Selenogradsk
Selenogradsk (russisch Зеленоградск (), übersetzbar in etwa mit Grüne Stadt, bis 1947 deutsch: Cranz, früher auch Cranzkuhren; litauisch Krantas) ist ein Badeort an der Samlandküste in der russischen Oblast Kaliningrad, im ehemaligen Ostpreußen. Die Stadt Selenogradsk ist Verwaltungssitz der kommunalen Selbstverwaltungseinheit Stadtkreis Selenogradsk im Rajon Selenogradsk.
Stadt
Selenogradsk
Cranz Зеленоградск
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Liste der Städte in Russland |
Lage
Der Badeort an der Ostseeküste liegt im Nordwesten der historischen Region Ostpreußen, etwa 30 Kilometer nördlich von Königsberg (Kaliningrad).
Geschichte
Ursprünglich war der Ort an der Küste (kurisch kranta, krant: Strand, Ufer altpreußisch/ prußisch: krantas: Strand, Rand, Ufer, Küste; vgl. dänisch: skrænt) ein Fischerdorf. 1785 wurde Cranzkuhren als ein königliches Fischerdorf bezeichnet, das Sitz eines königlichen Forstamts ist, 41 Feuerstellen (Haushaltungen) aufweist, zum Hauptamt Grünau gehört und in Rudau eingepfarrt ist.[2]
Das Seebad Cranz wurde 1816 auf Betreiben des Königsberger Arztes Friedrich Christian Kessel (1765–1844) gegründet. Zu den beiden Badebuden kam 1817 ein Warmbad. Der Badeort war bereits um 1830 stark besucht.[3] Der 1836 gegründete Kesselsche Verschönerungsverein schuf Gartenanlagen und stellte bis Anfang des 20. Jahrhunderts Ruhebänke auf.[4] Im Jahr 1858 hatte die Gemarkung des Dorfs einen Flächeninhalt von 712 Morgen.[5]
Während die übrigen nördlichen samländischen Seebäder hohe Steilufer aufweisen, breitet sich Cranz auf niedrigen Uferhügeln aus, die im Nordosten von einem etwa 1000 Hektar großen, mit Laubbäumen untermischten Kiefernwald bedeckt sind. Unmittelbar am Strand zog sich eine 1.400 Meter lange Uferpromenade entlang. Diese bestand über eine Länge von 900 Metern und eine durchgängige Breite von fünf Metern aus Holzbohlen, die auf eingemauerten Pfählen ruhten. Auf der Promenade befanden sich Ruhebänke, und von ihr aus führten Treppen hinab zum breiten Badestrand. Etwa von halber Länge aus führte die Promenade in westlicher Richtung zum Herrenbad und in östlicher Richtung zum Damenbad. Laufbrücken führten innerhalb des Badegeländes weit in die See hinaus. Bei Sonnenuntergang war die Promenade Sammelpunkt der Badegäste. Bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts war sie abends elektrisch beleuchtet und daher in ihrer Art unter den deutschen Ostseebädern einzigartig. Während der Kaiserzeit entwickelte sich Cranz zum bedeutendsten Badeort der ostpreußischen Küste. Im Jahr 1908 wurden hier 13.277 Besucher registriert, meist Ost- und Westpreußen sowie Schlesier, aber auch viele Polen und Russen (meist jüdischer Herkunft).[6]
Nach dem Bau der Königsberg-Cranzer Eisenbahn war Cranz ab 31. Dezember 1885 von Königsberg aus bequem zu erreichen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts hatte Cranz eine evangelische Kirche, eine Synagoge, ein Elektrizitätswerk[7], eine Düneninspektion und eine Rettungsstation.[8] Neben dem Bade-Tourismus blieb die Fischerei ein bedeutender Erwerbszweig. Die Cranzer Räucherflundern galten als besondere Delikatesse.
