Kurihara Sadako
Kurihara Sadako (japanisch 栗原 貞子, wirklicher Name: Doi Sadako 土居貞子; geboren 4. März 1913 in Hiroshima Präfektur Hiroshima; gestorben 6. März 2005)[1] war eine japanische Dichterin, Überlebende des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Friedensaktivistin. Sie ist neben Hara Tamiki und Ōta Yōko eine Vertreterin der ersten Generation der Atombombenliteratur (gembaku bungaku), die selbst vom Abwurf betroffen war und in deren Werk sich die Verarbeitung des Erlebten widerspiegelt. Bekannt ist Sadako Kurihara vor allem für ihre beiden Gedichte Umashimenkana (Helft den Gebärenden!) und Hiroshima to iu toki (Wenn wir Hiroshima sagen).
Leben und Schaffen
Kurihara wurde als zweite Tochter einer Bauernfamilie geboren. Sie besuchte die Kabe Oberschule und begann mit 17 Jahren Gedichte und Tanka zu schreiben. Von 1930 an begann sie erste Gedichte in der Zeitschrift Shojorin (処女林)[Anm. 1] zu veröffentlichen. Sie gehörte zu diesem Zeitpunkt der Tanka-Reformbewegung (短歌革新運動) an[2]. 1931 lernte sie Tadaichi Kurihara[Anm. 2] kennen, der Verbindungen zu den in Japan verfolgten Linken besaß und nach dem Kantō-Erdbeben von Tokio nach Hiroshima gezogen war.[3] Gemeinsam lebten die beiden eine Weile in Matsuyama in Shikoku, bevor sie 1934 heimlich heirateten. 1932 bekamen sie einen Sohn, Testuya[Anm. 3], 1935 dann ihre Tochter Mariko und sie eröffneten zwei Jahre später in Kinya-chō einen Eisen- und Porzellanwarenladen, den sie 1944 aufgrund von Warenmangel wieder schlossen.[4] Im Mai des gleichen Jahres zog die Familie nach Gion-machi[Anm. 4] um. Im Oktober 1938 wurde hier ihre zweite Tochter Junko geboren. 1942 schrieb sie das Gedicht Kuroi tamago.
In Gion-machi erlebte Kurihara ca. vier Kilometer vom Ground Zero entfernt den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima. Ihr Mann Tadaichi, der zuvor auf einem Lazarettschiff gedient hatte, wurde zu Rettungsmaßnahmen herangezogen und geriet in den „Schwarzen Regen“.[Anm. 5] Aus dieser Zeit stammt Kuriharas Gedicht „Helft den Gebärenden“, das die Geburt eines Kindes im Untergeschoss einer Hochhausruine, eines Postamtes in Senda-machi, zum Gegenstand hat. Kurihara gab 1981 in einem Artikel der Lyrikzeitschrift Chūgoku Bunka, die von ihrem Mann herausgegeben worden war, an, von diesem Ereignis hitozute, dem Hörensagen nach, erfahren zu haben.[5] Nach dem Koreakrieg traf Kurihara bei einer Demonstration Mikiko Hirano, die ihr von der Geburt ihrer Nichte Kazuko Kojima unter ähnlich widrigen Umständen berichtete, wie sie im Gedicht dargestellt waren. Das Gedicht wurde damit Ausdruck von Hoffnung einerseits wie auch dem unmittelbar Erlebten andererseits. Das Gedicht trägt zudem den Untertitel Genshibakudan hiwa (原子爆弾秘話, etwa „Atombombe eine wenig bekannte Geschichte“).[5] Angedeutet sind damit schon einige grundlegende Probleme, mit denen sich Kurihara als Friedens- und Antiatomkraftaktivistin befassen wird. Durch den Press Code der amerikanischen Militärverwaltung werden alle Informationen zum Abwurf bis 1952 zensiert. Die Folge war eine bis zur Gegenwart andauernde Stigmatisierung der Hibakusha. Die Betroffenen blieben mit dem Erlebten allein und insbesondere die Frauen mit ihrer Sorge missgebildete Kinder zur Welt zu bringen.
