Metformin
Metformin ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Biguanide, der in der Regel bei nicht insulinabhängiger Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus Typ 2) und insbesondere bei leichtem Übergewicht (Präadipositas) und krankhaftem Übergewicht (Adipositas) eingesetzt wird. Es ist eines der am längsten und das am häufigsten verabreichte orale Antidiabetikum.[3] Studien zufolge verringert es das Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen bei Typ-2-Diabetes.[4]
Strukturformel | |||||||||||||
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Allgemeines | |||||||||||||
Freiname | Metformin | ||||||||||||
Andere Namen |
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Summenformel | C4H11N5 | ||||||||||||
Externe Identifikatoren/Datenbanken | |||||||||||||
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Arzneistoffangaben | |||||||||||||
ATC-Code |
A10BA02 | ||||||||||||
Wirkstoffklasse | |||||||||||||
Eigenschaften | |||||||||||||
Molare Masse | 129,16 g·mol−1 | ||||||||||||
Aggregatzustand |
fest | ||||||||||||
Schmelzpunkt | |||||||||||||
Sicherheitshinweise | |||||||||||||
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Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. |
Wirkprinzip
Metformin gehört chemisch zu den Biguaniden. Ihr Wirkprinzip ist nach wie vor nicht vollständig geklärt. Die Wirkung von Metformin beruht vermutlich auf drei Mechanismen: So hemmt es zum einen die Glucose-Neubildung (Gluconeogenese) in der Leber.[5] Experimentelle Studien ergaben, dass Metformin die mitochondriale Glycerin-3-phosphat-Dehydrogenase hemmt. In Folge stehen im Cytosol weniger Metabolite für die Glucose-Neubildung zur Verfügung (siehe auch Glycerin-3-phosphat-Shuttle), und es fällt vermehrt Laktat an. Die seltene Nebenwirkung der Laktatazidose bei Überdosierung kann damit erklärt werden.[6] Neben der Aufnahme von Zucker (Glucose) mit der Nahrung stellt dieser Stoffwechselweg, mit dem Glucose aus dem Umbau von Aminosäuren und anderen Stoffwechselprodukten gewonnen wird, eine wichtige Einflussgröße des Blutzuckerspiegels dar. Daneben soll Metformin die Resorption von Glucose im Darm hemmen und ferner die Insulinresistenz verringern, wodurch die Aufnahme in die Muskelzellen verbessert wird.[5] Jedoch sind beide Effekte bislang nicht sicher nachgewiesen.[7]
Anwendung
Diabetes
Metformin ist indiziert bei Patienten, bei denen durch Diät und körperliche Bewegung keine ausreichende Einstellung des Blutzuckerspiegels erreicht werden kann.[8] Metformin sollte nach den Leitlinien der Deutschen Diabetesgesellschaft als First-Line-Therapie mit Ernährungsberatung als Monosubstanz eingesetzt werden. Sollte sich damit keine ausreichende Blutzuckersenkung einstellen, lässt es sich mit anderen oralen Antidiabetika wie Sulfonylharnstoffen, Insulin-Sensitizern oder Dipeptidyl-Peptidase-4-Inhibitoren (DPP4-Hemmern) sowie mit Insulin selbst kombinieren.
Metformin steht in Wirkstärken von 500 mg, 850 mg und 1000 mg für die orale Gabe zur Verfügung, um eine individuelle Blutzuckereinstellung vornehmen zu können. Die Tabletten werden zu oder nach den Mahlzeiten verabreicht. Nach einer Initialphase von circa 14 Tagen, in der man niedrig beziehungsweise mittelstark dosiert einsteigt, ist meist eine Dosisanpassung anhand der Blutglucosespiegel notwendig. Bei eingeschränkter Nierenfunktion ist eine Reduktion der Dosis erforderlich. Metformin hat positive und protektive Eigenschaften bei Lebererkrankungen. Es sollte aber, da die hepatische Laktatelimination eingeschränkt sein kann, bei fortgeschrittener Leberzirrhose oder Alkoholintoxikation nicht mehr eingesetzt werden.[9]
Zur Erhöhung der Therapietreue der Patienten (Compliance) und zur Verringerung der Anzahl der einzunehmenden Tabletten kann Metformin mit einem Insulin-Sensitizer wie Pioglitazon, einem DPP4-Hemmer wie Vildagliptin oder einem SGLT-2-Hemmer wie Dapagliflozin kombiniert werden; entsprechende fixe Kombinationen gibt es im Handel.
