Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland
Die Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union sind seit dem Ende des Kalten Krieges von Annäherung und Kooperation, aber auch von Konfliktpunkten wie politischer Destabilisierung, Hackerangriffen, Gasstreits, Mordanschlägen und sogar militärischen Auseinandersetzungen geprägt. Seit 1997 ist die Zusammenarbeit in einem Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) geregelt.
Europäische Integration von Russland
Allgemeines zur Europäischen Integration von und mit Russland
Die vertraglichen Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union sind in dem Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) geregelt, das im Dezember 1997 in Kraft getreten ist. Das PKA ist Ende 2007 ausgelaufen und verlängert sich seither automatisch um jeweils 12 Monate, solange es nicht von einer der beiden Vertragsparteien gekündigt wird.
An der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) nimmt Russland nicht teil, da es befürchtet, in dieser nur ein „Juniorpartner“ zu sein.
Im Mai 2003 haben Russland und die Europäische Union (EU) daher auf einem Gipfeltreffen in Sankt Petersburg vereinbart, ihre Zusammenarbeit gesondert im Rahmen „vier gemeinsamer Räume“ zu vertiefen. Die sogenannten „Common Spaces“ umfassen die Bereiche (1) Wirtschaft, (2) Freiheit, Sicherheit und Justiz, (3) äußere Sicherheit, (4) Wissenschaft und Bildung sowie kulturelle Aspekte. Im Juli 2008 fand dazu eine erste Verhandlungsrunde statt. Nach dem Einmarsch Russlands in Georgien im August 2008 wurden die Verhandlungen jedoch vorerst ausgesetzt.
Regelmäßige Konsultationen zwischen Europa und Russland finden etwa im Petersburger Dialog oder NATO-Russland-Rat sowie im Rahmen des Europarats und der OSZE statt.
2015 wurde die Eurasische Wirtschaftsunion („Eurasische Union“) gegründet, welche aus den Staaten Russland, Kasachstan, Weißrussland und Armenien besteht.[1]
Angestrebte, aber noch nicht umgesetzte Visafreiheit
In den Jahren 2010 und 2011 entwickelten Russland und die EU einen gemeinsamen Plan für die Einführung der Visafreiheit.[2] Im März 2014 wurde die Diskussion wegen der Krimkrise eingefroren.[3] 2016 veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) unter dem Titel „The Eastern Question: Recommendations for Western Policy“ einen Bericht über die westlichen Beziehungen zu Russland im Zuge der Spannungen.[4] Die DGAP empfiehlt visafreies Reisen, „um die Kontakte zwischen den Menschen zu erleichtern und ein starkes Signal zu senden, dass es keinen Konflikt mit der russischen Gesellschaft“ gäbe.[5] Im August 2017 schlug Marieluise Beck eine Visafreiheit für Russen vor um sie in westliche Werte einzuführen und den demokratischen Wandel in Russland zu fördern.[6] Im Oktober 2018 schlug Dirk Wiese die Abschaffung des Visums für junge Russen vor, um den Schüleraustausch zu erleichtern.[7]
Chronik bzw. Aufzählung von Ereignissen, die die Europäische Integration von und mit Russland behinderten
Infolge der mutmaßlich durch den russischen Geheimdienst erfolgten Ermordung des russischen Exilanten Alexander Litwinenko im Jahr 2006 in London erließ die EU zudem Sanktionen in Form von Einreisesperren gegen einzelne russische Staatsbürger. Im Jahr 2021 bezeichnete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Beteiligung Russlands als die „einzig plausible Erklärung“ für den Mord an Alexander Litwinenko.[8][9]
Während der Präsidentschaft Dmitri Medwedews 2008–2012 hoffte Europa auf die von ihm angestossene Modernisierung Russlands und die Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit, Innovation und Offenheit gegenüber dem Westen. In Russland war schon 2010 die Kampagne Putin muss gehen am laufen. Mit der mutmaßlich gefälschten Parlamentswahl, der wohl ebenso gefälschten Präsidentschaftswahl 2012 und der gewaltsamen Unterdrückung der Proteste war Europa nicht länger der Mentor Russlands, sondern ein Feindbild für Putin, der in Europa einen Niedergang erkennen wollte.[10]
Beim Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine wurde Russland nicht einbezogen, obwohl es Russlands Interessen, darunter eine Partnerschaft mit der EU und mit der Ukraine zu haben, unmittelbar berührte.[11]
Nach der russischen Annexion der Krim 2014 und dem Krieg in der Ostukraine verhängte die EU weitere Sanktionen. Auf die Sanktionen der EU antwortete die russische Regierung mit Gegensanktionen in Form einer Visasperre für in Russland „unerwünschte Personen“. Ebenfalls erhöhte sich die gegen den Westen gerichtete Propaganda in den russischen Medien. In der Folge kam zu einer erhöhten Ablehnung der EU in der russischen Bevölkerung, welche zu Anfang des Jahres 2015 einen Wert von 70 Prozent erreichte.[12] Aufgrund der russischen Propaganda gründete der Europäische Auswärtige Dienst im Jahr 2015 die East StratCom Task Force, um vorrangig Fälle von in Russland propagierten Unwahrheiten über die EU und ihre Mitgliedstaaten zu untersuchen und darauf, etwa mit Faktenchecks, zu reagieren. Der Abschuss des Malaysia-Airlines-Flug 17 am 17. Juli 2014 belastete die Beziehungen zur EU, insbesondere zu den Niederlanden, zusätzlich.
