Eduard Borchers (Mediziner)
Eduard Borchers (* 26. Juni 1885 in Vegesack; † 24. Februar 1977 in Bad Tölz) war ein deutscher Chirurg und langjähriger Chefarzt am Luisenhospital Aachen.
Leben und Wirken
Borchers studierte Medizin an den Universitäten in München, Freiburg im Breisgau, Kiel und Heidelberg, Nach Abschluss seines Staatsexamens begann er seine Facharztausbildung zum Chirurgen bei Ottmar von Angerer an der chirurgischen Abteilung des Klinikums der Universität München. Weitere Stationen dieser Ausbildung waren die „Klinik Friedrichsheim und Luisenheim“ in Malsburg-Marzell, das Rote Kreuz Krankenhaus Bremen, die Medizinische Akademie Düsseldorf und das Universitätsklinikum Kiel. Im Jahr 1913 trat Borchers eine Assistenzarztstelle bei Georg Clemens Perthes am Universitätsklinikum Tübingen an und erhielt noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges von Perthes die Gelegenheit, eine befristete Stelle als Gastwissenschaftler bei Hugh Young am Johns Hopkins Hospital in Baltimore zu übernehmen. Während des Krieges diente Borchers von 1914 bis 1917 als leitender Chirurg in verschiedenen Lazaretten, bevor er anschließend seine Karriere in Tübingen fortsetzte. Dort wurde er 1920 habilitiert und 1924 zum außerordentlichen Professor ernannt. Seitdem verfasste er über 120 wissenschaftliche Publikationen und Bücher, darunter 1926 sein Standardwerk „Allgemeine und spezielle Chirurgie des Kopfes“. Nach dem plötzlichen Tod von Perthes übernahm Borchers vertretungsweise den Lehrstuhl, ohne dabei befördert zu werden. Stattdessen wurde 1929 der Chirurg Martin Kirschner auf die Stelle von Perthes berufen und Borchers sollte unter ihm als Oberarzt dienen. Dies veranlasste Borchers, nach Aachen zu wechseln, wo er als Chefarzt der Chirurgie am Aachener Luisenhospital übernommen wurde.
In der Zeit des Nationalsozialismus versuchte Borchers sich den Bestrebungen der politisch Verantwortlichen, ihn für ihre medizinischen und politischen Pläne zu gewinnen, entgegenzusetzen. Er trat zwar dem Wehrverband Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten bei, in der Hoffnung, dadurch weitere Mitgliedschaften in NS-Organisationen verhindern zu können, doch durch die Eingliederung des Stahlhelms in die SA wurde er dort zunächst automatisch als Mitglied übernommen. Mehrfach stellte er jedoch ein Austrittsersuchen, bis es ihm schließlich genehmigt wurde. Dagegen hielt er seine Mitgliedschaft im NS-Ärztebund und in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt zwar aufrecht, nahm aber an keinen größeren Vereinsaktivitäten teil.
Dennoch gehörte Borchers neben Leo Funken und dem Gynäkologen Erich Zurhelle zu den Ärzten am Luisenhospital, die gemäß dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zur Durchführung von Zwangssterilisationen ermächtigt wurden. Das Ausmaß seiner Tätigkeit auf diesem Gebiet ist nicht nachvollziehbar, da er darüber – wie beispielsweise sein Kollege Max Krabbel in den Städtischen Krankenanstalten Aachen – weder Buch geführt noch publiziert hat, jedoch lassen sich seine Bedenken daran messen, dass er nach dem Krieg öffentlich dafür eintrat, Refertilisierungsoperationen bei einigen Zwangsoperierten durchzuführen.[1]
Schließlich handelte sich Borchers 1939 den Ärger der örtlichen NSDAP-Leitung ein, als er sich zu Beginn des Zweiten Weltkrieges weigerte, das Luisenhospital wie in allen anderen Krankenhäusern Aachens zu dieser Zeit üblich, vollständig als Lazarett für Kriegsverletzte freizumachen, und er daher seine teilweise nicht transportfähigen Patienten nur bedingt entlassen oder evakuieren ließ. Mehrfach sollte Borchers für dieses renitente Verhalten angezeigt und verhaftet werden, doch dazu sollte es nicht mehr kommen, da wenige Monate später per Order aus Berlin eine entsprechende dringliche Verwendung dieser Räumlichkeiten nach dem im Sommer 1940 beendeten und erfolgreich geführten Westfeldzug nicht mehr vorgesehen sei. Dennoch dauerte es noch mehrere Wochen, bis nach einer Intervention durch den Internisten Prof. Dr. Erwin Moos bei Hermann Göring der volle Krankenhausbetrieb durch die Belegschaft des Luisenhospitals für die Stadtbevölkerung wieder aufgenommen werden konnte.
