New Glenn

Die New Glenn ist eine in Entwicklung befindliche zweistufige Schwerlast-Trägerrakete des US-amerikanischen Raumfahrtunternehmens Blue Origin. Sie wird teilweise wiederverwendbar sein und soll für unbemannte wie bemannte Missionen eingesetzt werden. Die Rakete ist nach John Glenn benannt, dem ersten US-amerikanischen Astronauten in einer Erdumlaufbahn.[1] Finanziert wird die mehrere Milliarden US-Dollar teure Entwicklung mit Privatmitteln des Amazon- und Blue-Origin-Gründers Jeff Bezos.[2]

Ein erster Start wurde für das 4. Quartal 2022 angekündigt.[3] Mit bis zu 45 Tonnen LEO-Nutzlast stünde die New Glenn dann in Konkurrenz zu den ebenfalls teilweise wiederverwendbaren Raketen Falcon 9 (23 t) und Falcon Heavy (64 t) von SpaceX.

Einsatzprofil

Blue Origin bewirbt die Rakete als Transportmittel für Personen wie für Fracht. Letzteres bezieht sich vor allem auf die Beförderung von Satelliten in eine Erdumlaufbahn,[4] aber es werden auch Missionen zum Mond angestrebt. Unternehmenspräsident Rob Meyerson erwartet, dass in Zukunft Millionen Menschen im Weltraum und auf dem Mond leben und arbeiten werden.[1][5] Angedeutet wurde auch eine Nutzung für den Weltraumtourismus.[6] Neben kommerziellen Anwendungen plant Blue Origin eine Zertifizierung der Rakete für militärische Missionen.[7]

Die maximale Nutzlast ist mit 45 Tonnen für erdnahe Umlaufbahnen und 13 Tonnen für geostationäre Transferbahnen angegeben.[4] Diese Zahlen beziehen auf eine teilweise wiederverwendbare Konfiguration. Anders als SpaceX bietet Blue Origin keine Einwegverwendung für größere Nutzlasten an.[8]

Aufbau

Die New Glenn soll zunächst aus zwei Stufen bestehen; eine dreistufige Variante ist in Planung. Die Erststufe soll nach dem Einsatz aufrecht landen können (propulsive landing) und 25-mal wiederverwendbar sein.[9] Zunächst ist allerdings nur eine 12-fache Verwendung geplant.[8] Mit 96 Metern Höhe und 7 Metern Durchmesser wäre bereits die zweistufige New Glenn eine der größten jemals gebauten Raketen.[10][11]

Die Motoren für alle Stufen entwickelt Blue Origin selbst. Die erste Stufe wird über sieben BE-4-Triebwerke mit insgesamt 17.100 kN Schub verfügen. Als Treibstoff dient verflüssigtes Methan und als Oxidator Flüssigsauerstoff.[12][4] Das BE-4 arbeitet mit sauerstoffreicher Verbrennung im Hauptstromverfahren (oxygen-rich staged combustion cycle), einer ursprünglich in Russland entwickelten Triebwerkstechnologie (vgl. RD-170). Es ist auch als Motor für die neue Vulcan-Rakete der United Launch Alliance (ULA) vorgesehen, was zur Amortisierung der Entwicklungskosten beiträgt.[13][14] Das BE-4 soll 100-mal wiederverwendbar sein.[9]

Die zweite Stufe erhält zwei BE-3U-Motoren, die mit flüssigem Wasserstoff und Sauerstoff betrieben werden. Für die dritte Stufe ist ein einzelnes BE-3U vorgesehen.[15] Es handelt sich dabei um eine Vakuum-Version des 490 kN starken BE-3-Triebwerks der Touristenrakete New Shepard.

Mittels einer Doppelstartvorrichtung sollen zwei Nutzlasten übereinander transportiert werden können.[10]

Produktions- und Starteinrichtungen

New Glenn (USA 48)
Raketenfabrik
Triebwerksfabrik
Huntsville (AL)
Kent (WA)
Hauptsitz,
Entwicklung
Testzentrum
in Texas
Entwicklung
Arlington (VA)
Blue-Origin-Einrichtungen

