Koreanische Minderheit in Japan
Die koreanische Minderheit in Japan (japanisch 在日, zainichi bzw. 在日コリアン, zainichi korian sowie für Südkoreaner 在日韓国人, zainichi kankokujin und für Nordkoreaner 在日朝鮮人, zainichi chōsenjin) besteht aus koreanischen Einwanderern und deren Nachkommen, die entweder mit einem speziellen Status ("Special Permanent Resident") permanent in Japan leben oder die japanische Staatsbürgerschaft angenommen haben.
Heute sind sie nach den chinesischen Einwanderern die zweitgrößte ethnische Minderheit in Japan.[1] Ihr gehören schätzungsweise 600.000 bis 700.000 koreanischstämmige Menschen an. Sie oder ihre Vorfahren kamen gerade zu Beginn der Kolonialzeit in Hoffnung auf bessere Arbeitsmöglichkeiten freiwillig nach Japan[2], später wurden viele als Zwangsarbeiter nach Japan gebracht. Ein Großteil von ihnen waren Bauern aus den drei im Süden Koreas gelegenen Provinzen Nord-Gyeongsang, Süd-Gyeongsang und Süd-Jeolla.[3]
Geschichte
Mit der Annexion Koreas 1910 wurde das Land als Provinz Chōsen in das Japanische Kaiserreich eingegliedert, worauf eine rege Völkerbewegung von der Koreanischen Halbinsel nach Japan begann. Diese geschah teilweise freiwillig, weil sich auf den japanischen Inseln bessere Arbeitsmöglichkeiten boten. Andererseits wurden, vor allem während des Zweiten Weltkriegs, hunderttausende Koreaner zur Übersiedlung gezwungen, um dort in der vom Krieg zerrütteten Industrie zu arbeiten. Am Ende des Zweiten Weltkriegs befanden sich schätzungsweise 2,4 Millionen Menschen aus Chōsen auf den japanischen Inseln.
Nach dem Großen Kantō-Erdbeben 1923 gab es Massaker aufgrund beweisloser Gerüchte, dass Koreaner Brände legen und Brunnen vergiften würden. Zwar waren auch andere Minderheiten betroffen, doch erlitt mit fast 6000 Toten die koreanische Minderheit die größten Verluste.[2]
Nach der Kapitulation Japans im August 1945 und dem durch die Alliierten verfügten Entzug der japanischen Hoheitsautorität über Chōsen kehrten die meisten Koreaner in ihre Heimat zurück. Aufgrund der ungewissen Lage in Korea blieben jedoch 1946 noch ca. 650.000 Koreaner in Japan.[4]
Obwohl Japan bis zum Vertrag von San Francisco im Jahre 1951 (1952 in Kraft getreten) de jure immer noch die Staatenhoheit über die nun de facto ehemalige Provinz innehatte, wurde der koreanischstämmigen Bevölkerung im Dezember 1945 das Wahlrecht entzogen. 1947 wurde diesem Bevölkerungsteil auch ihre japanische Staatsbürgerschaft aberkannt, die sie aufgrund des ehemaligen Koloniestatus Koreas erworben hatte. Im Gegensatz zu der sonst üblichen Verfahrensweise, nach territorialen Veränderungen die Wahl der Staatsangehörigkeit den Betroffenen in den Gebieten freizustellen, wurden sie als „Koreaner“ definiert, obwohl dieser Staat nicht mehr existierte. Dies ist auch der unterschiedlichen Behandlung der Besatzungsmacht geschuldet, die die Koreaner auf der einen Seite als befreite Individuen, aber auf der anderen Seite ebenfalls als japanische Staatsbürger und damit als Feind ansahen. Aufgrund der Beziehungen einiger Koreaner zur kommunistischen Partei Japans wurden Minderheitsverbände und von ihnen unterstützte koreanische Schulen sowohl von der japanischen Regierung als auch von der Besatzungsmacht unterdrückt.
Mit dem Ausbruch des Koreakriegs (1950–1953) wurden die in Japan lebenden Koreaner im Prinzip staatenlos; weder Nord- noch Südkorea wurden von der japanischen Regierung als souveräne Staaten anerkannt, da sie die Koreanische Halbinsel aufgrund ihres De-jure-Anspruches immer noch als japanisches Staatsterritorium ansah. Zu der rechtlichen Unsicherheit kam nun noch eine ideologische Trennung der koreanischen Minderheit in Japan hinzu.
