Sowjetische Raumfahrt
Die sowjetische Raumfahrt begann mit dem Start des ersten Erdsatelliten Sputnik 1 im Oktober 1957 und setzte in den folgenden Jahren weitere Maßstäbe, von denen Juri Gagarin am 12. April 1961 als erster Mensch im Weltall und Erdorbit nur ein Höhepunkt war. Im Bereich der bemannten Raumfahrt lag der Schwerpunkt dann seit den 1970er Jahren bei den orbitalen Raumstationen Saljut und später der Mir. Weiterhin gab es seit den 1960er Jahren viele Erfolge bei der unbemannten Erforschung des Mondes und der Venus. Die unbemannten Missionen zum Planeten Mars waren dagegen größtenteils Fehlschläge. Viele Details der Programme wurden erst seit dem Ende der 1980er Jahre und nach dem Zerfall der Sowjetunion bekannt. Nach dem Ende der Sowjetunion 1991 wurden die Programme im Wesentlichen von Russland übernommen und weitergeführt. Einige Raketenprojekte verblieben in der Ukraine.
Grundlagen
Die theoretischen Grundlagen des Weltraumflugs wurden bereits Anfang des 20. Jahrhunderts vom russischen Wissenschaftler Konstantin Ziolkowski gelegt. Etwa seit Beginn des Ersten Weltkriegs entwickelte das zaristische Russland, dann die UdSSR kleinere Raketen. Bekannt wurde vor allem der ab 1938 militärisch eingesetzte Katjuscha-Raketenwerfer (auch als Stalinorgel bekannt). Erste Projekte zur Schaffung von Raketen mit Flüssigkeitstriebwerken, wie die RDD-604, wurden durch den deutschen Angriff auf die Sowjetunion unterbrochen.
Ein wichtiger Impuls für das sowjetische, ebenso wie für das US-amerikanische, Raketenprogramm war die deutsche Rakete A4 ('V2'), die nach 1945, begleitet von einer Reihe von Ingenieuren, als Kriegsbeute in die Sowjetunion kam. Diese erste Großrakete wurde analysiert, nachgebaut und schrittweise in Präzision, Nutzlast und Reichweite verbessert. Anders als in den USA, wo u. a. der frühere Leiter des deutschen Raketenprogramms Wernher von Braun die weitere Entwicklung bis zur Mondlandung im Jahr 1969 leitete, durften die deportierten deutschen Techniker um Helmut Gröttrup in den Jahren 1952 und 1953 nach Deutschland zurückkehren.[1][2]
Der führende Kopf der sowjetischen Raketenentwicklung war Sergei Koroljow, dessen überragende Bedeutung im Osten erst nach seinem Tod am 14. Januar 1966 offiziell anerkannt wurde. Das sowjetische Raumfahrtprogramm war, wie das amerikanische, von Beginn an eng an militärische Interessen geknüpft und unterlag strengster Geheimhaltung. Koroljow war, ähnlich wie von Braun, von den Möglichkeiten der Raumfahrt fasziniert, konnte sich aber anfangs nur hinter den Kulissen für die Nutzung der Großraketen zu friedlichen Zwecken einsetzen.
Die sowjetische Raumfahrt war anders organisiert als die der USA: Die amerikanische Raketenentwicklung erfolgte in den drei Teilstreitkräften Heer, Marine und Luftwaffe getrennt; so stand etwa von Brauns Redstone-Entwicklung in Konkurrenz zu einem Marine-Programm. Später wurde dann mit der NASA eine eigene Behörde für die zivile Raumfahrt gegründet, während die militärische Raketenentwicklung weiter in den drei Teilstreitkräften erfolgte.
In der UdSSR wurde dagegen eine eigene Teilstreitkraft geschaffen: Die kosmischen Streitkräfte (WKS – Wojenno-Kosmitscheskije Sily), die sowohl für die militärische als auch die zivile Entwicklung zuständig war. Erst mit der Gründung der Russischen Föderation 1992 wurde dort mit Roskosmos eine eigene, zivile Raumfahrtagentur gegründet.
Das OKB-1 (Konstruktionsbüro) von Sergei Koroljow widmete sich den kryogenen Flüssigbrennstoff-Raketen, mit denen Sergei Koroljow in den späten 1930er Jahren experimentiert hatte.
