierstil stark von Carl Philipp Emanuel Bach beeinflusst wurde,[25] und für seine kontrapunktischen Spielereien dürfte sein Studium des Gradus ad Parnassum von Fux[26] prägend gewirkt haben. Haydn scheint auch teilweise aus österreichisch-volkstümlichen Quellen zu schöpfen[27] und vor allem in einigen Quartetten findet man gelegentlich Einflüsse ungarischer Volks- oder Zigeunermusik. Insgesamt war Haydn ein ungewöhnlich origineller und progressiver Komponist, der viel experimentierte und noch im Alter von über 60, in seiner Londoner Zeit, offen für neue Ideen und Anregungen war.
Wolfgang Amadeus Mozart erhielt seine Grundprägung durch sein Salzburger Umfeld, namentlich durch seinen Vater Leopold Mozart. In Salzburg wirkte auch Joseph Haydns Bruder Michael, der ein bedeutender Komponist mit einem eigenen Stil war und besonders für seine Kammermusik und Geistliche Werke bekannt war – sein Bruder Joseph bezeichnete ihn als den größten Kirchenmusikkomponisten seiner Zeit. Mozart lernte auf seinen Reisen aber schon früh viele Komponisten und deren Musik kennen und war daher völlig international geprägt. Schon Teodor de Wyzewa und Georges de Saint-Foix ergründeten in ihrem großen Mozart-Werk (1936–1946) die vielfältigen Spuren davon. Zu nennen sind etliche italienische Komponisten (u. a. Giovanni Battista Sammartini und Niccolò Piccinni)[28], der in Italien wirkende Böhme Josef Mysliveček[29] und die Meister der Mannheimer Schule. In der Mozartliteratur wird besonders Mozarts herzliches Verhältnis und der Einfluss des „Londoner“ Johann Christian Bach betont, der auch gelegentlich als „Vater und Erfinder“ der Wiener Klassik bezeichnet wurde.[30] Nicht zu überhören sind in Mozarts Werken auch Affinitäten zu französischen Zeitgenossen, wie dem damals international beliebten Opernkomponisten André-Ernest-Modeste Grétry, sowie der Orchestermusik von François-Joseph Gossec oder dem Chevalier de Saint-Georges, die Mozart auf seiner Paris-Reise 1778 kennenlernte.
Mozart lernte außerdem um 1782 über den Baron van Swieten Fugen von Johann Sebastian Bach kennen, deren Einfluss besonders in Mozarts sogenannten Haydn-Quartetten und in einigen späten Klaviersonaten (KV 533 und 576) evident ist. In Haydns späte Oratorien Die Schöpfung und Die Jahreszeiten flossen eher indirekt, und wiederum durch Vermittlung durch van Swieten, Einflüsse von Händels Oratorien ein (Messiah u. a.).
All das übernahm Beethoven direkt oder indirekt durch Joseph Haydns und Mozarts Kompositionen. Beethoven war darüber hinaus besonders von den dramatischen Tendenzen französischer Revolutionsmusik und der sogenannten Schreckensoper beeinflusst, also von Komponisten wie Étienne-Nicolas Méhul und Luigi Cherubini. Den letzteren rühmte er als unmittelbares Vorbild (für Sinfonien und die Oper Fidelio). Auch der Klaviervirtuose Muzio Clementi, der während eines kurzen Wienaufenthaltes auf Veranlassung von Kaiser Joseph II. einen Klavierwettstreit mit Mozart austragen musste, übte später einen gewissen Einfluss auf Beethovens Klavierstil und -technik aus.
Andere Klassiker
Grundsätzlich war die Klassik ein Zeitstil, der auch von anderen Musikern in anderen Regionen gepflegt wurde, die nicht der Wiener Klassik zugeordnet werden können und/oder in keiner direkten Verbindung zu den „drei großen Wienern“ stehen. Auch wenn diese Komponisten oft nicht in der gleichen Weise mit musikalischen Form- und Struktur-Fragen beschäftigt waren, oder andere Lösungen dafür fanden, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass sie keine bedeutenden Komponisten gewesen wären. Viele waren nicht nur zu ihrer Zeit hochangesehen, sondern z. T. auch sehr einflussreich, wie man den obigen Ausführungen bereits entnehmen kann.