Polyzystisches Ovar-Syndrom (Off-Label)
Metformin wird seit Jahren außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete (d. h. im Off-Label-Use) bei der Behandlung des Polyzystischen Ovarialsyndroms verwendet, wo es offenbar die krankhaft gesteigerte Produktion des männlichen Geschlechtshormons Testosteron blockiert.[10] Es soll am Polyzystischen Ovarialsyndrom erkrankten Frauen eine Möglichkeit eröffnen, dennoch schwanger zu werden.
In diesem Fall werden die Kosten nicht durch die gesetzlichen Krankenversicherung übernommen.
Weitere Verwendungen
Missbrauch im Kraftsport
Im Umfeld der Bodybuilding-Szene wird Metformin zum Fettabbau missbraucht.[11][12][13][14]
Übergewicht
Aufgrund der günstigen Wirkung auf das Körpergewicht bei Erwachsenen wurde versucht, Metformin auch bei übergewichtigen Kindern einzusetzen – jedoch ohne den gewünschten Effekt.[15]
Vorbeugung vor verschiedenen Erkrankungen
Mehrere Studien weisen darauf hin, dass Metformin das Krebsrisiko bei Typ-2-Diabetikern verringern kann. In einer 2009 in der Fachzeitschrift Diabetes Care veröffentlichten Studie zeigte sich bei den untersuchten Studienteilnehmern ein deutlicher Unterschied zwischen den Gruppen hinsichtlich neu aufgetretener Krebserkrankungen: Von den Metformin einnehmenden Patienten erkrankten 7,3 Prozent an Krebs. Bei den Diabetikern ohne Metforminbehandlung wurde bei 11,6 Prozent eine Krebserkrankung festgestellt. Die Zeit bis zum Auftreten des Krebses betrug in der Metformingruppe im Mittel 3,5 Jahre und in der Vergleichsgruppe 2,6 Jahre. Es zeigte sich also eine geringere krebsbedingte Sterberate der Metformin einnehmenden Studienteilnehmer. Unter Berücksichtigung von möglichen Einflussfaktoren wie Geschlecht, Alter, BMI, HbA1c, Armut (gemessen mit dem sogenannten Carstairs-Score), Rauchen und Einnahme anderer Medikamente, zeigte sich unter Metformintherapie ein um 37 Prozent reduziertes Krebsrisiko. Andere Studien z. B. im Zusammenhang mit Darm-, Prostata- oder Brustkrebs zeigen gleichsinnige Ergebnisse.[16][17]
In einer 2011 veröffentlichten Metaanalyse über 5 Studien mit insgesamt 108.161 Typ-2-Diabetikern führte die Behandlung mit Metformin zu einem deutlich verminderten Risiko für die Entstehung von bösartigen Tumoren des Enddarmes. Molekularbiologische oder -genetische Erklärungen fanden sich jedoch nicht, weshalb weitere Untersuchungen notwendig bleiben.[18]
Die US-Arzneimittelbehörde FDA genehmigte im Herbst 2015 eine Studie mit 3.000 Probanden. An der im Jahr 2019 beginnenden Studie[19] sollen Personen zwischen 70 und 80 Jahren teilnehmen, welche an Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Störungen der Kognition (z. B. Demenz) leiden bzw. ein erhöhtes Risiko dafür haben. Es soll untersucht werden, ob die Lebenserwartung der Probanden durch Metformin verlängert werden kann und der Verlauf bereits bestehender Erkrankungen positiv beeinflusst wird. Die Entscheidung der FDA erregte besondere Aufmerksamkeit, da sie zum ersten Mal eine Studie genehmigt, deren Ziel nicht unmittelbar die Verhinderung, Behandlung oder Heilung einer Erkrankung ist, sondern die Verlangsamung des Alterungsprozesses.[20]
Laut einer 2019 veröffentlichten Studie mit Tierversuchen kann Metformin in Mäusen Hirnschäden nach einem Schlaganfall teilweise reparieren, allerdings nur in weiblichen Mäusen: Estrogen förderte diese Wirkung, Testosteron aber hemmte sie.[21]
Gegenanzeigen und Anwendungsbeschränkungen
Bei einer diabetischen Ketoazidose[22] oder dem diabetischen Koma ist Metformin kontraindiziert.