Vorkriegs-Bemühungen
Die Theorie der Weltraumforschung hatte eine solide Basis im Russischen Reich vor dem Ersten Weltkrieg mit den Schriften von Konstantin Ziolkowski (1857–1935), der bahnbrechende Arbeiten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert veröffentlicht hatte und 1929 das Konzept der mehrstufigen Rakete einbrachte. 1924 wurde von raumfahrtbegeisterten Studenten die Gesellschaft zum Studium interplanetarer Verbindungen gegründet. Frühe Experimente wurden von in den 1920er und 1930er Jahren und von Mitgliedern der 1931 gegründeten Gruppe zur Erforschung reaktiver Antriebe GIRD durchgeführt, in der Pioniere wie Sergei Koroljow, der von der Reise zum Mars träumte, und der deutsch-russische Ingenieur Friedrich Zander arbeiteten. Am 18. August 1933 startete die GIRD die erste sowjetische Flüssigbrennstoff-Rakete GIRD-09 und am 25. November 1933 die erste Hybridrakete GIRD-X. 1940 bis 1941 erfolgte ein weiterer Fortschritt bezüglich des reaktiven Antriebs, nämlich die Entwicklung und Serienproduktion des Mehrfachraketenwerfers Katjuscha.
Der deutsche Entwicklungsbeitrag
In den 1930er Jahren war die sowjetische Raketentechnik vergleichbar mit der von Deutschland. Danach wurde deren Fortschritt aber von Stalins Großer Säuberung erheblich gehemmt. Viele führende Ingenieure wurden getötet, der Raketenspezialist Sergei Koroljow und der Triebswerksspezialist Walentin Gluschko wurden von 1938 bis 1945 im Gulag inhaftiert. Obwohl die Katjuscha sehr effektiv an der Ostfront im Zweiten Weltkrieg war, begeisterte der weit fortgeschrittene Stand des deutschen Raketenprogramms russische Ingenieure, die ihre Überreste in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde und der Mittelwerk GmbH nach dem Ende des Krieges in Europa besichtigten. Die Amerikaner hatten heimlich in der Operation Paperclip die meisten führenden deutschen Wissenschaftler und mehr als 100 V2-Raketen in die Vereinigten Staaten verbracht und die Unterlagen zum A4 weitgehend dem sowjetischen Zugriff entzogen.
Aber auch das sowjetische Raketenprogramm profitierte stark von den deutschen Entwicklungen und der Zuarbeit deutscher Wissenschaftler. Bereits im August 1944 fielen der Sowjetunion bei der Eroberung des Testgeländes im polnischen Dębice Trümmer zerlegter A4-Raketen und Reste demontierter Abschussanlagen in die Hände und ermöglichte es, grundlegende technische Daten des deutschen Raketenprogramms zu sammeln.[3]:33 Bei der Besetzung Peenemündes Anfang im Mai 1945 brachte die Rote Armee eine komplette V2 in ihren Besitz.[3]:41 Unter der militärischen Führung von Dmitri Ustinow versuchten Sergei Koroljow, Walentin Gluschko sowie die Steuerungsspezialisten Nikolai Piljugin und Boris Tschertok ab Juli 1945 die Unterlagen und Fertigungsmittel des A4 unter Leitung des deutschen Steuerungsexperten Helmut Gröttrup, der von 1939 bis 1945 in Peenemünde unter Wernher von Braun gearbeitet hatte, und weiterer deutscher Wissenschaftler zu rekonstruieren. Dazu gründeten sie im Juli 1945 das Institut Rabe für Raketenbau und -entwicklung in Bleicherode und überführten es im Februar 1946 in das Institut Nordhausen (auch Zentralwerke genannt) mit mehr als 5000 deutschen Mitarbeitern unter der Leitung von Helmut Gröttrup als Generaldirektor.[3]:91–102 Hochkarätige Entwickler rekonstruierten die Komponenten des A4, darunter Werner Albring für die Aerodynamik und Kurt Magnus für die Kreiselsteuerung. Erich Apel, der bereits in Peenemünde tätig war, leitete den Triebwerksbau.[3]:97