Obwohl Cranz zu Beginn des Zweiten Weltkriegs fast 6000 Einwohner hatte, bekam der Ort keine Stadtrechte. Cranz gehörte bis Kriegsende 1945 zum Landkreis Samland im Regierungsbezirk Königsberg der Provinz Ostpreußen des Deutschen Reichs. Die Ortschaft erlitt während des Kriegs nur geringfügige Zerstörungen.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs flüchteten viele deutsche Einwohner am Anfang des Jahres 1945. Im Sommer 1945 wurde die Region zusammen mit der ganzen nördlichen Hälfte Ostpreußens unter sowjetische Verwaltung gestellt. Cranz litt trotz der wiedererlangten Bedeutung als Badeort durch fortschreitende Vernachlässigung und verlor seine Vorrangstellung an Swetlogorsk (Rauschen).
Am 17. Juni 1947 wurde für Cranz die Ortsbezeichnung Selenogradsk eingeführt und der Ort bekam dabei die Stadtrechte.[9][10] Am 25. Juli 1947 wurde Selenogradsk zum Sitz des Rajon Primorsk (heute Rajon Selenogradsk) bestimmt,[11] nachdem es diese Rolle faktisch schon seit 1946 innehatte. Von 1963 bis 1965 war die Stadt rajonfrei und ist seither Zentrum des Rajon Selenogradsk. Die Region war bis zum Zerfall der Sowjetunion im Jahre 1991 Teil der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik und gehört seitdem zur Russischen Föderation.
2002 wurden die Orte Klinzowka (Wickiau), Malinowka (Wargenau), Priboi (Rosehnen), Sosnowka (Bledau) und Wischnjowoje (Wosegau) in die Stadt Selenogradsk eingemeindet.[12]
Seit 2005 gibt es eine Partnerschaft mit der Stadt Ostseebad Kühlungsborn in Mecklenburg-Vorpommern.
Forscher vermuten etwa drei Kilometer südlich der Stadt den Handelsplatz aus der Zeit der Wikinger Wiskiauten, heute Mochowoje.[13]
Bevölkerungsentwicklung
- bis 1945
Jahr | Einwohner | Anmerkungen |
---|---|---|
1816 | 268 | [14] |
1831 | 314 | [3] |
1840 | 402 | in 86 Wohnhäusern[15] |
1858 | 782 | davon 780 Evangelische und zwei Katholiken[5] |
1864 | 925 | am 3. Dezember[16] |
1900 | 2.093 | [7] |
1905 | 2.598 | [8] |
1933 | 4.667 | [17] |
1939 | 5.089 | [17] |
- seit 1945
Jahr | Einwohner |
---|---|
1959 | 6.866 |
1970 | 9.172 |
1979 | 9.781 |
1989 | 10.786 |
2002 | 12.509 |
2010 | 13.026 |
Anmerkung: Volkszählungsdaten
Tourismus
Selenogradsk hat vor allem Bedeutung für den Wochenendtourismus von Kaliningrad aus. Hier befinden sich viele Ferienlager für russische Jugendorganisationen. Deutsche und andere Ausländer sind sehr selten. In den 2000er Jahren begann eine rege Bautätigkeit. Es entstehen weiterhin viele Privathäuser für reiche Moskauer und Tourismuseinrichtungen. Die lange Seepromenade lädt zum Spazieren ein. Die Restaurants sind modern und auf westlichem Standard. Eine Seebrücke ergänzt die Promenade. WLAN ist kostenlos und direkt zugänglich. Die Stadt mit ihren Straßen ist ausgesprochen sauber. Die Badesandstrände liegen östlich und westlich der gepflasterten Promenade der Innenstadt.
Verkehr
Straßen
Der Ort ist durch die Fernstraße A 191 (ehemalige deutsche Reichsstraße 128) mit Kaliningrad (Königsberg) und dem südlichen Samland verbunden. Aus Gründen der Überbelastung dieser wichtigen Verbindung zum Ostseebad wurde im Jahre 2009 eine zeitgemäße und schnellerer Verbindung dem Verkehr übergeben: der Primorskoje Kolzo (Küstenring), der einmal alle Bäder- und Hafenstädte an der Ostsee verbinden soll. Über diese Autobahn A 217 besteht von Selenogradsk auch schnellerer Anschluss an den Flughafen Kaliningrad bei Chrabrowo (Powunden), sowie nach Westen (Stand 2017) bis zum Badeort Rauschen (Swetlogorsk).
