Tangens und Kotangens
Tangens und Kotangens sind trigonometrische Funktionen und spielen in der Mathematik und ihren Anwendungsgebieten eine herausragende Rolle. Der Tangens des Winkels wird mit bezeichnet, der Kotangens des Winkels mit . In älterer Literatur findet man auch die Schreibweisen für den Tangens und für den Kotangens.
Definition
Historisch/geometrisch
Die Bezeichnung „Tangens“ stammt von dem Mathematiker Thomas Finck (1561–1656), der sie 1583 einführte. Die Bezeichnung „Kotangens“ entwickelte sich aus complementi tangens, also Tangens des Komplementärwinkels.[1]
Die Wahl des Namens Tangens erklärt sich unmittelbar durch die Definition im Einheitskreis. Die Funktionswerte entsprechen der Länge eines Tangentenabschnitts:
In einem rechtwinkligen Dreieck ist der Tangens eines Winkels das Längenverhältnis von Gegenkathete zu Ankathete und der Kotangens das Längenverhältnis von Ankathete zu Gegenkathete:
Daraus folgt unmittelbar:
sowie
Formal – mit Definitions- und Wertebereich
Formal kann die Tangensfunktion mittels der Sinus- und Kosinusfunktionen durch
- mit
definiert werden,[2] wobei der Wertebereich je nach Anwendung die reellen oder die komplexen Zahlen sind. Um zu verhindern, dass der Nenner Null wird, werden beim Definitionsbereich die Nullstellen der Cosinus-Funktion weggelassen:
im Reellen bzw.
im Komplexen.
Der Kotangens kann analog dazu durch
- mit
definiert werden, wobei sich für dessen Definitionsbereich
im Reellen bzw.
im Komplexen ergibt, wenn gewährleistet werden soll, dass der Nenner ungleich Null ist.
Für den gemeinsamen Definitionsbereich von und
gilt
Eigenschaften
Periodizität
Der Tangens und der Kotangens sind periodische Funktionen mit der Periode , so gilt also .
Monotonie
Tangens: Im jeweiligen Intervall streng monoton steigend.
Kotangens: Im jeweiligen Intervall streng monoton fallend.
Symmetrien
Punktsymmetrisch zum Koordinatenursprung:
Nullstellen
Tangens: | |
Kotangens: |
Polstellen
Tangens: | |
Kotangens: |
Wendestellen
Tangens: | |
Kotangens: |
Sowohl die Tangensfunktion als auch die Kotangensfunktion haben Asymptoten, aber keine Sprungstellen oder Extrema.
Wichtige Funktionswerte
Tangens | Kotangens | Ausdruck | num. Wert |
---|---|---|---|
0 | |||
0,2679491… | |||
0,3249196… | |||
0,4142135… | |||
0,5773502… | |||
0,7265425… | |||
1 | |||
1,7320508… | |||
2,4142135… | |||
3,7320508… | |||
Polstelle |
Umkehrfunktionen
Durch passende Einschränkung der Definitionsbereiche erhält man die Bijektionen:
- Tangens
- .
Ihre Umkehrfunktion
heißt Arkustangens und ist folglich ebenfalls bijektiv.
- Kotangens
- .
Ihre Umkehrfunktion
heißt Arkuskotangens und ist folglich ebenfalls bijektiv.
Asymptoten
Aus den einseitigen Grenzwerten
- und [4]
resp.
- und [5]
leiten sich die Grenzwerte
- und [4]
resp.
- und [5]
her. Somit kann man nach der Einschränkung auf die Intervalle resp. die Definitionsbereiche wenigstens um die Endpunkte resp. der Intervalle wieder erweitern und unter Anpassung der Wertebereiche die beiden Funktionen stetig fortsetzen zu
resp.
mit als den erweiterten reellen Zahlen.
Die so erweiterten Funktionen sind ebenfalls stetig umkehrbar.
Reihenentwicklung
- Tangens
Die Taylorreihe mit dem Entwicklungspunkt (Maclaurinsche Reihe) lautet für [6]
Dabei sind mit die Bernoulli-Zahlen und mit λ(x) die Dirichletsche Lambda-Funktion bezeichnet.
Aus der Reihendarstellung folgt für :
- die Ungleichung und
- ist streng monoton steigend mit .
Ersetzt man in der Reihendarstellung durch , ergibt sich für :
- ist streng monoton fallend und .
- Kotangens
Die Laurent-Reihe lautet für [7]
Damit hat man für im Konvergenzbereich die Taylor-Reihe
- ,
wobei die Langevin-Funktion bezeichnet. Die Partialbruchzerlegung des Kotangens lautet für
Ableitung
Bei der Ableitung von Tangens und Kotangens tauchen die ansonsten eher wenig gebräuchlichen trigonometrischen Funktionen Sekans und Kosekans auf:
Die -ten Ableitungen lassen sich mit der Polygammafunktion ausdrücken:
Stammfunktionen
- Tangens
- mit .