Mit diesem massiven Einsatz von Mitteln, der auch die Wiederaufnahme der Produktion von Komponenten und den Zusammenbau und Test von A4-Raketen in der Sowjetischen Besatzungszone einschloss, verfolgte (und erreichte) die militärische Führung der Sowjetunion den vollständigen Wissens- und Technologietransfer der deutschen Raketenentwicklung als strategisches Ziel.[3]:61–90 Am 13. Mai 1946 beschloss der sowjetische Ministerrat daher die Überführung der deutschen Spezialisten bis Ende 1946 in die UdSSR und veranlasste entsprechende Vorbereitungen.[3]:108,126
Im November 1946 wurde Helmut Gröttrup zusammen mit 160 weiteren ausgewählten Wissenschaftlern und Spezialisten des Institut Nordhausen im Rahmen der Aktion Ossawakim auf die Insel Gorodomlja deportiert, um dort die Filiale 1 der Forschungs- und Entwicklungsstätte für Weltraumraketen NII-88 (russ. НИИ-88, научно-исследовательский институт) aufzubauen. Gleichzeitig wurden die Fertigungsanlagen der Sowjetischen Besatzungszone demontiert und in die Sowjetunion verbracht. Auf Basis der Arbeiten und der weiteren Unterstützung des deutschen Kollektivs konnte Sergei Koroljow die sowjetische Fertigung einer modifizierten V2 mit der Bezeichnung R-1 aufbauen und erstmals am 13. Oktober 1948 erfolgreich auf dem Testgelände Kapustin Jar starten.[3]:172–176 Durch den Nachbau der deutschen Geräte machte sich die sowjetische Rüstungsindustrie mit den Besonderheiten der Raketenfertigung vertraut, konnte damit eigenen Forschungs- und Entwicklungsaufwand einsparen und rasch eine große Anzahl an Ingenieuren und Technikern ausbilden.[3]:149
Das Gewicht der sowjetischen Atomsprengköpfe benötigte allerdings einen leistungsfähigeren Antrieb. Hierfür konzipierte das deutsche Kollektiv im Zeitraum 1947 bis 1949 mit den Entwürfen der G-1[4], G-2[5] und G-4[6] eine Reihe von konstruktiven Verbesserungen für die Erhöhung der Reichweite, die Verbesserung der Treffgenauigkeit und Vereinfachung für eine höhere Zuverlässigkeit:[7][8]
- die Erhöhung des Triebwerksdrucks auf 60 atü für einen besseren Wirkungsgrad
- die Beschränkung der Beschleunigung in der späten Antriebsphase zur Reduzierung des Gewichts sowie verbesserte Treffgenauigkeit durch genauere Abschaltung
- gerade Antriebsbahn mit Fernlenkverfahren durch Peilstrahlen und genaue Steuerung des Brennschlusses
- verbesserte Kreiselsysteme inkl. zugehöriger Simulationssysteme[3]:178–179
- die Bündelung von Raketentriebwerken zusammen mit der Möglichkeit der Kompensation eines Triebwerksausfall durch Abschalten des symmetrisch gegenüberliegenden Triebwerks (bei der späteren Interkontinentalrakete R-7 und der Sputnik-Trägerrakete wurden 4x4 für die erste Stufe sowie 4 Triebwerke für die zweite Stufe gebündelt)[8]
- die Vektorsteuerung durch Schwenken der Triebwerke anstelle der aufwändigen Strahlruder aus Graphit und aerodynamisch ungünstiger Luftruder[3]:168,211
- die Drallstabilisierung durch schwenkbare Düsen, die mit dem Turbinenabgas arbeiten
- die konische Form des Raketenkörpers für eine stabile Aerodynamik (ohne aufwendige Windkanalversuche zur Optimierung über den gesamten Geschwindigkeitsbereich und zugehöriger Tanklast)[2][6]
- die Verwendung der Tanks als tragende Struktur zur Gewichtsreduzierung[3]:177
- die Verwendung gekühlter Verbrennungsgase des Raketentriebwerks für den Antrieb der Turbopumpen (anstelle separater Gasgeneratoren)[1]:209–215
