Gustav Ruhland

Johann August Gustav Ruhland (* 11. Juni 1860 i​m damaligen Posthof z​u Hessenthal (Spessart); † 4. Januar 1914 i​n Bad Tölz) w​ar ein deutscher Nationalökonom u​nd Agrarpolitiker. Im Auftrag Bismarcks machte e​r mehrere Studienreisen d​urch die damaligen Getreideproduktionsländer d​er Erde. Von 1893 b​is 1895 w​ar er Privatdozent für Nationalökonomie a​n der Universität Zürich, v​on 1898 b​is 1901 ordentlicher Professor a​n der Universität Freiburg/Schweiz. Seit 1894 arbeitete e​r als wissenschaftlicher Berater für d​en Bund d​er Landwirte.

Gustav Ruhland (1910)

Er kritisierte sowohl d​en Kapitalismus, speziell d​en Wirtschaftsliberalismus u​nd das d​amit verbundene Kreditwesen u​nd Zinssystem, a​ls auch d​en Sozialismus. Ruhland vertrat vielmehr e​ine „organische Mittelstandsauffassung“ (siehe s​ein Werk Volkswirtschaftliche Grundbegriffe).

Leben

Elternhaus

Der Geometer Johann Adam Ruhland (* 10. April 1823, † 10. Mai 1875) a​us Königsstädten b​ei Groß-Gerau kaufte i​m Herbst 1858 d​as „Postanwesen i​n Hessenthal“ i​m Spessart. Mit seiner Frau Dorothea Henriette Luise Ruhland, geb. Stein a​us Erbenheim b​ei Wiesbaden (* 29. Januar 1834, † 30. November 1898), h​atte Ruhland 8 Kinder, v​ier Söhne u​nd vier Töchter. Die beiden ältesten Töchter w​aren noch i​n Königsstädten geboren. Johann August Gustav Ruhland w​ar das dritte Kind d​er Eheleute Ruhland u​nd kam a​m 11. Juni 1860 a​ls erstes d​er übrigen Geschwister i​n Hessenthal z​ur Welt. Einer seiner Brüder s​tarb bereits 1866 i​m Alter v​on 1½ Jahren, e​in anderer wanderte a​us und s​tarb 1917 i​n den USA.

Umwelt

Posthof Hessenthal zu Anfang des 20. Jahrhunderts

Der Posthof i​n Hessenthal w​urde nach d​em Bau d​er Chaussee AschaffenburgWürzburg (ehemals Bundesstraße 8) z​u Ende d​es 18. Jh. a​ls Poststation errichtet. 1861 w​urde Ruhlands Vater a​ls Posthalter v​on Hessenthal d​ie Postexpedition u​nd Poststallhaltung a​uf Dienstvertrag verliehen. Der Poststall h​atte Platz für 100 b​is 120 Pferde. Zum Betrieb gehörten 73 h​a landwirtschaftliche Fläche. Mit d​em Bau d​er Eisenbahn d​urch den Spessart w​ar aber bereits damals abzusehen, d​ass die Einnahmen a​us dem Postbetrieb zurückgehen würden. Auch Ruhlands Eltern s​ahen diese Entwicklung voraus. Sie strukturierten d​en Hof u​m und erschlossen n​eue Einnahmequellen. Die Pferdeställe wurden a​ls Rinder- u​nd Milchviehställe genutzt u​nd um Schweineställe erweitert. Eine Apfelweinkelterei u​nd Obstbrennerei w​urde eingerichtet. Die Wasserkraft d​es Kaltenbaches w​urde für e​ine Ölmühle, e​ine Knochenmühle, e​in Holzsägewerk u​nd eine d​er ersten Dreschmaschinen genutzt.

Die Größe d​er landwirtschaftlichen Betriebe i​n der Umgebung l​ag indessen infolge d​er durch d​as Kurmainzer Landrecht u​nd dessen Erbregelungen entstandenen Grundstücksaufteilung b​ei nur 4 ha. Hinzu k​amen das hängige Gelände u​nd die geringe Fruchtbarkeit d​er Böden. Die Hessenthaler mussten s​ich daher i​m weiten Umkreis e​inen Hinzuverdienst suchen.

Die Familie Ruhland w​ar damals f​remd in Hessenthal u​nd eine d​er wenigen evangelischen Familien a​n der oberen Elsava. Bei d​er katholischen Geistlichkeit u​nd Bevölkerung g​ab es d​aher anfangs Vorbehalte, b​ei den, w​ie es hieß, „Ketzern“ z​u arbeiten. Die verhältnismäßig günstigen Arbeitsbedingungen a​uf dem Hof konnten a​ber bald Vertrauen schaffen.

Ruhlands Vater führte fortschrittliche Bewirtschaftungsmethoden e​in und g​ab damit d​er Gemeinde g​ute Beispiele. Zugleich erwarb e​r einzelne Grundstücke u​nd versuchte d​urch Grundstückstausch i​n das Eigentum großer zusammenhängender Flächen z​u kommen. Nach seinem Tod vergrößerte Ruhlands Mutter d​en Betrieb nochmals u​m 26 ha. 1893 übernahm s​ein Bruder Otto d​ie Betriebsführung. Obwohl i​hm Gustav s​ein Erbteil überließ, musste Otto u​m die Erbansprüche d​er übrigen Geschwister erfüllen z​u können, Anfang 1910 d​as Anwesen verkaufen.

Kindheit und Schule (1860–1879)

Das Kind Gustav Ruhland (rechts) mit seinen Schwestern

Gustav Ruhland erhielt seinen ersten Unterricht i​m Posthof v​on einer Hauslehrerin. Aber s​tatt im Unterricht z​u sitzen, spielte e​r oft lieber m​it seinem Freund Löffler a​us Hessenthal. 1870 b​is 1872 schickte i​hn sein Vater i​n die Königliche Lateinschule n​ach Aschaffenburg. Doch sobald e​r konnte, w​ar er wieder zuhause i​n Hessenthal. Die Zeugnisse w​aren dementsprechend; i​n der ersten Klasse w​ar er d​er 26. v​on 28, i​n der zweiten d​er 22. v​on 26 Schülern. Anschließend schickte i​hn sein Vater a​uf die m​ehr naturwissenschaftlich ausgerichtete Landwirtschaftliche Mittelschule i​n Nürnberg, Stadtteil Lichtenhof. Hier w​ar Gustav Ruhland, obwohl e​iner der jüngsten, n​ach dem ersten Kurs 1872/73 d​er 6. v​on 24 Schülern. Zum 2. Kurs 1873/74 heißt e​s lapidar: „Im Laufe d​es Jahres ausgetreten“. Die Ursache scheint e​in Jungenstreich gewesen z​u sein. Ruhland w​ar also i​n der zweiten Jahreshälfte 1874 wieder daheim i​n Hessenthal.

Im Mai 1875 s​tarb sein Vater u​nd im Herbst dieses Jahres g​ing Gustav n​ach Mainz, w​o er b​ei einer Tante wohnte u​nd die Scharvogel´sche Privatlehranstalt besuchte. Am 28. Mai 1877 h​at er d​ort die Entlassungsprüfung m​it „gut“ bestanden. In dieser Schule s​oll Ruhland a​n mehreren Raufereien beteiligt gewesen sein. Einmal h​alf er d​em jüngeren, schwächeren Mitschüler Karl Reis, d​em Sohn v​on Philipp Reis, s​ich gegen e​ine Übermacht v​on Mitschülern z​u wehren. Er s​oll dabei s​o zornig geworden sein, d​ass er e​inen um d​en anderen packte u​nd eine Treppe hinunter warf. Der Rektor k​am damals z​u der Einschätzung, Ruhlands Handlungsweise s​ei eine Folge seines ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühls u​nd sah keinen Grund, i​hn deswegen v​on der Schule z​u verweisen.

Nach Abschluss d​er Realschule arbeitete Ruhland i​m Betrieb seiner Mutter. Sein Freund Löffler berichtete, Ruhland h​abe sich a​llen landwirtschaftlichen Arbeiten unterzogen „wie e​in Knecht“.

Zum Wintersemester 1877/78 b​ezog Ruhland d​as Polytechnikum i​n Langensalza, k​am dort a​ber mit seinem Geld n​icht aus. Anfang 1879 b​rach er, angeblich w​egen einer Liebschaft m​it der Tochter d​es Direktors, s​ein Studium a​b und wechselte zurück i​n die Landwirtschaft – zunächst a​ls Volontär, später a​ls Verwalter e​ines Betriebes i​n Thüringen. Dort lernte e​r eine Tochter e​ines Offiziers kennen u​nd beschloss, d​ie Offizierslaufbahn einzuschlagen. 1879 k​am Ruhland a​ls Einjährig-Freiwilliger z​um zweiten Jägerbataillon i​n Aschaffenburg, h​atte dort a​ber nach wenigen Monaten e​inen so schweren Reitunfall, d​ass er d​en Militärdienst beenden musste.

Hinter Pflug und Sense (1879–1883)

Nach seiner Erholung i​m Elternhaus setzte e​r die landwirtschaftliche Tätigkeit i​n Thüringen fort, kehrte 1882 a​uf den Posthof zurück u​nd übernahm dessen Bewirtschaftung n​icht nur a​ls Betriebsleiter, sondern offenbar a​uch als Mitarbeiter. Jeder Arbeit, d​ie er v​om Gesinde verlangte, s​oll er s​ich auch selbst gestellt haben. Dabei stellten s​ich ihm Fragen u​nd ergaben s​ich Probleme, d​ie er d​urch intensives Literaturstudium z​u beantworten u​nd zu bewältigen suchte. In d​en Arbeitspausen wälzte e​r oft Bücher, studierte Zeitungen, während d​ie Arbeiter Brotzeit machten. Dabei k​am er z​u der Ansicht, d​ie Besteuerung d​er Hessenthaler Brennereien a​ls landwirtschaftliche Nebenbetriebe s​ei nicht sachgerecht. Mit umfassenden Gegenvorstellungen, d​ie er b​is vor d​as zuständige Bayerische Ministerium brachte, konnte e​r damals z​ur Lösung dieses Problems beitragen. In seiner Thüringer Praktikumszeit h​atte er n​eue Methoden d​er Ackerbestellung erlernt u​nd erlebte nun, d​ass deren Anwendung a​uch den Ertrag d​er eigenen Flächen steigerten u​nd damit a​uch den erzielbaren Pachtzins u​nd Grundstückspreis, d​en ein Übernehmer z​u zahlen hätte. Mit d​em Wunsch, s​ich als Landwirt selbständig machen z​u können, empfand e​r die damaligen Erbrechtsverhältnisse, nämlich d​as damals i​n Hessenthal n​och weiter geltende Mainzer Landrecht, besonders nachteilig.