2015 kam es zu Hackerangriffen auf den Deutschen Bundestag, für die die deutsche Regierung die russische Administration verantwortlich machte. Die EU erließ weitere Sanktionen.
Nach der Vergiftung des russischen Exilanten Sergei Wiktorowitsch Skripal im März 2018 in Salisbury wiesen viele Länder der EU russische Diplomaten aus. Im selben Jahr kam es außerdem zum Mord am russischen Exilanten Nikolai Alexejewitsch Gluschkow. Wegen des im August 2019 in Berlin verübten Mordes am georgischen Staatsbürger Selimchan Changoschwili, der in Russland gesucht war, erhob der deutsche Generalbundesanwalt Anklage gegen einen russischen Staatsbürger und bezeichnete die Tat als Auftragsmord der russischen Regierung.
Nach versuchten Hackerangriffen auf die Welt-Anti-Doping-Agentur und die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCE) durch die Einheit 26165 des russischen Geheimdienstes GRU, verhängte die EU im Juli 2020 Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen Mitglieder der Einheit sowie gegen das GRU-Hauptzentrum für Spezialtechnologien.[13]
Nachdem der russische Oppositionelle Alexei Nawalny im August 2020 in Russland vergiftet worden war (er überlebte knapp), erließ die EU Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen mehrere russische Funktionsträger. Russland antwortete spiegelbildlich mit gleichen Sanktionen. Nach Protesten in Russland im Februar 2021 wies Russland zudem deutsche, polnische und schwedische Diplomaten aus.[14] Daraufhin wiesen im selben Monat die drei betroffenen Länder ihrerseits russische Diplomaten aus.[15] Aufgrund der Inhaftierung Nawalnys im Jahr 2021 verhängte die EU Anfang März 2021 Einreisesperren und Kontensperrungen gegen weitere russische Funktionsträger.[16]
Im Jahr 2020 und 2021 wiesen die Niederlande und Italien russische Diplomaten nach Spionagevorwürfen aus.[17] Im April 2021 wurden russische Mitarbeiter der russische Botschaft in Warschau sowie russische Botschafter aus Tschechien und Bulgarien des Landes verwiesen, worauf Russland Botschaftsmitarbeiter aus den entsprechenden Ländern verwies.[18] Auch die baltischen Staaten wiesen im selben Monat russische Diplomaten aus.[19] Als im selben Jahr die EU nach dem Ryanair-Flug 4978 entschied, den Luftraum von Belarus zu meiden, stellte die russische Regierung zwischenzeitlich keine Genehmigungen für alternative Anflugsrouten an europäische Airlines aus.[20][21]
Im September 2021 veröffentlichte der Rat der Europäischen Union eine Erklärung, in der er Russland für Cyberangriffe auf politische und zivilgesellschaftliche Funktionäre in der EU verantwortlich macht und Russland dazu aufruft, jene Aktivitäten, die er der Gruppe „Ghostwriter“ zuschreibt, zu beenden.[22]
Am 24. Februar 2022 begannen russische Truppen auf Befehl des russischen Präsidenten Putin den Überfall auf die Ukraine.
