α-Angelicalacton
α-Angelicalacton ist ein bei der trockenen Destillation (Thermolyse) der Plattformchemikalie Lävulinsäure entstehendes ungesättigtes alkyliertes γ-Lacton, das als Aromastoff und Duftstoff, als chemisches Zwischenprodukt und in Versuchen zur Enzyminduktion von Glutathion-S-Transferasen Verwendung findet.
Strukturformel | ||||||||||||||||
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Allgemeines | ||||||||||||||||
Name | α-Angelicalacton | |||||||||||||||
Andere Namen | ||||||||||||||||
Summenformel | C5H6O2 | |||||||||||||||
Kurzbeschreibung |
weiße, nadelige Kristalle[2] bzw. klare farblose[3] bis hellgelbe[4] Flüssigkeit | |||||||||||||||
Externe Identifikatoren/Datenbanken | ||||||||||||||||
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Eigenschaften | ||||||||||||||||
Molare Masse | 98,10 g·mol−1 | |||||||||||||||
Aggregatzustand |
flüssig | |||||||||||||||
Dichte | ||||||||||||||||
Schmelzpunkt | ||||||||||||||||
Siedepunkt | ||||||||||||||||
Dampfdruck |
52,3 Pa (25 °C)[7] | |||||||||||||||
Löslichkeit |
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Brechungsindex |
1,446–1,449 (20 °C, 589 nm)[4] | |||||||||||||||
Sicherheitshinweise | ||||||||||||||||
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Toxikologische Daten | ||||||||||||||||
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C |
Vorkommen und Darstellung
α-Angelicalacton wird in der Natur in Mandeln, Kaffee, Rosinen, Cranberries, Kokosnüssen, Sojabohnen, sowie in Weißbrot und Lakritz gefunden.[8]
Die bereits 1883 von Ludwig Wolff beobachtete[9] und 1885 ausführlich berichtete chemische Synthese erfolgt durch langsame Destillation von Lävulinsäure unter Normaldruck[6] oder durch Vakuumdestillation von Lävulinsäure bei Temperaturen von 150 bis 175 °C unter Wasserabspaltung zu α-Angelicalacton in 90%iger Ausbeute, wobei weniger als 5 % des β-Isomeres (Sdp. 205–208 °C[6]) gebildet werden.[10] Die endotherme und säurekatalysierte Reaktion verläuft über die intermediär entstehende so genannte Pseudolävulinsäure[11] und liefert neben geringen Mengen des β-Isomeres fast ausschließlich α-Angelicalacton.[12]
Destillation von Lävulinsäure in Gegenwart von konzentrierter Phosphorsäure im Vakuum liefert mit 95 % die höchste Ausbeute an α-Angelicalacton.[13]
Die Konstitution der α- und β-Isomere des Angelicalactons wurden von J. Thiele bereits 1901 nachgewiesen.[14] Größere Anteile des β-Isomers können bei der Thermolyse von Lävulinsäure bei höheren Temperaturen erzeugt werden.[6]
Ein auch als α'-Angelicalacton (γ-Methylen-γ-valerolacton) mit exocyclischer Doppelbindung bezeichnetes Isomer des α-Angelicalactons ist aus 4-Pentinsäure mit Quecksilber(II)-acetat in Methylenchlorid in 74%iger Ausbeute zugänglich.[15]
Eigenschaften
Das frisch destillierte α-Angelicalacton liegt als wasserklare Flüssigkeit vor, die sich nach einigen Tagen bei Raumtemperatur gelb färbt.[6] Der bei Abkühlung als lange Nadeln auskristallisierende Feststoff sublimiert bei Raumtemperatur.[6] Geruch und Geschmack des α-Angelicalactons werden als süß, ölig, (kokos)nussig, coumarin- und tabakartig beschrieben.[8]
Das Lacton löst sich wenig in Wasser, ist aber gut löslich in vielen organischen Lösungsmitteln. α-Angelicalacton isomerisiert leicht in das β-Isomere, das wegen seiner konjugierten Doppelbindungen eine wenig höhere Stabilität besitzt.[16][12]
Als ungesättigtes Dihydrofuranon addiert α-Angelicalacton Brom zum entsprechenden Dibrom-γ-valerolacton oder Chlorwasserstoff zum Monochlor-γ-valerolacton.[6]
Verwendung
Hydrierung zu γ-Valerolacton und 2-Methyltetrahydrofuran
Hydrierung von α-Angelicalacton an einem Kupferchromit-Kontakt bei 150 °C[13] oder in ionischen Flüssigkeiten, wie z. B. 1-Butyl-3-methylimidazolium-hexafluorophosphat ([Bmim]PF6) mit einem Palladium auf Kohlenstoff-(Pd/C)-Katalysator bei Raumtemperatur[17] liefert bei vollständiger Umsetzung mit fast 100%iger Selektivität γ-Valerolacton, ebenso wie die lösemittelfreie Hydrierung in einem Ruthenium auf Kohlenstoff- (Ru/C)-Katalysator bei Normaldruck, die in einer Eintopfreaktion unter Wasserabspaltung zu 2-Methyltetrahydrofuran (2-MTHF) weitergeführt werden kann.[18]
Sowohl γ-Valerolacton[19] als auch 2-MTHF[19][20] werden neuerdings als alternative biogene Kraftstoffe oder Kraftstoffadditive bzw. als Lösungsmittel[21] diskutiert.