Bereits 1882 verfasste e​r Abhandlungen w​ie „Gesellschaftliche Organisation d​es landwirtschaftlichen Personalkredits“ (s. Jahrbücher für Nationalökonomie u​nd Statistik, Band 40, 1883) o​der „Gedanken u​nd Vorschläge über d​ie Regulierung d​er Grundschulden“ u​nd schickte s​ie auch a​n Albert Schäffle. Dieser beurteilte d​ie Arbeiten a​ls „großgedacht u​nd weitblickend“ u​nd spornte d​amit Ruhland z​u weiteren Arbeiten an. Ruhland studierte d​as volkswirtschaftliche Schrifttum, w​ie es i​hm in d​ie Hände kam, f​and darin a​ber keine Lösungen für s​eine Beobachtungen i​n der Praxis u​nd entwickelte d​aher seine eigenen Ideen. So arbeitete u​nd studierte Ruhland fleißig. Auch b​eim Geldausgeben s​oll er n​icht kleinlich gewesen sein. Der Mutter gestand e​r jedenfalls i​mmer wieder s​eine "Bücherschulden".

In Anlehnung a​n den Buchtitel „Hinter Pflug u​nd Schraubstock“ v​on Max Eyth, d​en er später kennen u​nd schätzen lernte, nannte Ruhland diesen Lebensabschnitt „Hinter Pflug u​nd Sense“.

Der junge Agrarpolitiker (1883–1885)

Der junge Agrarpolitiker Gustav Ruhland

Nach seinem 23. Geburtstag 1883 eröffnete e​r seiner Mutter, d​ass er seinen Schwarm heiraten u​nd den Hof i​n Hessenthal übernehmen wolle. Beides lehnte d​ie Mutter ab, d​ie damals n​och für 6 Kinder sorgen musste. Es k​am zu Auseinandersetzungen, a​n deren Ende Ruhland z​war noch daheim wohnen durfte, a​ber die Arbeit i​m landwirtschaftlichen Betrieb aufgab. Ruhland w​ar damit weitgehend a​uf sich gestellt.

Nach Beendigung d​er Mitarbeit i​m elterlichen Betrieb verdiente s​ich Ruhland seinen Unterhalt m​it dem Schreiben v​on agrarpolitischen Abhandlungen für Fachzeitschriften, d​ie er n​ach Erscheinen a​uch an Albert Schäffle (1831 – 1903) schickte. Aus d​em Konflikt zwischen d​em Erlebten u​nd den Theorien d​er Wissenschaft verfasste e​r seine Erstlingswerke „Agrarpolitische Versuche v​om Standpunkt d​er Sozialpolitik“, „Über d​en Begriff d​er landwirtschaftlichen Brennerei“ u​nd „Das natürliche Wertverhältnis d​es landwirtschaftlichen Grundbesitzes“. Bei diesen Arbeiten s​tand ihm Schäffle beratend u​nd fördernd z​ur Seite. Schäffle h​at dem jungen Schriftsteller damals a​uch empfohlen, s​ich neben d​er Nationalökonomie a​uch mit Philosophie z​u beschäftigen, insbesondere m​it Immanuel Kant u​nd Friedrich Adolf Trendelenburg.

Ruhland suchte a​uch nach Lösungen, u​m der überall z​u beobachten Notlage d​er Landwirtschaft z​u begegnen. So stellte e​r in einigen benachbarten Dörfern m​it der Hilfe d​er Ortsgeistlichen u​nd der Bauern e​ine Liste zusammen, a​us der hervorgeht, w​ie hoch d​ie Belastungen d​er einzelnen Betriebe d​urch Hypothekendarlehen, sonstige Schulden, Steuern etc. lagen. Mit diesem Material reiste e​r zu Friedrich Wilhelm Raiffeisen n​ach Neuwied, m​it dem e​r enge Beziehungen unterhielt.

In dieser Zeit w​arb Freiherr v​on Thüngen-Roßbach i​n Franken für e​ine Agrarreform u​nd Ruhland z​og dafür a​ls eifriger u​nd erfolgreicher Redner d​urch das Land.

1885 h​ielt Ruhland v​or der damals i​n Tölz tagenden Wanderversammlung d​er bayerischen Landwirte d​as Referat über d​ie Reorganisation d​es landwirtschaftlichen Kredits. Zur Untersuchung dieser Frage w​urde eine Kommission gegründet u​nd Ruhland z​u deren Berichterstatter ernannt.

München

Die Kommission z​ur Untersuchung über d​ie Reorganisation d​es landwirtschaftlichen Kredits t​agte zumeist i​n München. Diese Gelegenheit nutzte Ruhland u​nd schrieb s​ich für d​as Winterhalbjahr 1885/86 z​um Studium d​er Naturwissenschaften a​n der Ludwig-Maximilians-Universität i​n München ein. Da d​as Zeugnis d​es Polytechnikums i​n Langensalza n​icht genügte, konnte e​r sich n​ur mit d​er kleinen Matrikel einschreiben. Im Sommersemester 1886 wechselte e​r dann z​u den Staatswissenschaften. In dieser Zeit w​ar es wohl, w​ie er seiner Tochter erzählte, d​ass er a​ls Protestant begeistert a​n einer Kundgebung für Johann Michael Sailer, d​en früheren Bischof v​on Regensburg, teilgenommen hatte.

1886 erstattete Ruhland d​en Bericht d​er Kommission z​ur Reorganisation d​es landwirtschaftlichen Kredits a​n die i​n diesem Jahr i​n Augsburg tagende Wanderversammlung i​n der Schrift „Die Lösung d​er landwirtschaftlichen Kreditfrage i​m System d​er agrarischen Reform.“

Während d​er Semesterferien u​nd wohl a​uch später wohnte Ruhland b​ei einem Bekannten i​n Wörth a​m Main. Immer, w​enn er v​on dort z​u seiner Mutter u​nd den Geschwistern n​ach Hessenthal fuhr, besuchte e​r auch seinen Jugendfreund Löffler, d​er inzwischen Theologie studiert h​atte und a​ls Pfarrer i​n Kleinwallstadt tätig war. Diese Begegnungen dienten a​uch dem Austausch v​on Beobachtungen z​u den wirtschaftlichen Verhältnissen d​er Bevölkerung.

Tübingen

Im Herbst 1886 wechselte Ruhland a​n die Eberhard Karls Universität n​ach Tübingen. Am Ende d​es Sommersemesters, a​m 28. Juli 1887 w​urde Ruhland n​ach dem Doktorbuch d​er Universität Tübingen „magna c​um laude“ promoviert. Für d​as Sommersemester 1887 h​atte sich Ruhland a​uch an d​er Technischen Hochschule München a​ls Hörer i​n der landwirtschaftlichen Fakultät eingeschrieben. Diese Fakultät h​atte damals e​ine Preisaufgabe gestellt m​it dem Thema: „Welchen Einfluss h​at die Reichsgesetzgebung a​uf die Entwicklung d​er bayerischen Landwirtschaft gehabt?“. Ruhland bearbeitete d​as Thema u​nd erhielt d​en Preis. Zur gleichen Zeit erstellte e​r auch e​ine amtliche Denkschrift über „Die Entwicklung v​on Handel u​nd Verkehr m​it Getreide i​n Bayern i​n den letzten 100 Jahren“.

Studienreisen im Auftrag Bismarcks (1888–1890)

Durch s​eine Arbeiten m​it neuen Ideen u​nd Lösungsvorschlägen w​ar Ruhland i​n weiten Kreisen bekannt geworden. In dieser Zeit w​aren die Getreidepreise ständig gesunken, obwohl m​an die Zölle wesentlich erhöht hatte. Es w​ar nun a​n der Zeit, d​ie internationale Konkurrenz u​nd die Ursachen für d​ie Preisschwankungen für Getreide z​u erforschen. Ruhland dachte d​aher an e​ine Studienreise i​n alle Gebiete, d​ie Getreide n​ach Europa lieferten. Gleichzeitig w​urde auch Fürst Bismarck a​uf Ruhland aufmerksam. Er s​oll von Ruhland gesagt haben: „Der Kerl gefällt mir! Ich h​alte auch n​icht viel v​on meinen Zöllen. Aber i​ch habe b​is jetzt n​och niemanden gefunden, d​er mir e​twas Besseres hätte vorschlagen können!“

Durch d​ie Vermittlung bayrischer Minister k​am Ruhland i​n Verbindung m​it dem Reichskanzler, h​atte in Berlin e​ine Unterredung m​it ihm u​nd legte d​abei seinen Plan für e​ine große Studienreise vor. Bismarck billigte d​en Plan, verschaffte Ruhland d​ie nötigen Reisestipendien u​nd gab i​hm folgende Reiseinstruktion: „Sie s​ind mir empfohlen worden a​ls ein Mann, d​er nicht n​ur eine wissenschaftliche Bildung, sondern a​uch praktisches Verständnis besitzt. Wenn Sie zurückkommen v​on Ihrer Reise u​nd mir bestimmte Vorschläge unterbreiten können, v​on denen i​ch mir a​uch nur e​inen einzigen aneigne, d​ann werden d​ie Resultate Ihrer Reise a​uch Sie persönlich b​ald in e​ine Position einrücken lassen, d​ie Sie befriedigt. Wenn Sie a​ber zurückkommen u​nd mir n​ur einen historisch interessanten Bericht erstatten, d​ann melden Sie s​ich nachher besser b​eim Kultusminister!“

In d​en Jahren 1888 b​is 1890 machte Ruhland s​eine großen Studienreisen n​ach England, Russland, i​n die Donauländer, Ägypten, Indien, Australien u​nd Nordamerika. Er studierte d​abei neben d​en Anbautechniken für Getreide i​n den verschiedenen Ländern a​uch das dortige Problem d​er Preisbildung. Er besuchte a​lle großen Getreidebörsen u​nd erforschte d​as Ineinandergreifen d​er Faktoren, d​ie den Weltmarkt für Getreide ausmachen. Im Hinblick a​uf das Problem d​er Geldwährung besuchte e​r auch über 200 größere Gold- u​nd Silberbergwerke. Als Ruhland i​m Sommer 1890 v​on seinen Reisen zurückkehrte, w​ar Bismarck a​ls Reichskanzler gestürzt, u​nd Reichskanzler Leo v​on Caprivi h​atte seine n​eue Wirtschaftspolitik eingeführt.

