Enoch Powell
John Enoch Powell [ˌd͡ʒɒn iːnɒk ˈpaʊəl] (* 16. Juni 1912 in Stechford, Birmingham; † 8. Februar 1998 in London), MBE, war ein britischer Altphilologe und Politiker. Seine Fähigkeiten als Polemiker und Redner sicherten ihm öffentliche Unterstützung für seine kontroversen Ansichten zu Themen wie Immigration und den Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft und entzündeten nationale Debatten, die sich bis heute fortsetzen.
Leben
Frühe Jahre
Powell wurde 1912 als Sohn von Albert Enoch Powell und Ellen Mary Breese, zweier Lehrer aus Wales geboren. Seine große Intelligenz wurde sehr früh offenkundig. Nach der King Edward’s School, Birmingham, setzte er seine Ausbildung am Trinity College in Cambridge fort, wo er unter den Einfluss seines Tutors Alfred Edward Housman geriet und in seinem ersten Studentenjahr alle wichtigen klassischen Wettbewerbe gewann, an denen Undergraduates teilnehmen konnten. Mit 25 Jahren wurde er zum Professor für Klassisches Griechisch an der Sydney University in New South Wales, Australien, berufen. Zu seinen Schülern gehörte der spätere australische Premierminister Gough Whitlam. Seine Edition von Thukydides’ Geschichte des Peloponnesischen Kriegs, 1938 bei Oxford University Press erschienen, wurde zur Standardausgabe. Autodidaktisch erlernte er die Walisische Sprache.
Während seines Studiums in Cambridge nahm Powell Kurse in Urdu an der Schule für Orientalische Studien, heute die School of Oriental and African Studies, University of London, um seine späteren Chancen auf eine spätere Berufung als Vizekönig von Indien zu erhöhen. Aus dem gleichen Grunde erlernte er auch Hindi.
Während seiner Professur in Australien steigerte sich seine Wut auf die Appeasementpolitik der Regierung Chamberlain gegenüber Deutschland, die er als Verrat an britischen Interessen ansah. In einem Brief an seine Eltern vom Juni 1939 vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs schrieb er: „Es sind die Engländer, nicht ihre Regierung; denn wenn sie nicht blinde Feiglinge wären, würden sie Chamberlain und Halifax und all die anderen kriecherischen Verräter lynchen.“[1] Unmittelbar nach Kriegsausbruch kehrte Powell nach England zurück, nicht ohne ein russisches Wörterbuch zu kaufen, weil er annahm „Russland dürfte den Schlüssel für unser Überleben und Sieg besitzen, wie es 1812 und 1916 der Fall war“.
Kriegsjahre
Nach seiner Rückkehr meldete sich Enoch Powell freiwillig zum Kriegsdienst. Allerdings lehnten ihn die meisten Musterungsstellen ab, und erst über einen Monat nach seiner Ankunft nahm ihn das Royal Warwickshire Regiment auf, bei dem sich Powell als Australier eingeschrieben hatte. Powell kämpfte auch bei den Desert Rats (7. Britische Panzerdivision) in Afrika. Hier in Algier wurde Powells Abneigung gegen die USA gepflanzt. Nach einigen Gesprächen mit leitenden amerikanischen Verantwortlichen kam er immer mehr zu der Überzeugung, dass ein wichtiges amerikanisches Kriegsziel die Zerstörung des Britischen Weltreichs sei. In einem Brief vom 16. Februar 1943 schrieb er: „Am Horizont sehe ich eine größere Bedrohung als Deutschland oder Japan jemals waren […] unseren furchtbaren Feind, Amerika […]“
Seine Vorstellung von einem US-amerikanischen Antibritannismus blieb während des Krieges erhalten. Powell schnitt einen Artikel der Amerikanerin Clare Booth Luce aus dem Statesman vom 13. November 1943 aus, den er für den Rest seines Lebens aufhob und in dem sie in einer Rede erklärte, die indische Unabhängigkeit bedeute, dass „die USA den größten Weltkrieg um Demokratie gewonnen“ habe. Verzweifelt versuchte Powell in den Fernen Osten zu gelangen, um am Kampf gegen Japan teilzunehmen, weil „der Krieg in Europa gewonnen ist und ich den Union Jack zurück in Singapur sehen möchte“, bevor die Amerikaner die Briten zum Abzug zwingen würden. Bei Kriegsende war er der jüngste Brigadier der britischen Armee, der als Gefreiter in den Dienst getreten war. Powell fühlte sich jedoch bei Kriegsende schuldig, weil er überlebt hatte, während viele Soldaten unterschiedlichen Ranges, denen er während des Krieges begegnet war, gestorben waren.
