Terrassenhaus
Ein Terrassenhaus ist eine experimentelle Sonderbauform des Mehrfamilienhauses.
Zielsetzung war eine Bebauung von hoher Dichte bei gleichzeitiger Sicherung von Wohnqualität und Privatsphäre; der Antagonismus von Mietshaus und Einfamilienhaus sollte überbrückt werden. Man unterscheidet zwischen hangfolgenden und hangbildenden Terrassenhäusern; erstere eignen sich vor allem in Südhanglagen, letztere, insbesondere deren Großformen, werden auch als Hügelhaus bezeichnet.
Bauformen
Man findet lineare, versetzte und unterbrochene Reihungen der Wohneinheiten, letztere haben oft Außentreppen und individuelle Eingänge. Terrassenhäuser auf der Ebene werden in verjüngte bzw. verschobene Tribünen mit rückwärtiger Erschließung, sowie echte mehrseitige Hügelbauten mit mittiger Erschließung differenziert. Die Gebäudegrößen variieren von kleineren, zwei- bis dreigeschossigen Eigentumsobjekten bis hin zu Großwohnanlagen.
Die stets vorhandene Wohnterrasse wird als ein „intensiv nutzbarer Wohnbereich unter freiem Himmel mit den Qualitäten eines privaten Raumes“ aufgefasst. Sie ist vielfach mit typischen großen Pflanzcontainern ausgestattet.
Bevorzugte Baumaterialien waren Beton und Kalksandstein, oft verbunden mit regionaltypischer Gestaltung wie Klinkerverblendern in Norddeutschland oder Schieferschindeln im Bergischen Land.
Geschichte
Bereits seit 1908 beschäftigte sich Henri Sauvage mit maisons à gradins; es gelang ihm, zwei typusbildende Entwürfe in Paris zu realisieren. Bei einem von diesen wurde die Kernzone als Schwimmbad genutzt. Im Gegensatz zu späteren Konzepten respektierte Sauvage den Blockrand.[1] Adolf Loos demonstrierte um 1924 einen Entwurf für terrassierte Arbeiterhäuser in Wien, bei dem die Terrassen als erhöhte Quartierstraßen für die Gemeinschaft inszeniert wurden. 1933 projektierte Le Corbusier ein einhüftiges Terrassenhaus für Algier; jedoch wurde keines dieser Projekte umgesetzt.
Mitte der 1950er Jahre konzipierte der schweizerische Modulbaupionier Fritz Stucky ein innovatives Bebauungssystem für Steilhänge in Zug, bei dem aufwendige Gründungsarbeiten entfielen, da die autonomen Wohnetagen nach Art einer überdimensionalen Treppe auf seitlichen Betonwangen auflagen. Trickreiche Interpretation der Bauordnung ermöglichte es hierbei, auf sehr geringer Grundfläche Einzeleigentum mit vielfacher Wohnfläche zu realisieren, was einen Boom ähnlicher Projekte auslöste.
Ausgehend von den in der Schweiz etablierten Hanghäusern erlebte das Terrassenhaus während der deutschen Wohnungsbauoffensive der 1960er Jahre eine kurze Blütezeit, als es 1963 zur entscheidenden Weiterentwicklung des künstlichen Hügels auf ebener Fläche kam, was die bundesweite Ausbreitung erst ermöglichte. Ideenskizzen von Walter Gropius, die Wohnberge aus dem Jahr 1928, deuteten bereits in diese Richtung.
Ein früher Akteur war das Stuttgarter Architekturbüro Faller + Schröder. In wechselnden Projektkooperationen entstanden seit 1959 zahlreiche Wettbewerbsentwürfe mit dem Ergebnis, dass 1963 in Marl begonnen wurde, das erste Wohnhügelhaus in Europa zu realisieren.
Als experimentellen sozialen Wohnbau mit über 200 Wohneinheiten entwarf Albin Hennig 1967 die Girondelle in Bochum-Wiemelhausen. Der etwa 200 m lange, skulptural wirkende Baukörper hat im Zentrum eine gestaffelte Höhe von bis zu acht Geschossen. Im dunklen Kern des Komplexes liegen nicht nur die Flure, sondern zum Teil auch Küchen und Bäder.
In Wien wurden mehrere Wohnanlagen in Terrassenbauweise von dem Architekten Harry Glück errichtet.
Eine singuläre Sonderform des Hügelhauses bildet die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße in Berlin-Wilmersdorf als einer der größten zusammenhängenden Wohnkomplexe Europas: im unbelichtbaren Kernbereich verläuft die Bundesautobahn 104.