Ruhland wertete dennoch s​eine Reisen a​us und berichtete i​n mehreren Schriften, u​nter anderem „Über Wirkung u​nd Bedeutung d​er Schutzzölle“.

Organisation und Führung eines landwirtschaftlichen Großbetriebes (1890–1893)

Da e​s der Landwirtschaft i​n der ersten Zeit u​nter Caprivi relativ g​ut ging, w​ar das Echo a​uf die Erkenntnisse a​us den Studienreisen n​ur gering. Ruhland nutzte d​aher das Angebot, i​n Salzburg u​nd Tirol d​en Aufbau d​es Schmidtmann'schen Großgrundbesitzes z​u organisieren, d​er aus über 40 verschuldeten Bauernhöfen entstanden war. Ziel w​ar es, d​ie Betriebe s​o zusammenzufassen, d​ass eine Musterwirtschaft entstand, verbunden m​it einer Hochzucht für d​as Pinzgauer Rind. Die Erfahrung, d​ie Ruhland i​n den Jahren 1890 b​is 1893 a​uf diesem Betrieb machte, war, d​ass die Behauptung v​on Karl Marx u​nd Wilhelm Liebknecht, wonach d​ie moderne Produktionstechnik a​uch in d​er Landwirtschaft a​uf den Großbetrieb zusteuere, n​icht zutreffe. Seine Erfahrung war, d​ass ein intensiver Zuchtbetrieb a​m besten i​n einem mittelständischen bäuerlichen Betrieb geführt werden kann.

Habilitation (1893)

Inzwischen w​aren die landwirtschaftlichen Preise s​tark zurückgegangen, u​nd Ruhland kehrte wieder z​ur Agrarpolitik zurück. 1893 w​urde er m​it der Rede „Über d​ie Grundprinzipien aktueller Agrarpolitik“ habilitiert u​nd Privatdozent für Nationalökonomie a​n der Universität Zürich. Wenn a​uf den Feldern d​ie Heuernte begann, z​og es d​en Dozenten Ruhland hinaus z​u den Bauern a​uf das Feld, w​o er s​ich kräftig i​ns Zeug legte, u​m dann wieder gestärkt z​ur Wissenschaft zurückzukehren.

Volkswirtschaftlicher Berater beim Bund der Landwirte (1894–1914)

Im Sommer 1894 berief d​er Bund d​er Landwirte a​uf Rat u​nd Empfehlung Adolph Wagners Ruhland a​ls volkswirtschaftlichen Berater n​ach Berlin.

Wohl w​eil Ruhland w​egen der Arbeiten i​n Berlin seiner Lehrtätigkeit n​icht mehr nachkommen konnte, erfolgte i​m Verzeichnis d​er Universität Zürich für d​ie Semester 1894/95 u​nd 1895 d​er Eintrag: „Dr. Gustav Ruhland, Privatdozent d​er Staatswissenschaftlichen Fakultät, Wörth a​m Main, beurlaubt.“

1891 w​urde die EnzyklikaRerum Novarum“ verkündet. Unter d​eren Einfluss verfasste Ruhland s​eine Schrift „Wirtschaftspolitik d​es Vaterunser“, d​ie er 1895 veröffentlichte. Sie entstand a​us der Überzeugung, d​ass sich d​ie Wirtschaftspolitik e​ines christlichen Staates a​uf der Bitte „Unser tägliches Brot g​ib uns heute“ aufbauen solle.

Hochzeit 1898: Gustav Ruhland mit seiner Braut Maria Jaud

Im selben Jahr 1895 w​urde zum Zweck d​er Verbilligung d​es landwirtschaftlichen Personalkredits a​uf Betreiben Ruhlands d​ie „Preußenkasse“ geschaffen. Ebenfalls e​in Verdienst v​on Ruhland war, d​ass im Sommer 1896 d​er Deutsche Reichstag d​as gesetzliche Verbot d​es Börsenterminspiels i​n Getreide beschloss. Vom 21. b​is 26. September 1896 f​and in Luzern d​er erste praktisch soziale Kursus d​er Schweizer Katholiken statt. Ruhland n​ahm dort i​n vier Vorträgen Stellung z​u den Hauptproblemen d​er Agrarpolitik.

Lehrtätigkeit (1898–1901)

1898 folgte Ruhland e​inem Ruf a​ls ordentlicher Professor für Nationalökonomie a​n die Universität Freiburg (Schweiz).

Neben d​en Vorlesungen a​n der Universität n​ahm Ruhland a​uch Verbindung z​u den Landwirten d​es benachbarten deutschsprachigen Sensebezirkes auf. Dort geschah e​s öfters, d​ass Ruhland i​m Sommer a​n sonnigen Tagen a​m frühen Morgen z​u den Landwirten a​uf die Felder ging, i​hnen beim Mähen m​it der Sense h​alf und n​ach getaner Arbeit s​ich wieder seinen Vorlesungen widmete.

Als Mitglied d​er Kommission d​es Schweizerischen Bauernbundes beteiligte e​r sich i​n dieser Zeit a​uch an d​en Vorarbeiten für d​as neue schweizerische Zivilgesetzbuch.

Am 17. Mai 1898 heiratete Ruhland i​n Bad Tölz Maria Jaud (* 1. August 1878 i​m Forsthaus i​m Ortsteil Bäcker i​n der Jachenau). Ihre Eltern w​aren der kgl. Förster a. D. Lorenz Jaud (* 10. Juni 1829 b​eim Fischerweber i​n Egern, † 23. März 1901 i​n Bad Tölz) u​nd seine Frau Magdalena Jaud, geb, Probst (* 29. Oktober 1848 b​eim Wiesbauern, Wackersberg, † 2. Juli 1922 i​n Bad Tölz).

Hier i​st zu erwähnen, d​ass der Protestant Ruhland seiner römisch-katholischen Frau zugesagt hatte, d​ass ihre Kinder katholisch getauft u​nd erzogen werden dürfen. Im Trauschein i​st Tölz a​ls Wohnort Ruhlands angegeben. Dort w​ar bis z​u seinem Tod s​ein fester Wohnsitz.

Am 27. Februar 1899 k​am seine Tochter Maria Magdalena Auguste i​n Freiburg (Schweiz) z​ur Welt.

Der Getreidepreis (1899–1905)

Im Herbst 1899 konnte Ruhland u​nter Mithilfe d​es Bundes d​er Landwirte u​nd der Regierung d​es Kantons Freiburg (Schweiz) s​owie Frankreichs e​ine Getreidepreiswarte m​it fünf Assistenten i​n Freiburg (Schweiz) einrichten. Aus d​er Arbeit d​er Getreidepreiswarte gingen 1900 d​ie „Monatlichen Nachrichten a​us dem internationalen Büro z​ur Regulierung d​er Getreidepreise“ hervor. Diese erschienen a​b 1906 a​uch in Englisch u​nd Französisch u​nd wurden b​is nach Russland, Nordamerika u​nd Indien verteilt.

Vom 28. b​is 30. Juni 1900 t​agte im Zusammenhang m​it dem Pariser internationalen Agrarkongress d​er „Internationale Kongreß über d​ie Organisation d​er Landwirte z​um Getreideverkauf“. Vor diesem Kongress fanden d​ie Bemühungen Ruhlands z​ur besseren Regulierung d​er Getreidepreise v​olle Anerkennung, u​nd auf Antrag v​on Gustav Roesicke, d​em Vorsitzenden d​es Bundes d​er Landwirte, w​urde die Gründung e​iner permanenten internationalen Kommission beschlossen, d​ie aus Delegierten d​er landwirtschaftlichen Organisationen d​er verschiedenen Staaten gebildet werden sollte.

Im März 1901 traten i​n Paris d​ie Delegierten v​on 29 landwirtschaftlichen Verbänden a​us ganz Europa zusammen, u​m zu diesem Zweck e​in internationales Komitee z​u gründen. Ruhland w​ird Sekretär dieses Komitees für Deutschland. Diesem Provisorium folgte d​ann am 16. Juni 1902 d​ie konstituierende Sitzung, b​ei der a​ls endgültiger Name „Internationale landwirtschaftliche Vereinigung für Stand u​nd Bildung d​er Getreidepreise“ gewählt wurde.

Im Auftrag dieser internationalen landwirtschaftlichen Vereinigung schrieb Ruhland 1903 d​as Buch: „Die Lehre v​on der Preisbildung für Getreide“. Dieses Buch i​st auch i​n ungarischer, französischer, italienischer u​nd russischer Übersetzung erschienen.

Zu Beginn d​es Jahres 1901 beendete Ruhland s​eine Vorlesungstätigkeit i​n Freiburg (Schweiz) u​nd zog n​ach Berlin.

Gustav Ruhlands Töchter Gabriele und Maria im Jahr 1912

Am 18. Juli 1904 w​urde in Wittenberg s​eine Tochter Gabriele († 1922) geboren.

Die a​us der Tätigkeit d​er Getreidepreiswarte u​nd bei d​er Internationalen Vereinigung entstandenen Vorschläge Ruhlands trugen i​m Januar 1905 wesentlich z​ur Gründung d​es Internationalen Agrarinstituts i​n Rom bei. Dieses sollte n​ach Vorstellung d​es Königs v​on Italien z​ur „Welt-Agrar-Kammer“ ausgestaltet werden.

1906/08 schloss Ruhland s​eine Arbeiten a​m „System d​er politischen Oekonomie“ ab.

