March for Science
Der March for Science („Marsch für die Wissenschaft“) oder Science March war eine internationale Großdemonstration für den Wert von Forschung und Wissenschaft und gegen „alternative Fakten“ und die Etablierung einer „postfaktischen Ära“. Sie fand unter dem Motto Science, not Silence („Wissenschaft, nicht Schweigen“)[1] erstmals am 22. April 2017 (Tag der Erde) in mehr als 600 Städten weltweit statt, mit der Hauptveranstaltung in Washington, D.C. Ziel war es, auf die zunehmende Einschränkung der Wissenschaft weltweit hinzuweisen, wie beispielsweise in den USA, der Türkei oder Ungarn, und auf die Bedeutung der Wissenschaft für die Gesellschaft aufmerksam zu machen.[2][1][3] Ein zweiter, ebenfalls weltweit organisierter March for Science, wurde am 14. April 2018 abgehalten.[4]
Auslöser der Bewegung waren wissenschaftsfeindliche Äußerungen und Maßnahmen der Regierung Donald Trumps. Trump hatte unter anderem die globale Erwärmung als Schwindel bezeichnet, versprochen, eine Vielzahl von Umweltschutzmaßnahmen abzuschaffen, und starke Kürzungen für Forschungseinrichtungen wie die US-Gesundheitsbehörde oder die Umweltschutzbehörde EPA angekündigt.[5] In Deutschland richteten sich die Motive der Marsch-Teilnehmer weniger gegen die US-Regierung als vielmehr allgemein gegen Populismus und „postfaktisches Denken“ sowie insbesondere für mehr wissenschaftliche Evidenz in Debatten und bei politischen Entscheidungen.[6]
Geschichte
Die Idee zum March for Science entstand in Reaktion auf eine Meldung bei Reddit Ende Januar 2017, dass das Weiße Haus unter Donald Trump alle Informationen zum Klimawandel von seiner Website gelöscht habe. Dies führte zu einer Diskussion, bei der ein Benutzer kommentierte: „There needs to be a Scientists’ March on Washington.“ (deutsch etwa: „Es sollte eine Demonstration von Wissenschaftlern in Washington geben“). Innerhalb weniger Stunden entstand daraus eine Webseite, eine Facebook-Seite sowie ein Twitter-Profil, innerhalb weniger Tage entstanden Initiativen in anderen Städten in den USA und weltweit.[7][8]
Beteiligte Städte
Weltweit fand der Marsch in mehr als 600 Städten statt:[9] Am „Muttermarsch“ in den USA in Washington, D.C. fanden sich bereits zu Beginn des Marsches ca. 40.000 Personen zusammen,[10] in Chicago beispielsweise ebenfalls ca. 40.000 Menschen[11] und in Los Angeles rund 12.000.[12] In Australien demonstrierten über 10.000 Menschen, davon 3.000 in Sydney, in London etwa 12.000, in Paris hatte die Demonstration rund 5.000 Teilnehmer.[5] In Wien (Österreich) gingen zwischen 1.600 und 3.000 Menschen auf die Straße.[13]
In Deutschland fand der Marsch in 22 Städten statt:[9] Berlin, Bonn/Köln, Dresden, Espelkamp, Frankfurt am Main, Freiburg im Breisgau,[14] Göttingen, Greifswald, Hamburg, Heidelberg, Jena, Kassel, Koblenz, Kiel, Leipzig, München, Münster, Rostock, Stuttgart, Trier und Tübingen,[15] darunter mit etwa 70 Teilnehmern auch auf der Insel Helgoland. Dabei gingen insgesamt 37.000 Menschen auf die Straße. An der größten Demonstration in Berlin nahmen etwa 11.000 Menschen teil,[16][17] während in München circa 5.000 Personen auf die Straße gingen.[5] In Freiburg nahmen laut Angabe der Polizei etwa 2.500 Personen teil,[18] in Heidelberg 1.800,[19] 2.000 in Hamburg,[20] in Frankfurt am Main mehr als 2.500[9] sowie in Bonn ungefähr 1.500.[21]
Unterstützer
