Japanische Literatur
Unter japanischer Literatur (jap. 日本文学 Nihon Bungaku oder auch Kokubungaku 国文学) versteht man die in japanischer Sprache verfasste Literatur. Sie umfasst einen Zeitraum von circa 1300 Jahren, vom Kojiki bis zur Gegenwart, und sie entwickelte sich unter verschiedenen Einflüssen, wie dem Chinas oder Europas.
Die japanische Literatur besitzt eine Vielzahl eigener Formen und spezifischen Themata, die mit der Ideen- und Kulturgeschichte einhergehen. So gab und gibt es beispielsweise eine ausgeprägte, wenngleich nicht immer kontinuierliche Tradition einflussreicher schreibender Frauen. Einmalig in der Weltliteratur ist auch die Sonderform der Atombombenliteratur (原爆文学, Gembaku Bungaku), die sich thematisch mit den beiden Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki befasst.
Definition und Gliederung
Eine festgeschriebene, sprich normative Definition der japanischen Literatur gibt es nicht. Um das, was als japanische Literatur verstanden werden kann, zu beschreiben, ist es hilfreich zunächst zwei grundsätzliche Überlegungen voranzustellen. Zum einen gilt es die Perspektive, das heißt den Standpunkt, von dem aus der Blick auf die japanische Literatur fällt, zu berücksichtigen. Ein, wie hier vornehmlich gemeint, akademisches Verständnis von japanischer Literatur in der deutschen oder auch europäischen Japanologie etwa sieht anders aus, als das Verständnis der japanischen Wissenschaft Kokubungaku (国文学). Zum anderen ist es für eine Abgrenzung des Gegenstandbereichs, also dessen, was der Begriff japanische Literatur umfasst, wichtig sich der Einzelbegriffe Literatur und japanisch zu vergewissern.[Anm. 1]
Literatur wurde in Europa, abgeleitet vom lateinischen Wort litterae als Gelehrsamkeit und damit als alles gelehrte Geschriebene aufgefasst. In Deutschland änderte sich diese Auffassung im 18. Jahrhundert. In der Aufklärung und der Weimarer Klassik wurde dann ein ästhetischer Anspruch an den Literaturbegriff geknüpft. Die Romantik hat diesen Literaturbegriff zudem um die Bezeichnung Dichtung bereichert. In diese Zeit fiel auch die Gliederung in die drei großen Gattungen: Lyrik, Epik und Dramatik, die im letzten Jahrhundert noch um die Gattung Gebrauchstexte ergänzt wurde.
Das japanische Wort für Literatur, bungaku (文学) hat einen ähnlichen Bedeutungswandel erfahren, jedoch mit einem anderen zeitlichen Verlauf. In Japan ist es die vielfach als einschneidende Zäsur beschriebene Meiji-Restauration und der Beginn der Meiji-Zeit, in der sich der Bedeutungswandel vollzog. Auch hier handelte es sich um eine Bedeutungsverschiebung von Gelehrsamkeit hin zu einem Verständnis von Literatur als einem Bereich der Kunst[Anm. 2], der vorrangig dem ästhetischen Gebrauch der Sprache als Gegenstand und Medium verpflichtet war. Dieser Entwicklung ging in der Edo-Zeit die Entstehung der „Nationalen Schule“ (Kokugaku) voran. Ausdruck eines solchen Literaturverständnisses in der Edo-Zeit war etwa der Begriff „bunbu ryōdō“ (文武両道), der die „beiden Wege der Gelehrsamkeit und Kriegskunst“ bezeichnete. Im Zuge der gesellschaftlichen und politischen Änderungen zu Beginn der Meiji-Zeit wurde das Medium der Literatur, die Sprache als Nationalsprache (kokugo) verstanden und der Literaturbegriff wurde infolgedessen auf eine Nationalliteratur (kokubungaku) eingeengt. Japanische Literatur in chinesischer Sprache und Tradition, wie sie in der Edo-Zeit noch als Inbegriff der Gelehrsamkeit galt, war mit diesem Paradigmenwechsel nicht mehr primärer Bestandteil der japanischen Nationalliteratur. Wie über 100 Jahre zuvor in Deutschland kam in Japan nun auch die Gliederung in Gattungen in Gebrauch. Einen wie auch immer abzugrenzenden hohen ästhetischen Wert zugrunde legend unterschied man in Japan zwischen einer sogenannten reinen Literatur (純文学, jun bungaku) und einer populären Unterhaltungsliteratur (通俗文学, tsūzoku bungaku). Das Adjektiv japanisch wurde in diesem Zusammenhang auf japanischsprachig verengt. Texte der Ainu und aus Ryūkyū waren damit ebenso wenig Gegenstand der japanischen Literatur, wie die volkstümliche und mündliche Literaturtradition.
Betrachtet man heute Definitionen des Begriffs kokubungaku in japanischen Lexika, so umschließt der Begriff der japanischen Nationalliteratur verstanden als Bestandteil einer Weltliteratur zumeist die von Japanern in Japanisch geschriebenen und in Japan veröffentlichten Texte, vornehmlich der reinen Literatur. Zugleich wird auch die Wissenschaft (学問, gakumon), die sich mit diesem Gegenstand befasst in die Definition von japanischer Literatur integriert und ihr damit gleichrangig zur Seite gestellt.[Anm. 3] In diesem Sinne kann man von einem engeren Verständnis der japanischen Literatur sprechen, die zugleich eher einer japanischen Perspektive entspricht.
In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die Grenzen nicht so scharf gezogen werden, wie eine enge Begriffsbestimmung es glauben machen will. Die Gründe hierfür können unterschiedlich sein, bspw. systematischer Natur. So ist die Gattung Dramatik, wie man sie in Europa kennt, nicht ohne Mühe auf die japanische Theaterstücke- und Textproduktion anwendbar. Mit Kabuki, Nō und Jōruri etwa haben sich Ausdrucksformen entwickelt, für die es in Europa bis zur Gegenwart kaum ein Pendant gibt und die als eigenständige dramatische Ausdrucksformen gewürdigt werden müssen. Die Differenzierung in Massenliteratur und reine Literatur in Japan, die mit der Dichotomie von Trivialliteratur und kanonischer hoher Literatur in Deutschland korrespondiert und die nicht deckungsgleich ist, wird bspw. dadurch ein Stück weit ausgehebelt, dass auch populäre Literatur Bestandteil der Literaturgeschichte ist.
Auf dieser Grundlage beinhaltet ein weiter gefasstes Verständnis von japanischer Literatur auch Werke, die von Japanern in anderen Ländern und anderen Sprachen verfasst und veröffentlicht wurden sowie japanischsprachige Literatur von Nichtjapanern. Danach würden Ainu-Texte ebenso wieder zur japanischen Literatur zu zählen sein, wie Werke der in Deutschland lebenden und in deutscher Sprache schreibenden Schriftstellerin Yōko Tawada oder der koreanischstämmigen Autorin Miri Yū. Auch die ungeheuere Zahl japanischer Literaturzeitschriften und neue literarische Formen, wie das kollaborative Schreiben von Handy-Romanen können auf diese Weise als japanische Literatur erfasst werden. Diese weite Auffassung entspricht eher dem komplizierten System, als das sich die „japanische Literatur“ mit seinen vielen eigenständigen Teilgebieten darstellt und das dazu einlädt, die Perspektive auf japanische Literatur mit zu thematisieren.
Literaturgeschichte
Eine Literaturgeschichtsschreibung entstand in Japan mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Die erste Literaturgeschichte von Sanji Mikami und Kuwasaburō Takatsu, die „Nihon Bungakushi“ (日本文学史), datiert auf das Jahr 1890. In diesem Werk, das die Literatur bis zum Ende der Edo-Zeit behandelte, sind noch Literaturkritik und Literaturgeschichte gemischt. Erst die 1906 erschienene Literaturgeschichte von Juntarō Iwaki, die „Meiji Bungakushi“ (明治文学史) ist als klassische Literaturgeschichte zu betrachten. Der akademische Zweig der Literaturwissenschaft, der auf die Kokugaku zurückgeht, und der sich dem Positivismus verpflichtet fühlte, konzentrierte die Literaturgeschichtsschreibung auf Autorenstudien (作家論, sakkaron) und auf Werkinterpretationen (作品論, sakuhinron). Die einzige bis zu ihrem Erscheinen 1906 vollständige und in deutscher Sprache geschriebene Literaturgeschichte ist die „Geschichte der japanischen Litteratur“ von Karl Florenz. Florenz war in Deutschland zudem der erste Inhaber eines Lehrstuhls für Japanologie an der Universität Hamburg.