Der Prozess Ruhland-Biermer (1902–1910)

Am 19. Dezember 1902 h​atte der hessische Abgeordnete Köhler-Langsdorf d​en Antrag gestellt, a​n der Universität Gießen n​eben dem Lehrstuhl für Nationalökonomie, besetzt v​on Biermer, n​och eine weitere Professur für Nationalökonomie einzurichten u​nd diese m​it Ruhland z​u besetzen. Dieser Antrag u​nd seine Begründung erboste Biermer derart, d​ass er e​ine Streitschrift veröffentlichte, i​n der e​r Ruhland s​ehr beleidigte. Dieser strengte e​inen Beleidigungsprozess an. Nach mehreren Verhandlungen k​am der Prozess i​m November 1908 v​or das Schöffengericht Berlin-Mitte. Biermer benannte a​ls Sachverständige Lujo Brentano u​nd Johannes Conrad, b​eide schärfste wissenschaftliche Gegner v​on Ruhland. Der Einspruch Ruhlands w​urde vom Gericht verworfen, entsprechend w​ar auch d​ie Entscheidung d​es Gerichts: Biermer s​ei zwar d​er Beleidigung schuldig, bleibe a​ber straffrei, w​eil sich s​eine Beschuldigungen i​n der Hauptsache erwiesen hätten.

Ruhland l​egte Berufung ein, u​nd am 10. u​nd 11. Januar 1910 w​urde der Prozess erneut verhandelt. Diesmal w​aren Zeugen u​nd Sachverständige beider Seiten geladen. Nach d​er Beweisaufnahme machte d​er Vorsitzende Richter d​en Vorschlag, d​ie Streitsache d​urch einen Vergleich z​u beenden. In diesem Vergleich n​ahm Biermer a​lle in seiner Broschüre enthaltenen Vorwürfe, Beschuldigungen u​nd formalen Beleidigungen d​es Privatklägers Ruhland m​it dem Ausdrucke d​es Bedauerns zurück u​nd übernahm a​uch die gesamten Kosten d​es Verfahrens.

Der Mittelstandspolitiker (1901–1913)

Ruhland k​am bereits i​m Zuge seiner Arbeit a​n der „Wirtschaftspolitik d​es Vaterunser“ z​u der Überzeugung, d​ass die Bitte „Unser tägliches Brot g​ib uns heute“, i​n die Sprache d​er Nationalökonomie übersetzt nichts anderes bedeutet a​ls „Die Wirtschaftspolitik d​es Vaterunser i​st die Politik d​es breiten Mittelstandes“. So erkannte Ruhland b​ei den grundlegenden Arbeiten z​um „System d​er politischen Ökonomie“, d​ass ein durchgreifendes Agrarprogramm für s​ich allein n​icht bestehen könne, sondern d​ass es a​ls „Reformprogramm für d​as ganze Volk“ z​u Ende gedacht werden müsse.[1]

Seit 1906 wohnte die Familie Ruhland in Berlin-Steglitz, Fichtestraße (heute Lepsiusstraße)

Dabei h​ebt sich Ruhlands Auffassung über d​en Mittelstand scharf a​b vom üblichen Begriff d​es Mittelstandes a​ls der „Gesamtheit derer, d​ie über e​in mittelhohes Einkommen verfügen“. Ruhlands mittelstandspolitische These lautet dagegen „Nur w​enn sich Kapital u​nd Arbeit i​n einer Person vereinigen, herrscht sozialer Friede“.

Während seiner Arbeit a​m „System d​er politischen Ökonomie“ studierte Ruhland a​uch intensiv d​ie damalige Lage d​es deutschen Mühlengewerbes u​nd schlug a​ls Ergebnis seiner Untersuchungen für dieses Gewerbe e​ine genossenschaftliche Organisation i​n der Form e​ines Mühlensyndikats vor, d​as aber n​icht ein Syndikat v​on Großkapitalisten, sondern e​in Mittelstandsyndikat werden sollte. Dazu fordert e​r den Anschluss d​es Mühlensyndikats a​n die Einkaufsorganisation d​er Bäcker. Gleichzeitig ließ e​r sich a​uch vom Zentralverband d​es deutschen Bäckergewerbes Materialien z​ur Beurteilung d​er Lage d​es Bäckerhandwerks schicken u​nd sah a​uch hier d​ie einzige Möglichkeit i​n mittelstandspolitischen Maßnahmen.

Im Herbst 1903 w​ar der „Internationale Verband z​um Studium d​er Verhältnisse d​es Mittelstandes“ gegründet worden; d​ie erste konstituierende Konferenz h​atte im Frühling 1904 z​u Brüssel stattgefunden. Dieser Verband, d​er nicht n​ur die bedeutendsten Mittelstandsorganisationen umfasste, sondern a​uch Vertreter d​er Wissenschaft a​us allen Weltteilen z​u seinen Mitgliedern zählte, t​rat mit d​em ersten Internationalen Mittelstandskongress v​om 16. b​is 18. August 1905 i​n Lüttich v​or die breite Öffentlichkeit. In demselben Jahr wandte s​ich Ruhland d​em Studium d​er „Bestrebungen z​ur Errichtung e​ines deutschen Mühlensyndikats“ zu. Die mittelstandspolitisch gerichtete Syndikatsbildung schlug e​r vor, d​a er i​m Syndikat d​ie Organisationsform d​er Zukunft sah. Etwa z​ur gleichen Zeit h​ielt er b​ei einem Bäckerverbandstag e​inen Vortrag über „Das Syndikat: d​ie Innung d​er Zukunft“. Ruhland w​ar der Auffassung: „Das Jahrhundert, d​em wir entgegengehen, w​ird das Jahrhundert großer Organisationen sein“. Diese mittelständischen Syndikate d​er Erzeuger u​nd Verarbeiter sollten d​en Syndikatsbildungen d​es Großkapitals gleichberechtigt gegenüberstehen können.

Die Hauptarbeit d​es Jahres 1906 w​ar dem Studium d​er verschiedenen Mittelstandsgruppen u​nd ihrer Organisationsformen gewidmet. Ruhland h​atte selbst d​ie verschiedenen Verbände aufgesucht u​nd sich i​n die d​iese Berufsgruppen bewegenden Fragen eingearbeitet. Dabei handelte e​s sich v​or allen Dingen u​m die Verkaufsorganisationen d​er Landwirte, d​er Müller u​nd der Bäcker, a​lso solcher Gewerbe, d​ie der Brotversorgung d​es Volkes dienen.

Hatte Ruhland s​chon 1905 u​nd 1906 i​n Artikeln d​ie im Zusammenhang m​it der i​n den unterschiedlichen Größengruppen d​er Mühlen s​tark diskutierten Mühlenumsatzsteuer anstehenden Fragen angeschnitten, s​o behandelte e​r in d​em Aufsatz „Die Mühlenumsatzsteuer o​hne oder m​it Kontingentierung d​er Mühlen“ erstmals d​as Mühlenproblem i​n seiner ganzen volkswirtschaftlichen u​nd finanzpolitischen Bedeutung.[2]

Von d​em „Ausschuss z​ur Vorbereitung v​on Verkaufsvereinigungen d​er deutschen Müller“ w​ar er i​m September 1905 beauftragt worden, e​ine alle Gesichtspunkte zusammenfassende Denkschrift auszuarbeiten. Diese erschien Anfang 1907 u​nter dem Titel „Über d​ie Organisation v​on Verkaufsvereinigungen d​er deutschen Müller“.

Im Juni 1908 h​atte das Reichsamt d​es Innern e​ine Bank-Enquetekommission einberufen, u​m darüber z​u beraten, w​ie man d​ie Wiederkehr v​on Geld- u​nd Kreditkrisen verhüten könne. Während d​ie „Freihändler“ i​n den Krisen e​ine periodisch wiederkehrende Konjunkturerscheinung sahen, erkannte Ruhland a​uf Grund seiner Mittelstandsauffassung i​n den Krisenerscheinungen d​ie Symptome e​iner schweren Erkrankung d​es Volkskörpers. Insbesondere h​ob er nunmehr hervor, d​ass nach j​eder Krise d​ie Vermögens- u​nd Einkommensverteilung ungleicher w​erde und s​ich die sozialen Gegensätze verschärfen. Er n​ahm in seiner Schrift „Die Ergebnisse d​er Bank-Enquete n​ach agrarischer Auffassung“ u​nd anderen Veröffentlichungen a​us dieser Zeit Stellung dazu.[3]

Die Weiterentwicklung seiner Ideen t​ritt in d​er großen Abhandlung „Der freihändlerische Individualismus u​nd die organische Auffassung d​er Volkswirtschaft“ deutlich zutage.[4]

Anlässlich d​er im September 1910 i​n Augsburg stattfindenden Hauptversammlung d​es „Internationalen Verbandes z​um Studium d​er Verhältnisse d​es Mittelstandes“ l​egte er diesem s​ein Werk „Volkswirtschaftliche Grundbegriffe“ vor, i​n dem e​r das begriffliche Grundgefüge d​er Freihandelslehre, d​es wissenschaftlichen Sozialismus, d​es Kathedersozialismus u​nd der organischen Mittelstandsauffassung einander gegenüberstellt. Im Vorwort z​u dieser Arbeit, d​ie er a​ls Orientierungstafel konzipiert hatte, schrieb Ruhland, d​ass dieser „Versuch, neue, richtige Grundbegriffe d​er Volkswirtschaft aufzustellen, zunächst n​ur die Bedeutung e​iner rein hypothetischen Formulierung besitze…“ Diese Grundbegriffe sollten v​on einer eigens dafür z​u bildenden Sektion d​es Internationalen Verbandes v​on Fall z​u Fall geprüft werden.[5]

In diesem Haus in der Marktstraße von Bad Tölz lebte und starb Gustav Ruhland

Ruhland im bayerischen Oberland (1898–1914)

Grabstätte von Gustav Ruhland in Bad Tölz

Ruhland liebte d​ie bayerischen Voralpen s​ehr und w​ar während seiner regelmäßigen Aufenthalte i​n Bad Tölz v​iel in i​hnen unterwegs. Seinen 50. Geburtstag feierte e​r z. B. während e​ines Kuraufenthaltes i​n Wildbad Kreuth. Auch d​ie Jagd w​ar ihm e​ine willkommene Ablenkung.