Konservative Partei
Nach dem Krieg trat er der Konservativen Partei bei und arbeitete im Conservative Research Department, dem Strategiezentrum der Partei, wo Iain Macleod einer seiner Kollegen war. Bei den Unterhauswahlen 1950 wurde er im Wahlkreis Wolverhampton South West zum Abgeordneten gewählt.
Innerhalb seiner Fraktion gehörte Powell der Suezgruppe an. Diese Parlamentariergruppe wandte sich gegen den Abzug britischer Truppen vom Suezkanal, da Großbritannien ihrer Ansicht nach durch einen solchen Abzug seinen Anspruch auf Präsenz am Suezkanal dauerhaft aufgebe. Dennoch war er, als nach dem britischen Abzug 1954 die Ägypter 1956 den Kanal verstaatlichten, gegen den britischen Versuch zur Wiedereroberung des Kanals, weil seiner Meinung nach die Briten nicht mehr die Ressourcen einer Weltmacht besaßen.
Er arbeitete als parlamentarischer Staatssekretär im Wohnungsbauministerium und von 1957 bis 1958 als parlamentarischer Finanzstaatssekretär, trat aber gemeinsam mit Schatzkanzler Peter Thorneycroft und Nigel Birch aus Protest gegen die Pläne der Regierung für wachsende Ausgaben zurück. In der Blütezeit des Keynesianismus glaubte er als überzeugter Monetarist an die Marktkräfte. Wachsende Staatsausgaben, die die Regierung finanzierte, indem sie neues Geld druckte, waren nach Powells Annahme eine wichtige Ursache für Inflation. Die Inflationsrate stieg auf 2,5 %, ein für die damalige Zeit hoher Wert besonders in Friedenszeiten. Er verurteilte die Mär von den angeblich zu mächtigen Gewerkschaften, die angeblich zu hohe Löhne forderten und erklärte wiederholt die Entscheidung der Regierung zu Ausgaben, die ihre Einnahmen übersteigen, zur Ursache der Inflation. Er geißelte insbesondere Wohnungsbauprogramme, die Hochhaussiedlungen entstehen ließen, in denen Gewalt und Anonymität grassierten, was zum Abriss der Gebäude führe, noch bevor die Hypotheken für ihre Errichtung abgetragen worden seien.[2]
Powell kehrte 1960 in die Regierung zurück, als er zum Gesundheitsminister berufen wurde, gehörte dem Kabinett jedoch erst ab 1962 an.[3] In dieser Funktion war er verantwortlich für ein ambitioniertes zehnjähriges Programm zum Krankenhausbau und für den Beginn der Abwicklung der großen psychiatrischen Institutionen. In seiner berühmten „Water-Tower“-Rede sagte er 1961, sein Ziel sei "die Eliminierung des weitaus größten Teils der psychiatrischen Kliniken dieses Landes, so wie sie heute existieren", und charakterisierte die festungsartige Wirkung geschlossener Anstalten:
„Da stehen sie: isoliert, majestätisch, gebieterisch, über ihnen der gigantische Wasserturm, der sich mit dem Schornstein unverkennbar und einschüchternd über das Land erhebt – die Heime, die unsere Vorväter so solide errichteten, um die Vorstellungen ihrer Zeit auszudrücken. Unterschätzen Sie nicht für einen Moment ihre Fähigkeit zum Widerstand gegen unsere Attacke.“[4]
Die Rede war einer von mehreren Gesprächsfäden, die zur Initiative Fürsorge innerhalb der Gemeinde (Care in the Community) in den 1980er Jahren führte.
Zusammen mit Iain Macleod lehnte er eine Position im Kabinett nach der Berufung von Alec Douglas-Home zum Premierminister ab. Nach der Niederlage der Konservativen bei den Unterhauswahlen 1964 kehrte er als Schattentransportminister in die erste Reihe seiner Fraktion zurück. Bei den ersten Wahlen seiner Partei zum Parteivorsitz 1965 trat er als Kandidat an, erreichte jedoch hinter Edward Heath nur den dritten Platz, was ihm trotz seiner antiamerikanischen Gesinnung die Berufung zum Schattenverteidigungsminister einbrachte.