Koroljow verwendete Teile dieser Vorschläge für die sowjetischen Weiterentwicklungen R2, R-3, R-5 und R-14. Aus politischen Gründen wurden jedoch die Beiträge des deutschen Kollektivs zur sowjetischen Raketenentwicklung in der Öffentlichkeit lange Zeit als unbedeutend eingestuft.[9][10] Sie bereiteten die Schritte zur Entwicklung der Interkontinentalrakete (MBR) R-7 vor, die im August 1957 erfolgreich getestet wurde und im November 1957 den weltweit ersten Satelliten in eine Umlaufbahn zu beförderte. Wesentlicher Erfolgsfaktor für die sowjetische Raumfahrt war der kompromisslose Einsatz der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kräfte für die Raketenentwicklung, getrieben durch Sergei Koroljow als visionärem und durchsetzungsfähigem Chefingenieur und Dmitri Ustinow, der sich zunächst als Minister für die Beschaffung (Rüstung) damit gegenüber Stalin profilieren und ab 1952 als Mitglied im Zentralkomitee der KPdSU die Verteilung der Mittel direkt beeinflussen konnte.[3]:192–204,246–247 Im Gegensatz zu sonst üblichen Schwächen der kommunistischen Planwirtschaft wurde die Raketenentwicklung als militärisch-industrieller Komplex überaus effizient koordiniert und mit großer Geheimhaltung zielstrebig vorangetrieben.[11]
Entwicklung
Die R-7
Als herausragende Ingenieursleistung Koroljows, weil besonders einfach und damit zuverlässig, gilt die anfangs als Interkontinentalrakete konzipierte R-7. Sie wurde mit nur kleinen Variationen die am meisten eingesetzte Trägerrakete weltweit und wird bis heute als Träger der Sojus-Raumschiffe und Progress-Transporter eingesetzt u. a. zum Mannschaftstransport zur ISS und ihrer Versorgung.
Mit einer R-7 startete auch Sputnik 1 am 4. Oktober 1957, der erste Erdsatellit – eine Sensation, die auch im Westen Begeisterung für die Raumfahrt weckte. Der Start erfolgte im Rahmen des Internationalen Geophysikalischen Jahres 1957 und führte in den westlichen Ländern zum sogenannten Sputnikschock. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die westlichen Geheimdienste die Fortschritte der sowjetischen Raketenentwicklungen unterschätzt. Helmut Gröttrup, der vom britischen Geheimdienst im Dezember 1953 nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion im Rahmen des Spionageprogramms Operation Dragon Return abgefangen und befragt worden war, hatte auf die Bedeutung des damals im Westen unbekannten Sergei Koroljow hin und vor der begonnenen Entwicklung von Interkontinentalraketen gewarnt.[12] In einer Analyse vom März 1957 traute die CIA der Sowjetunion den Start eines Satelliten für wissenschaftliche Zwecke im Jahr 1957 zu, aber erst ab 1963 mit militärisch leistungsfähigen Aufklärungssatelliten.[13]
Ein Meilenstein der sowjetischen Raumfahrt war der Flug Juri Gagarins, des ersten Menschen im Weltraum. Nach der erfolgreichen Erdumrundung am 12. April 1961 wurde er in Moskau und in aller Welt mit großer Begeisterung gefeiert. Am Lenin-Prospekt in Moskau wurde 1980 das gewaltige, futuristische Gagarin-Denkmal errichtet.
Für die sowjetische Führung und Regierungschef Nikita Chruschtschow kamen diese Erfolge eher unerwartet. Man zögerte aber nicht, sie propagandistisch zu nutzen, um die Überlegenheit des Kommunismus zu demonstrieren.
Wettlauf zum Mond
Auch in den Wettlauf zum Mond stieg die Sowjetunion ein und konnte hier mit den Lunik-Missionen bereits 1959 Erfolge verbuchen und ab 1963 mit dem Luna-Programm fortsetzen. Für eine bemannte Mission brauchte man aber eine neue, große Trägerrakete. Nach dem Tode Koroljows 1966 gelang es jedoch nicht, die vorhandenen Mittel und Fähigkeiten erfolgreich auf diese Aufgabe zu konzentrieren: Nach mehreren Fehlstarts wurden die Arbeiten an der gewaltigen N1-Rakete 1974 eingestellt und das bemannte sowjetische Mondprogramm beendet.