1965 nahm die japanische Regierung mit der südkoreanischen Regierung Verhandlungen auf und ermöglichte es der koreanischstämmigen Bevölkerung und deren Nachkommen, die südkoreanische Staatsbürgerschaft anzunehmen.[4] Da Nordkorea nach wie vor nicht von Japan anerkannt wird,[4] erhielten Nordkorea loyale Koreaner erst 1981 ein dauerhaftes Bleiberecht, nachdem Japan die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen und die Menschenrechtskonventionen ratifiziert hatte[5], und konnten somit in ihr Herkunftsland (und nach Japan zurück) reisen. Seit 1965 bzw. 1981 besserte sich für beide Teile der koreanischen Minderheit die wirtschaftliche Lage, weil sie vom japanischen Wirtschaftswunder profitieren konnten.
Die koreanische Minderheit war auch nach dem Krieg Diskriminierungen ausgesetzt und gegenüber der japanischen Bevölkerung rechtlich und wirtschaftlich benachteiligt; bis heute verwendet ein Großteil japanische Pseudonyme, um einer Diskriminierung zu entgehen. Seit den 1980er und 1990er Jahren wurde die staatliche Diskriminierung nicht eingebürgerter Koreaner schrittweise abgebaut: Sie erhielten Schutz vor Deportation und vollen Zugang zum Sozial-, Gesundheits- und Bildungssystem, allerdings nicht das Wahlrecht. Eine gesellschaftliche Diskriminierung, zum Beispiel auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, blieb bestehen.[6]
Seit der Nachkriegszeit sind viele Koreaner in Japan in den Minderheitenorganisationen Chongryon (Nordkorea nahestehend) und Mindan (Südkorea nahestehend) organisiert.
Die koreanische Minderheit und die Atombombenabwürfe
Unter den Opfern der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki war schätzungsweise jeder zehnte ein koreanischer Zwangsarbeiter. Dies entspricht etwa 40.000 koreanischen Personen. Bei den alljährlichen Zeremonien zum Gedenken an die Abwürfe wird der koreanischen Opfer nicht gedacht. Für sie wurde erst 1970 in Hiroshima ein Mahnmal errichtet. Für die koreanischen Atombombenopfer gab es immer schon eine kostenlose medizinische Versorgung, für die im Ausland lebenden Koreaner gilt dies seit 1980.[7]
Die beiden koreanischen Staaten verhalten sich diesbezüglich unterschiedlich, sowohl zueinander als auch in Bezug auf Japan. In Nordkorea werden repatriierte Atombombenopfer im Zuge staatlicher Propaganda zu Helden stilisiert und erfahren so ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Achtung. In Südkorea erfahren Atombombenopfer keinerlei staatliche oder gesellschaftliche Unterstützung.
Heutige Situation
Viele Koreaner beantragen die japanische Staatsbürgerschaft nicht, obwohl sie mittlerweile in der vierten Generation in Japan leben und oft nicht einmal mehr Koreanisch sprechen. Die Annahme der japanischen Staatsbürgerschaft (und die damit verbundene Aufgabe der koreanischen) wird von Teilen der koreanischen Minderheit als Assimilation und Verlust ihrer Identität gesehen.
Allerdings identifizieren sich in Japan lebende Koreaner ab der dritten und vierten Generation mehr mit Japan als mit Nord- oder Südkorea, da sie in und mit Japan aufgewachsen sind. Diese Annäherung der koreanischen Minderheit an die japanische Kollektivgesellschaft lässt die Situation für die koreanischstämmige Bevölkerung besser werden.