In einer umstrittenen Rede vom 26. Mai 1967 kritisierte Powell Großbritanniens Rolle in der Nachkriegswelt: „Entschwindende letzte Spuren von Großbritanniens einst riesigem indischen Reich haben sich in unserer Vorstellung verwandelt in eine friedenserhaltende Rolle, für die die Sonne niemals untergeht. Unter Gottes guter Fürsorge und in Partnerschaft mit den USA schützen wir den Weltfrieden und eilen hierhin und dorthin, um den Kommunismus zurückzudrängen, Strohfeuer zu löschen und Umstürze zu unterdrücken. Es ist schwierig, eine Vorstellung, die so wenig Kontakt mit der Realität besitzt, zu beschreiben, ohne auf psychiatrische Termini zurückzugreifen.“
„Ströme-von-Blut“-Rede
Powell war bekannt für seine rhetorischen Fähigkeiten und ein Einzelgänger, der wenig darauf gab, seine Überzeugungen einer Parteilinie unterzuordnen. Am 20. April 1968 hielt er eine umstrittene Rede in Birmingham, in der er seine Zuhörerschaft vor den Folgen ungebremster Zuwanderung aus dem Commonwealth nach Großbritannien warnte. Weil er wegen der Einwanderung in Anspielung auf Vergil sah, „dass der Tiber von vielem Blute schäumt“[5], wurde sie von der Presse „Ströme von Blut“-Rede getauft.
Ein Gegenstand seiner Rede war das ausgiebige Zitat eines Briefes einer seiner Wählerinnen in Wolverhampton, einer älteren Dame, die von ihren Erfahrungen als vermutlich letzte Weiße in ihrer Straße berichtete. Sie hatte als Vermieterin wiederholt Bewerbungen von Schwarzen abgelehnt, weshalb sie als Rassistin verrufen war und Exkremente in ihrem Briefkasten fand. Trotz Kombinierung des Wählerverzeichnisses mit anderen Quellen waren der Herausgeber der Lokalzeitung, Clem Jones (ein enger Freund von Powell, der über diese Kontroverse seine Freundschaft zu Powell abbrach), und seine Journalisten nicht im Stande, die Frau zu identifizieren. Powell lehnte es ab, ihren Namen zu nennen, weil er es für richtig hielt, ihre Identität vertraulich zu behandeln. Nach Powells Tod schrieb Kenneth Nock, ein Anwalt aus Wolverhampton, an den Express and Star im April 1998, dass seine Kanzlei für die in Rede stehende Dame agiert habe und dass sie existiere, aber er sie aus Gründen der Mandantenvertraulichkeit nicht identifizieren könne. Die Rede wurde 1968 gehalten, als das Gesetz über die Beziehungen der Rassen im Parlament behandelt wurde, das die Diskriminierung aufgrund der Rasse bei der Vermietung für illegal erklärte.
Powell bemerkte erst später, dass er die Rede ausgerechnet an Adolf Hitlers Geburtstag gehalten hatte, was ihn in den Augen vieler noch stärker in die Nähe von Rassisten rückte. Damals hielten viele britische Faschisten wie Colin Jordan und John Tyndall (der spätere Führer der National Front und Gründer der British National Party) Geburtstagsfeiern zu Ehren Hitlers.
Heath warf Powell am Tag nach der Rede aus seinem Schattenkabinett und Powell erhielt nie wieder eine leitende Position in seiner Partei. Jedoch zeigte eine Gallup-Umfrage Ende April, dass 74 % der Befragten den in Powells Rede geäußerten Thesen zustimmten. Über hunderttausend meist zustimmende Zuschriften aus der Bevölkerung gingen bei Powell ein. Als die Sunday Times seine Rede als „rassistisch“ bezeichnete, ließ Powell der Redaktion eine einstweilige Verfügung einschließlich einer gerichtlichen Bestätigung über Zahl und Existenz der vorgenannten Zuschriften zustellen.