In einer ARD-BBC-Koproduktion von 2005 wurde der „Wettlauf zum Mond“ als TV-Dokudrama inszeniert. In der Mischung aus Originalmaterial, Computergrafik und aufwändigen Spielszenen wurden auch Details verarbeitet, die erst in jüngerer Zeit bekannt geworden waren.[14]
Planetensonden
Mit Lunochod wurden noch beachtenswerte Roboter-Missionen zum Mond angeschlossen. Die verschiedenen Missionen zum Mars verliefen jedoch überwiegend glücklos: Von den gleichnamigen Mars-Sonden startete Mars 1 im Jahre 1962 und erreichte den Planeten, konnte aber wegen technischer Probleme keine Daten liefern. Ein ähnliches Schicksal hatten Mars 2 und 3, die 1969 starteten. Die 1973 abgesandten Sonden 4 bis 7 waren von Elektronikproblemen geplagt, nur Mars 5 lieferte eine Reihe von Fotos. Auch die beiden Phobos Sonden zur Erforschung des Marsmondes Phobos im Jahr 1988 konnten ihre Ziele nicht erreichen. Schließlich musste 1996 auch die russische Mars 96 Sonde nach einem Fehlstart abgeschrieben werden.
Anders die Sonden zum heißen, sonnennahen Nachbarplaneten Venus: Zwischen 1965 und 1984 wurden insgesamt fünfzehn Venera-Missionen gestartet, mit überwiegend erfolgreichem Verlauf, wobei zahlreiche Daten, Radarkartierungen und hochauflösende Fotos übermittelt wurden. Zwischen 1984 und 1986 schlossen sich, unter Beteiligung internationaler Wissenschaftler, die Vega 1 und 2 Missionen an. Dabei wurden jeweils Landesonden auf der Venus abgesetzt, gefolgt von einem Rendezvous mit dem Kometen Halley. Wenn auch nur wenig wissenschaftlich neues Material entstand, demonstrierten die Vega-Missionen doch, dass man technologisch weiter auf der Höhe war.
Buran und Energija
Mit der Entwicklung der Raumfähre Buran und der dazugehörigen Trägerrakete Energija startete die Sowjetunion ab 1976 noch einmal ein neues, technologisch ehrgeiziges Weltraumprojekt. Auf den ersten Blick dem US-amerikanischen Space Shuttle ähnlich, war das System jedoch flexibler konzipiert: Die Energija war als eigenständige Trägerrakete mit 96 Tonnen, später als Vulkan mit 175 Tonnen Nutzlast (für einen niedrigen Erdorbit) ausgelegt und selbst zur Wiederverwendung konstruiert. Die relativ kleinen Triebwerke des Buran wurden beim Start erst nach Erreichen des Weltraums zur Anhebung des sonst nach Brennschluss der Energija zu niedrigen Perigäums eingesetzt und fielen damit wesentlich leichter aus. Diese Auslegung ermöglichte der Buran eine höhere Nutzlast von 30 Tonnen, gegenüber 25 Tonnen des etwa gleich großen Shuttles.
Nach einer Reihe erfolgreicher, unbemannter Testflüge wurde das Programm 1993 offiziell eingestellt, nachdem durch die Auflösung der Sowjetunion die Budgets weggebrochen waren. Die eigenständig einsetzbare Energija war danach auch kommerziell nicht nutzbar, gerade weil ihre hohe Kapazität vom Markt nicht abgefragt wurde.
Mir
In das Blickfeld der Weltöffentlichkeit gelangte die sowjetische Raumfahrt zuletzt vor allem mit der Raumstation Mir. Zwischen dem Start am 19. Februar 1986 und dem gezielten Absturz am 23. März 2001 wurden hier zahlreiche wissenschaftliche Experimente betrieben und Rekorde gebrochen.
Übergang in die russische Föderation
Die sowjetischen Ressourcen an Mensch und Material gingen damit überwiegend an die russische Raumfahrtagentur Roskosmos (anfangs RKA) über, die viele der bisherigen Projekte fort- und neue in Gang setzte. Zum Teil geschah dies in Zusammenarbeit mit der Ukraine, Kasachstan und anderen GUS-Staaten, die früher Teil der UdSSR waren. Einige Raketenprojekte wurden von der Ukraine fortgeführt.
Wesentliche Teile der sowjetischen Raumfahrtgeschichte sind im Kosmonautenmuseum in Moskau dokumentiert, das nahe der Metrostation WDNCh und des Haupteingangs der Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft liegt.
Meilensteine und Erstleistungen
- 1957: Erste Interkontinentalrakete – die R-7.
