Kernenergie im Vereinigten Königreich
Derzeit (Stand Januar 2018) werden im Vereinigten Königreich (Großbritannien) an 7 Standorten 15 Reaktorblöcke mit einer installierten Nettogesamtleistung von 8.883 MW betrieben;[1] 30 Reaktorblöcke wurden bereits dauerhaft stillgelegt.[2] Der erste kommerziell genutzte Reaktorblock ging 1956 in Betrieb.
Kernkraftwerke im Vereinigten Königreich und Nordirland: In Betrieb stillgelegt |
Der Anteil der Kernkraft an der Gesamtstromerzeugung liegt bei etwa 21 %. Im Jahr 2016 wurden in Großbritannien 336 TWh Elektrizität erzeugt, davon stammten 72 TWh aus Kernkraftwerken.[1]
Liste der Kernreaktoren im Vereinigten Königreich
In Großbritannien gibt es bislang nur einen Druckwasserreaktor, Sizewell B, am Standort des Kernkraftwerks Sizewell. Bei allen anderen Reaktorblöcken, die zurzeit in Betrieb sind, handelt es sich um gasgekühlte Reaktoren des Typs AGR.
Errichtung neuer Reaktorblöcke
Im Januar 2008 forderte die britische Regierung (von Juni 2007 bis Mai 2010 war es eine Labour-Regierung unter Gordon Brown) die Industrie dazu auf, Pläne zum Ausbau der Kernenergie auszuarbeiten.[3] Eine staatliche Finanzierung von Aufbau, Betrieb oder Entsorgung wurde dabei ausgeschlossen.[4] Daraufhin kündigte das französische Unternehmen EdF den Bau von vier Kernkraftwerken in Großbritannien an und prognostizierte, das erste 2017 fertigstellen zu können. Das Kabinett Brown nahm am 10. Januar 2008 Pläne an, die die Errichtung neuer Atomkraftwerke weit vor 2020 vorsahen.[5]
Im März 2009 forderten E.ON und die EdF von der britischen Regierung, den Ausbau der Windenergie zu begrenzen, da ansonsten neue Kernkraftwerke nicht rentabel seien.[6][7] Wenige Tage nach dem Beginn der Nuklearkatastrophe von Fukushima – es war noch nicht bekannt, dass es drei Kernschmelzen gab – bekräftigte Premierminister David Cameron seine AKW-Neubaupläne.[8]
Als Gordon Brown 2007 ins Amt kam, florierte die Wirtschaft (wenngleich Großbritannien seit vielen Jahren ein hohes Handelsbilanzdefizit hatte: 2007 183,86 Mrd. US-Dollar, 2008 173,59, 2009 129,9, 2010 155,83.[9]). 2008 bzw. 2009 begann einige schwerwiegende Krisen (Finanzkrise ab 2007, Eurokrise – unter anderem eine Währungskrise, eine Staatsschuldenkrise und eine Bankenkrise); weltweit trübten sich die Erwartungen auf Wirtschaftswachstum (=> steigenden Energiebedarf) ein.
Ende März 2012 gaben die deutschen Energiekonzerne RWE und E.ON bekannt, dass sie sich aus dem Neubau von Atomkraftwerken in Großbritannien zurückziehen. Das gemeinsame Joint-Venture Horizon Nuclear Power, welches für diesen Zweck gegründet worden war, solle verkauft werden.[10] Es gelang RWE und E.ON, ihre Anteile zu verkaufen.
Ende Juli 2012 meldeten französische Medien, dass chinesische Unternehmen möglicherweise bis zu 45 Mrd. Euro für den Bau fünf neuer Kernreaktoren in Großbritannien investieren: man wolle sich in einem der am stärksten kontrollierten Märkte der Welt bewähren, um sich für weitere entsprechende Investitionen beispielsweise in Afrika oder im Nahen Osten vorzubereiten. Hochrangige Vertreter des Shanghai Nuclear Engineering Research and Design Institute (SNERDI/ Schanghaier Institut für Forschung und Design von Nukleartechnik, einer Tochtergesellschaft der China National Nuclear Corporation/ CNNC) trafen sich mit hochrangigen britischen Beamten zur Abklärung der Abgabe eines Angebotes im Rahmen des Horizon-Projektes.[11]
Die NIA (‚Nuclear Industry Association‘; britischer Interessenverband) teilte im August 2012 mit, einer Umfrage zufolge würden 80 % der britischen Bevölkerung Atomstrom als Teil eines Energiemixes befürworten – aber nur, sofern der produzierte Strom nicht teurer sei als andere Quellen. Ursprünglich sollte bis Ende 2012 über den Bau von ein oder zwei neuen Kernreaktoren in Hinkley Point durch die Électricité de France (EDF) entschieden werden.[12]
Ende September 2012 ließen EDF und ihr chinesischer Partner CGN (China General China Nuclear Power Group) die Frist zur Abgabe eines Angebots für das E.ON/RWE-Joint-Venture Horizon verstreichen.[13]
Am 4. Februar 2013 gab die Firma Centrica ihren Rückzug aus dem Neubau von AKWs in Großbritannien bekannt. Sie hatte eine 20 %-Option auf die neuzubauenden Reaktoren in Hinkley Point und Sizewell. Das Unternehmen begründete den Ausstieg mit Planungsunsicherheit durch gestiegene Kosten und längere Bauzeit.[14]