Drei Tage nach seiner Rede, als der Gesetzentwurf über die Rassenbeziehungen im Unterhaus debattiert wurde, marschierten 1.000 Hafenarbeiter nach Westminster, um gegen Powells anscheinende Opferrolle zu protestieren. Am nächsten Tag überreichten 400 Fleischer vom Smithfield Market eine zweiundneunzigseitige Petition zur Unterstützung von Powell.
Dagegen befanden sich die Immigranten aus der Karibik und dem indischen Subkontinent infolge von Powells Rede in einer gespannten Atmosphäre der Angst – sie sahen sich einer Welle von Misstrauen und Ressentiments ausgesetzt. Powells Rede, die zunächst ein Ruf nach Bewahrung britischer Identität war, rief einen Aufschrei der Empörung hervor. Aktivisten für die Rechte der Einwanderer betrachteten Powell als denjenigen, der an die niedrigsten Instinkte in der britischen Politik appellierte.
Hintergrund der Auseinandersetzung war, dass Großbritannien bis 1962 jedem Einwohner des Commonwealth mit einem britischen Pass die Einwanderung ermöglichte. Selbst nach Gründung des Irischen Freistaats war niemand auf die Idee gekommen, Iren als Ausländer zu betrachten, ihnen beim Niederlassungs-, Arbeits- oder Wahlrecht Beschränkungen aufzuerlegen. Die britischen Industrie unterstützte lange Zeit diese Politik wegen des großen Zustroms billiger Arbeitskräfte in den ehemaligen Textilindustriemetropolen. Die Einwanderung führte in vielen heruntergekommenen Vorstädten zu ghettoähnlichen sozialen Strukturen, die zu einem explosiven Gemisch heranwuchsen. Seit Ende der 1960er Jahre waren die arbeitsintensiven alten britischen Industrien untergegangen und eine wachsende Zahl von Immigranten und Briten wurde arbeitslos.
Powell hatte den Text seiner Rede im Vorhinein an die Medien verteilt, die Präsenz von Pressevertretern mag dem Umstand zu verdanken sein, dass sie erkannten, wie explosiv ihr Inhalt war. Sogar das Fernsehen war da, obwohl es sonst nie über Versammlungen der West Midland Region des Conservative Political Centres berichtete. Einige verdächtigten Powell eines abgekarteten Spiels und vermuteten, dass Heath Powell anstelle seiner Partei die Prügel ausbaden lassen wollte, die ihr die restriktivere Linie in der Einwandererfrage im Jahresverlauf einbringen würde. Die Konservativen hatten in landesweiten Untersuchungen herausgefunden, dass sich im Gefolge der Unterhauswahlen (Peter Griffiths hatte den sicheren Labour-Wahlkreis Smethwick des späteren Außenstaatssekretärs Patrick Gordon Walker erobert) durch eine harte Linie in der Einwanderungsfrage ca. zwanzig Unterhaussitze von Labour gewinnen lassen könnten, aber es bedurfte erst ihrer Niederlage bei den Unterhauswahlen 1966, um die Konservativen davon zu überzeugen, die „Rassenkarte“ auszuspielen.
Ungewöhnlicher Konservativer
Powell unternahm 1965 einen vergeblichen Versuch, Parteivorsitzender zu werden. Er erhielt nur 5 % der Stimmen der konservativen Parlamentsabgeordneten. Powells Popularität trug zum Überraschungssieg der Konservativen bei den Unterhauswahlen 1970 bei, der durch einen Umschwung zugunsten der Konservativen in den West Midlands nahe Powells Wahlkreis begünstigt wurde. Eine Umfrage des Daily Express 1972 wies ihn mittlerweile als populärsten Politiker des Landes aus; diese Popularität blieb ihm zu Lebzeiten erhalten.
Als der Abgeordnete Nicholas Ridley den zwölf Personen umfassenden Ökonomischen Diners Club gründete, gehörte ihm Enoch Powell dank seines scharfen Intellekts und seiner entschieden marktwirtschaftlichen Orientierung an. Auch Margaret Thatcher war Mitglied des Clubs, jedoch erst nach ihrem Aufstieg zur Parteivorsitzenden.