Periodisierung
Im Allgemeinen ist es üblich sich bei der Einteilung in literarische Epochen an der Geschichte und damit an einschneidenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen zu orientieren. Neben einer solchen Einteilung ist in Japan auch die Übernahme der Regierungszeiten als Schema gebräuchlich. Anhand der politischen Geschichte hat sich folgende Einteilung eingebürgert:
- Altertum (ca. 600–794)
- Klassik, Heian-Zeit (794–1185)
- Mittelalter (1185–1600)
- Frühe Neuzeit (1600–1868)
- Moderne (1868–1945)
- Gegenwartsliteratur (1945-heute)
Altertum
Die ersten Zeugnisse japanischer Schriftkultur waren noch keine Literatur, sondern gravierte Zeichen auf Bronzeschwertern aus dem 6. Jahrhundert, die man in Kofun-Gräbern gefunden hat.
Ab dem 7. Jahrhundert brachten koreanische Mönche chinesische Schriften nach Japan. Der Adel und die Beamten erlernten die chinesische Sprache in Wort und Schrift und begannen bald auch, ihre eigenen Werke zu verfassen. Als Schriftsprache diente zunächst das Chinesische. Bald wurde aber auch die chinesische Schrift dazu verwendet, japanische Texte niederzuschreiben. Da sich die japanische Sprache in ihrer Struktur jedoch völlig von der chinesischen unterscheidet, wurde die Schrift in mehreren Schritten angepasst.
Die beiden ältesten teilweise erhaltenen japanischen Klassiker sind Kojiki und Nihonshoki aus dem 8. Jahrhundert, niedergeschriebene Mythologien, die die japanische Geschichte nach dem Muster der chinesischen Geschichtsklassiker schildern. Neben Prosatexten enthielten diese auch Kurzgedichte.
Kennzeichnend für die Literatur der Asuka- und Nara-Zeit war das lyrische Gedicht: Neben dem Kanshi, Gedichten in chinesischer Sprache, entwickelte sich eine zweite Kunstform, das Waka – japanische Gedichte. Aus den älteren formlosen Kurzgedichten im Kojiki entwickelten sich feste Formen in Zeilen von fünf oder sieben Silben. Die wichtigsten sind Chōka (lange Gedichte), die wechselweise aus fünf oder sieben Silben pro Vers bestehen und von einem sieben-silbrigen Vers abgeschlossen werden, und Tanka (kurze Gedichte), die aus fünf Versen mit 31 Silben bestehen, wobei die Silben auf die Strophen in der Form 5-7-5-7-7 verteilt werden. Während die männlichen Beamten vor allem Kanshi verfassten, waren die Waka eine Domäne der Hofdamen.
Der wichtigste Gedichtband dieser Zeit war das Man’yōshū, eine Sammlung von Gedichtsammlungen – unter anderem sind das Kokashu und das Ruijō Karin enthalten. Es wurde um 760 zusammengestellt, wobei sich die ältesten Gedichte bis ins 4. Jahrhundert zurückdatieren lassen. Ōtomo no Yakamochi und Kakinomoto no Hitomaro sind bedeutende Autoren des Werkes. Das Man'yōshū ist in der sogenannten Manyōgana-Schrift geschrieben. Chinesische Schriftzeichen wurden in ihrer phonetischen Lesung gebraucht (On-Lesung), um die Flexionsformen der japanischen Grammatik darzustellen. Aus den Manyōgana entwickelten sich in der Heian-Zeit Hiragana und Katakana, die japanischen Silbenschriften. Hiragana war lange Zeit vor allem die Schrift der adeligen Damen.
Nachdem in der kurzen Periode im 9. Jahrhundert das Kanshi in Mode war, gelangte das Waka wieder ins Interesse des Hofadels. Kaiser Uda und sein Sohn, Kaiser Daigo, interessierten sich für Waka. Auf Erlass des Kaisers schufen Hofdichter eine Anthologie von Waka, das Kokinshū. Einer der Herausgeber, Ki no Tsurayuki, schrieb die Vorrede in Kana. Am Ende der Heian-Periode wurde eine neue Gedichtform entwickelt, genannt Imayō (moderne Form). Eine Sammlung Ryojinhisho wurde von Kaiser Go-Shirakawa herausgegeben.
In jener Zeit begann auch die Entwicklung der Prosa. Ki no Tsurayuki schrieb das Tosa Nikki, ein Reisebericht in Kana, worin er den Kummer über den Tod seiner Tochter zum Ausdruck brachte. Anfang des 11. Jahrhunderts lebten die zwei bedeutendsten Schriftstellerinnen der Epoche: Sei Shōnagon, Autorin des Kopfkissenbuchs (makura no soshi) und Murasaki Shikibu, die vermutlich das Genji Monogatari verfasste. Das Genji Monogatari bzw. „Die Geschichte des Prinzen Genji“ gilt als erster psychologischer und ältester, heute noch erhaltener Roman der Welt.
Mittelalter
Der Exkaiser Go-Toba veranlasste eine Sammlung von Wakas, die Shinkokinshu. Das war die achte kaiserliche Wakasammlung. Sie gilt als eine der besten in diesem Genre.
Der Krieg am Ende des 12. Jahrhunderts wurde in Heike Monogatari (circa 1371) dargestellt, einem Epos, das den Streit zwischen den Samurai-Clans Minamoto und Taira schildert.
Andere wichtige Werke waren Hōjōki (1212) Kamo no Chōmeis und Tsurezuregusa (1331) Yoshida Kenkōs.
In diesen Werken wurde das japanische Schriftsystem, etabliert, in dem die beiden Buchstabenarten Kana und Kanji gemischt werden. Die literarischen Werke in dieser Zeit befassten sich mit der Anschauung von Leben und Tod, einem einfachen Lebensstil und der Erlösung der Toten.
In der Dichtung entstand die Form der Rengas. In der Muromachi-Zeit wurde das Renga die Hauptform der Dichtung. Gleichzeitig erreichte auch das Nō-Theater seinen Höhepunkt dank des Werkes von Zeami Motokiyo.
Das Renga war das japanische Liebesgedicht. Es stammte von Waka im kaiserlichen Hof im Altertum und entwickelte sich am Hof der beiden Kaiser und der Samurais im Mittelalter. Im 14. Jahrhundert erreichte es seinen Höhepunkt. Eine Sammlung von Renga Tsukubashu (Sammlung Tsukubas) wurde verfasst und danach den Nebenrang der kaiserlich ausgewählte Sammlung wieso Kokinshu im Altertum. Renga war eigentlich das kollaborierte Waka, deshalb so kurz wie Waka mit 31 Silben in zwei Stanzen, aber man konnte es willkürlich lang machen nach Regeln. In dieser Zeit verfasste man oft längere Rengawerke, zum Beispiel mit 50 oder 100 Stanzen. Wichtige Rengadichter waren Nijō Yoshimoto, Io Sogi und Ichijo Furuyoshi in der Muromachi-Periode und Satomura Joha in der Sengoku-Periode.
Die Bürger verfassten im Mittelalter auch Renga, eine neue Tendenz entwickelte sich. Sie hießen Haikai-no-Renga, wörtlich „parodistisches Renga“, deren Motive man im bürgerlichen Leben fand.
Frühe Neuzeit (Edo-Zeit)
Die Literatur der Edo-Zeit charakterisiert sich durch die Entwicklungen der Literatur in drei Gebieten: Roman, Gedicht und Drama.
In der Genroku-Periode traten drei wichtige Schriftsteller in Erscheinung: Ihara Saikaku, Matsuo Bashō und Chikamatsu Monzaemon. Saikaku verfasste mehrere Romane, deren Themen er im täglichen Leben vorfand. Basho erneuerte die Tradition der Haikai-no-Renga und wurde darin ein Meister. In dieser Zeit bevorzugten die meisten Dichter das Renga mit 36 Stanzen das in der Folge zum Standard wurde. Chikamatsu schrieb Dramen für das Joruri, eine Art Puppentheater. Er schöpfte seine Themen aus der Geschichte und Gegenwart.
Die chinesische Literatur und Philosophie war immer noch der Kern der Bildung männlicher Gelehrter. Viele japanische Sinologen haben daher auf Chinesisch gedichtet. Wichtige Dichter in diesem Gebiet waren Rai San’yō und Hirota Senso.
In der Mitte der Edo-Zeit kam aber wieder Interesse an der klassischen japanischen Literatur und Denkart auf. Die daraufhin betriebene Forschung wird als Kokugaku (Nationallehre) bezeichnet. Die antiken Werke, wie Kojiki, Man’yōshū oder Genji Monogatari, waren Bestandteil der Forschung. Die antike japanische Sprache (nur in Kanji geschrieben) war zu dieser Zeit aber schon wieder fast in Vergessenheit geraten. Deshalb waren zuerst Forschungen auf dem Gebiet des antiken Japanisch und der klassischen Denkweise notwendig, um die Werke zu verstehen.