Blue Origin bemühte sich im Jahr 2013 um eine Anmietung des Startkomplexes 39A am Kennedy Space Center (KSC) in Florida. Von dort starteten bereits die Apollo-Missionen zum Mond und die meisten Space-Shuttle-Flüge, das heißt, die Einrichtung ist schon für bemannte Missionen ausgelegt. Den Zuschlag erhielt jedoch der Konkurrent SpaceX.[16] Daraufhin mietete Blue Origin die Startkomplexe LC-36 und LC-11 der benachbarten Cape Canaveral Air Force Station an. Die vorhandenen Vorrichtungen am LC-36 zum Start von Atlas-Raketen wurden vollständig abgebrochen; eine neue Startanlage ist im Bau.[veraltet] Am direkt angrenzenden LC-11 entsteht ein Prüfstand für die Raketenmotoren.[veraltet][17][18]

Etwa 15 Kilometer nordwestlich, nahe dem KSC-Besucherzentrum, errichtete das Unternehmen eine 750.000 Quadratmeter große Fabrik für die Raketenfertigung.[19] Neben der Fabrik entstehen auch das Missions-Kontrollzentrum[18] und eine Anlage zur Wiederaufbereitung der Raketen-Erststufen.[20] In Huntsville (Alabama) wurde eine Fabrik für die BE-4-Triebwerke gebaut.[21]

Die mobile Landeplattform Jacklyn

Landungen der Erststufe sollen im Atlantik auf dem Spezialschiff Jacklyn erfolgen, einer ehemaligen RoRo-Fähre, die zur schwimmenden Landeplattform umgerüstet wird.[veraltet] Eine Landung der New Glenn an Land ist nicht vorgesehen.[22][18]

Für stark geneigte Umlaufbahnen ist ein zweiter Startplatz auf der Vandenberg Space Force Base geplant.[10]

Entwicklungsgeschichte

Blue Origin arbeitete bereits in den frühen 2010er Jahren an einer Orbitalrakete mit wiederverwendbarer Erststufe. Sie sollte ein „bikonisches“ (doppelkegelförmiges) Raumschiff mit Astronauten oder Fracht in eine Erdumlaufbahn bringen.[23] 2011 begann die Entwicklung des Haupttriebwerks.[24][25]

Im Gegensatz zu SpaceX ist Blue Origin dafür bekannt, im Verborgenen zu arbeiten und neue Produkte erst vorzustellen, wenn das Design feststeht. So wurde das BE-4 erst 2014 – gemeinsam mit ULA – angekündigt. Über den geplanten Fabrikneubau am Cape Canaveral informierte Jeff Bezos im September 2015.[24][26] Name und Konzept der New Glenn wurden schließlich im September 2016 vorgestellt.[27]

Im Oktober 2017 begann der Test des BE-4-Triebwerks.[28] Für etwa Anfang 2018 wurde der Baubeginn der ersten Rakete angekündigt.[29] Danach verzögerte sich jedoch die Fertigstellung des BE-4 wegen Problemen mit dessen Treibstoffpumpe.[30]

Um den ursprünglich für das vierte Quartal 2020 geplanten Erstflugtermin einhalten zu können, wurde Anfang 2018 die Motorkonfiguration für die zweite Stufe geändert. Statt einer Vakuumversion des BE-4 (BE-4U) werden zwei BE-3U eingesetzt. Die Entwicklung dieses Triebwerks war schon weiter fortgeschritten.[15] Der Termin für den Erstflug verschob sich dennoch, zunächst auf 2021[31] und dann auf das 4. Quartal 2022.[3]

Geplante Starts

Alle Datumsangaben in der folgenden Liste verstehen sich als Planungen für den frühestmöglichen Starttermin. Häufig verschieben sich Raketenstarts noch auf einen späteren Zeitpunkt.

Letzte Aktualisierung: 25. Februar 2021

Datum (UTC) Startplatz Kunde / Nutzlast Art der Nutzlast Nutzlast in kg1 Orbit2
4. Quartal 2022[3] CC LC-36 (Erstflug)
Ende 2022[32] (veraltet) CC LC-36 Frankreich Eutelsat Kommunikationssatellit GTO
2022[33] (veraltet) CC LC-36 Thailand mu Space Kommunikationssatellit GTO
2024[34] CC LC-36 Vereinigte Staaten Axiom Space Raumstationmodul LEO
202x[1] CC LC-36 Japan SKYPerfect JSAT Kommunikationssatellit GTO
202x[35] CC LC-36 Kanada Telesat Kommunikationssatelliten
(mehrere Starts)
LEO
1 Startmasse der Nutzlast einschließlich mitgeführtem Treibstoff (wet mass).
2 Bahn, auf der die Nutzlast von der obersten Stufe ausgesetzt werden soll; nicht zwangsläufig der Zielorbit der Nutzlast.