Kurihara hatte gemeinsam mit ihrem Mann und Tamiki Hosoda kurze Zeit nach dem Abwurf die Chūgoku Bunka Renmei (中国文化連盟, etwa: „Bund für chinesische Kultur“) gegründet, die 1946 eine Sondernummer zum Atombombenabwurf herausbrachte. Im gleichen Jahr veröffentlichte Kurihara auch ihre erste Gedichtsammlung unter dem Titel Kuroi tamago, die zensiert wurde. Erst die Neuauflage 1983 umfasste alle Gedichte.
Von 1950 an begann Kurihara eine Vielzahl von Essays zu schreiben. 1962 nahm Kurihara an einer internationalen Konferenz gegen Atom- und Wasserstoffbomben teil. In der Folge veröffentlichte sie 1967 unter dem Titel I bear witness for Hiroshima Gedichte in englischer Sprache. Ihre Gedichte und Essays wurden jedoch nur gelegentlich und vornehmlich in lokalen Zeitungen abgedruckt, sodass sie der Literaturwelt unbekannt bleibt. Sie wurde als unwesentliche Schriftstellerin behandelt, allzumal ihr Engagement zu sehr mit tabuisierten Themen befasst.[6] Kurihara hingegen wurde nicht müde in ihren Essays eine vollständige nukleare Abrüstung zu fordern und sich für den Frieden einzusetzen. Beispielhaft sei hier genannt der Essay Kakubunmei kara hikaku bunmei e (核文明から非核文明へ, „From nuclear civilization to nonnuclear civilization“).
Kurihara hatte zudem keine Vorbehalte auch japanische Gräueltaten und militärische Irrtümer anzusprechen. Dies Haltung kommt deutlich in ihrem 1972 entstandenen Gedicht „Wenn wir Hiroshima sagen“ zum Ausdruck.
Kurihara starb 2005 zuhause im Alter von 92 Jahren. 2008 eröffnete in der Bibliothek der Jogakuin Universität in Hiroshima eine Ausstellung mit Manuskripten von Kurihara, zusammengestellt von ihrer Tochter Mariko. 2009 folgte die Eröffnung der Kurihara-Sadako-Friedensbibliothek (栗原貞子記念平和文庫).[3]
Kurihara wurde 1990 mit dem Tanimoto-Kiyoshi-Friedenspreis ausgezeichnet.
Wenn wir Hiroshima sagen
Japanisch[7] | Transkription | Übersetzung[8] | Übersetzung[9] |
---|---|---|---|
〈ヒロシマ〉というとき |
Hiroshima to iu toki |
Wenn wir Hiroshima sagen |
Sag ich: Hiroshima |
Werke
- 1960 Auschwitz and Hiroshima: Concerning Literature of Hiroshima, In: Chugoku Shimbun
- 1967 Watashi wa Hiroshima shogen suru (私は広島を証言する, Ich bezeuge Hiroshima), Gedichte
- 1976 Hiroshima to iu toki (ヒロシマというとき, Wenn wir Hiroshima sagen), Gedichte
- Kurihara Sadako: When We Say 'Hiroshima', Gedichte übersetzt von Richard H. Minear, Verlag Center for Japanese Studies, University of Michigan, 1999
- 1979 Mirai wa koko kara hajimaru (未来はここから始まる, Die Zukunft beginnt hier), Gedichte
- 1982 Kaku jidai dōwa (核時代の童話, Märchen des Atomzeitalters), Gedichte
- 1983 Kuroi Tamago (黒い卵, Das schwarze Ei), Gedichte – vollständige unzensierte Fassung, zensierte Erstfassung 1946[Anm. 6]
Weblinks
- Kazunobu Ito: Sadako Kurihara’s unpublished poems pose questions to post-war Japan. In: The Chugoku Shimbun. Hiroshima Peace Media Center, 17. Juli 2019, abgerufen am 9. Dezember 2020.