Aufklärung und Das Wesen des Romans
Mit dem Anbruch der Meiji-Zeit (1886–1912) begann die Zeit der Aufklärung (啓蒙時代, Kamō Jidai), in der man sich die westliche Zivilisation zu eigen machte und sich auf die Übersetzung von Literatur und auf westliches Gedankengut konzentrierte. In diesem Zusammenhang schufen die japanischen Gelehrten eine beträchtlich große Zahl neuer Wörter (Neologismen), um ausländische Schriften ins Japanische zu übersetzen.[1] Hierzu gehörten Yukichi Fukuzawas Gakumon no susume (1872), Masanao Nakamuras Saigoku risshihen (1871) und Chōmin Nakaes Contract Sociale (Shakai keiyakuron, 1882). Arinori Mori, Gründer der Vereinigung Meirokusha, trat ein für Religionsfreiheit und die Gleichberechtigung der Frauen. Mit Bezug zu den Schwierigkeiten, die die Übersetzung ausländischer Werke aufgrund des fehlenden Vokabulars bereitete, plädierte er gar dafür, die japanische Sprache zugunsten der englischen zu ersetzen.
Mit dem Beginn der Meiji-Ära kam die Literatur der Edo-Zeit nicht abrupt zum Stillstand, vielmehr vermischte sie sich von der Meiji-Restauration (1885) bis zum Erscheinen der ersten literaturtheoretischen Abhandlung, Über das Wesen des Romans von Shōyō Tsubouchi, und blieb neben ihr bestehen. In der ausgehenden Edo-Zeit bestimmten die Gesaku- und Übersetzungsliteratur sowie der politische Roman (政治小説, seiji shōsetsu) das literarische Leben. Kanagaki Robun begegnete den Kulturerneueren und Aufklärern mit humoristischen Romanen Seiyō dōchū hizakurige (1870) und mit Aguranbe (1871).
Als Übersetzungsliteratur verbreiteten sich zwischen 1877 und 1886 die Übersetzungen westeuropäischer Literatur rasant. Repräsentative Übersetzungen waren etwa Jules Vernes In 80 Tagen um die Welt (1887) übersetzt von Kawashima Jūnosuke oder Shakespeares Drama Julius Cäsar, übersetzt von Shōyō Tsubouchi (1884). Die Gründung der Liberalen Partei (自由党, Jiyūto), der Konstitutionellen Fortschrittspartei (改進党, Rikken Kaishinto) und des Parlamentes, das 1890 erstmals zusammentrat, sowie die Freedom and People's Rights Movement (自由民権運動, Jiyū Minken Undō) bildeten von 1877 bis 1886 die Themen des politischen Romans. Die beiden Bestseller Keikoku Bidan (経国美談, 1884) von Ryūkei Yano und Kajin no kigū (佳人之奇遇, 1885) von Sanshi Tōkai, die politische Ideen und Meinungen propagierten, faszinierten eine große Zahl von Lesern. Nach der Veröffentlichung von Tsubouchis romantheoretischer Schrift Das Wesen des Romans konzentrierte man sich auf eine realistische Darstellung. Ein Beispiel für diesen realistischen Schreibstil ist Tetchō Saehiros Roman Setchūbai (雪中梅, 1886).
Realismus und Romantik
Die Moderne der japanischen Literatur nahm wesentlich durch Tsubouchis literaturtheoretische Schrift Das Wesen des Romans (小説神髄, Shōsetsu Shinzui) von 1885 und mit dem von Futabatei Shimei verfassten kritischen Essay Bemerkungen über den Roman (小説総論, Shōsetsu Sōron) 1886 ihren Anfang. Die Gesaku Literatur wurde überwunden und Shimeis 1887 veröffentlichter Roman Ukigumo (浮雲) stellte den Beginn des modernen Romans in Japan dar.
Auf diese Weise begann sich einerseits der realistische Gegenwartsroman zu konstatieren, andererseits nahm zugleich der Nationalismus zu. Es kam zu einer Neubewertung der klassischen japanischen Literatur etwa von Ihara Saikaku und Chikamatsu Monzaemon. 1885 gründeten Ozaki Kōyō, Yamada Bimyō u. a. die literarische Gesellschaft Kenyūsha und gaben die erste avantgardistische Zeitschrift Garakuta Bunko (我楽多文庫) heraus. Die Veröffentlichung von Kōyōs Werken Ninin Bikuni iro zange (二人比丘尼色懺悔, 1889) und Konjikiyasha (1897)[Anm. 4] läuteten den Beginn des Neoklassizismus (新古典主義, shinkoten shugi) ein. Kōda Rohans Kritik und Auslegung der klassischen Literatur, sowie seine Romane Tsuyu dandan, Fūryūbutsu[Anm. 5] (beide 1889) und Gōjū no tō (1891) entfalteten große Wirkung auf die literarische Welt.
Die Modernisierung schritt voran, das Selbstbewusstsein der Menschen keimte auf und die Romantik trat mit der unverhohlenen Forderung nach individueller Freiheit auf die literarische Bühne. 1890 erschien Mori Ōgais Erzählung „Die Tänzerin“ (Maihime), die seine Erfahrungen in Deutschland zum Gegenstand hat und die die Befreiung des Ich schildert. Außerdem übersetzte er Hans Christian Andersens autobiografischen Roman Der Improvisator, eine Liebesgeschichte, reich an poetischer Stimmung und den klassischen Stil nachahmend, 1892 ins Japanische. Kitamura Tōkoku beging im Alter von 25 Jahren Selbstmord, nachdem er 1893 seine Kritik Naibu seimeiron geschrieben und damit die Vollständigkeit der Seele des modernen Ich zur Geltung gebracht hatte. Higuchi Ichiyō starb im Alter von 24 Jahren, nachdem ihre beiden Hauptwerke Takekurabe und Nigorie (beide 1895) große Beachtung erfahren hatten. Izumi Kyōka erschloss die Welt des Fantastischen und Mysteriösen mit seinen Werken Kōya hijiri (1900) und Uta andon (1910), die repräsentativ für die japanische Romantik sind.
Kunikida Doppo veröffentlichte 1898 Musashino, worin er die Schönheit der Natur miszellenartig darstellte und, ein Jahr später, Tokutomi Roka, ein Verfechter des christlichen Glaubens, seinen Roman Hototogisu, mit dem er einen Blick auf die Gesellschaft warf. Doppo wandte sich wenig später von der Romantik ab und dem Naturalismus (自然主義) zu. Die japanische Romantik fristete im Vergleich zur europäischen ein verhältnismäßig kurzes Dasein, quasi als ideengeschichtliches Durchgangsstadium.
Naturalismus, Natsume Sōseki und Mori Ōgai
Mit dem Ende der Meiji-Zeit und dem Beginn des 20. Jahrhunderts entstand unter dem Einfluss der Werke von Émile Zola und Guy de Maupassant der japanische Naturalismus (自然主義, Shizenshugi). Während der europäische Naturalismus, geprägt von der Vererbungslehre, um eine realistische Darstellung des Milieus bemüht war, wandte sich der japanische Realismus der Bloßstellung und Enthüllung der nackten Realität zu. Beginnend mit Shimazaki Tōsons Roman Hakai („Ausgestoßen“, 1906), entschied sich die Richtung des japanischen Naturalismus mit Tayama Katais Roman Futon (1907). Tayamas Roman stellte den Ausgangspunkt des japanischen „Ich-Romans“ (Shishōsetsu) dar, der zukünftig den japanischen Roman prägen sollte.
Zeitgleich zum Ich-Roman, einem Hauptstrom der japanischen Literatur, entwickelte sich eine Vielzahl von Gegenbewegungen (反自然主義文学, Hanshizenshugi bungaku). Zu den Gegenbewegungen sind Natsume Sōseki, Mori Ōgai, der Ästhetizismus (耽美主義, Tambishugi) und die literarische Gruppe „Weiße Birke“ (白樺派, Shirakabe-ha) zu rechnen. Natsume und Mori repräsentieren für sich genommen eine eigene Gegenströmung: die mit „Naturbeschreibung“ (余裕派, Yoyūha)[2] und „Parnasse“ (高踏派, Kōtōha) bezeichnet wird. Natsume, der zu Beginn Naturbeschreibungen und Haiku verfasste, betrat mit „Ich der Kater“ (Wagahai wa neko de aru) 1905 die literarische Bühne. Beispiele für Werke, mit denen er vom literarischen Stil des Naturalismus abweicht, sind „Botchan“ und „Kusamakura“ (beide 1906). Im ersten Teil seiner Trilogie „Sanshirō“ (1908),[Anm. 6] „Sorekara“ (1909) und „Mon“ (1910) schilderte er die seelische Verfassung eines Intellektuellen der Gegenwart. Auch Mori wandte sich nach der Wiederaufnahme seiner schriftstellerischen Tätigkeit und nach den Romanen „Seinen“ (1910) und „Gan“ (1911), mit „Shibue Chūsai“ (渋江抽斎)[Anm. 7] vom Naturalismus ab und dem historischen Roman (歴史小説, Rekishi shōsetsu) zu.
Zudem sind die Vertreter der „Kiseki“-Strömung (奇蹟派): Hirotsu Kazuo, Kasai Zenzō und Uno Kōji (1891–1961) zu den Verfassern der japanischen Ich-Romane zu rechnen. Sie beschrieben die dunkle Seite des Menschen, indem sie das „wirkliche“ Innenleben der Protagonisten entblößten.