Von Selenogradsk aus führt außerdem die Fernstraße R 515 in nördliche Richtung und durchzieht die Kurische Nehrung im russischen Teil zur Weiterfahrt auf der KK 167 im litauischen Teil bis nach Klaipėda (Memel).
Es besteht eine tägliche Busverbindung (von Kaliningrad) über die Kurische Nehrung und Nidden/Nida nach Memel und zurück.
Schienen
Über die Bahnstrecke Kaliningrad–Selenogradsk–Primorsk (Königsberg–Neukuhren) ist Selenogradsk auf dem Schienenwege mit der Oblasthauptstadt als Bahnknotenpunkt verbunden. Eine ausreichende Anzahl von Vorortzügen verkehrt vom Süd- über den Nordbahnhof direkt nach Selenogradsk.
Religionen
In Selenogradsk gibt es folgende Gemeinden:[18][19]
- Erlöser-Verklärungs-Kathedrale, ul. Moskowskaja 40a, 1896/97 als evangelische Adalbertkirche erbaut, seit 1995 orthodox
- Kirche des heiligen Apostels Andreas des Erstberufenen, ul. Moskowskaja 13a, 1903/04 als katholische Andreaskapelle von Paul Lauffer erbaut, seit etwa 1995 orthodox
- evangelische Gemeinde, Filialgemeinde der Auferstehungskirche Kaliningrad[20]
Weitere Sakralbauten waren:
Persönlichkeiten
Söhne und Töchter des Ortes
- Reinhart Bezzenberger (1888–1963), Landesrat in Ostpreußen
- Curt Falkenheim (1893–1949), deutscher Kinderarzt
- Franz Hilbert (1893–1969), das einzige Kind des Mathematikers David Hilbert
- Mary Saran (1897–1976), deutsche Publizistin
- Abel Ehrlich (1915–2003), deutscher Komponist
- Beate Uhse (1919–2001), deutsche Pilotin und Unternehmerin
- Klaus Rolinski (* 1932), deutscher Jurist und Hochschullehrer
- Wolf-Dieter Stubel (* 1941), deutscher Hörfunkmoderator
- Volker Lechtenbrink (1944–2021), deutscher Schauspieler
Mit dem Ort verbunden
- Sem Chaimowitsch Simkin (1937–2010), russischer Hochseefischer und Dichter, ist im Ort beerdigt
In der Literatur
- Patrick White, Nobelpreisträger für Literatur 1973, besuchte Cranz Anfang der 1930er Jahre.[22]
„Ich erinnere mich an das kleine Ostseebad Cranz, am Rande der Stadt bis zu den Knöcheln in den schweren weißen Sand einsinkend, genauso wie in den Straßen mit den weißgekalkten Holzhäusern, auf denen das Licht dicht und golden wie der Bernstein lag, der entlang der Küste gefunden wurde. (..) es war aus der Zeit gefallen und hatte keine Verbindung zu irgendeinem Land, das ich besucht hatte.“
Literatur
- Leopold Krug: Die Preussische Monarchie; topographisch, statistisch und wirthschaftlich dargestellt. Nach amtlichen Quellen. Teil I: Provinz Preussen. Berlin 1833, S. 154, Ziffer 178.
- August Eduard Preuß: Preußische Landes- und Volkskunde oder Beschreibung von Preußen. Ein Handbuch für die Volksschullehrer der Provinz Preußen, so wie für alle Freunde des Vaterlandes. Gebrüder Bornträger, Königsberg 1835 (S. 489–490.)
- Thomas: Das königliche Ostseebad Kranz. 2. Auflage, Königsberg 1884.
Weblinks
Einzelnachweise
- Itogi Vserossijskoj perepisi naselenija 2010 goda. Kaliningradskaja oblastʹ. (Ergebnisse der allrussischen Volkszählung 2010. Oblast Kaliningrad.) Band 1, Tabelle 4 (Download von der Website des Territorialorgans Oblast Kaliningrad des Föderalen Dienstes für staatliche Statistik der Russischen Föderation)
- Johann Friedrich Goldbeck: Volständige Topographie des Königreichs Preußen. Teil I, Königsberg/Leipzig 1785, Volständige Topographie vom Ost-Preußischen Cammer-Departement, S. 31.