Gegen Ende der 1970er Jahre kam der Bau von Terrassenhäusern fast vollständig zum Erliegen. Gründe hierfür liegen im hohen Planungsaufwand, da prinzipbedingt die Grundrissflächen nicht beliebig kopierbar sind. Durch die Ölpreiskrise stiegen die bauphysikalischen Anforderungen, was sich bei einer komplexen Gebäudehülle verstärkt auswirkte. Aufgrund wenig dauerhafter Terrassenabdichtungen traten häufig Feuchtigkeitsprobleme auf. Der Einbruch des öffentlich geförderten Wohnungsbaus tat ein Übriges, da die Projekte häufig von städtischen Wohnungsbaugesellschaften oder Baugenossenschaften finanziert wurden.
Im Jahr 2004 wurde im Rahmen des Stadtumbaus Ost das Rückbauprojekt Ahrensfelder Terrassen in Marzahn Nord realisiert. Aus elfgeschossigen Plattenbauten wurden Terrassenhäuser unterschiedlicher Höhe mit maximal sechs Geschossen. Der Wohnungsbestand wurde auf ein Drittel reduziert, die Maßnahme gilt als ein Musterprojekt für verträglichen Stadtumbau.
Gestiegenes Interesse an Bauten der Spätmoderne bewirkt, dass seit etwa 2010 Terrassenhäuser gelegentlich unter Denkmalschutz gestellt werden, da die Bauform zwar zeittypisch, aber relativ selten anzutreffen ist.
Im Zuge der Diskussionen über Nachhaltigkeit und Zersiedelung findet das Terrassenhaus in neuester Zeit wieder Befürworter. Seit etwa 2020 gibt es auch einige größere Neubauprojekte, insbesondere in den Niederlanden.
Bauten
- 1912 – 1913: Wohnhaus in der Rue Vavin, Paris 6° (Henri Sauvage) ⊙
- 1916 – 1927: Mietshaus mit Schwimmbad in der Rue des Amiraux, Paris 18° (Henri Sauvage) ⊙
- 1957 – 1960: Terrassenhäuser in Zug (Fritz Stucky, Rudolf Meuli) ⊙[2][3]
- 1959 – 1960: Terrassenhaus in Zü̈rich-Witikon (Claude Paillard und Peter Leemann) ⊙[4][5]
- 1962 – 1963: Terrassenhäuser im Pfaffenziel in Untersiggenthal, Aargau (Robert Frei)[6]
- 1963 – 1971: Wohnhügelhäuser in Marl (Peter Faller, Roland Frey, Hermann Schröder und Claus Schmidt) ⊙[7]
- 1963 – 1971: Terrassensiedlung Mühlehalde in Umiken, Aargau (team 2000, Scherer, Strickler + Weber) ⊙
- 1965 – 1968: Hangsiedlung Oberhub in Zollikerberg, Zürich (Marti & Kast)[8] ⊙
- 1966 – 1971: Terrassenhaus in Bochum, Girondelle (Albin Hennig und Dieter Dietrich) ⊙[7][9][10]
- 1967 – 1972: Brunswick Centre in Bloomsbury (Camden), London (Patrick Hodgkinson) ⊙[11]
- 1968: Terrassensiedlung Brüggliacher in Oberrohrdorf, Aargau (Hans Ulrich Scherer)[12] ⊙
- 1968 – 1970: Hügelhaus für die Volkswagenstiftung in München-Bogenhausen (Walter Ebert)[13] ⊙
- 1968 – 1972: Wohnquartier Olympisches Dorf (München) (Heinle, Wischer und Partner)
- 1969: Terrassenhäuser in Alt-Mündelheim ⊙
- 1969 – 1971: Wohnanlage Tapachstrasse in Stuttgart (Peter Faller, Hermann Schröder) ⊙[14]
- 1969 – 1972: Elf Terrassenhäuser am Teufelsberg (Jan und Rolf Rave)⊙ [15]
- 1970 – 1971: Eremitageparken in Kongens Lyngby (Juul Møller og Erik Korshagen) ⊙[16]
- 1970 – 1971: Steilhangterrassenhäuser am Nützenberg in Elberfeld-West (Gert Herget und Partner) ⊙[17][18]
- 1970 – 1971: Terrassenhaus in Bremen-Schwachhausen (Kurt Schmidt und Karl-Heinz Stelling) ⊙[19]
- 1971 – 1972: Siedlung Im Schneider in Neustadt an der Rems (Kammerer + Belz) ⊙ [20][21]
- 1971: Sieben Terrassenhäuser in München-Schwabing (Otto Steidle) ⊙