Bekannte Bürger koreanischer Abstammung in Japan
Kultur
- Crystal Kay, Sängerin (* 1986)
- Han Kaya, Pianistin und Musikpädagogin
- Hotei Tomoyasu, Musiker und Schauspieler (* 1962)
- Kaneshiro Kazuki, Romanschriftsteller (* 1968)
- Lee Sang-il, Regisseur (* 1974)
- Lee Yangji, Akutagawa-Preisträgerin, Romanschriftstellerin (1955–1992)
- Miyavi, Musiker (* 1981)
- Ri Kaisei, Akutagawa-Preisträger, Romanschriftsteller (* 1935)
- Romi Park, Synchronsprecherin (* 1972)
- Sonim Son, Sängerin (* 1983)
- Tachihara Masaaki, Romanschriftsteller (1926–1980)
- Towa Tei, Musiker (* 1964)
- Verbal Rapper von M-Flo (* 1975)
- Yang Seok-il, Romanschriftsteller (* 1936)
- Yuna Ito, Sängerin und Schauspielerin (* 1983)
- Yūsaku Matsuda, Schauspieler (1949–1989)
- Yu Miri, Akutagawa-Preisträgerin, Romanschriftstellerin (* 1968)
Politik
- Arai Shōkei, Politiker, Repräsentantenhaus Shūgiin
- Haku Shinkun, Politiker, Oberhaus Sangiin (* 1958)
- Kim Ch'on-hae, Politiker der Kommunistischen Partei Japans (1898–1969)
- So Man-sul, nordkoreanischer Politiker, Oberste Volksversammlung, Vorsitzender von Ch’ongryŏn (1927–2012)
- Tōgō Shigenori, Außenminister, Minister für Groß-Ostasien (1882–1950)
Sport
- Ahn Young-hak, Fußballspieler (* 1978)
- Jong Tae-se, Fußballspieler (* 1984)
- Tatsuhiko Kinjō, Baseball (* 1976)
- Tomoaki Kanemoto, Baseball (* 1968)
- Kim Chae-hwa, Eiskunstläuferin (* 1988)
- Keisuke Kunimoto, Rennfahrer (* 1989)
- Tadanari Lee, Fußballspieler (* 1985)
- Ōyama Masutatsu, Karate, Begründer der Kyokushin Kaikan (1923–1994)
- Ri Han-jae, Fußballspieler (* 1982)
- Rikidōzan, Wrestler (1924–1963)
- Ryang Gyu-sa, Fußballspieler (* 1978)
- Ryang Yong-gi, Fußballspieler (* 1982)
- Yoshihiro Akiyama, MMA und Judoka (* 1975)
Wirtschaft
- Masayoshi Son, CEO von SoftBank (* 1957)
- Shin Kyuk-ho, CEO und Gründer von Lotte (1921–2020)
Literatur
- Yasunori Fukuoka: Lives of Young Koreans in Japan. Trans Pacific Press, Melbourne 2000, ISBN 0-646-39165-8
- Horst Hammitzsch: Japan-Handbuch. Steiner, Stuttgart 1990, ISBN 3-515-05753-6
- Jackie Kim-Wachutka: Hidden Treasures. Lives of First-Generation Korean Women in Japan. Rowman & Littlefield, Lanham 2005, ISBN 0-7425-3595-9
- Jackie Kim-Wachutka: Zainichi Korean Women in Japan. Voices. Routledge, London 2019, ISBN 978-1-138-58485-3
- Sonia Ryang Koreans in Japan. Critical Voices from the Margin. Routledge, New York 2000, ISBN 0-415-21999-X
Filme
- Ao – Chong (青〜chong〜) (2000), von Lee Sang-il
- Go (2001), von Isao Yukisada nach dem gleichnamigen Roman von Kazuki Kaneshiro
- Dear Pyongyang (2005), von Yang Yong-hi[8]
- Our Homeland (Kazoku no kuni) (2012), von Yang Yong-hi[9]
Einzelnachweise
- Statistikbüro, Ministerium für Innere Angelegenheiten und Kommunikation: 国籍・地域別 在留資格(在留目的)別 在留外国人 (Ausländer nach Nationalität und Visastatus). Dezember 2016.
- George Hicks: Japan’s hidden apartheid: The Korean minority and the Japanese. 2. Auflage. Ashgate, Aldershot 1998.
- John Lie: Zainichi (Koreans in Japan): Diasporic Nationalism and Postcolonial Identity. University of California Press, Berkeley 2008.
- Ryang, Sonia: "Koreans in Japan: Critical Voices from the Margin", Ausgabejahr: 2000, Verlag: Routledge (Vereinigtes Königreich)
- Sonia Ryang: Introduction: Between the Nations. In: Sonia Ryang, John Lie (Hrsg.): Diaspora without Homeland: Being Korean in Japan. University of California Press, Berkeley 2009.
- Ludgera Lewerich: Zainichi-Korian – Die koreanische Minderheit in Japan. Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin.
- Sich verleugnen, sich selbst täuschen. In: Der Spiegel. Nr. 38, 1981 (online – 14. September 1981).
- Berlinale: Dear Pyongyang - Yang Yong-hi, Japan 2005 (PDF; 133 kB)
- Berlinale: Our Homeland - Yang Yong-hi, Japan 2012 (PDF; 92 kB)
Weblinks
- Kazuko Suzuki: The State and Racialization: The Case of Koreans in Japan, San Diego Februar 2003 - Englisch
- Patrick Zoll: Zwischen Kimchi und Kaiser. In: NZZ.ch. 29. Dezember 2012, abgerufen am 31. Dezember 2012.
- Rainer Werning: Verdrängte Schuld: Zehntausende der Atombombenopfer von Hiroshima und Nagasaki waren Koreaner, in: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung, 33 vom 8. August 2003.