Carl Woldemar Becker
Carl Woldemar Becker (russisch Карл Вольдемар Беккер; * 31. Januar 1841 in Odessa; † 30. November 1901 in Bremen) war Eisenbahningenieur und Vater der Malerin Paula Modersohn-Becker sowie der jüngere Bruder des Attentäters Oskar Wilhelm Becker. Letzterer wurde bekannt durch das Attentat auf König Wilhelm von Preußen.
Leben und Wirken
Carl Woldemar Becker war der Sohn von Paul Adam von Becker (* 8. Mai 1808 in Reval (Tallinn); † 20. April 1881 in Dresden)[1] einem Professor und Direktor des französischen Lycée Richelieu in Odessa. Man verlieh seinem Vater den Titel „Wirklicher Kaiserlich Russischer Staatsrat“ (russisch действительный статский советник). Paul Adam von Becker war dreimal verheiratet, die erste Ehefrau und Mutter von Paulas Vater war Elise Wilhelmine Becker, geborene Dörstling (* 10. Februar 1818 in Chemnitz; † 16. Januar 1844 in Odessa). Sie war eine Cousine 1. Grades. Nach dem Tode der Mutter, Elise Wilhelmine Becker, wurden Carl Woldemar und dessen Bruder Oskar Anfang der 1850er Jahre wieder in Sachsen ansässig. Weitere Familienangehörige kamen hinzu und wurden ebenfalls in Dresden heimisch, so etwa Adam von Becker seit 1862 mit seiner dritten Frau, der Tante Wilhelmine (genannt Minna/Minchen Becker), dann Woldemars vier jüngere Halbgeschwister sowie von Seiten seiner Ehefrau Mathilde von Bültzingslöwen fünf Geschwister.
Der ältere Bruder von Carl Woldemar Becker war Oskar Becker (* 18. Juni 1839 in Odessa; † 16. Juli 1868 in Alexandria), der im Jahre 1861 ein Attentat auf den damaligen preußischen König Wilhelm von Preußen verübte.[2]
Aus den Briefen, die Carl Woldemar Becker an seine Tochter Paula Modersohn-Becker richtete, ist bekannt, dass er sowohl Paris und Sankt Petersburg als auch London kannte und neben Russisch auch Französisch und Englisch sprach.
Carl Woldemar Becker hatte am Dresdener Polytechnikum sein Ingenieurstudium beendet und war dann von 1872 bis 1873 als Eisenbahningenieur in einem privaten Chemnitzer Ingenieurbüro tätig. Er verlegte, ab dem Jahre 1873, seinen Lebensmittelpunkt nach Dresden. Carl Woldemar Becker arbeitete dort als Bau- und Betriebsinspektor bei der Berlin-Dresdener Eisenbahn-Gesellschaft (Königlich Sächsische Staatseisenbahnen). Er war für den sächsischen Bauabschnitt der neuen Linie Dresden-Berlin verantwortlich.
Die ersten zwölf Lebensjahre lebte die Familie Becker in Dresden-Friedrichstadt, zunächst in der „Schäferstraße 59“, Ecke „Menageriestraße“ direkt ein Stockwerk über dem Kontor der Eisenbahngesellschaft.[3][4][5][6] Später, im Jahre 1876, zog die Familie in die „Friedrichstraße 29“[7][8]. Ihr neues Domizil lag direkt gegenüber dem Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt; die Familie Becker bezog das Erdgeschoss des einstöckigen Gebäudes. Ihm angegliedert waren ein großer Vorgarten und ein noch ausgedehnteres dahinterliegendes Gartengelände.[9]
Durch die Verurteilung von Oskar Becker im Jahre 1861 war sein Bruder Carl Woldemar, Paulas Vater, Schwierigkeiten für die weitere berufliche Karriere ausgesetzt. Im Jahr 1888 zog die Familie nach Bremen. Carl Woldemar Becker konnte dort eine städtische Stelle als Baurat annehmen. Die Familie wohnte in der Hansestadt in einem „Haus an der Schwachhauser Chaussee 23“ (heute „Schwachhauser Heerstraße“). Das 2000 m² große Grundstück gehörte der Bremer Staatsbahn bzw. ab 1883 der Preußischen Staatseisenbahn, die der Familie in dem Haus eine Dienstwohnung einrichtete.