Powell war ein glühender Anhänger britischer Souveränität, die er im Unterhaus in Westminster, in Gesetzgebung und Währung und nicht zuletzt im britischen Militär repräsentiert sah. Dafür war er bereit, große Opfer zu bringen. Er griff auf Churchills Konzept der Vereinigten Staaten von Europa zurück, die im Europarat ihren institutionellen Rahmen gefunden hatten. Gesetze, die von einer nicht gewählten Europäischen Kommission erlassen und einem damals noch nicht gewählten Europäischen Parlament durchgewinkt wurden, waren ihm ein Gräuel. Deshalb verließ Powell die Konservative Partei im Februar 1974 wenige Tage vor der Parlamentswahl und rief zur allgemeinen Überraschung zur Wahl der Labour-Partei auf, die ein Referendum zum Verbleib Großbritanniens in der EWG als einzigen Weg, Großbritanniens Souveränität zu sichern, angekündigt hatte. Er bekräftigte diese Linie erneut bei den Unterhauswahlen im Oktober 1974 – das Referendum wurde schließlich 1975 abgehalten. Das Resultat war ein klares Votum für einen Verbleib „im Gemeinsamen Markt“ (wie es auf dem Stimmzettel bezeichnet wurde). Die Konservativen verziehen Powell seinen Aufruf, Labour zu wählen, nie.
Hinter Powells Europaskepsis stand die Einschätzung, dass die Sowjetunion ungeachtet diverser Schaukonfrontationen im Kalten Krieg letztlich den Westen nicht überfallen wolle und werde – die UdSSR war seiner Meinung nach viel zu abhängig von den europäischen und US-amerikanischen Getreideüberschüssen, die sie nahezu kostenlos erhielt.[Beleg?] Es gebe also keinen Grund, die westliche Militärallianz zusätzlich auszubauen. Die „unabhängige Nuklearabschreckung Großbritanniens“ wurde von ihm ebenfalls negativ betrachtet, weil sie nicht rational genutzt werden könne und damit gegenstandslos sei. Er glaubte, dass das amerikanische Interesse an Großbritannien ein Versuch sei, Großbritannien zu unterminieren, um den USA eine größere Weltgeltung zu verschaffen. Powell argumentierte außerdem, dass die Amerikaner den europäischen Staaten einschließlich Großbritannien rieten, der EWG beizutreten, weil sie der „politische Arm“ der NATO sei und deshalb in die große amerikanische Strategie gegen die Sowjetunion passen würde.
Ulster Unionist Party
Nachdem er nach seiner Revolte vor der Wahl im Februar 1974 nicht mehr Mitglied des Unterhauses war, ließ er sich vor den vorgezogenen Unterhauswahlen Ende 1974 von der Nordirischen Unionistenpartei (Ulster Unionist Party) aufstellen, ein Angebot der rechtsextremen National Front, als Kandidat für sie anzutreten, hatte er abgelehnt. Powell kehrte als Abgeordneter des Wahlkreises South Down ins Parlament zurück. Er lehnte den Beitritt zum Orange Order ab, der die UUP nach ihrer Abspaltung von der Konservativen Partei hauptsächlich kontrollierte, und war damit der erste Abgeordnete der Ulster Unionists in Westminster, der niemals Mitglied wurde. Er war ein ausgesprochener Gegner der extremistischen Unionisten, die von Reverend Ian Paisley und seinen Anhängern unterstützt wurden. Powell erklärte, dass Nordirland die IRA nur aufhalten könne, indem es sich völlig in das Vereinigte Königreich eingliedere und unter Aufgabe der erst kürzlich ausgesetzten Selbstverwaltung Nordirlands auf jeden Sonderstatus verzichte. Nach seiner Ansicht war dieser Sonderstatus der Provinz Ulster mit eigenem Parlament und Premierminister ein ständiger Anlass der Hoffnung für die IRA, dass Ulster vom Vereinigten Königreich gelöst werden könne: „Jedes Wort oder jeder Akt, der die Hoffnung auf die Verhandelbarkeit der Einheit mit dem Rest des Vereinigten Königreichs bewusst oder unbewusst stärkt, ist ein Beitrag zur Fortsetzung der Gewalt in Nordirland.“
Seiner Ansicht nach war der Ursprung der Auseinandersetzungen in Nordirland kein religiöser, sondern ein nationaler: Während die Protestanten sich als Briten begriffen und Briten bleiben wollten, verstanden sich die Katholiken als abweichende Nation der Iren. Weil das britische Parlament jedoch versäumt habe, die britische Identität zu definieren, fasse die IRA dies als Zögern auf: „Noch eine Bombe, und die Briten werden es satt haben, werden abziehen und wir werden alles übernehmen“, fasste Powell seine Auffassung der IRA-Sicht zusammen.