Oper
Komponisten der Klassik | ||
N. Piccinni | G. Paisiello | G. B. Viotti |
J. L. Dussek | L. Boccherini | A. E. M. Grétry |
P. Baillot | D. Cimarosa | G. Rossini |
In besonderem Maße gilt dies für Italien, das Land des Belcanto, wo man in der Epoche der Klassik bereits fast ausschließlich auf die Oper konzentriert war. Der italienische Opernstil legte zu dieser Zeit das Gewicht besonders auf den hochentwickelten Gesang, der in der Opera seria ausgesprochen virtuos war (ähnlich den Partien der Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte oder der Konstanze in der Entführung), in der Opera buffa dagegen deutlich schlichter. Die Instrumentation trat vergleichsweise zurück, um die Stimmen nicht zu überdecken. Bläser wurden traditionell sparsamer eingesetzt, das Gewicht lag auf dem Streichersatz. Allein darin liegt ein bedeutender Unterschied zu den Opern Mozarts, der zwar stark italienisch beeinflusst war und auch in seinen deutschen Singspielen nicht auf virtuosen Koloraturgesang verzichtete, aber dessen Instrumentierung viel reichhaltiger und komplexer war als die der Italiener. Der Gesamteindruck der italienischen Opern ist dadurch generell durchsichtiger, die Musik von einer gewissen Zartheit und Weichheit. Viele Italiener wirkten auch im Ausland, wobei sie dann z. T. andere Einflüsse aufnahmen. Die Zeit um 1800 bis 1810 (bis zum Auftreten Rossinis) gilt als eine Art Krise der italienischen Oper.
Neben den bereits genannten spätneapolitanischen Opernkomponisten Paisiello, Cimarosa und Piccinni gehörten zu den erfolgreichsten Meistern der italienischen Oper der Klassik: Baldassare Galuppi (Spätwerk), Giuseppe Sarti, Pasquale Anfossi, Niccolò Jommelli, Tommaso Traetta, Antonio Sacchini, Niccolò Zingarelli, Giuseppe Nicolini. Der bereits erwähnte gebürtiger Bayer Giovanni Simone Mayr war ab etwa 1800 ebenfalls einer der erfolgreichsten Opernkomponisten Italiens und orientierte sich in der Instrumentierung an Mozart und Haydn. Auch Gioachino Rossini gehört mit seinem Frühwerk noch zur Spätklassik, und ebenso seine Epigonen Mercadante, Pacini und Donizetti und der Deutsche Giacomo Meyerbeer in seiner italienischen Phase. Rossini und die genannten Komponisten waren bereits alle mit Werken von Haydn und Mozart-Opern, teilweise auch mit Beethovensinfonien bekannt, und nahmen davon vor allem Anregungen für ihre Instrumentierung auf. Aus diesem Grunde warf man Rossini einen deutschen Einfluss vor.
Die Italiener Luigi Cherubini (den Beethoven verehrte), Ferdinando Paer und Gaspare Spontini wirkten in Frankreich (oder Deutschland) und waren von Gluck beeinflusst. Sie gehören zu den Hauptmeistern der französischen Oper der späten Klassik.
Instrumentalmusik
In der Instrumentalmusik war der bereits erwähnte Luigi Boccherini neben Haydn und Mozart der bedeutendste Komponist der Epoche, besonders in der Kammermusik. Er wirkte in Spanien und sein Stil ist von großer Weichheit, Klangschönheit und lyrischer Idylle geprägt, fließender und gefühlsbetonter als die Wiener Musik, aber dabei von hoher Qualität. Ähnlichkeiten mit Boccherinis Stil zeigt Giuseppe Cambini in seinem umfangreichen (aber wenig gespielten) Kammermusikschaffen. Er war ein Hauptmeister der Sinfonia concertante, die er für das Pariser Concert spirituel schuf.
Bedeutende Violinvirtuosen der Epoche waren außerdem Gaetano Pugnani, der auch Sinfonien schrieb, und Giovanni Battista Viotti, dessen Konzerte einen ganz eigenen Stil aufweisen, und der formal andere Wege geht als die Wiener Klassiker. Viotti nahm an den Haydn-Konzerten in London teil und Mozart schrieb einige zusätzliche Bläserstimmen für Viottis e-moll-Konzert Nr. 16. Einige seiner späten Werke sind von hinreißender Schönheit und teilweise schon von frühromantischer Tragik durchzogen (vor allem Nr. 22 in a-moll und andere Moll-Konzerte). Viotti hatte großen Einfluss auf die französischen Violinkomponisten Pierre Rode, Rodolphe Kreutzer, Pierre Baillot und auf Nicolò Paganini – der letztere gehört jedoch bereits zur Romantik. Der deutsche Violinist Louis Spohr zählt zumindest in seinem Frühwerk noch zur Spätklassik.