- Leopold Krug: Die Preussische Monarchie; topographisch, statistisch und wirthschaftlich dargestellt. Nach amtlichen Quellen. Teil I: Provinz Preussen. Berlin 1833, S. 154, Ziffer 178.
- Robert Albinus: Königsberg Lexikon. Würzburg 2002, ISBN 3-88189-441-1
- Adolf Schlott: Topographisch-statistische Uebersicht des Regierungs-Bezirks Königsberg, nach amtlichen Quellen. Hartung, Königsberg 1861, S 63-76.
- Meyers Reisebücher: Ostseebäder und Städte der Ostseeküste. 4. Auflage, Bibliographisches Institut, Leipzig und Wien 1910, S. 202–205.
- Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage, Band 11, Leipzig und Wien 1907, S. 594.
- Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon. 5. Auflage, Band 1, Leipzig 1911, S. 572
- Durch den Указ Президиума Верховного Совета РСФСР от 17 июня 1947 г. «Об образовании сельских Советов, городов и рабочих поселков в Калининградской области» (Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der RSFSR vom 17. Juni 1947: Über die Bildung von Dorfsowjets, Städten und Arbeitersiedlungen in der Oblast Kaliningrad)
- Zunächst gab es Vorstellungen, den Ort nach dem russischen Admiral Pawel Stepanowitsch Nachimow in Nachimowsk umzubenennen. Einige Dokumente aus dieser Zeit sind mit dieser Ortsbezeichnung versehen. Bei dem schließlich gewählten Selenogradsk soll es sich um eine Verwechselung mit der für den Ort Rauschen gewählten Ortsbezeichnung Swetlogorsk handeln.
- Durch den Указ Президиума Верховного Совета РСФСР от 25 июля 1947 г. «Об административно-территориальном устройстве Калининградской области» (Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der RSFSR vom 25. Juli 1947: Über den administrativ-territorialen Aufbau der Oblast Kaliningrad)
- Durch die Решение Зеленоградского районного Совета депутатов от 17 июня 2002 г. № 177 «Об утверждении административных границ сельских и поселковых округов, входящих в состав муниципального образования "Зеленоградский район" Калининградской области» (Entscheidung des Abgeordnetenrats des Rajons Selenogradsk vom 17. Juni 2002, Nr. 177: Über die Festlegung der administrativen Grenzen der Dorf- und Siedlungsbezirke im Bestand der munizipalen Bildung "Rajon Selenogradsk" der Oblast Kaliningrad)
- Wikingerzeitlicher Fundplatz Wiskiauten (Memento vom 28. Februar 2008 im Internet Archive)
- Alexander August Mützell und Leopold Krug: Neues topographisch-statistisch-geographisches Wörterbuch des preussischen Staats. Band 3: Kr–O, Halle 1822, S. 5, Ziffer 4853,
- Karl Emil Gebauer: Kunde des Samlandes oder Geschichte und topographisch-statistisches Bild der ostpreußischen Landschaft Samland. Königsberg 1844, S. 121, Ziffer 10.
- Preußisches Finanzministerium: Die Ergebnisse der Grund- und Gebäudesteuerveranlagung im Regierungsbezirk Königsberg: Berlin 1966, Kreis Fischhausen, S. 2, Ziffer 43.
- Michael Rademacher: Samland. Online-Material zur Dissertation. In: treemagic.org. 2006 .
- Cranzer Stadtbild und einzelne Gebäude ostpreussen.net, mit kurzen Angaben
- Sakralbauten im Stadtkreis Selenogradsk Prussia 39, mit aktuellen Angaben (Nr. 5, 6, 2, russisch)
- Evangelisch-lutherische Propstei Kaliningrad (Memento vom 29. August 2011 im Internet Archive)
- Cranz (Samland) Jüdische Gemeinden
- Patrick White, Flaws in the Glass, A self-portrait, London, 1981, S. 41. ISBN 0-14-006293-9