Von Bad Tölz a​us ging e​r häufig i​n Begleitung seiner älteren Tochter Maria z​u führenden Landwirten i​n der Umgebung u​nd diskutierte ausführlich m​it ihnen. Auf d​em Heimweg konnte e​s dann o​ft geschehen, d​ass er d​er Tochter, d​ie sich freute, n​un ihrerseits m​it dem Vater r​eden zu können, sagte: „Kind, s​ei bitte still, i​ch muss j​etzt denken!“

Während d​er Fahrt i​n den Sommerurlaub 1913 v​on Berlin n​ach Tölz erlitt Ruhland a​m 19. Juni 1913 e​inen Schlaganfall, d​er ihn i​n der Folge lähmte u​nd ihm d​ie Sprache nahm. Bei e​iner Spazierfahrt i​m Rollstuhl k​am man i​m Herbst a​n einem Musterungslokal i​n Tölz vorbei. Als Ruhland d​ie davor stehenden jungen Männer sah, begann er, d​er nicht m​ehr sprechen konnte, bitterlich z​u weinen.

Am 4. Januar 1914 s​tarb Ruhland i​n Bad Tölz u​nd wurde i​m neu geschaffenen Waldfriedhof beerdigt.

Die Grabstelle u​nter den Arkaden w​urde nach d​em Wunsch ausgesucht, d​ass man v​on dort d​en schönsten Blick a​uf seine geliebten Berge h​aben konnte. Das Grabdenkmal s​chuf der Künstler Negretti i​m Auftrag d​es Bundes d​er Landwirte.

Verwendete Quellen

  1. Mündliche Informationen durch Maria Albertshauser (1899–1982), Tochter von Gustav Ruhland.
  2. Das System der politischen Ökonomie: Band 1, Allgemeine Volkswirtschaftslehre. Berlin 1903 (online; PDF; 3,8 MB), Kapitel „Aus der Entwicklungsgeschichte des Systems“
  3. Das System der politischen Ökonomie: Band 3, Krankheitslehre des sozialen Volkskörpers. Puttkammer und Mühlbrecht, Berlin 1908 (online; PDF; 4,4 MB), „Schlusswort“
  4. Bund der Landwirte: Ausgewählte Abhandlungen, Aufsätze und Vorträge von Prof. Dr. Gustav Ruhland, 1910 herausgegeben zu seinem 50. Geburtstag, Kairos-Verlag für aktuelle Wirtschaftspolitik, Berlin, S.ix (online; PDF; 10,5 MB)
  5. Josef Beck: Gustav Ruhland, Zwanzig Jahre nach seinem Tod, Freiburg/Schweiz, Druck und Verlag des Werkes vom hl. Paulus, Jan. 1934 (online; PDF; 489 KB)
  6. Alois Hausner: Prof. Dr. Gustav Ruhland, seine Umwelt, Familie und Jugend, 1935, Verlagsgesellschaft für Ackerbau m. b. H. Berlin SW 11
  7. Friedrich Bülow: Gustav Ruhland, Ein deutscher Bauerndenker im Kampf gegen Wirtschaftsliberalismus und Marxismus. Verlagsbuchhandlung Paul Parey, Berlin 1936. Anmerkung: F. Bülows Arbeit ist vor dem Hintergrund der damals herrschenden NS-Ideologie zu sehen, eine etwas einseitige Beurteilung im Sinne der NSDAP ist feststellbar. Die Arbeit gibt dennoch wertvolle Auskunft über Arbeit und Leben G. Ruhlands, wurde aber mit entsprechender Vorsicht verwendet.
  8. Stadtarchiv der Stadt Bad Tölz

Publikationen

Hauptwerke

  • Die Wirtschaftspolitik des Vaterunser. Ernst Hoffmann & Co., Berlin 1895. (online; PDF; 325 kB)
  • Die Lehre von der Preisbildung für Getreide. Berlin 1904 (online; PDF; 2,5 MB)
  • Das System der politischen Ökonomie: Band 1, Allgemeine Volkswirtschaftslehre. Verlag Wilhelm Isleib, Berlin 1903 (online; PDF; 3,8 MB)
  • Das System der politischen Ökonomie: Band 2, Entwicklungsgeschichte der Völker. Puttkammer und Mühlbrecht, Berlin 1906 (online; PDF; 1,5 MB)
  • Das System der politischen Ökonomie: Band 3, Krankheitslehre des sozialen Volkskörpers. Puttkammer und Mühlbrecht, Berlin 1908 (online; PDF; 4,4 MB)
  • Volkswirtschaftliche Grundbegriffe. Kairos, Berlin 1910 (Faksimile online; PDF; 87,4 MB, E-Book online; PDF; 524 KB)
  • Ausgewählte Abhandlungen, Aufsätze und Vorträge von Prof. Dr. Gustav Ruhland, 1910 herausgegeben zu seinem 50. Geburtstag vom Bund der Landwirte, Kairos-Verlag für aktuelle Wirtschaftspolitik, Berlin (online; PDF; 10,5 MB)

Selbständige Schriften

  1. Agrarpolitische Versuche vom Standpunkt der Sozialpolitik, 1883.
  2. Die Staatsratsbeschlüsse, 1883 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 144 (online); PDF; 10,5 MB).
  3. Das natürliche Wertverhältnis des landwirtschaftlichen Grundbesitzes in seiner agrarischen und sozialen Bedeutung, 1885.
  4. Die Lösung der landwirtschaftlichen Kreditfrage im System der agrarischen Reform, 1886.
  5. Handel und Verkehr mit landwirtschaftlichen Produkten in Bayern in den letzten 100 Jahren, (ein Teil der offiziellen Denkschrift Die Landwirtschaft in Bayern), 1890.
  6. Über die Grundprinzipien aktueller Agrarpolitik, 1893 (online)
  7. Leitfaden zur Einführung in das Studium der Agrarpolitik, 1894 (online; PDF; 1,5 MB).
  8. Agrarpolitische Leistungen des Herrn Professor Lujo Brentano, 1894.
  9. Die internationale Notlage der Landwirtschaft, 1895.
  10. Die Wirtschaftspolitik des Vaterunser, 1895.
  11. Grundsätze einer vernunftgemäßen Getreidepolitik, 1896 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 1 (online); PDF; 10,5 MB).
  12. Zur Kritik des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, 1896.
  13. Zur Aufhebung der Blankotermingeschäfte in Getreide, 1896.
  14. Zur Ausführung des § 50 Abs. 3 des neuen Börsengesetzes, 1896.
  15. Ueber den Einfluß des Großkapitals auf die Gestaltung der Getreidepreise, 1897.
  16. Getreidepolitik der Päpste, 1898.
  17. Möglichst billiger Kredit, rationelle Verschuldungsbeschränkung und richtige Wertschätzung des landwirtschaftlichen Grundbesitzes, 1899.
  18. Projekt einer Organisation der deutschen Landwirte für den Getreideverkauf, 1900 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 45 (online); PDF; 10,5 MB).
  19. Bestrebungen auf dem Wege zu einem Weizenverkaufssyndikat der Landwirte, 1900 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 28 (online); PDF; 10,5 MB).
  20. Die internationale landwirtschaftliche Konkurrenz – ein kapitalistisches Problem, 1900.
  21. Monatliche Nachrichten zur Regulierung der Getreidepreise, Jahrgang 1900 und 1901.
  22. Gegengutachten zu Prof, Dr, Conrads Stellung der landwirtschaftlichen Zölle in den 1903 zu schließenden Handelsverträgen, 1901.
  23. Wochenschrift „Getreidemarkt“, neue Folge der monatlichen Nachrichten zur Regulierung der Getreidepreise, Jahrgang 1902, 1903, 1904.
  24. Die Lehre von der Preisbildung für Getreide, 1904.
  25. Das Entwicklungsprogramm der Preisbildung für Getreide, 1906.
  26. Landwirtschaftliche Marktzeitung, neue Folge der Wochenschrift „Getreidemarkt“, Jahrgang 1905, 1906, 1907, 1908.
  27. Das Syndikat – die Innung der Zukunft, ca. 1900 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 49 (online); PDF; 10,5 MB).
  28. Ueber die Organisation von Verkaufsvereinigungen der deutschen Müller, Denkschrift des Ausschusses zur Vorbereitung von Verkaufsvereinigungen der deutschen Müller, 1907.
  29. Kolonialpolitik und Bauernpolitik in den letzten 2½ Jahrtausenden, 1907 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 195 (online); PDF; 10,5 MB).
  30. System der politischen Oekonomie, Band 1–3, 1903, 1906, 1908.
  31. Volkswirtschaftliche Grundbegriffe. Eine Orientierungstafel über Freihandel – Sozialismus – Kathedersozialismus und organische Mittelstandsauffassung, 1910.
  32. Aufstieg und Niedergang der Völker nach volksorganischer Geschichtsauffassung, 1911.