Während seiner späten Karriere als Abgeordneter der Ulster Unionisten kritisierte Powell weiterhin die USA und verdächtigte die Amerikaner, die Briten zu einem Ulster in einem Gesamtirland zu überreden, weil die Bedingung für eine irische Mitgliedschaft in der NATO die Einheit der Insel wäre. Die Amerikaner wollten die klaffende Lücke in der NATO-Verteidigung schließen, die zwischen der irischen Südküste und Nordspanien bestünde. Powell erklärte, er habe eine Kopie eines politischen Strategiepapiers des US-Außenministeriums vom 15. August 1950, in dem die amerikanische Regierung angeblich die Zweckmäßigkeit Irlands in internationalen Organisationen beklage, die durch die Teilung Irlands eingeschränkt werde, was die strategische Planung für Europa erschwere. Das Dokument fahre fort: „Es ist wünschenswert, dass Irland ein integraler Bestandteil der Verteidigungsplanung der Nordatlantikregion wegen seiner strategischen Position und seines gegenwärtigen Mangels an Verteidigungskapazität würde“.
1984 erklärte Powell die CIA zum Urheber des Mords an Lord Louis Mountbatten und des Todes der Abgeordneten Airey Neave und Robert Bradford, weil die Amerikaner Neaves Politik der Integration Nordirlands stoppen wollten. 1986 argumentierte er, nicht die INLA, sondern „MI6 und dessen Freunde“ wären für den Tod von Airey Neave verantwortlich.
Nach der Invasion Kuwaits durch den Irak 1990 erklärte Powell, da Großbritannien nicht im „formellen Sinne“ ein Alliierter von Kuwait sei, und das Gleichgewicht der Kräfte im Nahen Osten herzustellen nach dem Ende des Britischen Weltreichs nicht länger eine Aufgabe Großbritanniens sei, solle Großbritannien nicht am Krieg teilnehmen. Er merkte an, dass Saddam Hussein einen langen Weg zu nehmen hätte, bevor seine Truppen die Strände von Kent oder Sussex hinaufstürmen könnten. Nachdem Großbritannien kleinen Nationen erklärt hatte, sie gegen Angriffe zu verteidigen, sagte Powell: „Manchmal frage ich mich, ob wir, als wir unsere Macht aufgaben, vergessen haben, unsere Arroganz aufzugeben.“
Angesichts der deutschen Vereinigung 1990 forderte Powell Großbritannien eindringlich auf, eine Allianz mit Russland zu etablieren, um den deutschen Effekt auf das Gleichgewicht der Kräfte in Europa zu kompensieren. Dieser Teil seiner Analyse wurde durch die Atlantikerin Premierministerin Thatcher ernster genommen, die sich vergeblich darum bemühte, den sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow davon zu überzeugen, die deutsche Vereinigung zu verhindern.
Obwohl er angeblich eine gute Beziehung zu Margaret Thatcher unterhielt (sie merkte an, ihre eigene monetaristische Politik stamme von Powell, was er mit der trockenen Bemerkung konterte, „wie schade, dass sie sie nicht verstanden hat“), kam er 1985 bei seinem Protest gegen ihre Unterstützung für den Anglo-Irischen Vertrag mit ihr in Konflikt, in dessen Verlauf er sein Abgeordnetenmandat aus Protest niederlegte, es bei der anschließenden Nachwahl allerdings wieder erwarb. Bei den Unterhauswahlen 1987 verlor er sein Mandat an den SDLP-Abgeordneten Eddie McGrady, hauptsächlich wegen demografischer Änderungen und Änderungen im Zuschnitt seines Wahlkreises, so dass wesentlich mehr Katholiken zum Wahlkreis South Down als vorher gehörten. Ironischerweise fanden die Änderungen der Wahlkreisgrenzen aufgrund Powells Kampagne für eine höhere Zahl von Abgeordneten aus Nordirland statt, für die er eingetreten war, um Nordirland gleichwertig zu den übrigen Teilen des Vereinigten Königreiches repräsentieren zu lassen und in der Absicht, weitere Schritte auf dem Weg zur Integration zu unternehmen.