Der March for Science wird international von zahlreichen wissenschaftlichen Organisationen und bekannten Einzelpersonen unterstützt. Dazu gehören in Deutschland unter anderem die Alexander von Humboldt-Stiftung, der Deutsche Hochschulverband, der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Hochschulrektorenkonferenz, der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, zahlreiche Universitäten, Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, sowie einige Nobelpreisträger (unter anderem Gerhard Ertl, Wolfgang Ketterle, Klaus von Klitzing, Erwin Neher, Horst Ludwig Störmer).[22][23] Auch die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften unterstützte den March for Science.[24][25]
Rezeption
Deutschland
Peter Strohschneider, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), sprach im Vorfeld des Marsches Ende Februar unterstützend von einem „Angriff auf die Modernität der Gesellschaft“, die von der amerikanischen Forschungspolitik unter Präsident Trump ausginge.[26] Reinhard Hüttl, Wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen GeoForschungsZentrums Potsdam sowie Vizepräsident der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren schrieb in einem Gastkommentar für den Tagesspiegel Anfang März unter anderem: „Zugleich aber muss die Forschung selbst klarmachen, dass sie es ist, die wissenschaftliche Optionen für faktenbasierte Entscheidungen bereitstellt. Es ist jedoch nicht Aufgabe der Wissenschaft und auch nicht des Journalismus, diese Entscheidungen zu treffen. Es ist die Aufgabe der relevanten Entscheidungsträger. Hierfür ist der informierte Diskurs von zentraler Bedeutung. Wichtig ist, dass wir für unsere Methoden und unsere Überzeugungen einstehen müssen.“[27]
Eine der Hauptorganisatorinnen, Tanja Gabriele Baudson, wurde vom Deutschen Hochschulverband für ihre Leistung als „Hochschullehrerin des Jahres“ ausgezeichnet.[28]
USA
Einzelne Wissenschaftler hatten im Vorfeld Kritik am March for Science geübt. Er würde dazu beitragen, Wissenschaft zu trivialisieren und politisieren, und das Narrativ der Skeptiker eher verstärken, dass es sich bei Wissenschaftlern um eine politische Interessengruppe handelt. Man solle lieber direkt mit den Personen sprechen, die keine Wissenschaftler kennen und nicht verstehen, in welchem Ausmaß die globale Erwärmung sich bereits jetzt auf ihr Leben auswirkt.[29] Zudem lenke der Science March von den wesentlichen Problemen ab, mit denen die Wissenschaft zu tun hat. So zum Beispiel von der Frage, ob Wissenschaft zu mehr sozialer Ungleichheit führt, weil nur Wohlhabende dafür bezahlen können, oder von dem Problem mangelnder Reproduzierbarkeit vieler Ergebnisse.[30]
Das Weiße Haus in Washington reagierte nicht auf eine Aufforderung zur Stellungnahme, US-Präsident Trump veröffentlichte allerdings eine Erklärung über sein Herangehen an Umweltfragen: „Meine Verwaltung reduziert unnötige Belastungen für amerikanische Arbeiter und amerikanische Unternehmen, während wir uns bewusst sind, dass unsere Handlungen auch die Umwelt schützen müssen“, „Peinlich genaue Wissenschaft ist entscheidend für die Bemühungen meiner Regierung, die beiden Ziele des Wirtschaftswachstums und des Umweltschutzes zu erreichen“. Sein Tross musste mehrere Demonstranten passieren, als er auf dem Weg zum Walter-Reed-Militärkrankenhaus außerhalb von Washington war.[12]
Siehe auch
Weblinks
- Website der Veranstalter (englisch)
- Deutsche Website der Veranstalter
- Widerstand auf breiter Front.. Auf: Zeit Online, 2. März 2017.
- Joachim Müller-Jung: „Da kann was zu Bruch gehen“. Auf: FAZ.net, 1. Februar 2017. (Interview mit Jörg Hacker, Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina)
Einzelnachweise
- Science March: US-Wissenschaftler vereinigen sich gegen Trump. Auf: Deutsche Welle, 3. Februar 2017. Abgerufen am 19. März 2017.
