Berlin-Brandenburg
Berlin-Brandenburg ist der verbreitetste Name für ein im Rahmen der Neugliederung des Bundesgebietes geplantes neues Land innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, das sich aus der Fusion von Berlin und Brandenburg ergeben würde, die seit der Wiedervereinigung immer wieder in der Diskussion ist.
Anders als bei Fusionen anderer Bundesländer, für die gemäß Art. 29 GG ein Bundesgesetz vorgesehen ist, wäre eine Fusion von Berlin und Brandenburg gemäß dem 1994 eingefügten[1] Art. 118a GG auch ohne Beteiligung des Bundes möglich. Dazu bedarf es einer Beteiligung der Wahlberechtigten beider Länder. 1996 scheiterte ein von beiden Landesregierungen vereinbarter und von beiden Landesparlamenten ratifizierter Fusionsvertrag an der fehlenden Zustimmung in Brandenburg.
Dennoch haben eine Fusion sowohl der Senat von Berlin als auch die Brandenburgische Landesregierung bis etwa 2005 konkret angestrebt und befürworten sie seither zumindest noch als langfristiges Ziel. Unabhängig von einer Fusion arbeiten beide Länder in verschiedenen Bereichen eng zusammen. Verschiedene, gemeinsame oder für beide Länder zuständige öffentliche Einrichtungen tragen inzwischen die Bezeichnung Berlin-Brandenburg, z. B. Rundfunk Berlin-Brandenburg, Flughafen Berlin Brandenburg, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg und Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, ebenso wie privatwirtschaftliche, z. B. Gigafactory Berlin-Brandenburg.
Geschichte
Historischer Hintergrund
Berlin gehörte seit dem Mittelalter zur Mark Brandenburg und war ein halbes Jahrtausend lang deren wichtigstes Zentrum, ab 1710 auch Haupt- und Residenzstadt Preußens und zeitweise Hauptstadt der 1815 gebildeten preußischen Provinz Brandenburg. Erst 1881 erhielt Berlin als Hauptstadt des Deutschen Kaiserreichs den Sonderstatus eines Stadtkreises, der jedoch nie mit dem eines Stadtstaates vergleichbar war. Die herausragende Stellung der Stadt Berlin innerhalb der Provinz Brandenburg verstärkte sich noch mit der Bildung Groß-Berlins im Jahre 1920.
Die Eigenständigkeit Berlins – in diesen Grenzen von Groß-Berlin – als Land war ein Ergebnis der Potsdamer Konferenz von 1945, bei der die Unterteilungen Deutschlands sowie Berlins in Alliierte Besatzungszonen beschlossen wurde. Damit war die Teilung Deutschlands besiegelt und das dadurch entstandene West-Berlin, insbesondere nach dem Mauerbau 1961, von seinem brandenburgischen Umland abgetrennt. Während West-Berlin trotz alliierter Vorbehalte de facto zwischen 1949 und 1990 den Rang eines westdeutschen Landes einnahm, kam Ost-Berlin in diesem Zeitraum als Hauptstadt der DDR der Rang eines Bezirkes in deren zentralistischem Verwaltungsaufbau zu.
Erst mit der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 wurde ganz Berlin ein vollwertiges Land der Bundesrepublik Deutschland. Anders als im Falle der Hansestädte Hamburg und Bremen hat Berlins bundesstaatliche Souveränität also keine lange historische Tradition. Die emotionalen Vorbehalte der Berliner Bevölkerung gegen einen Verlust ihres Status als Stadtstaat sind daher vergleichsweise gering. Insofern liegt eine Fusion der Länder Berlin und Brandenburg noch etwas näher, als im Falle der ebenfalls immer wieder diskutierten Neugliederungen im norddeutschen Raum (beispielsweise Bremen/Niedersachsen oder Hamburg/Schleswig-Holstein).