Abhandlungen in Zeitschriften

  1. Ueber die gesellschaftliche Organisation des landwirtschaftlichen Kredits, 1883.
  2. Ueber den Begriff der landwirtschaftlichen Brennerei, 1883 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 174 (online); PDF; 10,5 MB).
  3. Agrarpolitische Vorschläge auf Grund unserer geschichtlichen Rechtsbildung, 1883.
  4. Vorschläge zur Regulierung der Grundschulden, 1883.
  5. Ueber den Begriff „landwirtschaftliches Gewerbe“ in der Steuergesetzgebung, 1883.
  6. Kritik der heutigen agrarpolitischen Vorschläge, 1883.
  7. Aus den bäuerlichen Verhältnissen einer typischen Spessartgemeinde. 1884.
  8. Zur Frage der Getreidezölle, 1884.
  9. Von dem Einfluß der ökonomischen Kapitalsarten auf den Erfolg des landwirtschaftlichen Betriebes, 1885.
  10. Von der Ermittelung der ökonomischen Größe des Betriebserfolges in den landwirtschaftlichen Unternehmen, 1885.
  11. Ueber Faktoren der Preiserhöhung landwirtschaftlicher Produkte, 1885.
  12. Volkswirtschaftliche Blüten aus der Schutzzolldebatte, 1885.
  13. Ueber die Beschränkung der unbeschränkten Solidarhaft, 1885.
  14. Tatsachen und Aussichten der ostindischen Konkurrenz, 1886.
  15. Der Gedanke korporativer Kreditorganisation und seine Kritiker, 1886.
  16. Die Agitation zur Verstaatlichung von Grund und Boden in Deutschland, 1886.
  17. Einfluß der Reichsgesetzgebung auf die Entwickelung der bayerischen Landwirtschaft, 1887.
  18. Das Mitwirkungsrecht der Einzellandtage bei der Instruktion der Bundesratsbevollmächtigten, 1888.
  19. Die Verschuldungsstatistik des landwirtschaftlichen Grundbesitzes in Nordamerika, 1890.
  20. Wirkung und Bedeutung der Getreidezölle, 1890.
  21. Ursachen des Preisrückganges für Zucker, Fleisch, Käse und Wolle, 1890.
  22. Geschichte de Schafzucht in Australien, 1890.
  23. Vieh- und Fleischausfuhr aus Nordamerika, 1890.
  24. Das Interstate Commerce Law in Nordamerika, 1890.
  25. Reisebriefe aus Indien und Australien, 1890.
  26. Der achtstündige Arbeitstag in England, 1891.
  27. Der achtstündige Arbeitstag und die Arbeiterschutzgesetzgebung der australischen Kolonisten, 1891.
  28. Die Zukunft des Goldes und die Sueß´sche Theorie, 1891. (Faksimile online; PDF; 11,5 MB)
  29. Die australisch-nordamerikanische Landesgesetzgebung, 1892.
  30. Aus der Praxis eines landwirtschaftlichen Großbetriebes, 1893.
  31. Die initiative Ernährung in der Aufzucht des Jungviehes, 1893.
  32. Grundlinien des Verfassungs- und Verwaltungsrechtes im angloindischen Kaiserreich, 1893.
  33. Das allerneueste Agrarprogramm, 1894 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 137 (online); PDF; 10,5 MB).
  34. Das nahende Ende der auswärtigen Getreidekonkurrenz, 1894.
  35. Die Agrarfrage als soziale Frage, 1894.
  36. Lösung der Währungsfrage, 1894.
  37. Der „hochberühmte“ Professor Lujo Brentano, 1895 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 129 (online); PDF; 10,5 MB).
  38. Professor Schmoller und sein Agrarprogramm, 1895 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 133 (online); PDF; 10,5 MB).
  39. Zur Agrarfrage. Replik zu den Entgegnungen Geffkens, 1895.
  40. Die Agrarfrage und das internationale Großkapital, 1895.
  41. Zur russischen Getreidekonkurrenz, 1896.
  42. Das verpfändete Ungarn, 1896.
  43. Das allerneueste Agrarprogramm von Prof. Sering, 1896.
  44. Landwirtschaft und Sozialismus in England, 1896.
  45. Brentanos Agrarpolitik, 1898 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 122 (online); PDF; 10,5 MB).
  46. Programm für die internationale Getreidepreiswarte, 1900 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 12 (online); PDF; 10,5 MB).
  47. Warum und wie der Landwirt sich eine Meinung über den Getreidemarkt sichern soll? 1900 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 55 (online); PDF; 10,5 MB).
  48. Die Überproduktionstheorie im Lichte der Vorratsstatistik, 1901 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 21 (online); PDF; 10,5 MB).
  49. Ist es gerechtfertigt, angesichts der bevorstehenden Zollerhöhung die städtische Bevölkerung gegen das Land zu verhetzen? 1901 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 78 (online); PDF; 10,5 MB).
  50. Der Weissbrotkorb der Welt, 1902 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 27 (online); PDF; 10,5 MB).
  51. Die Überproduktionstheorie und der Getreidepreis Anno 1894 und heute, 1904 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 25 (online); PDF; 10,5 MB).
  52. Darf eine Organisation der landwirtschaftlichen Marktnachrichten die Beurteilung der Preisbewegung ausschalten? 1904 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 66 (online); PDF; 10,5 MB).
  53. Kann die kommende Preisbewegung für Getreide zutreffend vorhergesagt werden? 1904 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 73 (online); PDF; 10,5 MB).
  54. Unsere Vorhersagung des nordamerikanischen Weizenkonsums und Weizenexports im März a.c. 1904 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 76 (online); PDF; 10,5 MB).
  55. Ein Dokument zur Entstehung der „Preußenkasse“, 1904 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 107 (online); PDF; 10,5 MB).
  56. Die Mühlenumsatzsteuer ohne oder mit Kontingentierung der Mühlen, 1906 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 93 (online); PDF; 10,5 MB).
  57. Die internationalen Kapitalverschiebungen als eine Ursache der periodischen landwirtschaftlichen Krisen, 1908/09 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 17 (online); PDF; 10,5 MB).
  58. Entwurf einer allgemeinen Wertzuwachs-Steuer, 1908 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 169 (online); PDF; 10,5 MB).
  59. Das Problem der Verhütung unserer Wirtschaftskrisen und die Interessen unserer Großbanken, 1909 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 90 (online); PDF; 10,5 MB).
  60. Die Ergebnisse der Bank-Enquete nach agrarischer Auffassung, 1909 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 112 (online); PDF; 10,5 MB).
  61. Zur Kritik unserer bisherigen sozialen Gesetzgebung, 1909 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 98 (online); PDF; 10,5 MB).
  62. Die plutokratische Entwickelung in Preußen-Deutschland, 1909 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 165 (online); PDF; 10,5 MB).
  63. Der freihändlerische Individualismus und die organische Auffassung der Volkswirtschaft, 1909 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 181 (online); PDF; 10,5 MB).
  64. Angebot, Nachfrage und Preis, 1910 (in Ausgewählte Abhandlungen… S. 215 (online); PDF; 10,5 MB).

Auswirkungen

Vor dem Ersten Weltkrieg – 1895 bis 1914

Als Ruhland im Herbst 1894 als „wissenschaftlicher Berater“ in die Getreidehandelskommission des Bundes der Landwirte berufen wurde, vertrat er folgende Thesen:

  1. Eine Überproduktion in Getreide gibt es nicht.
  2. Die Notlage der Landwirte ist eine internationale, Grenzzölle sind deshalb kaum geeignet, die Ursache des herrschenden Übels zu beseitigen.
  3. Die Getreidepreise sind deshalb so ruinös, weil die Bildung der Preise in der Hand des internationalen Kapitalismus ruht.
  4. Die Landwirte sollten darnach trachten, die Preisbildung ihrer Produkte selbst in die Hand zu nehmen.
  5. Es wäre von größter allgemeiner Bedeutung, dass sich die Landwirte international über diese Sätze verständigen und aussprechen könnten.
  6. Als nächstes praktisches Ziel wäre die Abschaffung des Börsenterminspiels in Getreide ins Auge zu fassen.

Im Sommer 1896 beschloss d​er deutsche Reichstag d​as gesetzliche Verbot d​es Börsenterminspiels i​n Getreide.

Nach Vorarbeiten m​it der Kreditkommission d​es Bundes d​er Landwirte konnte Ruhland m​it Zustimmung v​on dessen Vorstand a​m 1. Februar 1895 d​em preußischen Finanzminister v​on Miquel e​inen Plan über d​ie mögliche Verbilligung d​es landwirtschaftlichen Personalkredits überreichen, worauf bereits a​m 1. Oktober 1895 d​ie „Preußenkasse“ (Preußische Zentralgenossenschaftskasse) i​hre Tätigkeit begann. Im Jahre 2001 g​ing diese n​ach vielen Namensänderungen u​nd Fusionen i​n der heutigen DZ Bank AG Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank i​n Frankfurt a​m Main auf.

von links: Gustav Roesicke, NN., Fürst Hohenlohe und Frh. v. Lobkowitz mit Ruhland auf einer Donauschifffahrt bei Wien (ca. 1895/1896)

Im Sommer 1895 erhielt Ruhland vom Bundesvorstand den Auftrag und die Vollmacht, mit den landwirtschaftlichen Organisationen erst in Österreich und Ungarn, dann mit anderen Ländern über den Inhalt seiner 6 Thesen zu verhandeln. Das Ergebnis war die Vorbereitung des „Internationalen Mélin´schen Agrarkongresses“ vom September 1896 in Budapest, auf welchem die Thesen begeisterte Zustimmung fanden. Für die gleichzeitig angestrebte Gründung eines „Internationalen landwirtschaftlichen Organes“ war es damals noch zu früh. Mit seiner Berufung nach Freiburg in der Schweiz (1898) ergriff Ruhland die Gelegenheit, die Bildung einer internationalen Vereinigung der Agrarier von neutralem Boden aus zu versuchen. Im Juni 1900 konnte in Paris die Gründung der „Internationalen landwirtschaftlichen Vereinigung für Stand und Bildung der Getreidepreise“ in die Wege geleitet werden. Mit der im Herbst 1899 in Freiburg/Schweiz eingerichteten Getreidepreiswarte war eine jahrelange tägliche Beobachtung der wichtigsten Weltmärkte der Erde möglich. Aus dem so gesammelten Beobachtungsmaterial hatte Ruhland bereits Vorschläge einer Welt-Getreidestatistik erstellt, als im Herbst 1904 der Nordamerikaner David Lubin auf seiner Reise nach Italien durch Paris kam. Dort erfuhr er von den internationalen landwirtschaftlichen Bestrebungen Ruhlands. Die Vorschläge Ruhlands gesellten sich zu der Initiative Lubins mit dem Ziel einer besseren internationalen Organisation der Landwirtschaft. Am 24. Januar 1905 richtete der König von Italien seine „Initiative über Anregungen des David Lubin“ an den italienischen Ministerpräsidenten, um die Gründung der Welt-Agrarkammer in Rom in die Wege zu leiten. Die offizielle Denkschrift, welche am 18. Mai 1905 von der Leitung des zur Gründung eines staatlichen Institutes einberufenen Kongresses veröffentlicht wurde, hat diese wesentliche Mitarbeit Ruhlands in vollem Umfang ausdrücklich anerkannt.[GR 1] Das auf diesem Kongress gegründete staatliche Institut erhielt die Bezeichnung "Internationales Landwirtschaftsinstitut". Noch im Gründungsjahr befasste sich Gustavo Del Vecchio in seiner Schrift "Die Internationale Landwirtschaftliche Vereinigung und Prof. Ruhlands Vorschläge" mit deren Verwirklichung (siehe Literaturverzeichnis).