- Mithilfe der Logarithmengesetze lässt sich die Stammfunktion wie folgt darstellen:
- Dabei bezeichnet den Sekans.
- Kotangens
- mit .
Komplexes Argument
- mit
- mit
Additionstheoreme
Die Additionstheoreme für Tangens und Kotangens lauten
Aus den Additionstheoremen folgt insbesondere für doppelte Winkel
Darstellung des Sinus und Kosinus mithilfe des (Ko-)Tangens
Die Auflösung der bereits aus dem obigen Abschnitt Ableitung bekannten Identitäten
nach bzw. ergibt bei Beschränkung auf den ersten Quadranten zunächst einmal Einfaches:
- für
- für
Die etwas komplizierteren Erweiterungen auf ganz lassen sich entweder kompakt als Grenzwert mit Hilfe der Floor-Funktion oder elementarer mittels abschnittsweise definierter Funktionen darstellen:
Rationale Parametrisierung
Der Tangens des halben Winkels kann dazu verwendet werden, verschiedene trigonometrische Funktionen durch rationale Ausdrücke zu beschreiben: Ist , so ist
Insbesondere ist
eine Parametrisierung des Einheitskreises mit Ausnahme des Punktes (der dem Parameter entspricht). Einem Parameterwert entspricht dabei der zweite Schnittpunkt der Verbindungsgeraden von und mit dem Einheitskreis (s. a. Einheitskreis#Rationale Parametrisierung).
Anwendung: Tangens und Steigungswinkel
Der Tangens liefert eine wichtige Kennzahl für lineare Funktionen: Jede lineare Funktion
besitzt als Graphen eine Gerade. Der Tangens des (orientierten) Winkels zwischen der positiven x-Richtung und der Geraden ist die Steigung der Geraden, d. h. . Dabei ist es egal, welche der beiden Halbgeraden man als zweiten Schenkel wählt.
Auch unter der Steigung einer Straße versteht man den Tangens des Steigungswinkels. Das Beispiel im Bild rechts zeigt eine Steigung von 10 % entsprechend einem Steigungswinkel von etwa 5,7° mit dem Tangens von 0,1.
Anwendung in der Physik
Tangens und Kotangens können benutzt werden, um die zeitliche Abhängigkeit der Geschwindigkeit beim Wurf eines Körpers nach oben zu beschreiben, wenn für den Strömungswiderstand der Luft eine turbulente Strömung angesetzt wird (Newton-Reibung). Das Koordinatensystem werde so gelegt, dass die Ortsachse nach oben zeigt. Für die Geschwindigkeit gilt dann eine Differenzialgleichung der Form mit der Schwerebeschleunigung g und einer Konstanten k > 0. Dann ergibt sich:
- ,
wobei die Grenzgeschwindigkeit ist, die beim Fall mit Luftwiderstand erreicht wird. Wegen der oben angegebenen engen Zusammenhänge zwischen Kotangens und Tangens kann man diese zeitliche Abhängigkeit auch genauso gut mit Hilfe des Tangens ausdrücken:
- .
Diese Lösung gilt, bis der Körper den höchsten Punkt seiner Bahn erreicht hat (also wenn v = 0 ist, das heißt für ), daran anschließend muss man den Tangens hyperbolicus verwenden, um den folgenden Fall mit Luftwiderstand zu beschreiben.
Differentialgleichung
Der Tangens ist eine Lösung der Riccati-Gleichung
- .
Faktorisiert man die rechte Seite, so erhält man
mit der imaginären Einheit . Der Tangens (als komplexe Funktion) hat die Ausnahmewerte , : Diese Werte werden niemals angenommen, da die konstanten Funktionen und Lösungen der Differentialgleichung sind und der Existenz- und Eindeutigkeitssatz ausschließt, dass zwei verschiedene Lösungen an derselben Stelle denselben Wert besitzen.
Weblinks
Einzelnachweise
- Josef Laub (Hrsg.) Lehrbuch der Mathematik für die Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen. 2. Band. 2. Auflage. Hölder-Pichler-Tempsky, Wien 1977, ISBN 3-209-00159-6, S. 223.
- Per Dreisatz ist sin/cos = tan/1.
- Für den größten gemeinsamen Teiler dieser Winkel ist
- Die Geraden und sind senkrechte Asymptoten der Tangensfunktion wie auch waagrechte der Umkehrfunktion
- Die Geraden und sind senkrechte Asymptoten der Kotangensfunktion wie auch waagrechte der Umkehrfunktion
- Milton Abramowitz, Irene Stegun: Handbook of Mathematical Functions. Dover Publications, New York 1964, ISBN 0-486-61272-4, 4.3.67
- Milton Abramowitz, Irene Stegun: Handbook of Mathematical Functions. Dover Publications, New York 1964, ISBN 0-486-61272-4, 4.3.70