- March for Science „Ohne Wissenschaft ist alles nur Fiktion“ . In: Spiegel Online, 22. April 2017. Abgerufen am 22. April 2017.
- marchforscience.de. Abgerufen am 20. März 2017.
- The March for Science 2018 is underway. In: Science, 14. April 2018. Abgerufen am 14. April 2018.
- Sara Reardon, Nicky Phillips, Alison Abbott, Barbara Casassus, Ewen Callaway, Alexandra Witze, Corie Lok: What’s happening at March for Science events around the world. In: Nature. 21. April 2017, doi:10.1038/nature.2017.21853.
- Science March Deutschland: Wer marschiert da – und wofür? . In: wissenschaftskommunikation.de, 24. April 2017. Abgerufen am 19. Oktober 2017.
- What Exactly Are People Marching for When They March for Science?. Auf: The Atlantic, 7. März 2017. Abgerufen am 19. März 2017.
- Why we’re marching for science in Australia. In: The Conversation, 8. März 2017. Abgerufen am 19. März 2017.
- „March for Science“ in Frankfurt – 2500 für Forschung und Fakten auf der Straße. In: Frankfurter Neue Presse, 22. April 2017. Abgerufen am 22. April 2017.
- Live updates from the global March for Science. In: Science. 22. April 2017, doi:10.1126/science.aal1092.
- March for Science Chicago draws 40,000 people to 'defend the basic facts of science'. In: Chicago Tribune, 22. April 2017. Abgerufen am 22. April 2017.
- March for Science Draws Big Crowds, Clever Signs Across U.S. nytimes.com (Reuters), 23. April 2017
- „March for Science“ in Wien: Wissenschaft auf der Straße. In: Kurier, 22. April 2017; abgerufen am 22. April 2017.
- badische-zeitung.de, Politik und Nachrichten, 10. März 2017, Leitartikel von Wulf Rüskamp: Das „Postfaktische“ und die Wissenschaft: Schweigen an den Hochschulen (23. April 2017)
- Liste von Städten auf marchforscience.de; abgerufen am 19. April 2017.
- March for Science in Berlin 11.000 Menschen demonstrieren gegen „Alternative Fakten“. In: Berliner Zeitung, 22. April 2017
- Thousands Take Part in March for Science in Berlin. nytimes.com (Reuters), 22. April 2017
- Simone Lutz, jcd: March for Science: 2500 Freiburger demonstrieren gegen „alternative Fakten“. badische-zeitung.de, 22. April 2017.
- Weil es keine Alternative zu Fakten gibt. In: Rhein-Neckar-Zeitung, 24. April 2017
- Rund 2000 Teilnehmer beim „March for Science“ in Hamburg. In: Hamburger Abendblatt, 22. April 2017
- Raus aus dem Elfenbeinturm auf die Straße. In: General-Anzeiger, 22. April 2017; abgerufen am 23. April 2017.
- Partners. Auf: marchforscience.com. Abgerufen am 18. April 2017.
- Unterstützer. Auf: marchforscience.de. Abgerufen am 18. April 2017.
- Manfred Ronzheimer: Jahrestreffen der „Skeptiker“: Zweifeln hält gesund. 5. Mai 2017.
- March for Science Dr. Stephanie Dreyfürst und die Skeptiker untersuchen PSI-Phänomene.
- Ulli Kulke: „Furchteinflößende Anweisungen des neuen Präsidenten“. Welt Online, 21. Februar 2017
- Die Forschung braucht Wege aus der Vertrauenskrise. tagesspiegel.de, 8. März 2017; Gastkommentar
- Professorin Dr. Tanja Gabriele Baudson ist „Hochschullehrerin des Jahres“. hochschulverband.de; abgerufen am 2. Januar 2018.
- Robert S. Young: A Scientists’ March on Washington Is a Bad Idea. The New York Times, 31. Januar 2017; abgerufen am 19. März 2017.
- Scientists’ march on Washington is a bad idea – here’s why. In: The Conversation, 8. März 2017. Abgerufen am 19. März 2017.