Lyrik und Schauspiel der Meiji-Zeit
1882 gaben Yamada Masakazu (1848–1900), Yatabe Ryōkichi und Inoue Tetsujirō eine Anthologie der „Dichtung neuen Stils“ (新体詩抄, Shintai Shishō) heraus. Die Gedichte neuen Stils in dieser ersten Anthologie ihrer Art waren von der europäischen Dichtung beeinflusst. Hatte man Gedicht (詩) bisher in der Regel als Kanshi verstanden, begann man nun ein zwischen fünf und sieben Silben wechselndes Matrum zu verwenden. In diesem Zusammenhang erscheint 1889 die Anthologie Omokage (新体詩抄)[3] des aus Deutschland zurückgekehrten Mori Ōgai, die als "Höhepunkt der übersetzten Lyrik"[4] u. a. Gedichte Goethes beinhaltete. Im selben Jahr erschien zudem die Gedichtsammlung Soshū no shi (楚囚之詩, etwa „Gedichte eines Gefangenen“) von Kitamura Tōkoku, die die inneren Konflikte des lyrischen Ich nach dem Scheitern der Bürgerrechtsbewegung zum Gegenstand haben.[5] 1897 erschien die Gedichtsammlung Wakanashū (若菜集) von Shimazaki Tōson, der an Kitamuras Zeitschrift Bungakukai (文学界) mitarbeitete und zwei Jahre darauf 1899 die Anthologie Tenchi ujō (天地有情) von Doi Bansui, die der japanischen Romantik zugerechnet werden.
In der Lyrik des Symbolismus gesellten sich Kitahara Hakushū und Miki Rofū zu Kambara Ariake und Susukida Kyūkin. Dieser Zeitabschnitt der Lyrik der ausgehenden Meiji-Zeit nennt man in Japan auch Shiratsuyu no jidai (白露の時代, etwa „Zeit des (weißen) Tau“). Erwähnenswert ist die für den japanischen Symbolismus wichtige Anthologie Kaichō on übersetzter Gedichte von Ueda Bin, deren Bedeutung erst nach Uedas Tod in der Taishō-Zeit erkannt wurde. Auch die japanischen Gedichtformen Tanka und Haiku fanden Eingang in die japanische Romantik. In Zusammenhang mit dem Tanka sind die Aktivitäten des Ehepaares Yosano zu erwähnen. 1900 erscheint erstmals die Lyrikzeitschrift Myōjō von Yosano Tekkan, während seine Frau Yosano Akiko ein Jahr später ihre erste Gedichtsammlung Midaregami (みだれ髪) veröffentlichte. Zu dieser Gruppe sind auch die Dichter Kubota Utsubo sowie Ishikawa Takuboku mit seinen beiden Gedichtsammlungen Ichiaku no suna (一握の砂, etwa „Eine Hand voll Sand“, 1910) und Kanashiki Gangu (悲しき玩具, dt. „Traurige Spielzeuge“), die postum 1912 erschien, zu zählen. Ishikawa wandte sich in späteren Jahren dem Naturalismus zu, wie auch die Schriftsteller Wakayama Bokusui mit Besturi (別離, etwa „Abschied“, 1910) und Toki Zenmaro mit Nakiwarai aus demselben Jahr. Sasaki Nobutsuna, der die Dichtergruppe Chikuhaku Kai (竹柏会) gegründet hatte, gab ab 1898 die Zeitschrift Kokoro no Hana (心の花) heraus. Masaoka Shiki veröffentlichte 1898 Utayomi ni atauru sho (歌よみに与ふる書, „Dichtern gewidmete Schrift“) und gründete die Negishi-Tanka-Gemeinschaft, an der sich auch Itō Sachio und Nagatsuka Takashi beteiligten. Kitahara und Yoshii Isamu gründeten 1908 die Gruppe Pan no kai, in der dem Ästhetizismus zuzurechnende Gedichte entstanden.
Der Naturalismus zeitigte auch einen Einfluss auf das Theater. 1906 bildeten Tsubouchi Shōyō und Shimamura Hōgetsu, der von 1902 bis 1905 in England und Deutschland studiert hatte, die Bungei Kyōkai (文芸協会, etwa „Gesellschaft für Schaukünste“), die mit Aufführungen wie Ibsens „Nora oder Ein Puppenheim“ der Ausgangspunkt des Shingeki, des „Neuen Theaters“ in Japan werden sollte. Nach der Auflösung der Bungei Kyōkai (1913) schlossen sich Shimamura und Matsui Sumako in der Theatertruppe Geijutsuza (芸術座) zusammen und führten Stücke von Tolstoi auf, wobei sich Auferstehung großer Beliebtheit erfreute. Daneben waren in dieser Zeit Osanai Kaoru und Ichikawa Sadanji II. aktiv. Sie begründeten mit neun Aufführungen von 1909 bis 1919 die Bewegung „Freies Theater“ (自由劇場, Jiyū Gekijō).
Gegenbewegungen zum Naturalismus
Nagai Kafū, der sich zu Beginn dem japanischen Naturalismus gewidmet hatte, veröffentlichte nach seiner Rückkehr aus Europa 1909 seine „Furansu Monogatari“ (Französische Erzählungen). Es folgten 1910 Tanizaki Jun’ichirōs Kurzgeschichte "Shisei" (しせい, die Tätowierung)[6] und 1924 „Chijin no ai“ (Naomi, oder Eine unersättliche Liebe), womit der Ästhetizismus geboren war. Im Zentrum dieser literarischen Strömung standen die beiden Literaturzeitschriften „Subaru“ (スバル, Pleijaden) und „Mita Bungaku“ (三田文學), die Literaturzeitschrift der Keiō-Universität. Weitere repräsentative Vertreter des Ästhetizismus waren Satō Haruo (1892–1964) und Kubota Mantarō.
Im Gegensatz zum Ästhetizismus konzentrierte sich die Strömung „Weiße Birke“ (Shirakabaha) mit ihrer gleichnamigen Literaturzeitschrift auf einen von Freiheit und Demokratie getragenen Humanismus. Bedeutsame Werke dieser Gruppe waren: „Omedetaki hito“ (1911) und „Yūjō“ (1919) von Mushanokōji Saneatsu, „Wakai“ und „Ki no saki nite“ (beide 1917) von Shiga Naoya, „Aru onna“ (1919) von Arishima Takeo und „Tajōbusshin“ (1922) von Satomi Ton. Insbesondere Shiga Naoyas Ich-Roman und „Gemütsroman“ (心境小説, Shinkyō Bungaku) übten als literarische Norm der sogenannten „reinen Literatur“ (純文学, Junbungaku[Anm. 8]) großen Einfluss auf die jungen Schriftsteller seiner Zeit aus.
In der Mitte der Taishō-Zeit (1912–1926) begannen Akutagawa Ryūnosuke und Kume Masao, beeinflusst von Natsume und Mori und dem von der Literaturzeitschrift „Shinshijō“ (新思潮) der Universität Tokio ausgehenden „Neuen Realismus“ (新現実主義, Shin genjitsu shugi) ihre literarische Tätigkeit. Akutagawa betrat 1916 mit „Hana“ (Nase) die literarische Bühne und wurde mit seinen an klassischen Stoffen reichen Erzählungen alsbald der Liebling der literarischen Zirkel. Zudem schrieben der als Bühnendichter bekannte Kikuchi Kan historische Romane und Unterhaltungsromane, Yamamoto Yūzō (1887–1974) schrieb Bildungsromane. Akutagawa starb 1927 durch Selbstmord, nachdem er seine beiden Meisterwerke „Kappa“ und „Haguruma“ (Zahnräder) geschrieben hatte. Akutagawas Selbstmord wurde als Zeichen der Unsicherheit der Zeit betrachtet und schockierte Intellektuelle und Schriftsteller gleichermaßen. Gegen Tanizaki, dem die erzählende Literatur wichtig war, verteidigte Akutagawa die Literatur gegen das „L’art pour l’art“, eine Literatur um ihrer selbst willen, und den Standpunkt, dass trotz des Reizes der (Roman)handlung der Roman keinen Wert besitze, was unmittelbar nach seinem Tod in eine literarische Kontroverse mündete.
Aufstieg des Unterhaltungsromans
Der Aufstieg des Unterhaltungsromans begann, ausgehend von Ozaki Kōyō Sittenroman „Konjikiyasha“, Murakami Namiroku (1865–1944) und Tsukahara Jūshiens (1848–1917) Historienromanen („Magemono“) und Oshikawa Shunrōs (1876–1914) Abenteuerromanen, in der Meiji-Zeit. 1913 begann Nakazato Kaizan (1885–1944) seinen Historienroman „Dai-bosatsu tōge“ als Fortsetzungsroman zu veröffentlichen. Dieser Roman, der menschliche Schicksale schilderte, gilt als Anfang des Unterhaltungsromans. Von 1925 an erschien erstmals die Zeitschrift „King“, in der alle damaligen Schriftsteller von Unterhaltungsliteratur publizierten.[Anm. 9] Mit dem Beginn der Shōwa-Zeit erfreuten sich die Werke Yoshikawa Eijis großer Beliebtheit. Seine bis heute viel gelesenen Romane „Naruto hichō“ (鳴門秘帖, 1933) und „Musashi“ (宮本武蔵, Miyamoto Musashi, 1939) brachten ihm den Ruf eines bürgerlichen Schriftstellers ein. Darüber hinaus waren Osaragi Jirō und Shirai Kyōji (1889–1980) für die Entwicklung des populären historischen Romans bedeutsam.