Im Bereich der Klaviermusik gab es mehrere bedeutende und einflussreiche Meister, die zwar zur Klassik zählen, jedoch nicht wienerisch waren: Muzio Clementi, der Böhme Johann Ladislaus Dussek, John Field. Ihre Werke reichen von der Klassik zur Frühromantik und sie alle spielten neben Beethoven bei der Entwicklung eines frühromantischen Klavierstils eine wichtige Rolle. Der in Dänemark wirkende und für seine melodieschönen Sonatinen bekannte Friedrich Kuhlau war stark von Mozart und Haydn beeinflusst.
Diskussion des Begriffes
Während die englischsprachige Musikwissenschaft den Begriff „Wiener Klassik“ eher vermeidet und einen umfassenderen Klassikbegriff pflegt, diskutiert ihn die deutsche Musikwissenschaft kontrovers. Ludwig Finscher möchte ihn, Gedanken Raphael Georg Kiesewetters von 1834 folgend, auf die Werke Joseph Haydns und Mozarts zwischen 1781 und 1803 begrenzen. Hans Heinrich Eggebrecht belegte durch umfangreiche, ins musikalische Detail gehende Analysen seine Haydn, Mozart und Beethoven umfassende Definition. Carl Dahlhaus dagegen führte Friedrich Blumes Gedanken weiter, Klassik und Romantik bildeten eine gemeinsame klassisch-romantische Epoche. Diese dialektische Verbindung zwischen Wiener Klassik und Romantik offenbart sich besonders deutlich im Vergleich Beethovens und Schuberts. Thrasybulos Georgiades ordnete Schubert in seinen Analysen von dessen Vokal- und Instrumentalmusik den drei Großen der „Wiener Klassik“ zu und zeigte Schuberts klassische Kompositionsverfahren besonders in dessen Liedern und der „Unvollendeten“ auf – die allerdings vom Geiste her bereits frühromantisch geprägt sind.
Siehe auch
- Vorklassik
- Mannheimer Schule
- Neapolitanische Schule (Musik)
- Wiener Schule (Vorklassik)
- Klassische Musik
- Burgtheater (Abschnitt über das Alte Burgtheater)
- Theater am Kärntnertor
Literatur
- Friedrich Blume: Klassik. In: Friedrich Blume (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG). Erste Ausgabe, Band 7 (Jensen – Kyrie). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 1958, DNB 550439609
- Friedrich Blume: Romantik. In: Friedrich Blume (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG). Erste Ausgabe, Band 11 (Rasch – Schnyder von Wartensee). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 1963, DNB 550439609
- Remigio Coli: Luigi Boccherini, Maria Pacini Fazzi editore, Lucca 2005 (italienisch).
- Carl Dahlhaus: Klassische und romantische Musikästhetik. Laaber 1988.
- Hans Heinrich Eggebrecht: Musik im Abendland, Prozesse und Stationen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. In Mn./Z 1991, S. 471–487.
- Ludwig Finscher: Klassik. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Sachteil, Band 5 (Kassel – Meiningen). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 1996, ISBN 3-7618-1106-3 (Online-Ausgabe, für Vollzugriff Abonnement erforderlich)
- Thrasybulos Georgiades: Schubert, Musik und Lyrik. Göttingen 1967.
- Raphael Georg Kiesewetter: Geschichte der europäisch-abendländischen oder unserer heutigen Musik. Leipzig 1834.
- H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten. Verlag Fritz Molden, Wien et al. 1981.
- H. C. Robbins Landon: Das Mozart Kompendium. Droemer Knaur, München 1991.
- Charles Rosen: Der klassische Stil. Haydn, Mozart, Beethoven. Bärenreiter, Kassel etc. 1983, ISBN 978-3-7618-1235-8.
- Teodor de Wyzewa, G. de Saint-Foix: W.-A. [!] Mozart. Sa vie musicale et son oeuvre de l'enfance à la pleine maturité […] Essai de biographie critique suivi d'un nouveau catalogue chronologique de l'oeuvre complète de maitre […]. 5 Bände, Paris 1936–1946.