- 1957: Erster Satellit – Sputnik 1.
- 1957: Erstes Lebewesen in der Umlaufbahn – Hündin Laika in Sputnik 2.
- 1959: Erster Raumflugkörper außerhalb der Erdanziehung – Lunik 1.
- 1959: Erste harte Mondlandung – Lunik 2.
- 1959: Erste Bilder von der Mondrückseite – Lunik 3.
- 1960: Erste Lebewesen, die lebend aus dem All nach Erdumrundungen zurückkehrten und weich landeten – Hunde Belka und Strelka in Sputnik 5.
- 1961: Erster Mensch im All und in der Erdumlaufbahn – Juri Gagarin mit Wostok 1.
- 1962: Erster Gruppenflug – Wostok 3 und Wostok 4.
- 1963: Erste Frau im All – Walentina Tereschkowa mit Wostok 6.
- 1964: Erste Drei-Mann-Besatzung – Woschod 1.
- 1964: Erste Wissenschaftskosmonauten – Boris Jegorow und Konstantin Feoktistow bei Woschod 1.
- 1965: Erster Ausstieg in den Weltraum – Alexei Leonow bei Woschod 2.
- 1966: Erste weiche Mondlandung mit einer Sonde – Luna 9.
- 1966: Erste harte Landung mit einer Sonde auf einem anderen Planeten – Venera 3 auf der Venus.
- 1970: Erste automatische Rückkehr einer Sonde von einem anderen Himmelskörper – Luna 16.
- 1970: Erster ferngesteuerter Roboter und Fahrzeug im All auf dem Mond – Lunochod 1.
- 1971: Erste harte und erste weiche Landung auf dem Mars – Lander von Mars 2 und Mars 3.
- 1971: Erste Raumstation – Saljut 1.
- 1978: Erster Mitflug eines Kosmonauten aus einem Drittstaat (nach UdSSR und USA) – Vladimír Remek (Tschechoslowakei).
- 1984: Erste Frau beim Weltraumausstieg – Swetlana Sawizkaja in der Weltraumstation Saljut 7.
- 1986: Erste dauerhaft bemannte Raumstation – Mir, welche die Erde bis 2001 umkreiste.
Den vielen Erstleistungen stehen gescheiterte Großprojekte gegenüber, wie die lange geheim gehaltene Mondrakete N1, die Mars-Raumsonden oder die nach einem unbemannten Einsatz aufgegebene Raumfähre Buran. Viele Details über Misserfolge wurden erst nach der Perestroika bekannt.
Siehe auch
Literatur
- Alfred Gugerell: Von Gagarin zur Raumstation Mir. Gugerell, Traisen (Niederösterreich) 1998, ISBN 3-9500500-0-0.
- Dennis Newkirk: Almanac of Soviet Manned Space Flight. Gulf Publ., Houston 1990, ISBN 0-87201-848-2.
- Peter Stache: Sowjetische Raketen. Elbe-Dnjepr-Verlag, Klitzschen (Sachsen) 2001, ISBN 3-933395-27-5.
- Matthias Schwartz: Die Erfindung des Kosmos: zur sowjetischen Science Fiction und populärwissenschaftlichen Publizistik vom Sputnikflug bis zum Ende der Tauwetterzeit. Lang, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-631-51225-2.
- Philipp Meuser (Hrsg.): Architektur für die russische Raumfahrt. Vom Konstruktivismus zur Kosmonautik. DOM Publishers, Berlin 2013, ISBN 978-3-86922-219-6.
- Vladimir I. Levantovskij, Vladimir A. Leškovcev, Il’ja E. Rachlin: Sovetskaja raketa issleduet kosmos. (Die sowjetische Rakete erforscht den Kosmos). Verlag Gos. Izd. Fiz.-Mat. lit., in kyrillischer Schrift, Moskau 1959.
- Stefan Scholl: Anarchie im All. In: Brand eins. Nr. 10, 2008, ISSN 1438-9339 (PDF)
Weblinks
- Anatoly Zak: News and history of astronautics in the former USSR. Abgerufen am 15. Mai 2019 (englisch).
- Liste aller sowjetischen und russischen Raketenstarts (seit 1957). Les lancements russes. In: Kostmonavtika. Abgerufen am 15. Mai 2019 (französisch).