Der Kriminalroman (探偵小説, Tantei Shōsetsu), der durch die adaptierten Romane Kuroiwa Ruikōs (1862–1920) nach Japan kam, wurde sehr stark von dem produktiven Edogawa Rampo, der 1923 mit „Nisendōka“ (二銭銅貨) in der Zeitschrift „Shinseinen“ (新青年) sein Debüt gab, beeinflusst. Vorläufer der Kriminalromane waren bereits von Kōga Saburō und Yokomizo Seishi (1902–1981) u. a. als historische Romane geschrieben worden, die in der Edo-Zeit als Kriminalgeschichten, sogenannte Torimonochō (捕物帳)[Anm. 10] bekannt waren.
Die Moderne und die Proletarische Literatur
Etwa von der Mitte der 1920er Jahre bis 1935 standen die literarischen Strömungen der Moderne und die proletarische Literatur nebeneinander. Die Techniken des Dadaismus, Futurismus und Expressionismus, die nach dem Ersten Weltkrieg in Europa aufkamen, wurden auch in Japan übernommen, und die japanischen Schriftsteller entfernten sich fortan vom Realismus und der „L’art pour l’art“-Kunst. Gleichwohl bleiben der japanische Dadaismus und Futurismus eklektizistisch und weit entfernt von ihrem europäischen Pendant.[7] Indem sie die etablierten literarischen Zirkel und den Individualismus des literarischen Realismus kritisierten, begann mit Yokomitsu Riichi und Kawabata Yasunari der „Neo-Sensualismus“ (新感覚派, Shinkankakuha),[8] der thematisch geprägt war von traumgleich entrückten Lebenswelten und traditionellem Schönheitsempfinden.[9] Yokomitsus Werk „Fliege“ (蝿, Hae, 1923) wurde unter dem Einfluss filmischer Methoden betrachtet. In seinem „Essay über den reinen Roman“ (純粋小説論, Junsui Shōsetsuron, 1935) versuchte er die Notwendigkeit eines „sich selbst betrachtenden Selbst“ (自分を見る自分) als vierte Instanz, in der schonungslose Introspektion mit dem Selbstbewusstsein verbunden sind, einzuführen.[10] 1935 begann Kawabata, „Yukiguni“ (dt. Schneeland) zu schreiben, in dem sein Verständnis von Ästhetik vollendet zum Ausdruck kam. Kawabatas Verständnis von Ästhetik, das die Wehmut angesichts der Vergänglichkeit der Dinge (mono no aware) zur Grundhaltung macht, ist auch in „Matsugo no manako“ (末期の眼, 1933) das bestimmende Thema.
Eine weitere Strömung jener Zeit bildeten die Schriftsteller der „Shinkō Geijutsuha“ (新興芸術派, der Neorealistischen Schule)[11], die sich als literarische Nebenströmung vom rein autobiografischen Schreiben abwandten und in bewusster Opposition zur proletarischen Literatur im Schreiben eine Überhöhung der Realität versuchten.[12] Kajii Motojirōs Kurzgeschichte „Remon“ (檸檬) von 1925, die in der Tradition des Ich-Romans (Shishōsetsu) stand und Ibuse Masujis Kurzroman „Salamander“ (山椒魚, Sanshōuo, 1929), in dem er die Linken karikiert, sind als Vertreter dieser Richtung zu nennen.
Hori Tatsuo und Itō Sei (1905–1969) lösten den Neo-Realismus mit einem Neuen Psychologismus (新心理主義, „Shishinri shugi“)[13]. Orientiert an der Psychoanalyse und beeinflusst von Joyce und Proust rückte der Seelenzustand in den Mittelpunkt des Schreibens. Dazu bediente man sich der Techniken des Stream of consciousness und des inneren Monologs. In dieser Zeit betrat Kobayashi Hideo mit „Samazama naru ishō“ (1929) die literarische Bühne und begründete den Stil der modernen Literaturkritik.
Vor dem Hintergrund der politischen Situation erschien 1921 die von Komaki Ōmi u. a. herausgegebene Zeitschrift „Tanemakuhito“, womit die Proletarische Literatur ins Leben gerufen wurde. Diese Strömung entwickelte sich in einer seit dem Mukden-Zwischenfall vorherrschenden Atmosphäre des Militarismus. Eine Vielzahl an Werken entstand, wie Kobayashi Takijis „Kanikōsen“ (蟹工船, 1929), Tokunaga Sunaos „Straße ohne Sonne“ (1929) sowie Werke von Miyamoto Yuriko, Kuroshima Denji, Hayama Yoshiki, Nakano Shigeharu, Sata Ineko und Tsuboi Sakae (1899–1967). Darüber hinaus wirkte sich die rege Besprechung der Proletarischen Literatur auf die Literaturkritik der Intellektuellen wie Kurahara Korehito (1902–1999) und Miyamoto Kenji (1908–2007) aus.
Nachkriegsliteratur der Shōwa-Zeit
Für eine japanische Einteilung der Nachkriegsliteratur und ihre Problematisierung, siehe auch: Japanische Nachkriegsliteratur
Nach Kriegsende begann mit Schriftstellern wie Dazai Osamu, Sakaguchi Ango, Ishikawa Jun u. a. die Tätigkeit der „Buraiha“ (無頼派, etwa Schule der Dekadenz). Insbesondere die Werke „Shayō“ (斜陽, 1947, dt. Die sinkende Sonne) von Dazai, der nur ein Jahr später Selbstmord beging, und „Darakuron“ (堕落論, 1946, etwa: Essay der Entartung) von Sakaguchi nahmen die Leser in der Nachkriegszeit für sich ein. Dazais Werke darunter auch der Roman Gezeichnet avancierten zügig zu Klassikern der Gegenwartsliteratur.
Nakano Shigeharu und Miyamoto Yuriko, die aus der proletarischen Literatur hervorgingen, gründeten 1945 die Literaturgesellschaft Neues Japan (新日本文学会), riefen die literarische Bewegung für „demokratische Literatur“ (民主主義文学) ins Leben und entdeckten das Potenzial der Arbeiterliteratur.
Ebenfalls 1945 wurde die Literaturzeitschrift „Kindai Bungaku“ (近代文学, Moderne Literatur) gegründet, in deren Umfeld Schriftsteller wie Takeda Taijun (1912–1976), Haniya Yutaka, Noma Hiroshi, Katō Shūichi, Ōoka Shōhei, Mishima Yukio, Abe Kōbō und Yasushi Inoue tätig waren. Thema von Ōoka Shōheis Werken bilden die Kriegserfahrungen und die amerikanische Kriegsgefangenschaft wie in „Furyoki“ (俘虜記, etwa: Tagebuch eines Kriegsgefangenen) und „Feuer im Grasland“ (野火, Nobi), die große Wertschätzung erfuhren. 1949 entstand Mishimas Roman „Geständnis einer Maske“ und 1956 „Der Tempelbrand“. 1949 erschien Kawabatas Liebesroman „Tausend Kraniche“ und 1954 „Ein Kirschbaum im Winter“, die beide eine herausragende Stellung in literarischen Kreisen einnahmen.
Die Nachkriegsliteratur, vertreten durch die Erste und Zweite Generation der Nachkriegsdichter, wurde von Yasuoka Shōtarō, Yoshiyuki Junnosuke (1924–1994), Endō Shūsaku, Kojima Nobuo, Shōno Junzō, Agawa Hiroyuki, die eine dritte Generation bildeten, fortgeführt. 1955 erschien daneben auch Shintarō Ishihara Werk „Taiyō no kisetsu“ (太陽の季節, 1955, Sonnensaison) als erstes Nachkriegsmanifest. Der Akutagawa-Preis entwickelte sich zum bekanntesten und wichtigsten Literaturpreis.
Auch die Literatur von Frauen kam mit Schriftstellerinnen wie Nogami Yaeko, Uno Chiyo, Hayashi Fumiko, Sata Ineko, Kōda Aya, Enchi Fumiko, Hirabayashi Taiko, Setouchi Jakuchō (1922–2021), Tanabe Seiko (1928–2019) und Sawako Ariyoshi (1931–1984) erneut zur Blüte. Daneben produzierten der Pionier Kim Tal-su und in der Nachfolge Kin Sekihan und Ri Kaisei eine Literatur der Koreanischen Minderheit in Japan.