Staatsvertrag
Anfang April 1995 vereinbarten die Regierungen der Länder Berlin und Brandenburg einen Staatsvertrag zur Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes. Dieser Neugliederungsvertrag beinhaltete auch die Bedingungen für seine Ratifizierung. Er wurde am 27. April 1995 unterzeichnet und erhielt am 22. Juni 1995 die notwendige Zweidrittelmehrheit beider Parlamente. Im Abgeordnetenhaus von Berlin stimmten von 241 Mitgliedern bei zwei Enthaltungen 188 mit ja und 42 mit nein. Im Landtag Brandenburg stimmten von 88 Mitgliedern 64 mit ja und 24 mit nein. Jedoch bedurfte die Ratifizierung des Vertrags darüber hinaus der Zustimmung in parallelen Volksentscheiden in beiden Ländern. Erforderlich war jeweils die Mehrheit der abgegebenen Ja-Stimmen, die in jedem der beiden Länder mindestens 25 % der Abstimmungsberechtigten umfassen musste (Zustimmungsquorum).[2]
Volksentscheid
Am 5. Mai 1996 fanden diese beiden Volksentscheide statt. Während die Berliner Bevölkerung mit knapper Mehrheit dafür stimmte, taten dies in Brandenburg bei einer Abstimmungsbeteiligung von 66,38 % nicht einmal die mindestens notwendigen 25 % (Zustimmungsquorum) der Abstimmungsberechtigten. Der Vertrag wäre also auch dann gescheitert, wenn alle 63 % Brandenburger Nein-Stimmer gar nicht abgestimmt hätten. Damit scheiterte das Projekt nicht nur an der Ablehnung, sondern auch der fehlenden Mindest-Zustimmung der Brandenburger. Von den abgegebenen Stimmen in Brandenburg waren 36,57 % gültige Ja-Stimmen.[3]
Berlin | Brandenburg | |
---|---|---|
Ja-Stimmen | 53,4 % West-Berlin: 58,7 % Ost-Berlin: 44,5 % | 36,57 % |
Nein-Stimmen | 45,85 % West-Berlin: 40,3 % Ost-Berlin: 54,7 % | 62,72 % |
Wahlbeteiligung | 57,8 % | 66,38 % |
Zustimmungsquorum erreicht | ja 30,86 % | nein 24,27 % |
Bei dem Volksentscheid wurde weiterhin gefragt, sofern von beiden Ländern angenommen, ob die Fusion 1999 oder 2002 vollzogen werden sollte.[2]
Ursachenforschung
Die Nicht-Zustimmung der Brandenburger wurde vor allem auf die im Vertrag nicht ausbalancierte zahlenmäßige Dominanz städtischer Interessen (Berlin 3,4 Millionen zu Brandenburg 2,5 Millionen Einwohner), auf die bürgerferne Diskussion um die Fusion und auf die Finanzprobleme des Landes Berlin zurückgeführt. In Brandenburg ist die Befürchtung verbreitet, das Land könne im Falle einer Fusion zum Berliner Hinterland verkommen und neben seiner Identität auch finanzielle Fördermittel an die Bundeshauptstadt verlieren.
In Berlin herrscht die Auffassung vor, eine Fusion bringe aufgrund geringerer Verwaltungskosten finanzielle Vorteile für Berlin. Kritisch hingegen wird der drohende Verlust des Stadtstaatenprivilegs gesehen, der Nachteile im Länderfinanzausgleich zur Folge hätte. Weiterhin war als Landeshauptstadt im Fusionsvertrag Potsdam vorgesehen.
Die Regierungen beider Länder hatten konkrete Pläne für einen neuen Volksentscheid 2009 aufgegeben, bekennen sich jedoch nach wie vor zumindest theoretisch zu der Idee einer Fusion und äußern öffentlich immer wieder, dass sie eng zusammenarbeiteten.
Zusammenarbeit der Länder von den 1990er Jahren bis heute
Trotz der fehlenden Zustimmung zum Fusionsvertrag im Volksentscheid wurden die Zusammenarbeit beider Bundesländer vor und auch nach 1996 intensiviert und viele Behörden und andere Einrichtungen zusammengelegt bzw. gemeinsam errichtet, beispielsweise die Landesplanungsabteilungen im Jahr 1996 zur Gemeinsamen Landesplanungsabteilung Berlin-Brandenburg oder die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ORB und SFB) im Jahr 2003 zum Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). Ebenfalls durch einen Staatsvertrag wurden gemeinsame Fachobergerichte eingerichtet.
In der Präambel des Staatsvertrags über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg vom 26. April 2004 heißt es unter anderem:
„Die Länder Berlin und Brandenburg gehören historisch zusammen und stehen nicht zuletzt in einer gemeinsamen Rechtstradition. Sie bilden für viele Menschen einen einheitlichen Lebensraum. Sie sind natürliche Partner für eine landesgrenzenübergreifende Zusammenarbeit.“
Zum 1. Juli 2005 wurden das gemeinsame Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Sitz in Berlin sowie das gemeinsame Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Sitz in Potsdam errichtet. Zum 1. Januar 2007 folgten das Finanzgericht Berlin-Brandenburg mit Sitz in Cottbus und das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg mit Sitz in Berlin. Die Standortwahl richtet sich dabei eindeutig an den im Artikel 47 des nicht zustande gekommenen Neugliederungs-Vertrag festgeschriebenen Vereinbarungen.