Einzelnachweise
- Kurt Magnus: Raketensklaven. Deutsche Forscher hinter rotem Stacheldraht. Elbe-Dnjepr-Verlag, Mockrehna 1999, ISBN 978-3-933395-67-2.
- Werner Albring: Gorodomlia. Deutsche Raketenforscher in Russland. Luchterhand Literaturverlag, München 1991, ISBN 978-3-630-86773-1.
- Matthias Uhl: Stalins V-2. Der Technologietransfer der deutschen Fernlenkwaffentechnik in die UdSSR und der Aufbau der sowjetischen Raketenindustrie 1945 bis 1959. Dissertationsschrift mit Reproduktion vieler Originaldokumente. Bernard & Graefe Verlag, Bonn 2001, ISBN 978-3-7637-6214-9 (304 S.).
- G-1 in der Encyclopedia Astronautica, abgerufen am 14. Mai 2019 (englisch). – G-1 als Entwurf für R-2
- G-2 in der Encyclopedia Astronautica, abgerufen am 14. Mai 2019 (englisch). – G-2 als Entwurf für R-12
- G-4 in der Encyclopedia Astronautica, abgerufen am 14. Mai 2019 (englisch). – G-4 als Entwurf für R-3, R-10 und R-14
- Helmut Gröttrup: Aus den Arbeiten des deutschen Raketen-Kollektivs in der Sowjet-Union. In: Deutsche Gesellschaft für Raketentechnik und Raumfahrt (Hrsg.): Raketentechnik und Raumfahrtforschung. Nr. 2, April 1958, S. 58–62.
- Jürgen Michels, Olaf Przybilski: Peenemünde und seine Erben in Ost und West: Entwicklung und Weg deutscher Geheimwaffen. Bernard & Graefe, Bonn 1997, ISBN 978-3-7637-5960-6 (333 S.).
- Anatoly Zak: German contribution in the Soviet rocketry: Myth and Reality. 12. August 2012, abgerufen am 11. Mai 2019 (englisch): „striking resemblance between a cone-like aerodynamic shape proposed by the Gröttrup team for several of its rockets and Korolev’s own designs, which appeared in metal years later. Korolev’s largest rockets – the R-7 and the ill-fated N1 moon rocket, both featured exotic conical shape“
- Boris E. Tschertok: Raketen und Menschen. Deutsche Raketen in Sowjethand. Band 1. Elbe-Dnjepr-Verlag, Mockrehna 1998, ISBN 978-3-933395-00-9 (492 S.).
- Paul Maddrell: Einfallstor in die Sowjetunion: Die Besatzung Deutschlands und die Ausspähung der UdSSR durch den britischen Nachrichtendienst. (PDF; 1,92 MB) In: Vierteljahrshefte, Jahrgang 51 Heft 2. Institut für Zeitgeschichte, 2003, S. 35–36, abgerufen am 17. Juni 2019: „Auf Grund der Mitteilungen, die Gröttrup und andere „Dragon Returnees“ machten, kamen die Briten und Amerikaner im September 1954 zu dem Ergebnis, daß es in der Tat ein eigenständiges sowjetisches Programm für ferngelenkte Raketen gebe.“
- Paul Maddrell: Spying on Science: Western Intelligence in Divided Germany 1945-1961. Hrsg.: Oxford University Press. 2006, ISBN 978-0-19-926750-7 (englisch, 344 S., Umfangreicher Einblick in die Ergebnisse der britischen Aufklärung und Spionage während des Kalten Krieges, insbesondere die Befragung zurückgekehrter Wissenschaftler und Spezialisten im Rahmen der Operation Dragon Return).
- Soviet Capabilities and Probable Programs in the Guided Missile Field. (PDF; 4,52 MB) National Intelligence Estimate Number 11–5–57. In: CIA. 12. März 1957, abgerufen am 24. August 2020 (englisch, zur Veröffentlichung freigegeben am 29. August 2013): „The USSR will probably make a major effort to be the first country to orbit an earth satellite. We believe that the USSR has the capability, in 1957, of orbiting a satellite vehicle which could acquire scientific information and data of limited military value. A satellite vehicle possessing substantial reconnaissance capability of military value could probably be orbited in the period 1963–1965.“
- BBC Germany: Wettlauf zum Mond. (Memento vom 7. November 2007 im Internet Archive)