Atombombenliteratur
Als Besonderheit der Nachkriegsliteratur wie der japanischen Literatur überhaupt kann die sogenannte „Atombombenliteratur“ (原爆文学, Genbaku bungaku) betrachtet werden. Sie wurde getragen von Autoren, die sich thematisch mit den Auswirkungen der Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki 1945 befassten. Dabei hat die Atombombenliteratur in der japanischen Gesellschaft selbst einen ambivalenten Charakter. Dem Bedürfnis der Schriftsteller, die Tragweite und das unfassbare Ausmaß des Geschehens, den Erfahrungen und dem Leid der Hibakusha literarisch Ausdruck zu verleihen, standen die Zensur der amerikanischen Besatzer bis 1952 und das Schweigen der Gesellschaft entgegen.[14]
Die Art der Verarbeitung lässt sich anhand der Schriftsteller in drei Formen einteilen. Zu den Autoren, die die Abwürfe selbst miterlebt hatten, zählen Ōta Yōko, Hara Tamiki, Tōge Sankichi, Shinoe Shoda, der Arzt Nagai Takashi, Sata Ineko, Fukuda Sumako, Inoue Mitsuharu, Hayashi Kyōko und Kurihara Sadako. Diese Schriftsteller schilderten das Erlebte meist in einer Mischung aus dokumentarisch anmutender Beschreibung und eigener Wahrnehmung (autodiegetisch nach Genette[15]) Unmittelbar nach der Kapitulation und dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in Tokio trat im September 1945 der „Press Code“ in Kraft. Eines der ersten eindrucksvollen literarischen Zeugnisse ist Ōta Yōkos Artikel Kaitei no yona hikari, der noch in der Asahi Shimbun erscheinen konnte. Ihr Roman Shikabane no machi (etwa „Stadt der Leichen“), den sie im Herbst 1945 niederschrieb, konnte gekürzt erst 1948 und vollständig dann 1950 veröffentlicht werden. Daneben erschien 1947 auch Hara Tamikis Roman Natsu no hana (etwa „Sommerblumen“).
Hara, der den Bombenabwurf auf Hiroshima nur 1,5 km vom Epizentrum entfernt überlebte, wählte 1951 den Freitod, indem er sich vor einen Zug warf. Auch der Lyriker Tōge Sankichi überlebte den Abwurf, trug jedoch eine Schädigung der Lunge davon. Er schuf die 25 Gedichte umfassende „Sammlung von Atombomben-Gedichten“, die er unter Missachtung der Zensur vervielfältigte und illegal in Umlauf brachte. Die Gedichte, die der Friedensversammlung in Hiroshima gewidmet ist, konnte erst 1952 in Buchform erscheinen.[16] Im gleichen Jahr wurde auch die bekannte „Genbaku-Gedichtsammlung“ (Genbaku Shishu) von Tōge Mitsuyoshi veröffentlicht.
Eine weitere Gruppe von Autoren, die die Abwürfe nicht selbst erlebt hatten, verarbeitete mithilfe dokumentarischer Materialien, wie Interviews und Aufzeichnungen die Eindrücke der Hibakusha. Hierzu zählen Ibuse Masuji mit dem Roman „Kuroi Ame“ (Schwarzer Regen), die sogenannte litérature engagée des Nobelpreisträgers Ōe Kenzaburō, Sata Ineko und Oda Makoto. Ōe veröffentlichte 1965 seine Essay-Sammlung Hiroshima-Nōto (engl. „Hiroshima Note“), die nach wiederholten Recherchen und einem ausführlichen Interview mit dem Chefarzt des Rot-Kreuz-Krankenhauses in Hiroshima entstanden.[17]
Die dritte Autorengruppe, zu der Murakami Ryū oder Tsuji Hitonari gehören, verwendete die historischen Ereignisse als Rahmen für ihre Werke. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Thematik wohl durch den 1975 erschienenen Comicroman „Barfuß durch Hiroshima“ (Hadashi no Gen) von Keiji Nakazawa zuteil, der von den japanischen Behörden als Atombombenopfer Nummer 0019760 geführt wird.[17] In der Gegenwart knüpft die Beschäftigung mit den Strahlenopfern der Nuklearkatastrophe von Fukushima thematisch an die Atombombenliteratur an.
Formen
Prosa
Neue Formen: Light-Novel, Medienmix, Hypertext
Von den 1980er-Jahren an erschien eine neue Form des Unterhaltungsromans (エンターテイメント小説, Entertainment shōsetsu), der sich gezielt an Teenager und Jugendliche als Käuferschicht richtete und japanische Manga als Ausdrucksform verwendete. Von der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre an war es üblich, diese Romane als Light Novel zu bezeichnen. Zu den Eigentümlichkeiten dieses unter der Fachbezeichnung Light Novel publizierten Genres zählt, dass der Buchdeckel mit Manga illustriert und der Text mit Abbildungen versehen ist. Einzelne Formen der Light Novel sind: der „Comic-Roman“ (キャラクター小説, Character shōsetsu), „Young Adult“ (ヤングアダルト) und „Junior Novel“ (ジュニアノベル).
Ebenfalls in den 80er Jahren begannen Schriftsteller wie Kikuchi Hideyuki, Tanaka Yoshiki, Yumemakura Baku, Kurimoto Kaoru, Takachiho Haruka ihre Werke zu veröffentlichen. Der Stil dieser Autoren richtet sich an die Gruppe der Mittelschüler und zielt im Wesentlichen auf Unterhaltung und Vergnügen. Ebenso in diesen Bereich zählen die zur SF- und Fantasy-Literatur zählenden Veröffentlichungen von Mizuno Ryō, Kanzaka Hajime, Kadono Kōhei u. a. Indem diese Werkgruppe Anime ins gesellschaftliche Bewusstsein rückt, die Einbände durch Manga und Animedarstellungen bekannter Illustratoren zum Blickfang macht und so Anime- und die Spieleentwicklung mit anderen Medien zusammenbringt, entsteht eine Medienmix, dessen exponierten und populären Werke den Absatzmarkt ausdehnen. In den letzten Jahren haben etwa Arikawa Hiro und Sakuraba Kazuki, die einen Teil ihres Werkes zuerst als Light Novel veröffentlichten, diese Werke als literarische Werke neu aufgelegt.[Anm. 11]
Ähnlich der Verbreitung von Internet und Mobilfunktelefonen bahnt sich eine Änderung der Textformen an. Viele Menschen rezipieren heute schon Hypertexte, wie Handyromane oder E-Books, die in Konkurrenz zum althergebrachten Buchmarkt stehen. Es bleibt abzuwarten, wie die zukünftige Entwicklung aussehen wird.
Dichterkreise (Auswahl)
- 1885 Ken'yūsha 硯友社 („Gesellschaft der Freunde des Tuschesteins“), Mitglieder: Ozaki Kōyō, Yamada Bimyō, Ishibashi Shian, Maruoka Kyūka
- 1891 Waseda-ha 早稲田派 („Gruppe der Waseda Universität“) Tsubouchi Shōyō
- 1909 Pan no kai パンの会 („Der Pan“)
- 1910 Shirakaba-ha 白樺派 („Gruppe Weiße Birke“)
- 1910 Mita bungaku kai 三田文學会 („Literarische Gesellschaft Mita“ der Keiō-Universität)
- 1929 Shinkō geijutsuha kurabu 新興芸術派倶楽部, Mitglieder: Kawabata Yasunari, Kamura Isota, Ozaki Shirō, Ryūtanji Yū
- 1963 Shinyōkai 新鷹会 („Gesellschaft Neuer Falke“) Hasegawa Shin
- 1945–2005 Shin nihon bungakukai 新日本文学会 („Gesellschaft für neue japanische Literatur“)
- 1892 Nihompa 日本派, Masaoka Shiki
- 1893 Asakasha あさ香社 („Gesellschaft der zarten Düfte“), Naobumi Ochiai
- 1899 Negishi tankakai 根岸短歌会 (Negishi-Tanka-Gemeinschaft), Masaoka Shiki
- 1899 Chikuhakukai 竹柏会 („Bambus und Eiche Gesellschaft“), Sasaki Nobutsuna
- 1905 Shazensosha 車前草社 („Wegerich Gesellschaft“)
- 1908 Araragi アララギ (Zeitschrift: Araragi)
- 1909 Jiyūshisha 自由詩社 („Gesellschaft für das freie Gedicht“), Mitglieder: Hitomi Tōmei, Katō Kaishun, Mitomi Kuchiha
Japanische Literaturzeitschriften
Rezeption
Japanische Literatur in deutscher Übersetzung
Die japanische Literatur wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Wellen einmal stärker dann wieder etwas schwächer im deutschsprachigen Raum zugänglich. Der erste nennenswerte Höhepunkt liegt zwischen den Jahren von 1935 bis 1943. Vor allem ein Teil der wissenschaftlichen Elite aus der deutschen Japanologie dieser Zeit spielte hier eine bedeutende Rolle. Diese Bewegung war von nationalistischen Ideen geprägt. Das japanische Volk faszinierte die Gelehrten. Sie sahen beispielsweise in der Verehrung des Tennō Parallelen zu deutschem Gedankengut rund um Begriffe wie „Treue“ und „Ehre“. Das führte zu relativ vielen Übersetzungen, vor allem japanischer Klassiker.