Technische Daten

Daten gemäß Payload User's Guide, Revision C vom Oktober 2018:

Erste Stufe Zweite Stufe Nutzlastsektion
Höhe 57,5 m ca. 16 m 21,9 m
Nutzlast max. 18,54 m
Gesamthöhe 96 m
Durchmesser 7 m 7 m
Nutzlast max. 6,35 m
Schub,
Drosselung
17.100 kN
45–100 %
1.060 kN
88–100 %
Treibstoff Flüssigerdgas Flüssigwasserstoff
Oxidator Flüssigsauerstoff
Nutzlast max. 45 t (LEO)
max. 13 t (GTO)

Vergleich mit anderen Schwerlastraketen

Die stärksten derzeit verfügbaren oder in Entwicklung befindlichen Trägerraketen für den Transport in niedrige Erdumlaufbahnen (LEO) sind:

Rakete Hersteller Stufen Seiten­booster max. Nutz­last (LEO) max. Nutz­last (GTO) wieder­verwendbar inter­planetare Missionen bemannte Missionen Erstflug
CZ-9[36] China Volksrepublik CALT 3 4 140 t 66 t nein geplant nicht geplant ca. 2028
SLS Block 1B Vereinigte Staaten Boeing 2 2 105 t keine Angabe nein geplant geplant 2026 (geplant)
Starship Vereinigte Staaten SpaceX 2 > 100 t1 21 t[37]
(> 100 t2)
voll­ständig geplant geplant 2022 (geplant)
SLS Block 1 Vereinigte Staaten Boeing 2 2 95 t keine Angabe nein geplant geplant 2022 (geplant)
Falcon Heavy Vereinigte Staaten SpaceX 2 2 64 t 27 t Erst­stufe, Seiten­booster, Nutz­last­verkleidung ja nicht geplant 2018
New Glenn Vereinigte Staaten Blue Origin 2 45 t1 13 t1 Erst­stufe möglich geplant ca. 2023
Angara A5V Russland Chrunitschew 3 4 37,5 t 12 t nein geplant geplant 2027 (geplant)
Delta IV Heavy Vereinigte Staaten ULA 2 2 29 t 14 t nein ja nein 2004
Vulcan Vereinigte Staaten ULA 2 6 27 t 13,6 t nein geplant geplant Ende 2022 (geplant)
CZ-5 China Volksrepublik CASC 2–3 4 25 t 14 t nein ja nicht geplant 2016
1 Maximale Nutzlast bei Wiederverwendung aller wiederverwendbaren Komponenten. Ohne Wiederverwendung wäre eine größere Nutzlast möglich.
2 Bei Wiederbetankung im Orbit.