- 1971 – 1973: Terrassenhaus Mühlenberg (Erwin Röver, Günther Matzke, Günther L. Gerhards) ⊙[22]
- 1971 – 1973: Terrassenbau Davenstedt (Horst Küthe) ⊙
- 1971 – 1974: Hemminger Himmelsleitern in Hemmingen (Paul Stohrer und Rolf Dieter) ⊙[23]
- vor 1972: Atriumwohnpark in Kettwig/Ruhr (Erwin Berning, Architekturpreis Beton 1975)⊙[24]
- vor 1972: Terrassenhaus in Kettwig ⊙
- 1972 – 1975: Hügelhaus in Erftstadt-Liblar (Hans Oberemm mit Jupp Inden) ⊙[25]
- 1972 – 1975: Großwohnkomplexe Hannibal I und Hannibal II in Dortmund (Günther Odenwaeller und Heinz Spieß) ⊙⊙
- 1972 – 1978: Terrassenhaussiedlung Graz-St.Peter (Werkgruppe Graz) ⊙[26]
- 1972: Terrassensiedlung am Lachsenbach in Eckernförde (Lassen und Paulsen) ⊙
- 1972: Terrassenhaus in Wilhelmshaven⊙
- 1972: Terrassenhaus in Oer-Erkenschwick ⊙
- 1973: Terrassenhaus Semiramis in Dreieich (Henry und Christa Rackow) ⊙
- 1973: Terrassenhäuser in Freiburg-Tiengen⊙
- 1973 – 1974: Terrassenhaus Schnitz in Stuttgart-Neugereut (Peter Faller, Hermann Schröder und Claus Schmidt, mit Reinhold Layer) ⊙[27]
- 1973 – 1976: Terrassenhäuser Am Rupenhorn (Hans Wolff-Grohmann) ⊙
- 1974 – 1978: Pyramides du Lac in Villeneuve d'Ascq (Michel Andrault, Pierre Parat)⊙[28]
- 1974: Terrassenhaus in Bratislava, Medená (Julián Hauskrecht, Štefan Svetko) ⊙ [29]
- 1974: Stufenhaus in Schermbeck (Hugo Rossmüller) ⊙
- 1974: Terrassenhaus Pannenhofstraße in Goch (Ernst Leenen) ⊙
- 1976 – 1979: Schöneberger Terrassen in Berlin-Schöneberg (Waldemar Poreike) ⊙[30][31]
- 1976 – 1980: Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße in Berlin-Wilmersdorf (Georg Heinrichs, Gerhard Krebs) ⊙
- 1977: Terrassenhaus Evershagen (Peter Baumbach) ⊙ [32]
- 1978: Ensemble Le Liégat mit 146 Sozialwohnungen auf hexagonaler Struktur in Ivry-sur-Seine (Renée Gailhoustet)⊙[33]
- 1979: Terrassenhaus In den Birken in Wuppertal (Dietmar Teich und Volker Bussmann) ⊙
- 1979 – 1983: Heinz-Nittel-Hof in Wien-Floridsdorf (Harry Glück) ⊙
- 1982: Terrassenhaus am Steinberg in Bergisch Gladbach (Karljosef Keppel) ⊙
- 2006 – 2007: Villa Vojanka in Košíře, Prag 5° (Pavel Hnilička) ⊙ [34]
- 2007 – 2008: Bjerget in Ørestad (Bjarke Ingels) ⊙[35]
- 2008 – 2012: Wohnanlage in Wien, Ödenburger Straße 19–21 (Walter Stelzhammer) ⊙
- 2013: Terrassenwohnen Elbbahnhof für die Wohnungsbaugenossenschaft Stadt Magdeburg von 1954 eG (arc architekturconzept GmbH, Lauterbach - Oheim - Schaper, Freie Architekten BDA) ⊙ [36]
- 2013 – 2017: Wohnhaus Klencke in Amsterdam (NL Architects) ⊙[37]
- vor 2014: Terrassenreihenhäuser in Bratislava, Slowakei ⊙
- 2019: Atelierhaus Lobe Block in Berlin-Wedding (Arno Brandlhuber und Muck Petzet) ⊙
- 2020: Terrassenhaus Kassenberg in Mülheim an der Ruhr (Strelzig + Klump)⊙[38][39]
- 2020: Fenix I Lofts, Überbauung eines Lagergebäudes der Holland-America Line in Rotterdam (Mei Architects) ⊙[40]
- 2021: The George in Zuidas, Amsterdam (Dok architects) ⊙[41]
- 2021: Terrassenhaus in Bratislava, Na Hrebienku (Ján Pavúk) ⊙ [42]
Literatur
- Ot Hoffmann, Christoph Repenthin: Neue urbane Wohnformen – Gartenhofhäuser, Teppichsiedlungen, Terrassenhäuser. Ullstein, Berlin 1956
- Walter Meyer-Bohe: Neue Wohnformen. Hang-, Atrium- und Terrassenhäuser. Wasmuth, Tübingen 1970