Weblinks
- Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD): The EU's relations with Russia (englisch)
- Permanent Mission of the Russian Federation to the European Union (englisch)
- Delegation der Europäischen Union: Delegation to Russia (englisch)
Einzelnachweise
- Gesine Dornblüth: Eurasische Union: Brücke zur EU oder Rückfall in die Sowjetzeit? Deutschlandfunk vom 30. Dezember 2014, Zugriff am 24. August 2016.
- EU, Russia ready to present visa roadmap
- EU votes to suspend visa and economic talks, Irish Times, 7 March 2014
- The Eastern Question: Recommendations for Western Policy. In: Robert Bosch Stiftung. Center for Transatlantic Relations, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, 2016, abgerufen am 27. Mai 2020.
- Daniel S. Hamilton, Stefan Meister, Ian Bond et al.: The Eastern Question: Russia, the West, and Europe’s Grey Zone. Hrsg.: Daniel S. Hamilton, Stefan Meister. Center for Transatlantic Relations, Washington, D.C. 2016, ISBN 978-0-9907720-9-5, Section II What the West Must Do 1. What the West Must Do with Russia, S. 50 (englisch, 272 S., bosch-stiftung.de [PDF; 928 kB; abgerufen am 27. Mai 2020]): “Visa ease would be one important tool to improve people-to-people contacts and to send a strong signal that there is no conflict with Russian society.”
- Wie soll Europa mit Russland umgehen?. 29. August 2017.
- Russlandbeauftragter will Visumfreiheit für junge Russen. 9. Oktober 2018.
- Menschenrechtsgerichtshof: Russland für Litwinenko-Mord verantwortlich. tagesschau.de, 21. September 2021, abgerufen am 21. September 2021.
- Russia was responsible for assassination of Aleksandr Litvinenko in the UK. European Court of Human Rights, 21. September 2021, abgerufen am 24. September 2021 (englisch).
- The End of the EU-Russia Relationship As You Know It, Carnegie Moskau, 25. Dezember 2012
- Michail Gorbatschow: Was jetzt auf dem Spiel steht. Mein Aufruf für Frieden und Freiheit. Siedler Verlag, S. 108, 109.
- Birgit Schwarz, Christian Lininger, Peter Fritz: Aus dem Gleichgewicht: Droht ein neuer Kalter Krieg?, Verlag Styriabooks, 2015, ISBN 978-3990403822, Abschnitt "Moskau - Der Traum von imperialer Größe"
- EU beschließt Sanktionen gegen Hacker aus Russland und China. In: Der Spiegel. 30. Juli 2020, abgerufen am 22. Oktober 2020.
- Christian Esch: Deutschland weist russischen Diplomaten aus: Moskaus kalkulierter Affront. In: Der Spiegel. 8. Februar 2021, abgerufen am 13. Februar 2021.
- Russland und EU: Warum Deutschland einen russischen Diplomaten ausweist. In: Der Spiegel. 8. Februar 2021, abgerufen am 13. Februar 2021.
- Fall Nawalny: USA verhängen im Fall Nawalny Sanktionen gegen Russland. In: Der Spiegel. 2. März 2021, abgerufen am 4. März 2021.
- Italien: Behörden fassen italienischen Marine-Kapitän bei Geheimtreffen mit Russen. In: Der Spiegel. 31. März 2021, abgerufen am 31. März 2021.
- Russland verweist zwei Diplomaten aus Bulgarien des Landes. In: Der Spiegel. 20. April 2021, abgerufen am 20. April 2021.
- Solidarität mit Tschechien: Baltische Staaten weisen vier russische Diplomaten aus. In: Der Spiegel. 23. April 2021, abgerufen am 23. April 2021.
- Belarus: Russland verweigert europäischen Airlines Flüge nach Moskau. In: Der Spiegel. Abgerufen am 3. Juni 2021.
- Lufthansa darf wieder in Russland landen. In: Der Spiegel. Abgerufen am 3. Juni 2021.
- EU wirft Russland vor Bundestagswahl gezielte Cyberangriffe vor. In: Der Spiegel. 24. September 2021, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 24. September 2021]).