Weblinks
- Eintrag zu Wiener Klassik im Austria-Forum (im AEIOU-Österreich-Lexikon)
Einzelnachweise
- springer.com: Haydn, Mozart und Beethoven — und Franz Schubert: 1755/1781 bis 1828
- rp-online.de: Wiener Klassik: Franz Schubert und die Brandstifter
- Für Haydn siehe: H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et al., 1981, S. 12
- „Für Kenner und Liebhaber“ ist der Titel einer sechsbändigen Sammlung von Clavierwerken, die der einflussreiche Carl Philipp Emanuel Bach zwischen 1779 und 1787 herausgab, also zeitgleich mit Mozart und Haydn, die ihn sehr schätzten (Neuausgabe bei Breitkopf und Härtel).
- Ähnlich Landon über Haydns Musik: H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et al., 1981, S. 12
- Hans Schneider: Der Musikverleger Heinrich Philipp Bossler 1744–1812. Mit bibliographischen Übersichten und einem Anhang Mariane Kirchgeßner und Boßler. Eigenverlag Schneider, Tutzing 1985, ISBN 3-7952-0500-X, S. 7.
- Hans Schneider: Der Musikverleger Heinrich Philipp Bossler 1744–1812. Mit bibliographischen Übersichten und einem Anhang Mariane Kirchgeßner und Boßler. Eigenverlag Schneider, Tutzing 1985, ISBN 3-7952-0500-X, S. 85–99.
- Hans Schneider: Der Musikverleger Heinrich Philipp Bossler 1744–1812. Mit bibliographischen Übersichten und einem Anhang Mariane Kirchgeßner und Boßler. Eigenverlag Schneider, Tutzing 1985, ISBN 3-7952-0500-X, S. 43, 79, 102.
- Hans Schneider: Der Musikverleger Heinrich Philipp Bossler 1744–1812. Mit bibliographischen Übersichten und einem Anhang Mariane Kirchgeßner und Boßler. Eigenverlag Schneider, Tutzing 1985, ISBN 3-7952-0500-X, S. 178–179.
- Ferdinand III., Leopold I., Josef I. und Karl VI. gelten als „Musikkaiser“ und komponierten gelegentlich. Auch Maria Theresia und ihre Kinder hatten eine musikalische Ausbildung und traten in höfischen Theateraufführungen auf. Elisabeth Hilscher: Mit Leier und Schwert – Die Habsburger und die Musik, Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 111–184
- Elisabeth Hilscher: Mit Leier und Schwert – Die Habsburger und die Musik, Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 170
- Elisabeth Hilscher: Mit Leier und Schwert – Die Habsburger und die Musik, Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 199–203
- Elisabeth Hilscher: Mit Leier und Schwert – Die Habsburger und die Musik, Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 92 f, S. 115–164
- Elisabeth Hilscher: Mit Leier und Schwert – Die Habsburger und die Musik, Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 170, 174 f
- „Mozart und das Theater seiner Zeit – Die Oper in Wien in den 1780er Jahren“, in: H.C. Robbins Landon: Das Mozart Kompendium, Droemer Knaur, München 1991, S. 425–430, besonders 428 ff (Aufstellung der beliebtesten Komponisten und Opern in Wien 1781–1791)
- H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et al., 1981, S. 73–74
- Elisabeth Hilscher: Mit Leier und Schwert – Die Habsburger und die Musik, Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 175
- H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et al., 1981, S. 73
- H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et al., 1981, S. 95–146
- H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et al., 1981, S. 87
- H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et al., 1981, S. 84–85
- Remigio Coli: Luigi Boccherini (Italienisch), Maria Pacini Fazzi editore, Lucca 2005, S. 28–35 (Aufenthalte von Boccherini in Wien 1758 und 1760–1761)
- Remigio Coli: Luigi Boccherini (Italienisch), Maria Pacini Fazzi editore, Lucca 2005, S. 119 u. v. a. (Einfluss Haydns auf Werke Boccherinis), S. 122–124 (Briefwechsel)
- Elisabeth Hilscher: Mit Leier und Schwert – Die Habsburger und die Musik, Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 179 f
- H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et al., 1981, S. 22 und 37
- H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et al., 1981, S. 36
- H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et al., 1981, S. 12
- H.C. Robbins Landon: Das Mozart Kompendium, Droemer Knaur, München 1991, S. 109
- H.C. Robbins Landon: Das Mozart Kompendium, Droemer Knaur, München 1991, S. 59–60
- Verkannte Genies: Schaut hin, sie leben! In: ZEIT ONLINE. (zeit.de [abgerufen am 5. Oktober 2018]).