Sein Unionismus blockierte indes nicht seine Fähigkeit zu unabhängigem Denken; er stand der Erschießung von drei unbewaffneten IRA-Mitgliedern in Gibraltar 1988 kritisch gegenüber.
Tod
Enoch Powell starb 1998 an der Parkinson-Krankheit im Alter von 85 Jahren und wurde auf dem Warwick Regimentsfriedhof in Warwickshire in seiner Kriegsuniform begraben. Seine Ehefrau Pamela, mit der er seit 1952 verheiratet war und ihre Töchter überlebten ihn. Margaret Thatcher, die ihm viel zu verdanken hatte, blieb seiner Beerdigung fern – im Gegensatz zu ihrem Ehemann.
Persönliche Standpunkte und Kontroversen
Powell erklärte noch 1964: „Ich habe und werde immer mein Gesicht wie Feuerstein dagegen setzen, einen Unterschied zwischen einem Staatsangehörigen dieses Landes und einem anderen wegen seiner Herkunft zu machen.“ Wiederholt erklärte er die Einwanderung zu einer Frage der Kopfzahl („a question of numbers“), womit er auf die quantitativen Grenzen der Integration hinwies. Viele Journalisten, Kommentatoren und Politiker (die Powell gerne abschätzig zur „quasselnden Klasse“ zusammenfasste) nannten ihn einen „Rassisten“. Die Öffentlichkeit sympathisierte jedoch mit Powells Ansichten: Eine Umfrage nach seiner „Ströme von Blut“-Rede ergab 74 % Zustimmung, und bei einer Fernsehsendung aus Anlass des dreißigsten Jahrestages seiner Rede in Birmingham (und zwei Monate nach seinem Tod) stimmte das Studiopublikum mit 64 % für die Ansicht, Powell sei „kein Rassist“.
Powells Kritiker bezeichneten ihn oft als „rechts-außen“, „Protofaschisten“. Gesellschaftspolitisch war er jedoch liberal gesinnt: Er stimmte 1965 für ein einfacheres Scheidungsrecht und für ein liberaleres Abtreibungsrecht, weil er glaubte, dass diese Frage das Individuum und nicht den Staat angehe. Auch die Entkriminalisierung der Homosexualität und die Abschaffung der Todesstrafe unterstützte er, beides liberale Reformen der Labour-Regierung, die in der Konservativen Partei nur wenig Unterstützung genossen. Obwohl er im Bezug auf Staatsausgaben ein strenger Monetarist war, waren seine Ansichten sozial abgemildert, so befürwortete er die staatliche Gesundheitsversorgung.
Seine Reden und Fernsehinterviews während seines politischen Lebens zeugten von seinem Argwohn gegenüber dem „Establishment.“ Man ging allgemein davon aus, dass er die amtierende Regierung bewusst wiederholt vor den Kopf stieß, damit sie ihm keine Erhebung in den Adelsstand auf Lebenszeit anbot, womit ein Wechsel in das Oberhaus verbunden gewesen wäre – er wollte jedoch seinen Sitz im Unterhaus behalten. Außerdem hatte er 1958 gegen das Gesetz über den persönlichen Adel auf Lebenszeit (Life Peerages Act) gestimmt und hielt es daher für heuchlerisch, seinerseits eine solche Ehre anzunehmen. Die Erhebung in den traditionellen, erblichen Adelsstand blieb ihm jedoch verwehrt.
Privatmann und Dichter
Obwohl zunächst Atheist, wurde Powell später überzeugter Anhänger der Anglikanischen Kirche, weil er 1949 auf dem Weg zu seiner Wohnung in seinem späteren Wahlkreis glaubte, „die Kirchenglocken von St. Peters’s Wolverhampton gehört“ zu haben. Später wurde er zum Kirchenältesten von St Margaret’s, Westminster. Er verwandte viel Zeit seines späteren Lebens mit dem Versuch nachzuweisen, dass bei strenger Lesung Christus nicht gekreuzigt, sondern erhängt wurde.
Powell lernte mit fünf Jahren von seiner Mutter, Altgriechisch zu lesen. Im Alter von 70 Jahren lernte er seine zwölfte und letzte Sprache, Hebräisch. Acht Sprachen beherrschte er fließend.