- Karlheinz Benkert: Terrassenhäuser am Hang. Grundlagen für Entwurf und Konstruktion. DVA, Stuttgart 1974
- Lorenzo De Chiffre: Das Wiener Terrassenhaus – Entwicklungsphasen und Aktualität eines historischen Wohntypus mit Fokus auf den lokalspezifischen architektonischen Diskurs. Dissertation an der Fakultät Architektur und Raumplanung der Technische Universität Wien 2016 (Digitalisat)
- Gerhard Steixner, Maria Welzig: Luxus für alle – Meilensteine im europäischen Terrassenwohnbau. Birkhäuser, Basel 2020
- Uta Gelbke: Wohnen im Hügel – Terrassenhäuser als Chance für den verdichteten Wohnungsbau?. In: Baunetzwoche 572/2021 (Digitalisat)
Einzelnachweise
- LIA: Materialien zu Henri Sauvage's maisons à gradins (Digitalisat)
- Terrassenhäuser in Zug. In: Das Werk, Heft 2/1961 (Digitalisat)
- Lüscher Architekten: Post-Stucky
- Das Werk. Heft 2/1961 (Digitalisat)
- Teilinstandsetzung und Umbau Terrassenhaus, Eierbrechtstrasse 16
- Das Werk. Heft 10/1964 (Digitalisat)
- Baukultur NRW: Wohnexperimente
- Das Werk. Heft 10/1968 (Digitalisat)
- Landschaftsverband Westfalen-Lippe: Eine Architekturikone im Bochumer Süden
- Terrassenwohnhaus "Girondelle" in Bochum. In: Bauen + Wohnen Heft 26/1972 (Digitalisat)
- Terrassenhausüberbauung Brunswick Center in London. In: Das Werk, Heft 12/1972 (Digitalisat)
- Das Werk. Heft 10/1968 (Digitalisat)
- Eintrag auf SOS Brutalism
- Wohnanlage Tapachstrasse Stuttgart. In: Das Werk Heft 3/1972 (Digitalisat)
- Ansichtszeichnung im Architekturmuseum der TU Berlin (Digitalisat)
- Terrassenwohnhausüberbauung "Eremitageparken" bei Kopenhagen. In: Das Werk, Heft 12/1972 (Digitalisat)
- Architekturführer Wuppertal: Terrassenhaus
- Steilhangterrassenhäuser am Nützenberg in Wuppertal. In: Das Werk, Heft 12/1972 (Digitalisat)
- Architekturführer Bremen
- Denkmalporträt (Digitalisat)
- Leitlinien (Digitalisat)
- Terrassenhaus Hannover Mühlenberg
- Denkmalporträ̈t: „Hemminger Himmelsleitern“ – Die zukunftsweisenden Terrassenhochhäuser des Wohnparks Schlossgut (Digitalisat)
- Atriumwohnpark Kettwig/Ruhr bei Essen. In: Das Werk, Heft 12/1972 (Digitalisat)
- Moderne Regional: Porträt Hügelhaus Erftstadt
- Terrassenhaussiedlung – Geschichte
- Denkmalporträ̈t: Selbstbestimmung im Geschosswohnungsbau. Das Terrassenhaus „Schnitz“ in Stuttgart (Digitalisat)
- Les "Pyramides du Lac" à Villeneuve d'Ascq (59) – Modèle innovation Maisons Gradins Jardins
- Unikátne terasy ukryté na Medenej
- Marlene Lieback: Die Schöneberger Terrassen – ein Beitrag zum Denkmalwert der Nachkriegsmoderne der 70er Jahre und des sozialen Wohnungsbaus in Berlin. TU Berlin Universitätsverlag 2018 (Digitalisat)
- Eintrag in der Berliner Landesdenkmalliste
- Ab jetzt: Denkmal
- TAZ: Die Stadt als Schaltnetz
- Terasový dům v Košířích
- DBZ: Hinauf in neue architektonische Höhen – Mountain Dwellings in Kopenhagen / DK
- Projektvorstellung
- Baunetz: Balkons mit Farbpalette – Terrassenhaus von NL Architects in Amsterdam
- Dipl.-Ingenieure Architekten Strelzig + Klump
- WAZ: Mülheim: Stillstand am Terrassenhaus Kassenberg bald beendet
- Benedikt Crone: Stahltischdecke. In: Bauwelt Heft 11/2020 (Digitalisat)
- Liesbeth van der Pol: Draped stone dress – Newly built apartments The George | Zuidas, Amsterdam
- Terasový bytový dom