- Edward A. Dougherty: Memories of the Future: The Poetry of Sadako Kurihara and Hiromu Morishita. (PDF) In: War Literature and the Art. An International Journal of the Humanities. 17. Juli 2019, abgerufen am 9. Dezember 2020.
- Siegfried Schaarschmidt: Die Gembaku-Lyrik der Kurihara Sadako – Dokumentation, Agitation oder Literatur? In: Otto Putz (Hrsg.): Aufschlussversuche: Wege zur modernen japanischen Literatur. iudicium, München 1998, ISBN 3-89129-435-2, S. 119–128.
- Urszula Styczek: Reading Atomic Bomb Literature in Foreign Languages – An Introduction of Studies and Works of Hara Tamiki, Toge Sankichiand Kurihara Sadako. In: Universität Hiroshima (Hrsg.): 県立広島大学人間文化学部紀要. Band 11, 2016, ISSN 2186-5590, S. 119–142 (linguahiroshima.com [PDF; abgerufen am 10. Dezember 2020] Bibliografie).
- Übersetzungen der Gedichte Kuriharas in andere Sprachen in der Übersetzungsdatenbank der Japan Foundation
Literatur
- Urszula Styczek: A-bomb victim, Kurihara Sadako: The transformation from anarchist poet to peace essayist. In: Universität Hiroshima (Hrsg.): 県立広島大学人間文化学部紀要. Band 5, 2010, ISSN 1346-7816, S. 105–119 (core.ac.uk [PDF; abgerufen am 9. Dezember 2020]).
- Siegfried Schaarschmidt: Die Gembaku-Lyrik der Kurihara Sadako – Dokumentation, Agitation oder Literatur? In: Otto Putz (Hrsg.): Aufschlussversuche: Wege zur modernen japanischen Literatur. iudicium, München 1998, ISBN 3-89129-435-2, S. 119–128.
- John Whittier Treat: Writing Ground Zero. Japanese literature and the atomic bomb. University of Chicago Press, London 1995, ISBN 978-0-226-81178-9.
- Jürgen Berndt (Hrsg.): An jenem Tag. 1. Auflage. Volk und Welt, Berlin 1985, S. 93, 141, 186, 261.
- Karol Kutka: The first works of japanese postwar literature presenting the atomic tragedy of Hiroshima and their significance. In: Slovak Academy of Sciences (Hrsg.): Asian and African Studies. Band XXII. VEDA, Bratislava 1986, S. 81–99 (sav.sk [PDF]).
Anmerkung
- 1932 umbenannt in Maki (真樹), Kyūjitai: (眞樹).
- Schaarschmidt transliteriert den Vornamen abweichend mit Tadakazu.
- Ihr Sohn Tetsuya stirbt 1934 an Unterernährung.
- Gion-machi (祇園町) wurde 1972 in Hiroshima eingemeindet.
- Tadaichi erkrankte 1980 an Bauchspeicheldrüsenkrebs und verstarb kurze Zeit später.
- Die deutschen Titel entstammen der Übersetzung aus Aufschlussversuche, S. 128 Fußnote 1
Einzelnachweise
- 原口鶴子. In: デジタル版 日本人名大辞典+Plus bei kotobank.jp. Abgerufen am 10. Dezember 2020 (japanisch).
- Styczek: Reading Atomic Bomb Literature, S. 109
- Styczek: Reading Atomic Bomb Literature, S. 108
- Schaarschmidt, Aufschlussversuche, S. 125
- Schaarschmidt, Aufschlussversuche, S. 123
- Styczek: Reading Atomic Bomb Literature, S. 113
- Textfassung nach der Webseite der Literaturmuseums Hiroshima
- Schaarschmidt, In: Auschlussversuche, S. 127–28
- Berndt, In: An jenem Tag, S. 261–62