Später wirkte er in Bremen dann als Baurat der Staatseisenbahn. Im Jahre 1895 verlor er im Zuge des Abbaus bzw. weiteren Umstrukturierung (Umstrukturierung der Eisenbahndirektionen (1895), siehe auch Preußische Staatseisenbahnen) von Arbeitsplätzen bei der Bremischen Eisenbahn seinen Arbeitsplatz. Carl Woldemar Becker bemühte sich erneut in Sachsen um eine Beschäftigung, zunächst in Leipzig später in Dresden. Die Arbeitslosigkeit bzw. Frühpensionierung mit dreiundfünfzig Jahren zogen ihn in eine depressive Verstimmung.[10] Im Jahre 1899 zog Carl Woldemar Becker mit seiner Familie innerhalb Bremens in ihr neues Domizil in die „Wachtstrasse 43“ um. Es war das Haus der Malerin und Kunstmäzenin Aline von Kapff.[11][12][13]
Familie und Herkunft
Sein Großvater Friedrich Wilhelm Becker (* 1773 in Oberlichtenau bei Pulsnitz; † 1847 in Kiew) war von Sachsen aus als Lehrer, später Professor für römische Literatur und Hofrat zunächst in das Baltikum und später in die Ukraine gezogen. Seine Ehefrau war Anna Margarethe Friederike Becker, geborene von Hueck.
Carl Woldemar Beckers Ehefrau war Mathilde (* 3. November 1852, Lübeck; † 22. Januar 1926, Bremen).[16] Mathildes Vater war der deutsche Offizier und Geodät Ferdinand von Bültzingslöwen, ihre Großmutter Emilie Dorothea Sophie, geborene Lange (* 10. Oktober 1815; † 16. Januar 1896), war im Jahre 1896 verstorben.[17] entstammte der thüringischen Adelsfamilie von Bültzingslöwen.[18]
Die Familie seiner Ehefrau war ähnlich weltoffen. Mathilde von Bültzingslöwens Vater Ferdinand war im Ausland Kommandeur eines Truppenkontingents, zwei ihrer Brüder waren nach Indonesien, Neuseeland und Australien ausgewandert.[19] Carl Woldemar und Mathilde Becker waren seit dem Jahre 1871 verheiratet. Sie heirateten in Chemnitz. Folgende Kinder kamen zur Welt:
Im Haus Schäferstraße 59 in Dresden - Friedrichstadt:
- Kurt (1873–1948), später Dr. med. Kurt Becker-Glauch, Gerichtsarzt;[20][21][22][23] wurde noch in Chemnitz geboren.
- Bianca Emilie („Milly“) Becker (1874–1949), heiratete 1905 Johannes Rohland, einen Kaufmann aus Basel[24] und
- Minna Hermine Paula (1876–1907), Malerin
Im neuen Domizil in der Friedrichstraße 29:
- Günther Becker (1877–1928), Kaufmann in Australien
- Hans Becker († 1882), mit zwei Jahren an einer Lungenentzündung verstorben
- Herma Becker (1885–1963), Lehrerin an einer Oberschule, heiratete 1915 Moritz Weinberg und der Zwillingsbruder
- Harry („Henner“) Becker (1885–1949), Ausbildung beim Norddeutschen Lloyd geboren.[25]
Literatur
- Barbara Beuys: Paula Modersohn-Becker oder: wenn die Kunst das Leben ist. Hanser, München 2007, ISBN 978-3-446-20835-3, S. 9–46
- Paula Modersohn-Becker, Günter Busch, Liselotte von Reinken, Arthur S. Wensinger, Carole Clew Hoey: Paula Modersohn-Becker, the Letters and Journals. Northwestern University Press, Evanston, Illinois 1998, ISBN 0-8101-1644-8, S. 438
Weblinks
- Familie Becker im Garten der „Schwachhauser Chaussée 23“; museen-boettcherstrasse.de
Einzelnachweise
- Baltische Historische Kommission (Hrsg.): Eintrag zu Paul Adam von Becker. In: BBLD – Baltisches biografisches Lexikon digital
- Radio Bremen Dresden – Bremen – Worpswede, Biografie Paula Modersohn-Becker (Memento vom 21. Januar 2008 im Internet Archive).
- Das Gebäude wurde in den 1950er-Jahren abgerissen.
- Adressbuch Dresden 1875, SLUB, S. 21
- Laut Adressbuch Dresden 1876, SLUB S. 22 wohnten sie noch in der Schäferstraße 59
- Nach anderer Datenlage wies das Wohnhaus die Adresse „Schäferstraße 42“, Ecke „Menageriestraße“ auf: Marina Bohlmann-Modersohn: Paula Modersohn-Becker. Eine Biografie mit Briefen. btb, München 2007, ISBN 978-3-442-73643-0, S. 9. Dies scheint aber durch die Eintragung im historischen Adressbuch von Dresden widerlegt.