Als japanischer Klassiker der Moderne gilt Abe Kōbōs Roman Die Frau in den Dünen (japanisch 砂の女, Suna no onna) aus dem Jahr 1962, der 1963 mit dem Yomiuri-Literaturpreis für das beste literarische Werk ausgezeichnet und im Jahr darauf von Hiroshi Teshigawara verfilmt wurde. Er wurde in zwanzig Sprachen übersetzt, darunter 1967 ins Deutsche.[18][19]
Ein weiterer Auslöser für verstärkte Übersetzungstätigkeiten war beispielsweise die Verleihung des Nobelpreises an Kawabata Yasunari 1968. Auch der internationale Erfolg japanischer Filme in den 1960er-Jahren – vor allem Kurosawa Akiras Verfilmung von Rashōmon (auf Basis der Kurzgeschichte von Akutagawa Ryūnosuke) – oder das verstärkte internationale Interesse am japanischen Wirtschaftswunder in den 1980er-Jahren löste neue Nachfrage aus. Einen weiteren Schub erhielt die Übersetzungstätigkeit aufgrund des Themenschwerpunkts „Japan“ bei der Frankfurter Buchmesse im Jahr 1990 sowie der Verleihung des Nobelpreises für Literatur an Ōe Kenzaburō im Jahr 1994.
Erwähnt werden muss noch das „Murakami-Haruki-Phänomen“, von dem in Japan schon Ende der 1980er-Jahre die Rede war, während im Börsenblatt des deutschen Buchhandels 1990 ein Artikel noch die Frage stellte, „Wer ist Murakami Haruki?“. Zu größerer Bekanntheit gelangte Murakami im deutschen Sprachraum wohl erst im Jahr 2000 mit der Auseinandersetzung im Literarischen Quartett um seinen Roman Gefährliche Geliebte (2000 bei DuMont, Original: Kokkyō no minami, taiyō no nishi, 1992 bei Kōdansha). Danach wurden in kurzer Folge einige weitere Werke übersetzt. Murakami scheint so zum derzeit bekanntesten japanischen Autor im deutschen Sprachraum geworden zu sein, dessen Werke zunehmend auf den Verkaufstischen großer Buchhandelsketten zu finden sind.
Situation am deutschen Buchmarkt
Werke aus dem Englischen (2007: 67,1 %) und Französischen (2007: 9,8 %) machen den größten Anteil an Übersetzungen auf dem deutschsprachigen Buchmarkt aus.
Eine äußerst bemerkenswerte Entwicklung gab es für das Japanische seit dem Jahr 1999. Bis dahin schien sich der Anteil des Japanischen an der gesamten Übersetzungsproduktion zwischen 0,2 und maximal 0,5 Prozent einzupendeln. Nicht einmal im Anschluss an das Japan-Jahr Anfang der 1990er Jahre und an den Nobelpreis für Ōe Kenzaburō 1994 konnte ein höherer Anteil erreicht werden. 1999 stieg der Anteil signifikant auf 0,9 Prozent. Ein erster Rekord wurde 2001 gebrochen, als 124 Titel aus dem Japanischen übersetzt wurden, die auf einen Anteil von 1,3 Prozent kamen. Noch nie zuvor waren auch nur annähernd so viele Titel übersetzt worden. 2004 wurde dann mit 1,6 Prozent an der gesamten Übersetzungsproduktion des Jahres ein neuer anteilsmäßiger Höhepunkt erreicht. Einige Ereignisse haben sicher einen kleinen Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet: 1999 wurde von dem Japanischen Kulturinstitut Köln der Japan Foundation Übersetzerpreis eingeführt, der mit 5000 Euro dotiert ist und abwechselnd eine belletristische und eine Sachbuchübersetzung prämiert, weiterhin die Kontroverse um Murakami Harukis Gefährliche Geliebte, das Schwerpunktthema Südkorea bei der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2005 und natürlich der Manga-Boom, der sich in der Statistik bemerkbar macht.
Aktuell ist aber der Anteil der Übersetzungen aus dem Japanischen wieder zurückgegangen: 2007 lag er bei 0,8 %. Der „Index Translationum“ der Unesco weist 1466 ins Deutsche übersetzte Titel der japanischen Literatur aus (Stand: 2014).[20]
Siehe auch
Anmerkungen
- Methodologisch orientiert sich diese Fallunterscheidung an Wolfgang Schamoni: Moderne Literatur. In: Klaus Kracht, Markus Rüttermann (Hrsg.): Grundriß der Japanologie. Izumi Band 7. Harrassowitz, Wiesbaden 2001, S. 83–115.
- Kunst, im Sinne von geijutsu (芸術) im Unterschied zu etwa geinō (芸能), (Schau)künste mit eher unterhaltendem Charakter.
- Siehe etwa die japanische Ausgabe der Britannica, Meikyō (明鏡) und Daijisen (大辞泉).
- Der Roman wurde als Serientitel in der Yomiuri Shimbun veröffentlicht. Er blieb unvollständig, da Kōyō im Verlauf der Abfassung verstarb.
- Textausgabe bei Aozora Bunko
- Als Serientitel zuerst von September bis Dezember 1908 erschienen in der Zeitung Asahi Shimbun.
- Es handelt sich dabei um den gleichnamigen Arzt (1805–1858) aus der Edo-Zeit.
- Gemeint ist damit eine Literatur mit ästhetischem Anspruch im Unterschied zur Massen- und Unterhaltungsliteratur.
- Die Zeitschrift erschien im Vorläuferverlag von Kōdansha bis 1957 und durchbrach erstmals die Auflagenzahl von 1 Mio. Exemplaren.
- Es handelt sich dabei um Kriminalgeschichten mit einer Handlung, die in der japanischen Geschichte verortet ist.
- Die hier genannten neuen Formen sind jedoch selbst nach einem weiten Verständnis bestenfalls Randgebiete der Literatur.
Literatur
Japanische Primärliteratur
- 青空文庫. Abgerufen am 23. Februar 2014 (japanisch, Aozora Bunko – Digitalisierungsprojekt von Texten der Shōwa- und Meiji-Zeit).
- 日本古典文学大系 (Nihon koten bungaku taikei, Kompendium der klassischen japanischen Literatur). Iwanami Shoten, Tokyo (100 Bände, 1957–1968).
- 新日本古典文学大系 (Shin-Nihon koten bungaku taikei, Neues Kompendium der klassischen japanischen Literatur). Iwanami Shoten, Tokyo (1989–2005).
- 日近代典文学大系 (Nihon kindai bungaku taikei, Kompendium moderner japanischen Literatur). Kadokawa Shoten, Tokyo (60 Bände, 1970–1975).
Übersetzungen japanischer Literatur
- Moderne japanische Literatur in deutscher Übersetzung. Eine Bibliographie der Jahre 1868–2008. In: Jürgen Stalph, Christoph Petermann, Jürgen Wittig (Hrsg.): Iaponia Insula, Studien zu Kultur und Gesellschaft Japans. Band 20. Iudicium, München 2009 (Verzeichnet 412 Autoren und rund 1800 Übersetzungen.).
- Japanische Literatur in deutscher Übersetzung. Japanese Literature Publishing Project [JLPP], 2006, abgerufen am 23. Februar 2014 (Große Auswahl ins Deutsche übersetzter Literatur. Es werden nur Bücher aufgenommen, die zurzeit im Buchhandel erhältlich sind.).
- Japanese Literature in Translation Search. The Japan Foundation, 2013, abgerufen am 23. Februar 2014 (englisch, Frei zugängliche Online-Datenbank, die Übersetzungen japanischer Literatur beinhaltet.).
- Premodern Japanese Texts and Translations. Meiji Universität, 3. August 2009, abgerufen am 23. Februar 2014 (Bibliografie der Übersetzungen japanischer Werke vor 1600).
- Japanische Bibliothek im Insel Verlag. Freie Universität Berlin, 24. Februar 2014, abgerufen am 24. Februar 2014 (Erschienen sind 32 Titel).
- Edition Nippon im Angkor Verlag. Angkor Verlag, abgerufen am 24. Februar 2014 (inklusive E-Books).
- Japan Edition im be.bra Verlag. be.bra Verlag, abgerufen am 23. Februar 2014.
- Jun Nasuda Internationale Jugendbibliothek, Fumiko Ganzenmüller: Japanische Kinder- und Jugendliteratur ins Deutsche übersetzt (1945–1992): Bücherliste. Internationale Jugendbibliothek, München 1992.
- Irmela Hijiya-Kirschnereit: Traumbrücke ins ausgekochte Wunderland: Ein japanisches Lesebuch. Insel, Frankfurt, Leipzig 1993, S. 220.
- Jürgen Berndt, Hiroomi Fukuzawa (Hrsg.): Momentaufnahmen japanischer Literatur. Silver & Goldstein, Berlin 1990.
- Barbara Yoshida-Krafft (Hrsg.): Das elfte Haus. Erzählungen japanischer Gegenwartsautorinnen. iudicium, München 1987.