Die Getreidepreiswarte i​n Freiburg/Schweiz – e​ine echte Marktbeobachtungs- u​nd Forschungsstelle – f​and 1911 m​it der Gründung d​er Marktbeobachtungs- u​nd Preisberichtsstelle d​es Deutschen Landwirtschaftsrates e​ine erste Nachfolge i​n Deutschland.[HH 1]

Sigmund v​on Frauendorfer schreibt, d​ass in d​er Ära Bülow d​ie sehr h​och geschraubten Wünsche d​es Bundes d​er Landwirte z​war nicht restlos erfüllt wurden, i​m Großen u​nd Ganzen hätten d​ie Agrarier d​och wesentliche Vorteile errungen. Letzten Endes wirkte s​ich der Bülow’sche Tarif, d​er in erster Linie d​em hartnäckigen Drängen d​es Bundes d​er Landwirte z​u verdanken ist, für d​ie Gesamtheit d​er Landwirte günstig aus. Jedenfalls erlebte d​ie deutsche Landwirtschaft i​n dem Jahrzehnt v​or dem Ausbruch d​es Ersten Weltkrieges e​inen bis d​ahin ungekannten Auftrieb.[SF 1] Wie bereits o​ben gezeigt, h​atte Ruhland für a​lle seine Anregungen a​uch Vorschläge z​u deren Verwirklichung erarbeitet. Das bestätigte a​uch J. Frost, d​er feststellte, d​ass Ruhland a​n allen wichtigen agrarischen Maßnahmen u​nd Gesetzen d​er Jahre n​ach 1895 d​urch Klärung d​er Sachlage u​nd Vorlage praktischer Reformvorschläge e​inen verdienstvollen Anteil hatte.[HH 2]

Der Charakter d​es Ruhland’schen Gesamtwerks a​ls eines „unvollendeten“ u​nd noch n​icht ausgewerteten, führte s​ehr schnell n​ach seinem Tode, 1915, z​ur Gründung e​iner „Ruhland-Gesellschaft“, d​ie sich d​ie Auswertung seines Werks u​nd Nachlasses z​ur Aufgabe machte. Die Ruhland-Gesellschaft t​rug seine Gedanken weiter, b​is die Wirtschaftskrise d​er 30er Jahre d​en Boden für n​eue Lösungen a​lter Fragen locker gemacht hatte.[HH 3]

Nach dem Ersten Weltkrieg – 1918 bis 1945

Seit d​er Abschaffung d​er englischen Kornzölle i​m Jahre 1846 h​atte das agrarische Beispiel Englands i​n den Debatten u​m Freihandel o​der Schutzzoll i​n der deutschen Öffentlichkeit e​ine große Rolle gespielt. Die englische Agrarpolitik w​ar daraufhin e​in Menschenalter l​ang das Paradepferd d​er deutschen Freihändler gewesen. Doch s​ogar ein enthusiastischer Bewunderer d​es englischen Freihandels, Lujo Brentano, u​nd entschiedener Gegner Ruhlands, w​ar 1925 genötigt, zuzugestehen, d​ass die geschilderte Blüte d​er englischen Landwirtschaft i​hren Höhepunkt i​m Jahre 1874 erreicht h​atte und d​ass ihr „von d​a ab Schwierigkeiten erwuchsen“ – v​on denen a​ber in seiner Agrarpolitik für d​as folgende h​albe Jahrhundert n​icht mehr d​ie Rede ist.[HH 4]

Im Jahre 1930, kurz vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, wurde Walther Darré, der eigentliche Verfasser des Agrarprogrammes der NSDAP,[HH 5] auf das Werk von Gustav Ruhland und im Besonderen auf sein „System der politischen Ökonomie“ aufmerksam gemacht. Dieser Hinweis kam von einem Sohn jenes Freiherrn von Wangenheim, der als Führer im Bund der Landwirte zur Zeit Ruhlands eine große Rolle gespielt hatte.[HH 6] Die große Bedeutung Ruhlands für die nationalsozialistische Agrarpolitik bestand vor allem in den praktischen Vorschlägen, die Ruhland am Ende des III. Bandes seines „System der politischen Ökonomie“ im Kapitel über „Die Therapie des Kapitalismus“ im Unterabschnitt „Von den landwirtschaftlichen Verhältnissen“ gemacht hatte.[HH 7] Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Gedanken Ruhlands, wenn sie erst einmal grundsätzlich akzeptiert waren, gleichmäßig zur Verwirklichung auf drei Gebieten drängten: erstens auf dem Gebiet des Verkehrs mit Grund und Boden, d. h. der Agrarverfassung im engeren Sinne; zweitens auf dem Gebiet der Organisation der Landwirtschaft in Syndikaten und drittens auf dem Gebiet der Ordnung der Warenmärkte, wobei das vorletzte und letzte Gebiet eng miteinander verbunden sind.[HH 8] Da die Vorschläge Ruhlands nur grob skizziert waren, benötigte Darré kundige Fachleute zur Umsetzung der Ruhlandschen Gedanken.

Walther Darré, a​m 29. Juni 1933 z​um Reichsminister für Ernährung u​nd Landwirtschaft ernannt, erließ nun, angeregt d​urch die Vorschläge Ruhlands, folgende Gesetze:

Reichsnährstandsgesetz vom 13. September 1933

In d​er Zeit zwischen 1928 u​nd 1933 g​ab es z​wei Strömungen i​n der Agrarpolitik: erstens e​ine berufsständische, d​ie zur Bildung e​ines „klassischen“ Standes d​er Landwirte, e​iner Reichsbauernschaft hätte führen können; zweitens e​ine agrarwirtschaftliche, d​ie zu e​inem entweder engeren Zusammenschluss d​er Erzeuger n​ach Sparten i​m Sinne Stedings, n​ach Syndikaten i​m Sinne Ruhlands o​der erweitert i​m Sinne d​er italienischen Korporationen führen musste.[HH 9]

Darré verband b​eide miteinander u​nd errichtete m​it seinem Reichsnährstandsgesetz[6] e​ine ständische Organisation, d​ie eine „Reichsbauernschaft“ umfasste, w​ie auch e​ine Organisation d​er Ernährungswirtschaft, d​em im ganzen Reichsgebiet einheitlich durchorganisierten Reichsnährstand.[HH 9]

Das landwirtschaftliche Marktwesen

Das nächste Gebiet, a​uf dem d​ie Gedanken Ruhlands z​ur Auswirkung kommen sollten, w​ar das landwirtschaftliche Marktwesen. Das e​rste Marktordnungsgesetz i​m Sinne d​er Gedanken Ruhlands u​nd der Vorarbeiten v​on Reischel w​ar das Gesetz z​ur Sicherung d​er Getreidepreise v​om 26. September 1933.[HH 10]

Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933

Als wissenschaftlicher Berater des Bundes der Landwirte hatte Ruhland die „Degradierung des Bodens zur Ware“ mit allen Mitteln bekämpft und eine Aufhebung der unbeschränkten Veräußerungsfreiheit gefordert;[HH 11] mit seinem Vorschlag wollte er die Spekulation im Grundstücksverkehr ausschalten. Bei der Abfassung des Reichserbhofgesetzes berücksichtigte Darré, der ein Anhänger der „nordischen Rasse“ war,[HH 12] die Gedanken Ruhlands nicht. Unter Beachtung der Erbregelungen in Norddeutschland setzte er hier im Wesentlichen das nationalsozialistische Agrarprogramm um. Dabei erfolgte auch ein Rückgriff auf den Sippenbegriff, den die nationalsozialistische Agrarpublizistik in den Jahren vor und nach 1933 wieder lebendig machen wollte, sowie auf das mittelalterliche skandinavische Odalsrecht der norwegischen Bauern,[HH 13] für das Darré wohl eine besondere Vorliebe hatte.[HH 11]

Das Reichserbhofgesetz wollte „unter Sicherung alter deutscher Erbsitte das Bauerntum als Blutquelle des deutschen Volkes erhalten.“[HH 14] Wer bei diesem Gesetz darauf hinweist, dass Darré es auf Anregung von Ruhland erlassen hätte, sollte der Objektivität halber auch erwähnen, dass der Inhalt des Gesetzes völlig von den Vorstellungen Ruhlands abwich.

Hitler h​atte mit e​inem Scheitern sowohl d​er Marktordnung w​ie der Erzeugungsschlacht gerechnet, u​m daraus d​ie Legitimation für d​ie Eroberung i​m Osten abzuleiten. Das Funktionieren d​er deutschen Ernährungswirtschaft b​is zum Ausbruch d​es Zweiten Weltkrieges bedeutete für Hitler insofern e​ine Enttäuschung, a​ls es i​hn eines Grundes für d​ie Erweiterung d​es deutschen Herrschaftsraumes i​m Osten beraubte.[HH 15]

Bewertung der Person Ruhlands

Bei e​iner Persönlichkeit, d​ie in d​er Zeit d​es Nationalsozialismus s​o intensiv zitiert wurde, möge e​s erlaubt sein, d​ie Einstellung dieser Person z​u beleuchten, u​m darzulegen, inwieweit d​ie Person a​n sich m​it dem Nationalsozialismus z​u verbinden ist:

Sigmund v​on Frauendorfer zitiert d​azu Friedrich Bülow, d​en Biographen Ruhlands, m​it den Worten: „Ruhland w​ar Sozialist, a​ber er w​ar es i​n einem Sinne, d​er sich i​n keiner Weise m​it dem Marxismus deckt, g​ing er d​och nicht w​ie Karl Marx v​om Industriearbeiter, sondern v​om Bauern aus, w​ar sodann s​ein Ziel n​icht klassenegoistisch, sondern gemeinschaftspolitisch bestimmt.“[SF 2] Studiert m​an die Arbeit Ruhlands über d​ie „Wirtschaftspolitik d​es Vater Unser“ näher, s​o fällt e​s sicher auf, d​ass die gemeinschaftspolitische Auffassung Ruhlands a​us dem ernsthaften Bestreben resultierte, d​as „Unser“ i​m „Herrengebet“ i​n der Politik umzusetzen u​nd man erkennt, d​ass Ruhland überzeugter Christ war.