Die Hydrierung von α-Angelicalacton bei hohen Temperaturen (240 °C) an Kupferchromit erzeugt 1,4-Pentandiol.[13]
Lävulinsäureester durch Ringöffnung
Aus α-Angelicalacton lassen sich mit Alkoholen unter Ringöffnung und Katalyse mit sauren Ionenaustauschern, wie z. B. sulfoniertem Polystyrol (Amberlyst 15) oder sulfonierten Polytetrafluorethylen (Nafion) Ester der Lävulinsäure darstellen.[22]
Statt der Ionenaustauscherharze lassen sich auch unlösliche und daher leicht abtrennbare, cholinmodifizierte Polyoxometallate (Heteropolysäuren) einsetzen.[23] Auch die Ester der Lävulinsäure finden neuerdings als alternative biogene Kraftstoffe oder Kraftstoffadditive Interesse.
Amidierung und Decarbonylierung
Durch Umsetzung von α-Angelicalacton mit primären Aminen in wässrigem Medium und anschließender Hydrierung sind 5-Methyl-N-alkyl-2-pyrrolidone zugänglich.
Bei der Reaktion mit Methylamin entsteht auf der ersten Stufe 5-Hydroxy-1,5-dimethyl-2-pyrrolidon, aus dem unter Wasserabspaltung 5-Methylen-N-alkyl-2-pyrrolidon[24] entsteht, das zum gesättigten Pyrrolidon hydriert wird. Wie das überwiegend aus fossilen Rohstoffen industriell hergestellte N-Methylpyrrolidon eignet sich 5-Methyl-N-methylpyrrolidon als aprotisch dipolares Lösungsmittel für eine Vielzahl technischer Anwendungen.
Decarbonylierung von α-Angelicalacton bei 130–250 °C in Gegenwart saurer Silikat-Katalysatoren liefert den vielseitigen Molekülbaustein (engl. building block) – z. B. für Vitamin A – Methylvinylketon, der zu dem wichtigen Keton Butanon hydriert werden kann.[12]
Dimere des α-Angelicalactons
Bei Erhitzen von α-Angelicalacton im Alkalischen, z. B. mit Triethylamin, Kaliumhydroxid[25] oder mit wasserfreiem Kaliumcarbonat entstehen fast quantitativ (94 %) Dimere des Angelicalactons,[26] die in hoher Ausbeute (88 %) zu verzweigten, als Benzinersatz diskutierten C7- bis C10-Alkanen hydriert werden können.[27]
Polymere mit α-Angelicalacton
Das ungesättigte Lacton α-Angelicalacton kann als disubstituiertes Vinylacetat betrachtet werden, das mit starken Lewis-Säuren, wie z. B. Bortrifluoriddiethyletherat, oder durch lange UV-Bestrahlung an der (wenig reaktiven) Doppelbindung zu klebrigen, dunkelrot gefärbten Oligomeren (n = 8–9) polymerisiert werden kann.[28][29]
Mit Polymerisationsinitiatoren für die radikalische Polymerisation, wie z. B. Benzoylperoxid oder Acetonperoxid lässt sich α-Angelicalacton nicht polymerisieren.[29]
Wie andere Lactone, z. B. Caprolacton, kann α-Angelicalacton unter Ringöffnung mit basischen Katalysatoren, wie z. B. Natriumhydroxid oder Kalium-tert-butanolat, zu niedrigmolekularen (MW bis 20k) homopolymeren Polylactonen polymerisiert werden.[29][30] Die Polymeren sind innerhalb 180 Tagen im Boden bioabbaubar.
Relativ gut bioabbaubare Copolymere von α-Angelicalacton mit Styrol, Caprolactam oder Methylmethacrylat mit brauchbaren Molmassen und mechanischen Eigenschaften sind ebenfalls beschrieben.[31]
Physiologische Effekte des α-Angelicalactons
Wegen seiner geschmacklichen und olfaktorischen Eigenschaften wird α-Angelicalacton als Aroma- und Duftstoff in der Lebensmittelindustrie eingesetzt. In den USA ist α-Angelicalacton als Lebensmittelzusatzstoff GRAS (englisch generally recognized as safe) zertifiziert.[8]
In mehreren Tierstudien wurde ein tumorhemmender Effekt von α-Angelicalacton durch Steigerung der Aktivität des entgiftenden Enzyms Glutathion-S-Transferase[32][33] und UDP-Glucuronosyltransferase[34] gefunden.
Einzelnachweise
- Eintrag zu 5-METHYLFURANONE in der CosIng-Datenbank der EU-Kommission, abgerufen am 18. Januar 2022.
- G.A. Burdock: Fenaroli’s Handbook of Flavor Ingredients, 6th Edition. CRC Press, Boca Raton, FL 2010, ISBN 978-1-4200-9077-2, S. 101.
- Datenblatt alpha-Angelica lactone bei AlfaAesar, abgerufen am 15. April 2017 (PDF) (JavaScript erforderlich).
- Eintrag zu α-Angelicalacton bei TCI Europe, abgerufen am 15. April 2017.
- Datenblatt α-Angelica lactone bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 15. April 2017 (PDF).
- L. Wolff: Ueber einige Abkömmlinge der Lävulinsäure. In: Justus Liebigs Ann. Chem. Band 229, Nr. 3, 1885, S. 249–285, doi:10.1002/jlac.18852290302.
- ANGELICA LACTONE ALPHA. (PDF; 83 kB) In: takasago.com. Takasago International Corp., abgerufen am 15. April 2017 (englisch).
- alpha-angelica lactone. In: thegoodscentcompany.com. The Good Scent Co., abgerufen am 3. April 2017 (englisch).
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