- Horst Hammitzsch (Hrsg.): Japanische Märchen. Rowohlt, Hamburg 1992.
- Tadao Araki, Ekkehard May (Hrsg.): Zeit der Zikaden. Japanisches Lesebuch. Piper, München 1990.
- Yukitsuna Sasaki, Eduard Klopfenstein, Masami Ono-Feller (Hrsg.): Gäbe es keine Kirschblüten ... Tanka aus 1300 Jahren. Reclam, 2009.
- Jiro Akagawa: Japanischer Alltag. Kurzgeschichten. Buske, Hamburg 2009 (Einziges bisher erschienenes zweisprachiges Taschenbuch.).
Sekundärliteratur
- Literaturgeschichte
- Paul Adler, Michael Revon: Japanische Literatur. Geschichte und Auswahl von den Anfängen bis zur neusten Zeit. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt (vermutlich 1926).
- Karl Florenz: Geschichte der japanischen Litteratur. In: Die Litteraturen des Ostens in Einzeldarstellungen. Zehnter Band. C.F. Amelangs Verlag, Leipzig 1906 (Online im Internet Archive – Einzige vollständige und von einem Deutschen verfasste Literaturgeschichte von den Anfängen bis etwa 1900.).
- Irmela Hijiya-Kirschnereit: Japanische Gegenwartsliteratur: ein Handbuch. Edition Text + Kritik, München 2000.
- Katō Shūichi: Geschichte der japanischen Literatur. Scherz, Bern, München, Wien 1990 (Die deutsche Übersetzung ist vergriffen und mit Übersetzungsfehlern behaftet. Die englische Taschenbuchausgabe ist bei Kodansha noch erhältlich.).
- Cécile Sakai: Histoire de la littérature populaire japonaise: faits et perspectives (1900–1980). Éditions L'Harmattan, 1987.
- Überblicksdarstellungen und themenbezogene Arbeiten
- Neue Konzepte japanischer Literatur? Nationalliteratur, literarischer Kanon und die Literaturtheorie. Referate des 15. Deutschsprachigen Japanologentags: Literatur II. In: Lisette Gebhardt, Evelyn Schulz (Hrsg.): Reihe zur japanischen Literatur und Kultur Japanologie Frankfurt. Band 8. EB, Berlin 2014.
- Yomitai. Neue Literatur aus Japan. In: Lisette Gebhardt (Hrsg.): Reihe zur japanischen Literatur und Kultur Japanologie Frankfurt. Band 3. EB, Berlin 2013.
- Jürgen Berndt (Hrsg.): BI-Lexikon Ostasiatische Literaturen. Bibliographisches Institut Leipzig, Leipzig 1987, S. 53–77.
- Robert F. Wittkamp: Mord in Japan. Der japanische Krimi und seine Helden: Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Iudicium, München 2002, ISBN 3-89129-745-9.
- Junkô Ando, Irmela Hijiya-Kirschnereit, Matthias Hoop: Japanische Literatur im Spiegel deutscher Rezensionen. Iudicium, München 2006.
- Irmela Hijiya-Kirschnereit: Was heißt: Japanische Literatur verstehen? Suhrkamp, Frankfurt 1990.
- Siegfried Schaarschmidt, Michiko Mae (Hrsg.): Japanische Literatur der Gegenwart. Carl Hanser, München 1990.
- Lisette Gebhardt: Nach Einbruch der Dunkelheit. Zeitgenössische japanische Literatur im Zeichen des Prekären. EB-Verlag, Berlin 2010.
- Ekkehard May: Vormoderne Literatur. In: Klaus Kracht, Markus Rüttermann (Hrsg.): Grundriß der Japanologie. Harrassowitz, Wiesbaden 2001, S. 63–83.
- Ekkehard und Katharina May: Literatur. In: Horst Hammitzsch (Hrsg.): Japan Handbuch. 3. Auflage. Franz Steiner, Stuttgart 1990, Sp. 873–1104.
- Wolfgang Schamoni: Moderne Literatur. In: Klaus Kracht, Markus Rüttermann (Hrsg.): Grundriß der Japanologie. Harrassowitz, Wiesbaden 2001, S. 83–115.
- Matthias Koch: Zur translatorischen Bilateralsymmetrie zwischen Deutschland und Japan, oder: wer übersetzt mehr? In: Eine gewisse Farbe der Fremdheit. Aspekte des Übersetzens Japanisch-Deutsch-Japanisch (= Monographien aus dem Deutschen Institut für Japanstudien der Philipp-Franz-von-Siebold-Stiftung. 28). Iudicium, München 2001, S. 45–75.
- Eduard Klopfenstein: Aufbruch zur Welt hin. Studien und Essays zur modernen japanischen Literatur. be.bra verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-95410-022-4.
Einzelnachweise
- Hiroomi Fukuzawa: Zur Rezeption des europäischen Wissenschaftsvokabulars in der Meiji Zeit. (PDF) In: NOAG 143. OAG, 1988, S. 9–19, abgerufen am 26. Februar 2014.
- Kotobank
- 於母影. In: ブリタニカ国際大百科事典 小項目事典 bei kotobank.jp. Abgerufen am 8. März 2015 (japanisch).
- Beata Weber: Mori Ogai und Goethe. (Nicht mehr online verfügbar.) Humboldt Universität Berlin, archiviert vom Original am 2. April 2015; abgerufen am 8. März 2015. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- 楚囚之詩. In: 大辞林 第三版 bei kotobank.jp. Abgerufen am 8. März 2015 (japanisch).
- Irmela Hijiya-Kirschnereit: Japanische Gegenwartsliteratur. edition text + kritik m Richard Boorberg Verlag GmbH & Co, München 2000, ISBN 3-88377-639-4.
- Thomas Hackner: Futurismus und Dadaismus in Japan. In: Hilaria Gössman, Andreas Mrugalla (Hrsg.): 11. Deutschsprachiger Japanologentag in Trier 1999. Band II.. Lit Verlag, Münster et al. 1999, S. 239–249 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 1. März 2014]).
- 新感覚派. In: デジタル版 日本人名大辞典+Plus bei kotobank.jp. Abgerufen am 1. März 2014 (japanisch).
- Irmela Hijiya-Kirschnereit: Neue Tendenzen in der modernen japanischen Literatur. In: Klaus Kracht (Hrsg.): Japan nach 1945. Harrassowitz, Wiesbaden 1979, S. 102–114 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 1. März 2014]).
- Siehe: aozora.gr.jp横光利一: 新感覚派とコンミニズム文学 bei Aozora Bunko
- Yamagiwa, Joseph Koshimi: The Neorealist School. In: Japanese literature of the Shōwa period: a guide to Japanese reference and research materials. Center for Japanese Studies Publications, 1906, S. 4, abgerufen am 1. März 2014 (englisch).
- 新興芸術派. In: デジタル版 日本人名大辞典+Plus bei kotobank.jp. Abgerufen am 1. März 2014 (japanisch).
- 新心理主義. In: デジタル版 日本人名大辞典+Plus bei kotobank.jp. Abgerufen am 1. März 2014 (japanisch).
- Florian Coulmas: Hiroshima. Geschichte und Nachgeschichte. C.H. Beck, Nördlingen 2010, ISBN 978-3-406-58791-7, VI Atombombenliteratur, S. 127.
- Siehe hierzu auch: Daniela Tan: Who’s talking in my dreams? Verschüttete Erinnerungen – Hiroshima. In: Christian Steineck, Simone Müller (Hrsg.): Asiatische Studien – Études Asiatiques. Band LXIII, Nr. 3. Peter Lang Verlag, Bern 2009, S. 640–675, doi:10.5167/uzh-23809 (zora.uzh.ch [PDF; abgerufen am 12. Februar 2012]).
- Kazutoshi Hamazaki: Frühe japanische Atombombenliteratur. (PDF) In: Bulletin of Faculty of Education, No.67. Nagasaki University, 30. Juni 2003, S. 12, abgerufen am 12. Februar 2012.
- Kaiko Nambo: Stimmen des Schmerzes. In: Cicero Online. 29. Juli 2010, abgerufen am 12. Februar 2012.
- Joachim Kaiser (Hrsg.): Das Buch der 1000 Bücher. Harenberg Verlag, 2002, ISBN 978-3-411-76118-0, S. 13.
- Kobo Abe: Die Frau in den Dünen. Abgerufen am 13. September 2021.
- Index Translationum – World Bibliography of Translation. UNESCO, 1. Juli 2013, abgerufen am 23. Februar 2014.
Weblinks
- Japanese Text Initiative. Bibliothek der Universität Virginia, 2. April 2012, abgerufen am 1. März 2014 (englisch, Digitalisate und englische Übersetzungen „klassischer“, älterer japanischer Texte).
- ききみ名作文庫 (Kikimimi meisaku bunko). Tokyo FM Broadcasting, 2010, abgerufen am 1. März 2014 (japanisch, Japanische Literatur vorgelesen als Podcast).
- 歌舞伎への誘い (Kabuki e no izanai). Japan Arts Council, 2006, abgerufen am 1. März 2014 (japanisch).