Metformin darf außerdem nicht bei schwerer Niereninsuffizienz, Leberinsuffizienz, Alkoholismus oder solchen Begleitumständen eingesetzt werden, die eine Übersäuerung durch Milchsäure begünstigen können.[22] Hierzu zählt die instabile Herzinsuffizienz oder etwa eine Fastenkur. Herzinfarkt, Schock oder schwere Infektionen verbieten seine Anwendung. Der Verdacht, dass Patienten mit Lungenemphysem oder COPD III erhöhtes Risiko für die metformininduzierte Laktatazidose tragen, wurde durch einen Cochrane-Report ausgeräumt.[23]
Hinweise auf eine fruchtschädigende (teratogene) Wirkung konnten bisher (Stand 2015) in allen Studien nicht gefunden werden. Auch in Tierversuchen konnte keine schädliche Wirkung auf die vorgeburtliche Entwicklung festgestellt werden. Bei Patientinnen, die schwanger sind oder werden möchten, wird dennoch empfohlen, den Diabetes vorsichtshalber nicht mit Metformin zu behandeln, sondern eine Normalisierung des Blutzuckerspiegels mit Insulin herbeizuführen.[24] Metformin ist plazentagängig und geht in die Muttermilch über. Es sollte während der Schwangerschaft und bei stillenden Müttern nur in begründeten Fällen in Form eines sogenannten Therapieversuches eingesetzt werden, z. B. wenn die notwendigen Insulindosierungen sehr hoch sind.
Vor Operationen, Anästhesien, Untersuchungen mit intravaskulärer Verabreichung (über das Blut) von Kontrastmitteln oder intensivmedizinischer Betreuung soll Metformin 24 bis 48 Stunden[25] vor dem Ereignis aufgrund des Risikos einer Übersäuerung (Azidose) des Blutes (Laktatazidose) abgesetzt werden.
Kortison bzw. Glukokortikoide, Asthma-Medikamente und Entwässerungsmittel können Wechselwirkungen verursachen. Dadurch wird die blutzuckersenkende Wirkung verringert. Bei der Einnahme von Herz-Kreislauf-Medikamenten, die der ACE-Hemmer Gruppe zugehörig sind, kann es zu einer unerwünschten, verstärkten Senkung des Blutzuckerspiegels kommen.
Während der Stillzeit darf Metformin nicht eingenommen werden.[26]
Das Risiko einer Laktatazidose wird durch die gleichzeitige Einnahme von Metformin und einer größeren Menge Alkohol erhöht. Bei alkoholabhängigen Patienten ist Metformin daher kontraindiziert. Bei Metformin ist das Risiko für eine Laktatazidose allerdings wesentlich geringer als bei Phenformin, welches aufgrund dieses Risikos in Deutschland nicht mehr im Handel ist.[27] Daher gilt für Patienten, die Metformin einnehmen, eine gelegentliche moderate Alkoholaufnahme mit einer kohlenhydrathaltigen Mahlzeit verbunden als unbedenklich. Dies bedeutet, dass Frauen ein Glas Wein, Sekt (etwa 100 ml) oder Bier (etwa 250 ml) und Männer entsprechend das Doppelte (Frauen bis 10 g Alkohol/Tag, Männer bis 20 g Alkohol/Tag) zu einer Mahlzeit konsumieren können. Kohlenhydratreiche alkoholische Getränke sollten dabei vermieden werden.[28]
Nebenwirkungen
Unter Beachtung der Kontraindikationen treten als Nebenwirkung häufig und meist nur zu Behandlungsbeginn gastrointestinale Beschwerden auf wie Durchfall, Übelkeit und Erbrechen, die durch langsame, einschleichende Dosierung über 2–3 Wochen oft umgangen werden können.