2002 erschien Powell auf der Liste der „100 größten Briten“ (einem von der BBC gesponserten und von der Öffentlichkeit entschiedenen Wettbewerb). Powell bemerkte, dass „alle politischen Karrieren in einem Misserfolg enden“ und fügte hinzu, dass dies insbesondere auf ihn selbst zutraf. Tony Benn (ein persönlicher Freund aus der Labour Party, den Powell bei dem Kampf um die Ablegung seines Adelstitels (Peerage Act 1963) unterstützt hatte) bezeichnete ihn als einen der letzten Politiker, der die Verpflichtung gegenüber seinen Wählern vor die Loyalität zu seiner Partei oder die Sicherheit seiner Karriere gestellt habe.
Powell bewies rhetorischen Fähigkeiten auch jenseits der Politik. Er war ein Dichter von beachtenswerter Reife, der vier Gedichtsammlungen veröffentlichte: „First Poems“, „Casting Off“, „Dancer’s End“ und „The Wedding Gift“. Seine „Gesammelten Gedichte“ erschienen 1990. Er übersetzte Herodot und veröffentlichte viele andere Werke über antike Literatur. Er schrieb ebenfalls eine Biographie über Joseph Chamberlain. Powell publizierte außerdem viele Bücher zu politischen Themen und Sammlungen seiner Reden. Seine politischen Publikationen waren häufig gegenüber seiner eigenen Partei ebenso kritisch wie gegenüber der gegnerischen Labour Party, oft machte er sich einen Spaß daraus, das, was er als logische Fehler oder Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit ansah, aufzuspießen. Sein Buch „Freiheit & Realität“ enthielt viele seiner Meinung nach unsinnige Zitate aus Labour-Beschlüssen oder von Harold Wilson.
Bibliographie
- Foot, Paul: The Rise of Enoch Powell, Cornmarket Press (hb)/Penguin (pb), 1969
- Roth, Andrew: Enoch Powell: Tory Tribune, Macdonald, 1970
- Stacey, Tom: Immigration and Enoch Powell, London, 1970, ISBN 0854680130
- Shepherd, Robert: Enoch Powell, Hutchinson, London, 1998, ISBN 0-09-179208-8
- The Daily Telegraph: Obituary of Enoch Powell, 9th February, 1998
- Heffer, Simon: Like the Roman: The Life of Enoch Powell, Weidenfeld & Nicolson, London, 1998, ISBN 0-297-84286-2
- Altmann, Gerhard: Abschied vom Empire. Die innere Dekolonisation Großbritanniens 1945–1985, Göttingen 2005.
Einzelbelege
- Simon Heffer: Like the Roman. The Life of Enoch Powell. 1998 London S. 53.
- The Churchill Society: A few notes about Enoch Powell and why he was the greatest British Statesman since Churchill. online (abgerufen am 19. September 2019)
- Einige Minister sind im Vereinigten Königreich nicht Mitglieder des Kabinetts, also der Regierung i. e. S., sondern eher den Staatssekretären des bundesdeutschen politischen Systems vergleichbar.
- Enoch Powell’s Water Tower Speech 1961, online bei studymore
- „Like the Roman, I seem to see the Tiber foaming with much blood“. Vgl. Vergil, Aeneis 8, 86–87: „Thybrim multo spumantem sanguine cerno“
Werke
- Enoch Powell (1969[1999]): Freedom and Reality, Eliot Rightwat Books, ISBN 0-7160-0541-7 (Dieser Band enthält den Text seiner Ströme-von-Blut-Rede)
- J.Enoch Powell (1977): Joseph Chamberlain, London, ISBN 0-500-01185-0
- Enoch Powell (1977): Wrestling with the Angel, London, ISBN 0-85969-127-6
- Enoch Powell (1989) (Herausgeber Richard Ritchie): Enoch Powell on 1992, London, ISBN 1-85470-008-1
- Enoch Powell (1991) (Herausgeber Rex Collings): Reflections of a Statesman, London, ISBN 0-947792-88-0
Weblinks
- Nachruf des Guardian (englisch)
- Veröffentlichungen von Enoch Powell (englisch)
- www.enochpowell.net (englisch)
- Porträt von Enoch Powell im Magazin NZZ Folio
- Enoch Powell Documentary, Video-Dokumentation mit Originalaufnahmen Powells (englisch, YouTube)