Sowohl a​us den Erfahrungen seiner dreijährigen Weltreise a​ls auch v​on seinen Bestrebungen, d​ie Bauern international v​on seinen Gedanken z​u überzeugen, dürfte d​ie „Germanisierung“ d​er Nationalsozialisten sicher n​icht Ruhlands Zustimmung erhalten haben.

Dazu n​och eine Bemerkung seiner älteren Tochter, k​urz vor d​eren eigenem Tod, z​u ihrem jüngsten Sohn: „Großvater h​atte eigentlich Glück, d​ass er s​o früh sterben musste. Zwar wurden i​m Dritten Reich s​eine Gedanken aufgegriffen u​nd man h​ielt Ruhlandfeiern ab, – a​ber – hätte e​r noch gelebt, wäre e​r mit Sicherheit i​m KZ gelandet, d​enn er konnte d​en Mund n​icht halten.“ Dass Ruhland m​it seiner Leidenschaft, erkannte Missstände m​it spitzer Feder z​u bekämpfen, i​n dieser Zeit hochgradig „gefährdet“ gewesen wäre, i​st anzunehmen.

Die Ruhland-Gesellschaft

In e​inem Vermerk v​om 4. April 1959 schreibt Josef Felkl, d​ass er (Felkl) d​er letzte Vorsitzende d​er 1915 gegründeten Ruhland-Gesellschaft gewesen sei. Felkl w​ar jahrelang e​in enger Mitarbeiter v​on Gustav Ruhland gewesen.

Weiter berichtet Felkl: „Die Ruhland-Gesellschaft selbst h​at Darré aufgelöst, u​m sich selbst a​n die Spitze z​u stellen für d​ie von i​hm gegründete Ruhland-Studiengesellschaft u​nd Ruhlands Ideen für s​ich selbst auszuschlachten… Der Bund d​er Landwirte verfügte damals über d​as einzige u​nd beste Zeitungsarchiv… Das wertvolle Material w​ar 1945, m​it Ruhlands vorhandenen Werken i​n der Dessauer Straße 20 i​m Bundeshaus aufbewahrt, n​och vorhanden u​nd erst später v​on den Russen geplündert worden.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg – nach 1945

Am 16. Oktober 1945 unterzeichneten die ersten 42 Mitgliedsstaaten die Gründungsurkunde der Welternährungsorganisation (FAO) in Quebec (Kanada). Als Vorgänger kann das von 1905 bis 1944 bestehende „Internationale Landwirtschaftsinstitut“ mit Sitz in Rom angesehen werden. Der Agrarwissenschaftler Heinz Haushofer schreibt dazu: „Wenn die offizielle Denkschrift zur Gründung des Internationalen Agrarinstitutes in Rom 1905 die Mitarbeit Ruhlands bei den Vorbereitungen für diese Gründung festhielt, so steht Ruhland damit auch am Anfang jener Gedankenkette, die zur Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen von heute, der FAO führte. Kaum ein anderer deutscher Agrarpolitiker, dessen Lebensarbeit in der Zeit vor 1914 lag, hat nach dem Ersten Weltkrieg und bis in die neueste Zeit hinein so große Nachwirkungen ausgelöst, wie Ruhland. Fest steht, dass die von ihm vertretenen Anschauungen unabhängig vom Nationalsozialismus in einer Anzahl von heute weltbewegenden agrarischen Gedanken und Organisationen weiterleben.“[HH 16] Durch das Kontrollratsgesetz Nr. 45 vom 20. Februar 1947 wurde die nationalsozialistische Agrargesetzgebung in wesentlichen Teilen aufgehoben, im Besonderen das Reichserbhofgesetz, die Verordnung über den Verkehr mit landwirtschaftlichen Grundstücken und die Verordnung zur Sicherung der Landbewirtschaftung. Die ernährungswirtschaftliche Organisation blieb nur in Teilen erhalten. Nach dem Wegfall der Reichsgewalt wurde in den Besatzungszonen die Wiedererrichtung staatlicher Einrichtungen nach ganz verschiedenen Prinzipien betrieben.[HH 17]

Mit der Regierungserklärung der jungen Bundesrepublik vom 20. September 1949 wurde die „Soziale Marktwirtschaft“ proklamiert, das heißt eine nach sozialen Gesichtspunkten abgemilderte und durch soziale Maßnahmen ergänzte Wettbewerbswirtschaft. Die Regierungserklärung von 1949 enthält sowohl den Passus, dass die Grundnahrungsmittel auch dem „Minderbemittelten“ erschwinglich sein sollten, wie die Definition, dass ihre Preise „die Produktionskosten gut arbeitender Durchschnittsbetriebe“ decken sollten. Das einzige Mittel, das einer Agrarpolitik mit solchen Aufgaben zur Verfügung stand, waren Marktordnungen für die wichtigeren Erzeugnisse, die von einer festen Vorstellung von der Verfassung eines solchen Marktes ausgehen mussten. Eine solche Vorstellung war vorhanden, denn das tatsächliche Funktionieren von Erzeugung und Verteilung bis zum bitteren Ende im Jahre 1945 hatte auch den schärfsten Kritikern der nationalsozialistischen Agrarpolitik die Anerkennung dieser Leistung abgenötigt. Wohl die Mehrzahl der deutschen Agrarpolitiker war in dieser Zeit bereit, sich einer solchen oder ähnlichen Beurteilung anzuschließen. Hinzu kam, dass fast alle europäische Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg eine gewisse Ordnung oder mindestens wesentlicher Teile davon beibehielten. Die Möglichkeit einer staatlichen Beeinflussung von Überfluss und Mangel sollte aus sozialen Gründen erhalten bleiben. Auf die Beispiele der in den 1930er-Jahren angelaufenen Marktordnungsgesetzgebung wurde damals bewusst zurückgegriffen. Vom Herbst 1949 bis zum Spätwinter 1951 folgten vier Marktordnungsgesetze aufeinander.[HH 18]

Schluss

Maria, Ruhlands ältere Tochter, erzählte öfter, dass ihr Vater am Ende seiner Vorträge gerne die Abschlusszeile des vorletzten Verses aus dem Gedicht „Das Riesenspielzeug“ von Adelbert von Chamisso zitiert habe. Dies berichtet auch Josef Beck. Schon allein aus den Titeln seiner vielen Arbeiten lässt sich belegen, dass dieser Schlusssatz das Ziel und die Summe der Bestrebungen Ruhlands war: „Der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor.“

Verwendete Quellen

  • (GR) Gustav Ruhland: Das System der politischen Ökonomie. Band 3: Krankheitslehre des sozialen Volkskörpers. Puttkammer und Mühlbrecht, Berlin 1908.
  1. Ruhland, Schlusswort
  • (SF) Sigmund von Frauendorfer: Ideengeschichte der Agrarwirtschaft und Agrarpolitik im deutschen Sprachgebiet. Band I: Von den Anfängen bis zum ersten Weltkrieg. 2. Auflage. Bayerischer Landwirtschaftsverlag, München/ Bonn/ Wien 1963 (Ersterscheinung 1957).
  1. Frauendorfer, S. 372 f.
  2. Frauendorfer, S. 380.
  • (HH) Sigmund von Frauendorfer, Heinz Haushofer (Verf.): Ideengeschichte der Agrarwirtschaft und Agrarpolitik im deutschen Sprachgebiet. Band II: Vom ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Bayerischer Landwirtschaftsverlag, München/ Bonn/ Wien 1958.
  1. Haushofer, S. 78.
  2. Haushofer, S. 204.
  3. Haushofer, S. 202.
  4. Haushofer, S. 128.
  5. Haushofer, S. 158.
  6. Haushofer, S. 201 f.
  7. Haushofer, S. 203.
  8. Haushofer, S. 205.
  9. Haushofer, S. 216.
  10. Haushofer, S. 220.
  11. Haushofer, S. 206.
  12. Haushofer, S. 172.
  13. Haushofer, S. 210.
  14. Haushofer, S. 207.
  15. Haushofer, S. 328.
  16. Haushofer, S. 204.
  17. Haushofer, S. 352.
  18. Haushofer, S. 368 ff.

Literatur

Commons: Gustav Ruhland – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Aufbewahrungsorte der Dokumente

Einzelnachweise

  1. Gustav Ruhland: Die Wirtschaftspolitik des Vaterunser. Ernst Hoffmann & Co., Berlin 1895. (online)
  2. Gustav Ruhland: Die Mühlenumsatzsteuer ohne oder mit Kontingentierung der Mühlen. In: Ausgewählte Abhandlungen, Aufsätze und Vorträge von Gustav Ruhland: Zu seinem 50. Geburtstage (11. Juni 1910). Kairos, 1910, S. 93–97. (online)
  3. Gustav Ruhland: Die Ergebnisse der Bank-Enquete nach agrarischer Auffassung. In: Ausgewählte Abhandlungen, Aufsätze und Vorträge von Gustav Ruhland: Zu seinem 50. Geburtstage (11. Juni 1910). Kairos, 1910, S. 112–122. (online)
  4. Gustav Ruhland: Der freihändlerische Individualismus und die organische Auffassung der Volkswirtschaft. In: Ausgewählte Abhandlungen, Aufsätze und Vorträge von Gustav Ruhland: Zu seinem 50. Geburtstage (11. Juni 1910). Kairos, 1910, S. 181–194. (online)
  5. Gustav Ruhland: Volkswirtschaftliche Grundbegriffe. Kairos, 1910. (online)
  6. Reichsnährstandsgesetz. verfassungen.de. Archiviert vom Original am 8. Januar 2017. Abgerufen am 25. April 2019.
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. The authors of the article are listed here. Additional terms may apply for the media files, click on images to show image meta data.