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ) berichtet im März 2013 über die „Zunahme von Spontanberichten über Metformin-assoziierte Laktatazidosen“ („Aus der UAW-Datenbank“).[29]
Bei Infektionen mit massivem Erbrechen und anhaltendem, schwerem Durchfall ist Metformin aufgrund der Gefahr einer Übersäuerung des Organismus abzusetzen. Vor allem bei niereninsuffizienten Patienten und im Zusammenhang mit Narkosen können lebensbedrohliche Laktatazidosen auftreten. Metformin sollte daher 48 Stunden vor und nach operativen Eingriffen abgesetzt werden.[30]
Eine Unterzuckerung (Hypoglykämie) tritt unter der alleinigen Therapie mit Metformin nicht auf, kann jedoch nach Alkoholexzess vorkommen, da Alkohol selbst den Blutzuckerspiegel senkt.[31]
Nach einer klinischen Studie besteht bei langfristiger Einnahme von Metformin ein erhöhtes Risiko für Vitamin-B12-Mangel.[32]
Analytik
Zur zuverlässigen qualitativen und quantitativen Bestimmung von Metformin kommt nach angemessener Probenvorbereitung die Kopplung der HPLC mit der Massenspektrometrie zum Einsatz. Das gilt für die Analytik von Serum oder Plasmaproben[33][34] Diese Methodik eignet sich ebenfalls zur sicheren Bestimmung von Metformin in Abwasserproben.[35] Bei rechtsmedizinischen Fragestellungen im Falle einer Laktazidose wurde diese analytische Vorgehensweise ebenfalls erfolgreich eingesetzt.[36]
Umweltaspekte
Metformin und sein Haupttransformationsprodukt Guanylharnstoff wurden regelmäßig in Klärwerkabflüssen und Oberflächengewässern nachgewiesen. Dabei wurde Guanylharnstoff in Konzentrationen über 200 Mikrogramm pro Liter im Fluss Erpe bei Berlin gemessen. Diese Werte liegen im Bereich der höchsten Nachweiskonzentrationen von Arzneimittel-Transformationsprodukten in der aquatischen Umwelt.[37] Der Rhein bei Basel trägt über ein ganzes Jahr betrachtet rund 13 Tonnen des Antidiabetikums in Richtung Nordsee.[38]
Literatur
- Bailey, C.J.: Metformin: historical overview. Diabetologia (2017) 60: 1566.
Handelsnamen
Biocos (D), Diabesin (D), Diabetase (D), Diabetex (A), Espa formin (D), Glucobon Biomo (D), Glucophage (D, A, CH), Juformin (D), Mediabet (D), Meglucon (A), Mescorit (D), Met (D), Metfin (CH), Metfogamma (D), Metformin-CT (D), Siofor (D), zahlreiche Generika (D, A, CH)
Avandamet (D, A, CH), Competact (D, A, CH), Efficib (A), Eucreas (D, A), Janumet (D, A, CH), Komboglyze (D), Pioglitazone/Metforminhydrochloride (A), Synjardy (EU), Velmetia (D, A), Vildagliptin/Metformin hydrochlorid (A), Xigduo (D), Zomarist (A)
Einzelnachweise
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- S. Naveed, A. Shafiq u. a.: Degradation Study of Available Brands of Metformin in Karachi Using UV Spectrophotometer. In: J Diabetes Metab. Nummer 5, 2014, S. 328, doi:10.4172/2155-6156.1000328.
- Effect of intensive blood-glucose control with metformin on complications in overweight patients with type 2 diabetes (UKPDS 34). UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. In: The Lancet. 352, Nr. 9131, 1998, S. 854–865. PMID 9742977.
- H. Mehnert: Diabetologie in Klinik und Praxis. 5. Auflage. Georg Thieme Verlag, 2003, ISBN 3-13-512805-9, S. 219 ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
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Madiraju et al. Metformin suppresses gluconeogenesis by inhibiting mitochondrial glycerophosphate dehydrogenase. Nature 2014;510:542–546. doi:10.1038/nature13270 - A. Natali, E. Ferrannini: Effects of metformin and thiazolidinediones on suppression of hepatic glucose production and stimulation of glucose uptake in type 2 diabetes: a systematic review. In: Diabetologia. Band 49, Nummer 3, März 2006, S. 434–441, doi:10.1007/s00125-006-0141-7. PMID 16477438. (Review).
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Maren Emmerich: Medikamente gegen das Älterwerden? Buchkritik zu „Das Geheimnis des menschlichen Alterns“. Spektrum der Wissenschaft, 30. Juli 2015, abgerufen am 2. Mai 2017.
Ernst Mauritz: Studie genehmigt: Anti-Diabetesmittel könnte bald offizielle Anti-Aging-Pille sein. Kurier, 2. Dezember 2015, abgerufen am 2. Mai 2017. - Joachim Czichos: Medikament repariert Hirnschäden – aber nur im weiblichen Gehirn. In: Wissenschaft aktuell. 12. September 2019, abgerufen am 13. September 2019.
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