- Heute trägt die „Friedrichstraße 29“, die Hausnummer „46“.
- Adressbuch Dresden 1877, SLUB S. 22
- Bernd Hünlich: Paula Modersohn-Becker und ihre Geburtsstadt: am 8. Febr. vor 110 Jahren wurde die Malerin in Dresden geboren. Dresdener Kunstblätter, 20 (1986), 2, S. 8–15
- Barbara Beuys: Paula Modersohn-Becker oder: wenn die Kunst das Leben ist. Hanser, München 2007, ISBN 978-3-446-20835-3, S. 68–69.
- Historische Adressbücher. Einträge aus Adressbuch Bremen 1904
- Die alte Wachtstrasse. www.bremen-history.de
- Das Haus wurde von dem Architekten Heinrich Müller entworfen. Das Gebäude diente als Domizil und Weinhandlung der Familie Ludwig von Kapff; es lag nahe der Weserbrücke und wurde 1944 zerstört.
- Adressbuch Dresden 1877, SLUB, S. 22
- Anderen Angaben zur Folge handle es sich um die heutige Hausnummer „48“: In diesem Haus verbrachte die später als Malerin bekannte Paula Modersohn-Becker ihre Kindheit. .
- Mathilde hatte zwei der Brüder, Günther (* 24. November 1839; † 21. August 1889) und Wulf (* 12. Mai 1847; † 4. April 1907), der Mutter Paulas waren als Kaufleute und Plantagenbesitzer auf Java (Niederländisch-Indien). Ihr Bruder Wulf und dessen neuseeländische Frau Cornelia (kurz Cora) von Bültzingslöwen, geborene Hill (* 1852), kamen im Jahre 1880 mit ihrem sechsjährigen Sohn Freddy nach Dresden. Seine Familie war vermögend. Später lebte ihr Bruder zusammen mit Cora von Bültzingslöwen in Berlin-Schlachtensee.
- Mathildes Vater besuchte als 19-Jähriger die Kriegsschule in Erfurt. Danach wurde er Offizier und trat in das Lübecksche Bataillon ein. Seine Schwester Caroline von Bültzingslöwen übernahm die Führung des Offiziershaushaltes und behielt diese Stellung auch nach der Heirat Ferdinands im Jahre 1837 mit dem holsteinischen Bürgermädchen Emilie Lange aus Plön inne. Mathildes Großvater war der ehemalige Hauptmann Günther Karl Wilhelm von Bültzingslöwen (* 1755 in Haynrode; † 1822 in Lübeck), der sich in Lübeck niedergelassen hatte und hier als technischer Zeichenlehrer tätig war.
- QUERY Online Archivkatalog des Staatsarchivs Basel-Stadt.
- Paula Modersohn-Becker, Günter Busch, Liselotte von Reinken, Arthur S. Wensinger, Carole Clew Hoey: Paula Modersohn-Becker, the Letters and Journals. Northwestern University Press, Evanston, Illinois 1998, ISBN 0-8101-1644-8, S. 438
- Dr. med. Kurt Becker-Glauch, Gerichtsarzt (* 27. April 1873 in Chemnitz) wanderte mit seiner Ehefrau während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland von Bremen in die Schweiz aus, Auswanderung und Nachweise, Passregister
- Asmus Nitschke: Die ‚Erbpolizei‛ im Nationalsozialismus: Zur Alltagsgeschichte der Gesundheitsämter im Dritten Reich. Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg / New York 2013, ISBN 3-3229-0381-8, S. 151, inkl. Fußnoten
- Ursula Büttner, Angelika Voß-Louis: Neuanfang auf Trümmern: Die Tagebücher des Bremer Bürgermeisters Theodor Spitta 1945-1947. Bd. 13 Biographische Quellen zur Zeitgeschichte, Walter de Gruyter, Berlin 1992, ISBN 3-4867-0809-0, S. 133, inkl. Fußnoten
- Ruhestätte Friedhof Bremen-Riensberg, (Nr. im Friedhofsplan: U0265A)
- Archiv der Familie Rohland. In: Online Archivkatalog des Staatsarchivs Basel-Stadt.
- Barbara Beuys: Paula Modersohn-Becker oder: wenn die Kunst das Leben ist. Hanser, München 2007, ISBN 978-3-446-20835-3, S. 16