Durch diese Kontroverse mit den Behörden gerieten die Kinder von Borchers in Gefahr und wurden in der Schule gemobbt, belästigt und bedroht. Daraufhin schickte Borchers seine Frau mit fünf seiner sechs Kinder, nämlich den Kindern Renate (* 1923), Ute (1925–1997), Hans-Jürgen (* 1928), Klaus (* 1930) und seine Zwillingsschwester Ruth (1930–2020 in Herrsching am Ammersee) nach Bad Tölz, wo die Familie seit 1935 ein Ferienhaus besaß. Der älteste Sohn Axel blieb bei seinem Vater. Borchers selbst wurde vom Kriegsdienst freigestellt und verrichtete weiterhin seinen Dienst im Luisenhospital. In Bad Tölz bekamen die Borchers Kontakt zur Familie Scholl, die in der Nachbarschaft ebenfalls ein Haus bewohnten, und Borchers Tochter Ute begann zudem mit dem Studenten Hans Scholl eine Liebesbeziehung.[2][3] Dadurch bekam auch Vater Eduard Borchers Zugang zu den geplanten Aktivitäten der Geschwister Scholl und erlaubte es ihnen, im Giebeldach seines Hauses zeitweilig eine Druckmaschine für die Flugblätter aufzustellen und ein Tagebuch von Hans Scholl zu verstecken. Dieses wurde 1944 im Rahmen einer Hausdurchsuchung von der Gestapo gefunden und beschlagnahmt. Die Verbindung zur Familie Scholl und sein eigensinniges Verhalten gegenüber der politischen Obrigkeit führten dazu, dass Borchers am 3. September 1944, nur wenige Tage bevor Aachen durch die Amerikaner befreit wurde, ohne Angaben von Gründen verhaftet und im Messelager Köln, einem Außenlager des KZ Buchenwald auf dem Gelände der Kölner Messehallen, interniert wurde.
Während der Gefangenschaft infizierte sich Borchers lebensbedrohlich mit Fleckfieber und wurde daraufhin entlassen. Die folgenden Monate verbrachte Borchers in einem Sanatorium in Bad Tölz und konnte erst 1946 nach seiner vollständigen Genesung den Dienst im Luisenhospital Aachen wieder antreten. Seine bekanntesten Assistenzärzte in dieser Zeit, die später eine große Medizinerkarriere vor sich hatten, waren Cuno Winkler und Leo Koslowski. Im Jahr 1952 wurde Borchers zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie gewählt und in dieser Funktion richtete er ein Jahr später in München den jährlichen Chirurgenkongress aus.[4]
Im Luisenkrankenhaus gründete Borchers, selbst hobbymäßiger Bratschist, mit Arztkollegen das „Orchester der Luisen-Ärzte“, das im Treppenhaus des Krankenhauses bei geöffneten Patiententüren regelmäßig im Rahmen von sogenannten „Hauskonzerten“ Werke von Mozart und Vivaldi aufführte. Im Jahr 1955 wurde Borchers pensioniert und verbrachte seinen Lebensabend in Bad Tölz. Nach seinem Tod wurde sein dortiges Haus verkauft und wenig später abgerissen. Noch heute existiert in der Familie ein Flugblatt der Geschwister Scholl mit einem persönlichen Vermerk von Eduard Borchers zur Erinnerung an die Kontakte zur Familie Scholl in Bad Tölz.
Schriften (Auswahl)
- Allgemeine und spezielle Chirurgie des Kopfes einschliesslich Operationslehre unter besonderer Berücksichtigung des Gesichts, der Kiefer und der Mundhöhle : Ein Lehrbuch, Springer, Berlin 1926
- Eduard Borchers und Georg Perthes: Verletzungen und Krankheiten der Kiefer, Enke Stuttgart 1932
Literatur
- Richard Kühl: Leitende Aachener Klinikärzte und ihre Rolle im Dritten Reich, Studie des Aachener Kompetenzzentrums für Wissenschaftsgeschichte, Band 11, Hrsg.: Dominik Groß, Diss. RWTH Aachen 2010, S. 64–86 und andere, ISBN 978-3-86219-014-0 pdf
- Stefanie Westermann: Medizin im Dienste der „Erbgesundheit“: Beiträge zur Geschichte der Eugenik und „Rassenhygiene“. LIT Verlag Münster 2009 digitalisat
- R. Kühl, D. Groß: Der Chirurg Eduard Borchers (1885–1977) – Ein ungewöhnlicher Fall später Reue? Über die Verstrickung deutscher Chirurgen in den Nationalsozialismus und die ausgebliebene Aufarbeitung, im: Zentralblatt für Chirurgie, Ausgabe 06, Dezember 2012, Georg Thieme Verlag KG Stuttgart
Weblinks
- Arthur Hübner (Hrsg.): Chirurgenverzeichnis, 4. Auflage, Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 1958, S. 82
Einzelnachweise
- Axel Borrenkott: Aachen war Auffangbecken für NS-Ärzte, in: Aachener Zeitung vom 11. Januar 2011
- Heike Kayer: Die vergessene Weiße Rose, in: Gradraus, Zeitung für den Chiemgau, Januar 2015
- Briefe der Geschwister Borchers im Nachlass von Inge Aicher-Scholl
- Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie