Urania (Berlin)
Die Berliner Gesellschaft Urania wurde 1888 gegründet mit dem Ziel, wissenschaftliche Erkenntnisse auch einem Laienpublikum zugänglich zu machen.[1] Mit ihrem weit gefächerten Programm ist die Urania heute eine über Berlin und Deutschland hinaus bekannte gemeinnützige Kultur- und Bildungseinrichtung.
Vorgeschichte
Die ersten Impulse gab 1827/1828 Alexander von Humboldt mit seinen öffentlichen „Kosmos-Vorlesungen“ im damaligen Gebäude der Berliner Singakademie, unmittelbar neben der Berliner Universität (heute: Humboldt-Universität) gelegen. Humboldt wandte sich mit seinen naturwissenschaftlichen Vorträgen an breite Bevölkerungsschichten – unter seinen Hörern befanden sich sowohl Handwerker als auch Angehörige der Hofgesellschaft, einschließlich des Königs Friedrich Wilhelm III. – und ergänzte so die volkspädagogischen Absichten seines Bruders Wilhelm von Humboldt. Der Astronom Wilhelm Foerster, einst Schüler Alexander von Humboldts und später Direktor der Berliner Sternwarte, führte die Ansätze seines Lehrers fort. Gemeinsam mit dem aus Wien zugezogenen Astronomen Max Wilhelm Meyer, der in der Donaustadt schon ähnliche Pläne verfolgt hatte, plante er eine feste Einrichtung, die dauerhaft geeignet sein sollte, einem Laienpublikum solides Fachwissen nahezubringen. Die beiden angesehenen Gelehrten konnten prominente Geldgeber für ihr Projekt gewinnen, darunter den Industriellen Werner von Siemens.
Geschichte der Urania
Konzept
Das Gründungskonzept sah eine neuartige Institution vor, die aus einer Sternwarte – der ersten Volkssternwarte der Welt –, aus wissenschaftlich technischen Ausstellungen und einem wissenschaftlichen Theater bestehen sollte. Mit einem Spendenkapital von 205.000 Mark (kaufkraftbereinigt in heutiger Währung: rund 1,55 Millionen Euro), einer damals sehr beträchtlichen Summe, wurde am 3. März 1888 die Gesellschaft Urania in Form einer Aktiengesellschaft gegründet. Ihren Namen bekam sie nach der Muse Urania, die in der griechischen Mythologie als Schutzgöttin der Sternkunde galt. Aufgabe der neuen Einrichtung, in der Gründungssatzung formuliert, war die „Verbreitung der Freude an der Naturerkenntnis“.[2][3] Das erste Gebäude der Urania wurde an der Invalidenstraße errichtet und am 1. Juli 1889 eingeweiht. Es wurde im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört; der nordöstliche Vortragssaal blieb allerdings erhalten und wurde in den Neubau der Polizeidienststelle integriert.
Besondere Anziehungspunkte waren die Abteilungen für Astronomie, für Physik und für Mikroskopie. Das neuartige Angebot, bei dem die Besucher sich erstmals spielerisch an verschiedenen Experimenten beteiligen konnten, sorgte für großes Interesse. Im ersten Betriebsjahr kamen schon 98.000 Besucher, sechs Jahre später waren es bereits 178.000. Das erfolgreiche Konzept wurde im In- und Ausland übernommen, es folgten rasch Vereinsgründungen zum Beispiel in Magdeburg, Hamburg, Kassel, Jena, Chemnitz, Prag, Budapest, Graz und Wien.
Sternwarte
Als Hauptinstrument für die Sternwarte der Urania baute 1889 die Firma von Carl Bamberg einen 12-Zoll-Refraktor, der Ende Dezember desselben Jahres der Öffentlichkeit übergeben wurde. Zu dieser Zeit war der sogenannte Bamberg-Refraktor mit seiner Öffnung von 314 Millimetern und einer Brennweite von fünf Metern das größte Teleskop in Preußen[4] und nach dem Straßburger Refraktor das zweitgrößte im Deutschen Reich. Mit ihm entdeckte der an der Einrichtung tätige Astronom Gustav Witt die Asteroiden Berolina und Eros. Die Urania erhielt vom Minor Planet Center den Observatoriumscode 537. Als erster Astronom der Urania-Sternwarte war seit 1889 Friedrich Simon Archenhold beschäftigt und von 1894 bis 1899 arbeitete dort Bruno Hans Bürgel.[5]
Kriegsauswirkungen
Eine schwierige Phase musste während der beiden Weltkriege und der dazwischenliegenden Weltwirtschaftskrise gegen Ende der 1920er Jahre überstanden werden; das 1895/1896 von Walter Hentschel in der Taubenstraße erbaute zweite Urania-Gebäude wurde 1928 aufgegeben; alle Aktivitäten waren in dieser Zeit stark eingeschränkt. Der Bamberg-Refraktor wurde 1951 im zerstörten Urania-Gebäude abgebaut und in die Papestraße zur Wilhelm-Foerster-Sternwarte gebracht. 1953 wurde die Urania als eingetragener Verein neu gegründet und begann ihre Tätigkeit in den Räumen der Technischen Universität Berlin. Für Zulauf sorgten Lesungen berühmter Literaten wie Heinrich Böll, Max Frisch und Günter Grass. In die Programmplanung wurden nun verstärkt die Bereiche Kunst und Unterhaltung einbezogen. Seit 1962 hat die Urania ihren Standort in Berlin-Schöneberg in der Nähe des Wittenbergplatzes.
In der DDR wurde, auch mit Bezug auf die Urania der Vorkriegszeit und als Reaktion auf die Gründung des gleichnamigen Vereins 1953 in West-Berlin, in Ost-Berlin 1954 die Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse ins Leben gerufen. Die Publikationen dieser Massenorganisation erschienen im neuen Urania-Verlag, der 1947 in Jena gegründet worden war und den Verlagsnamen der Urania aus der Weimarer Republik wieder aufnahm. Ab 1966 erhielt die Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse die Zusatzbezeichnung Urania, die in Großbuchstaben „URANIA“ als schriftliche Kurzbezeichnung verwendet wurde.
Urania heute
Im Jahr 2020 hatte der Verein Urania Berlin e. V. rund 1100 Mitglieder. Neben den Mitgliedsbeiträgen werden die nicht mit öffentlichen Mitteln geförderte Einrichtung und das Programm hauptsächlich durch Eintritte sowie die Vermietung von Räumlichkeiten finanziert. Beratend wirkt ein Kuratorium, dem unter anderen die Präsidenten der Berliner Universitäten, der Charité und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Leibniz-Gemeinschaft angehören.[6]
Für Besucher aller Altersstufen werden zahlreiche Veranstaltungen angeboten. Zum Programm gehören allgemeinverständliche Vorträge zu aktuellen Fragen aus Wissenschaft, Kultur, Politik und Gesellschaft. Das Haus bietet zahlreiche Flächen für unterschiedliche Formate, darunter Podiumsdiskussionen und künstlerische Darbietungen, Tagungen, Kongresse und Fachmessen. Mit zwei modern ausgestatteten Kinosälen ist das Urania-Haus zudem eines der größten Programmkinos in Berlin. In den Foyers werden Ausstellungen zu wechselnden Themen gezeigt. Ungefähr 200.000 Besucher jährlich nehmen an den rund 1300 Veranstaltungen teil. Seit dem Frühjahr 2018 leitet der Kommunikationswissenschaftler und Kulturmanager Ulrich Weigand den Verein als Geschäftsführer und Programmdirektor.[7]
Urania Bauvorhaben
Als traditionsreiches Wissenszentrum und Bürgerforum für Demokratie und Vielfalt, Wissenschaft und Umwelt erhält die Urania Berlin die Möglichkeit einer baulichen Erweiterung. In seiner Sitzung am 26. November 2020 hat der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages die finanzielle Beteiligung des Bundes an den Baumaßnahmen in Berlin beschlossen.[8] Die Gesamtkosten für die Sanierung und Erweiterung des Gebäudes An der Urania 17 in Höhe von 85,5 Millionen Euro sollen je zur Hälfte vom Land Berlin und vom Bund getragen werden. Dazu hat der Deutsche Bundestag 42,75 Millionen Euro in den Bundeshaushalt eingestellt.[9]
Urania-Medaille
Die Urania-Medaille wurde 1988 zum hundertjährigen Bestehen der Urania zum ersten Mal vergeben.[10]
Preisträger
- 1988 Rudolf Mößbauer
- 1989 Katharina Heinroth
- 1990 Gunther S. Stent
- 1991 Gerd Binnig
- 1992 Günter Tembrock
- 1993 Horst-Eberhard Richter
- 1994 Eugen Drewermann
- 1995 Gerhard Ebel
- 1996 Rudolf Kippenhahn
- 1997 Hans-Jochen Vogel
- 1998 Jens Reich
- 1999 Gesine Schwan
- 2000 Michael Succow
- 2001 Heinz Sielmann
- 2002 Gerhard Roth
- 2003 Jürgen Mlynek
- 2004 Richard von Weizsäcker
- 2005 Christiane Nüsslein-Volhard
- 2006 Roland Hetzer
- 2007 Sir Simon Rattle
- 2008 Klaus Töpfer
- 2009 Hans-Dietrich Genscher
- 2010 Kurt Masur
- 2011 Claudia Kemfert
- 2012 Harald Lesch
- 2013 Anton Zeilinger
- 2014 Daniel Barenboim
- 2015 Annette und Rüdiger Nehberg
- 2016 Rolf-Dieter Heuer
- 2017 Alexander Gerst
- 2018 Ulrich Bleyer
- 2019 Seyran Ateş
- 2020 Antje Boetius
- 2021 Christian Drosten und Sandra Ciesek
Siehe auch
Literatur
- Max Wilhelm Meyer: Die Urania nach ihrer Fertigstellung. In: Himmel und Erde, 2/1890. Teil 1 – Teil 2.
- Max Wilhelm Meyer (Hrsg.): Illustrirter Leitfaden der Astronomie, Physik und Mikroskopie in Form eines Führers durch die Urania zu Berlin. 1892
- Denkschrift zum 25jährigen Bestehen der Gesellschaft Urania (1888–1913). 1913.
- 100 Jahre Urania Berlin. Festschrift. Wissenschaft heute für morgen. Urania 1988
- Jutta Aschenbrenner: Bildung und die Muse der Sternenkunde. In: Berlinische Monatsschrift (Luisenstädtischer Bildungsverein). Heft 7, 1998, ISSN 0944-5560, S. 38–44 (luise-berlin.de).
- 125 Jahre Urania Mythos und Wissenschaft. (PDF) Begleitheft zur Ausstellung, 2013.
- Ulrich Bleyer, Dieter B. Herrmann, Otto Lührs (Hrsg.): 125 Jahre Urania Berlin. Westkreuz-Verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-943755-14-5.
- Jost Wippermann: Verfolgt, vernichtet und vergessen: Das Schicksal des Fritz Anselm Arnheim 2015,[11] ISBN 978-3-944836-30-0.
- Jana Bruggmann: Der Weltraum im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Das wissenschaftliche Theater der Berliner Urania, 1889–1905. In: Technikgeschichte, Band 84, 2017, Heft 4, S. 305–328.
Weblinks
- Urania
- Wolfgang Wippermann: 125 Jahre Urania in Berlin Wissenschaft für alle. In: Der Tagesspiegel, 5. Februar 2013
- Ueber die Entwickelung und die Ziele der Gesellschaft Urania zu Berlin,. (PDF) Berlin 1888, @edoc.hu-berlin.de
Einzelnachweise
- Karl-Eugen Kurrer: 125 Jahre Urania. In: momentum Magazin. Abgerufen am 15. Juli 2020.
- urania.de
- Urania Stassfurt e. V.
- wfs.be.schule.de (Memento vom 19. Februar 2010 im Internet Archive)
- Eine kurze Geschichte der Berliner Astronomie und der Wilhelm-Foerster-Sternwarte. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 25. Mai 2009; abgerufen am 24. April 2009.
- Internetpräsenz (siehe Weblinks)
- Internetpräsenz (siehe Weblinks)
- Bund gibt Hunderte Millionen für Urania und Berlins Wissenschaft. Abgerufen am 11. Januar 2021.
- Joachim Fahrun: Die Urania erfindet sich neu. In: Berliner Morgenpost. 6. Januar 2021, abgerufen am 11. Januar 2021 (deutsch).
- urania.de
- Ehrenrettung für Urania. Bei: berliner-woche.de