Die britische Regierung (Kabinett Cameron I) hatte 2014 von der EU-Kommission die Zustimmung erhalten, Kernkraftwerkbetreibern für Atomstrom einen fixen (über dem Marktpreis für Strom liegenden) Einspeisetarif zahlen zu dürfen (umgerechnet 12 Cent je Kilowattstunde); dieser soll Kernreaktor-Neubauten attraktiv machen.[15] Eine Klage Österreichs gegen diese Beihilfe wurde vom Europäischen Gerichtshof in zweiter Instanz zurückgewiesen. Der Gerichtshof bestätigte zudem, dass EU-Mitgliedsstaaten ihren Energiemix selber wählen könne.[16]
Kernkraftwerk Hinkley Point
Im März 2013 wurde genehmigt, zwei EPR-Einheiten am Standort des Kernkraftwerks Hinkley Point zu errichten (Hinkley Point C); ob diese tatsächlich gebaut werden bleibt abzuwarten. Um diese rentabel betreiben zu können verlangt der Betreiber EDF eine Einspeisevergütung (strike price) von 95 bis 100 Pfund/MWh über 40 Jahre – der Börsenstrompreis betrug im ersten Halbjahr 2013 etwa 45 Pfund/MWh, was in etwa der in Großbritannien gezahlten Einspeisevergütung für Windenergie entspricht. Die Verhandlungen mit der Regierung über die Höhe des strike price sollten Ende März 2013 abgeschlossen sein; bis September 2013 waren sie es nicht.[17]
Am 21. Oktober 2013 gab EdF bekannt, sein französisch-chinesisches Konsortium habe mit der britischen Regierung in einem Rahmenabkommen vereinbart, für 16 Milliarden Pfund Sterling (GBP; zu dieser Zeit knapp 18,9 Milliarden Euro) zwei Druckwasserreaktoren errichten zu lassen.[18]
Dem Konsortium gehören neben der EdF mit 40–50 % und dem Kraftwerksbauer Areva mit 10 % die chinesischen Unternehmen CGN und CNNC mit einem Anteil von zusammen 30–40 % an.[19] Am 21. Oktober 2013 verkündete EdF einen „accord de principe“ (etwa: Grundsatzvereinbarung).[20]
Urananreicherung
Urenco betreibt eine Urananreicherungsanlage bei Capenhurst in der Grafschaft Cheshire.
Sellafield
Im Nuklearkomplex Sellafield (ehemals Windscale) findet die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente statt. Am 10. Oktober 1957 kam es in einem Kernreaktor in Windscale zu einem Brand (siehe Windscale-Brand), der als Stufe 5 auf der INES-Skala eingestuft wurde.
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- Nuclear Power in the United Kingdom. World Nuclear Association (WNA), abgerufen am 9. Januar 2018 (englisch).
- United Kingdom. IAEA - Power Reactor Information System (PRIS), abgerufen am 9. Januar 2018 (englisch).
- berr.gov.uk (Memento des Originals vom 26. Juli 2008 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- New nuclear plants get go-ahead . auf: news.bbc.co.uk 10. Januar 2008.
- Großbritannien gibt neuen Atomkraftwerken grünes Licht. auf: euractiv.com, 11. Januar 2008, Updated: 29. Januar 2010.
- Eigentor für Eon und EdF: Wind macht Atom unwirtschaftlich. auf: taz.de 25. März 2009.
- Höchstlimit – Stromriesen contra Windkraft. (Memento vom 22. Juli 2009 im Internet Archive) In: Frankfurter Rundschau. 24. März 2009.
- Tories träumen von der Atom-Renaissance. In: Spiegel Online. 20. März 2011.
- de.statista.com/
- Deutscher Atomausstieg auf der Insel. In: taz, 29. März 2012, Zugriff: 29. März 2012.
- La Chine voudrait construire cinq réacteurs nucléaires en Grande-Bretagne. (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. lesechos.fr, 21. Juli 2012: (China will fünf Atommeiler in Großbritannien bauen)
- Friedbert Meurer: Briten wollen billigen Atomstrom, dradio.de, Umwelt und Verbraucher, 31. August 2012 (1. September 2012)
- Rückschlag für britische Atompläne. Handelsblatt.de, 3. Oktober 2012.
- Centrica zieht sich aus britischen Neubauprojekten zurück. nuklearforum.ch, 8. Februar 2013.
- sueddeutsche.de 5. März 2015: Industrie von gestern, vom Staat finanziert
- pdi/dpa: EuGH: Beihilfe zugunsten Kernkraftwerk bestätigt. In: Legal Tribune Online. Wolters Kluwer Deutschland GmbH, 20. September 2020, abgerufen am 20. Februar 2021.
- What price nuclear power? The final hurdle for Hinkley. In: BBC. 20. März 2013. Abgerufen am 15. September 2013.
- Wechselkurs am 21. Oktober 2013: 1,18 Euro für 1 GBP. Die Zahl 16 Mrd. Euro wird auf S. 3 der Presseerklärung genannt; kurz zuvor hatte The Guardian noch die inzwischen veraltete Zahl 14 Mrd. GBP genannt. [medias.edf.com/fichiers/fckeditor/Commun/Presse/Communiques/EDF/2013/cp_20131021-1_vf.pdf#page=3 Communiqué de presse] (pdf)
- sueddeutsche.de
- Accord de principe sur les termes commerciaux des contrats relatifs au projet de centrale nucléaire Hinkley Point C mit Link zur Pressekonferenz
- Sizewell C Could Begin Operation In 2031, But Will Need Lower Strike Price, Says EDF’s Outgoing CEO. www.nucnet.org, abgerufen am 9. Januar 2018 (englisch).