Einzelnachweise

  1. Alan Boyle: Jeff Bezos’ Blue Origin strikes satellite launch deal with Japan’s Sky Perfect JSAT. In: GeekWire. 12. März 2018, abgerufen am 23. März 2018.
  2. Caleb Henry: Blue Origin enlarges New Glenn’s payload fairing, preparing to debut upgraded New Shepard. In: spacenews.com. 12. September 2017, abgerufen am 23. März 2018.
  3. Jeff Foust, Sandra Erwin: Blue Origin delays first launch of New Glenn to late 2022. In: Spacenews. 25. Februar 2021, abgerufen am 25. Februar 2021.
  4. New Glenn. Blue Origin, abgerufen am 23. März 2018.
  5. Jeff Faust: A changing shade of Blue. In: The Space Review. 19. März 2018, abgerufen am 23. März 2018.
  6. Eric Berger: Blue Origin just validated the new space movement. In: ars Technica. 10. Juni 2016, abgerufen am 23. März 2018.
  7. Stephen Clark: Blue Origin’s orbital rocket in the running to receive U.S. military investment. In: Spaceflight Now. 13. April 2018, abgerufen am 14. April 2018.
  8. Sandra Erwin: Falcon Heavy’s first commercial launch to pave the way for reusable rockets in national security missions. In: Spacenews. 25. März 2019, abgerufen am 25. April 2019.
  9. Eric Ralph: SpaceX competitor Blue Origin touts 25-reuse future rocket as R&D continues. In: Teslarati. 25. Juni 2018, abgerufen am 26. Juni 2016.
  10. New Glenn Payload User's Guide, Revision C. Blue Origin, Oktober 2018.
  11. Eric Berger: Blue Origin releases details of its monster orbital rocket. In: ars Technica. 7. März 2017, abgerufen am 23. März 2018.
  12. Twitter-Nachricht von Tory Bruno, CEO von United Launch Alliance, 19. September 2019.
  13. William Harwood: ULA touts new Vulcan rocket in competition with SpaceX. In: Spaceflight Now. 20. März 2018, abgerufen am 23. März 2018.
  14. William Harwood: Bezos rocket engine selected for new Vulcan rocket. In: Spaceflight Now. 28. September 2018, abgerufen am 28. September 2018.
  15. Caleb Henry: Blue Origin switches engines for New Glenn second stage. In: spacenews.com. 29. März 2018, abgerufen am 30. März 2018.
  16. Irene Klotz: Amazon founder Bezos' space company loses challenge over NASA launch pad. Reuters, 13. Dezember 2013, abgerufen am 23. März 2018.
  17. Irene Klotz: Blue Origin Prepares to Build Its Florida Rocket Launch Complex. In: space.com. 10. März 2017, abgerufen am 24. März 2018.
  18. Chris Gebhard: Blue Origin remains on course for 2020 debut of New Glenn heavy lift rocket. In: nasaspaceflight.com. 10. November 2017, abgerufen am 23. März 2018.
  19. Marco Santana: Blue Origin teases rocket factory opening on Space Coast. In: Orlando Sentinel. 14. Dezember 2017, abgerufen am 23. März 2018.
  20. Blue Origin continuing work on New Glenn launch complex, support facilities. Nasaspaceflight.com, 11. September 2019.
  21. Blue Origin officially opens Alabama rocket engine factory. In: Made in Alabama. 17. Februar 2020, abgerufen am 5. Dezember 2020.
  22. Alan Boyle: Ahoy, Jacklyn! Jeff Bezos names Blue Origin’s rocket recovery ship after his mom. In: Geekwire. 29. Dezember 2020, abgerufen am 5. Januar 2021 (englisch).
  23. About Blue Origin. Archiviert am 19. September 2012.
  24. Stephen Clark: ULA taps Blue Origin for powerful new rocket engine. In: Spaceflight Now. 17. September 2014, abgerufen am 24. März 2018.
  25. Jeff Foust: Blue Origin expects BE-4 qualification tests to be done by year’s end. In: Spacenews. 19. April 2018, abgerufen am 20. April 2018.
  26. William Hardood: Jeff Bezos plans to boost humans into space from Cape Canaveral. In: CBS News. 15. September 2015, abgerufen am 24. März 2018.
  27. Chris Bergin, William Graham: Blue Origin introduce the New Glenn orbital LV. In: nasaspaceflight.com. 12. September 2016, abgerufen am 23. März 2018.
  28. Chris Bergin, Chris Gebhardt: Blue Origin ramping up BE-4 engine testing. In: nasaspaceflight.com. 8. Januar 2018, abgerufen am 23. März 2018.
  29. Jeff Foust: Blue Origin signs up third customer for New Glenn. In: spacenews.com. 26. September 2017, abgerufen am 23. März 2018.
  30. Michael Sheetz: Blue Origin is leaving to pursue other opportunities. CNBC, 2. Dezember 2020.
  31. Jeff Foust: Blue Origin opens rocket engine factory. In: Spacenews. 17. Februar 2020, abgerufen am 2. März 2020.
  32. Jeff Foust and Sandra Erwin: Blue Origin delays first launch of New Glenn to late 2022. Space News, 25. Februar 2021, abgerufen am 1. Oktober 2021 (englisch).
  33. Thai startup mu Space secured its first customer for capacity on its upcoming high-throughput satellite. In: Space News First Up Satcom. 11. September 2019, abgerufen am 11. September 2019.
  34. #SpaceTalk: Centro commerciale spaziale. In: Youtube, 26. Juni 2020 (italienisch).
  35. Caleb Henry: Telesat signs New Glenn multi-launch agreement with Blue Origin for LEO missions. In: Spacenews. 31. Januar 2019, abgerufen am 31. Januar 2019.
  36. China displays crewed moon landing mission elements. Abgerufen am 30. September 2021.
  37. Starship Users Guide Revision 1.0 (PDF, 2 MB; Seite 5) auf der SpaceX-Website, März 2020, abgerufen am 19. März 2021 (englisch).
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