Bereits im April 2003 beschlossen beide Länder, einen Gesetzentwurf in den Bundesrat einzubringen, der ein Bundesgesetz zur Fusion der Landesversicherungsanstalten schaffen soll. Aufgrund dieses Gesetzes kam es im Oktober 2005 zur Gründung der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg.
Bis zum Januar 2012 wurden insgesamt 27 Staatsverträge[4] und mehr als 79 Verwaltungsvereinbarungen zwischen beiden Ländern getroffen.
Seit 2017 die Länder Berlin und Brandenburg im Gemeinschaftsprojekt i2030 gemeinsam mit DB Netze, NEB AG und VBB die Schieneninfrastruktur für die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg.
Positionen der Parteien zu einer Fusion
Bei der folgenden Gegenüberstellung handelt es sich um Auszüge aus den Partei- oder Wahlprogrammen der im Berliner Abgeordnetenhaus oder Brandenburgischen Landtag sitzenden Parteien zum Thema Länderfusion oder gemeinsame Zusammenarbeit.
CDU (Brandenburg) |
Berlin-Brandenburg |
Die Linke (Brandenburg) |
Brandenburg-Berlin – eine Region mitten in Europa, ein Teil der Einen Welt |
Bündnis 90/Die Grünen (Brandenburg) |
Länderfusion weiter notwendig |
FDP (Berlin) |
Unser Ziel: Berlin-Brandenburg – Modellregion der liberalen Bürgergesellschaft |
Piratenpartei (Berlin) |
Neuer Bürgerentscheid zur Zusammenlegung von Berlin und Brandenburg Die Piratenpartei Berlin setzt sich für einen Bürgerentscheid mit der Frage ein, ob die Zusammenlegung des Landes Brandenburg und des Stadtstaates Berlin erfolgen soll. Zusätzlich ist die Abfrage eines Zeithorizontes sinnvoll (nächsten 5 Jahre, 10 Jahre, 15 Jahre, …).[9] |
Namensgebung
Im Laufe der Debatte wurden verschiedene Namen für das durch die mögliche Fusion entstehende neue Land diskutiert.
Berlin-Brandenburg
Der Name Berlin-Brandenburg gilt als einzige Option, gegen die keine gravierenden Vorbehalte bestehen. Aus historischer Sicht wird die explizite Nennung Berlins kritisch gesehen (siehe unten).
Viele Institutionen, die für beide Länder zuständig sind, tragen schon heute die Bezeichnung Berlin-Brandenburg im Namen. Unter anderem deswegen dürfte öffentlich längst eine schleichende Gewöhnung an diesen Doppelnamen eingesetzt haben. Hier einige Beispiele aus verschiedenen Bereichen:
Bildung und Wissenschaft | Gesundheit und Soziales | Rundfunk und Medien |
Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg | Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg | Rundfunk Berlin-Brandenburg |
Bildungsserver Berlin-Brandenburg | Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit | Medienanstalt Berlin-Brandenburg |
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften | Landeslabor Berlin-Brandenburg | Medienboard Berlin-Brandenburg (Filmförderung) |
Verwaltung | Verkehr | Weitere |
Amt für Statistik Berlin-Brandenburg | Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg | Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg |
Landesamt für Mess- und Eichwesen Berlin-Brandenburg | Flughafen Berlin Brandenburg | Kooperativer Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg |
Sonderabfallgesellschaft Brandenburg/Berlin | ADAC-Regionalclub Berlin-Brandenburg | DGB-Bezirk Berlin-Brandenburg |
Brandenburg
Ein historisch naheliegender Name für das gemeinsame Land wäre Brandenburg oder Mark Brandenburg, da sich Berlin als gewöhnliche brandenburgische Stadt entwickelte und die Trennung nur einen historisch kurzen Zeitraum umfasst (siehe Historischer Hintergrund).
Preußen
Im Jahr 2002 schlug der damalige brandenburgische Sozialminister Alwin Ziel vor, das geplante neue Bundesland „Preußen“ zu nennen[10] und stieß damit auf gemischte Resonanz.[11]
Der Vorschlag Preußen erklärt sich damit, dass der brandenburgische Markgraf und Kurfürst Friedrich I. der erste Träger des Titels König in Preußen war, der unter Friedrich II. zu König von Preußen wurde. Allerdings wäre die Namensgebung historisch falsch, denn der Name „Preußen“ stammt von den Prußen, die im sogenannten Altpreußen (West- und Ostpreußen) siedelten. Die Mark Brandenburg hat mit Preußen nur soviel gemein, dass sie eben (wie andere Gebiete auch) in diesem Land lag. So waren Teile des Staates Preußen, wie die Rheinprovinz und die Hohenzollernsche Lande über 600 km von Berlin entfernt.
Überdies ist die erneute Verwendung des Namens Preußen vor dem Hintergrund der geschichtlichen Rolle des preußischen Staates umstritten. Nach wie vor weckt der Name Preußen bei manchen Menschen negative Assoziationen mit dem preußischen Militarismus des Deutschen Kaiserreichs im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Vermehrt wird jedoch in der deutschen Öffentlichkeit die positive Rolle Preußens als Vorreiter des modernen Staates, als Land der Reformen und des zivilen Fortschritts sowie als ein Hort von Kunst und Kultur wiedererkannt.[12][13]
Wappen
Ein gemeinsames Wappen für das neue Land Berlin-Brandenburg lag schon vor dem Volksentscheid 1996 vor. Dieses Wappen bestand aus dem roten märkischen Adler auf weißem Grund mit dem schwarzen Berliner Bären im Brustschild. Durch das Scheitern der Länderfusion kam dieses Wappen nicht zum Einsatz.[14]
Weblinks
- Offizielle Seite der Länder Berlin und Brandenburg zur Zusammenarbeit, mit Dokumentenübersicht und gemeinsamen Einrichtungen
- "Zum zukünftigen Verhältnis der Länder Berlin und Brandenburg", Analyse der IHK Berlin
- Landesentwicklungsplan Berlin-Brandenburg (PDF; 4,1 MB) aus dem Jahr 2009
Einzelnachweise
- Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 3, 20a, 28, 29, 72, 74, 75, 76, 77, 80, 87, 93, 118a und 125a) vom 27. Oktober 1994. In: Bundesgesetzblatt Teil 1, Nr. 75. 3. November 1994, S. 3147, abgerufen am 19. Januar 2018.
- http://www.bravors.brandenburg.de/sixcms/detail.php?gsid=land_bb_bravors_01.c.13780.de Anhang 1 Art. 3 (1) des Gesetzes zu den Staatsverträgen über die Neugliederung der Länder Brandenburg und Berlin (Neugliederungsstaatsvertrag-NVG) vom 18. Juli 1995
- Archivierte Kopie (Memento vom 8. Mai 2010 im Internet Archive)
- http://www.berlin-brandenburg.de/politik-verwaltung/dokumente/staatsvertraege/index.html (Memento vom 1. Mai 2014 im Internet Archive)
- http://brandenburg-cdu.de/image/inhalte/5_wahlprogramm2009.pdf
- Archivierte Kopie (Memento vom 16. Februar 2012 im Internet Archive)
- http://gruene-brandenburg.de/userspace/BB/lv_brandenburg/landtagswahlprogramm/277506.landesentwicklung_den_demografischen_wan.pdf
- [https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Wikipedia:Defekte_Weblinks&dwl=http://www.fdp-berlin.de/files/106/Berliner_Freiheit.pdf Seite nicht mehr abrufbar], Suche in Webarchiven: [http://timetravel.mementoweb.org/list/2010/http://www.fdp-berlin.de/files/106/Berliner_Freiheit.pdf ]
- http://wiki.piratenpartei.de/BE:Antragskommission/LMV_2012.2/Antragsportal/Programmantrag_-_022
- Berlin-Brandenburg: Preußens Comeback? In: Spiegel Online. 15. Februar 2002, abgerufen am 9. Juni 2018.
- Gesellschaft: Wollen wir unser Preußen wiederhaben?
- Klaus Wiegrefe, in: Preußens wirkliche Gloria: Vor 200 Jahren – Die Erfindung des modernen Staates, DER SPIEGEL 33/2007
- Reformen von 1807 – Wie Preußen zur Großmacht wurde
- Wappen und Flagge | Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung. Abgerufen am 22. Januar 2022.