Hannibal (Dorstfeld)
Gebäude
Der Komplex wurde 1972 bis 1975 durch die Dogewo nach Plänen von Günther Odenwaeller und Heinz Spieß am Vogelpothsweg 12–26 errichtet. Er besteht aus acht aneinander gereihten Terrassenhochhäusern mit bis zu 16 Etagen, die 412 Wohnungen mit Flächen von 20 m² bis 100 m² enthalten, davon 304 Maisonetten und 108 kleinere Studentenwohnungen mit einer Etage. Im Gegensatz zum Hannibal Nordstadt gibt es keine Gewerberäume.
Geschichte
Eigentumsverhältnisse
2004 verkaufte die Dogewo den Wohnkomplex an das börsennotierte Wohnungsunternehmen Janssen & Helbing. Dieses begann umfassende Renovierungsarbeiten, da die Gebäude bauliche Mängel aufwiesen, meldete jedoch 2005 Insolvenz an. Der Komplex wurde unter Zwangsverwaltung gestellt und die Arbeiten abgebrochen, sodass es seither in einem Gebäudeteil modernere Fassaden und Fenster gibt, während der Rest im Zustand der 1970er Jahre ist.
Bis 2016 waren die Reparaturmaßnahmen auf das absolute Minimum beschränkt. Die Besitzer des Komplexes wechselten öfters, meist waren es Zwangsverwaltungen, doch die vorherrschenden Mängel wie die öfter ausfallenden Aufzüge, undichte Fenster und abblätternder Putz wurden nicht beseitigt.[1][2][3]
Ein zur Vorbereitung auf die Versteigerung erstelltes Immobiliengutachten bezifferte den Verkehrswert des unsanierten Komplexes auf 3,6 Millionen Euro, die Kosten der notwendigen Arbeiten auf 9,2 Millionen Euro. Außerdem empfahl der Gutachter die Erstellung eines Brandschutzgutachtens und wies auf fehlende Brandschotts in den Schächten aller Gebäude hin.[4]
Die Lütticher 49 Properties GmbH ersteigerte 2011 das Gebäude für 7 Millionen Euro.[5] Diese Firma gehörte zur Berliner Intown Gruppe, deren Intown Property Management von 2016 bis 2019 als Hausverwaltung agierte.[4] Ab 2019 wurde die Geschäftstätigkeit der Intown-Gruppe durch die neu gegründete Firma Lianeo Real Estate übernommen, die durch die Allsites Property Management GmbH mit Firmensitz am Intown-/Lianeo-Standort in Berlin die Immobilie verwaltet.[6]
Räumung
Bei einer Brandschau am 29. August 2017 wurden zahlreiche durch den Eigentümer abzustellende Mängel identifiziert. Bei einer Nachschau am 19. September fielen weitere, schwerwiegende Mängel an den Fluchtwegen auf. Zufällig wurde überdies festgestellt, dass sich über die durchgehenden Luft- und Kabelschächte Rauchgase ungehindert von den Tiefgaragen in die Wohnbereiche und zwischen den Stockwerken ausbreiten könnten. Dies deckt sich mit den im Immobiliengutachten vor der Versteigerung des Komplexes geäußerten Bedenken.[4]
Die Stadt Dortmund erließ am 21. September 2017 eine Räumungsanordnung. Der Gebäudekomplex wurde noch am gleichen Abend evakuiert und die Nutzung untersagt.[7][8] Alle Wohnungen wurden versiegelt und die Gebäude von einem Wachschutzunternehmen bewacht, zunächst auch seitens der Feuerwehr Dortmund eine Brandsicherheitswache gestellt. Auf Antrag konnten Bewohner jeweils kurzzeitig und in Begleitung ihre Räumlichkeiten aufsuchen.
Zum Jahresende 2017 wurde laut dem Versorger DEW21 die Wasserzufuhr in dem Gebäude abgestellt; ebenso wurde die Nahwärme-Contracting-Heizanlage demontiert.[9] Zum 31. Januar 2018 wurde das Gebäude stillgelegt.[10] Die Bewachung erfolgte nur noch lückenhaft.[11] Wenige Mieter erstritten auf dem Rechtsweg die Möglichkeit, ihre Wohnungen zu betreten. Es wurden Wohnungseinbrüche und Verwüstungen bekannt.[12][13][14]
Weitere Entwicklung
Zwischen Intown/Lianeo und der Stadt Dortmund sind vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen mehrere Klagen um die Rechtmäßigkeit der Räumungsanordnung, die Zahlung der zugehörigen Kosten in Höhe von 780.000 Euro sowie den Mietausfall anhängig.[15][16]
Laut einer 2018 getätigten Verlautbarung des Eigentümers sollte der Wohnkomplex ab Mitte 2019 komplett renoviert werden und Ende 2020 wieder bezugsfertig sein. Er gab an, dass mehr Wohnungen zur Verfügung stehen sollten als vorher, unter anderem Studenten- und Singlewohnungen. Die restlichen Mieter sollten zu alten Konditionen zurückkehren dürfen.[17]
Dieser Zeitplan wurde nicht eingehalten. Der Eigentümer tilgte im Mai 2018 die bestehende Grundschuld und machte den Hannibal damit unabhängig von anderen eigenen Immobilien. Im April 2019 reichte er einen Entwurf eines Bauantrags ein, der vom Bauamt der Stadt Dortmund zurückgewiesen wurde, weil die Brandschutzprobleme bestehen bleiben würden.[16][18]
Im Mai 2020 wurde ein verbesserter Entwurf vorgelegt. Im November 2020 genehmigte die Stadt Dortmund die Bauanträge. Darin wird das Objekt in fünf Bauabschnitte unterteilt, um die Arbeiten nacheinander ausführen zu können: Ein Abschnitt beinhaltet die Tiefgarage, vier Abschnitte umfassen jeweils ein Paar der acht Hochhäuser. Die Genehmigung gilt zunächst für drei Jahre und ist danach jährlich verlängerbar.[19]
Im Februar 2021 wurde der Komplex an die Forte Gruppe verkauft.[20]
Im September 2021 sollen nunmehr die Vorbereitungen für die Sanierung des Hannibal beginnen.[21]
Hannibal im Film
- Jede Menge Kohle (1981): In diesem Spielfilm wurden einige Szenen im Wohnkomplex gedreht.
- Hannibal – Geschichten aus dem Block: Im Kontext des Grid Projects der FH Dortmund wurde ein Film von einem Studenten gedreht, der zeigt, welche Lebensumstände im Wohnkomplex herrschen.
- Dorstfelder Hannibal liegt brach: eine ZDF-Dokumentation zeigt die Situation des Wohnkomplexes als „Negativbeispiel für sozialen Wohnungsbau“.
Weblinks
- Tobias Großekemper, Christoph Klemp: Schacht matt im Hannibal. In: Ruhr Nachrichten, abgerufen am 19. Oktober 2017
- Sonja Gerhardt: Dortmunder Hochhaus-Eigentümer: eine Spurensuche auf wdr.de, abgerufen am 22. Oktober 2017
- Informationen für die Bewohner des Hannibal 2 in Dorstfeld der Stadt Dortmund, abgerufen am 22. Oktober 2017
Einzelnachweise
- Frostige Stimmung im „Hannibal“ in Dortmund nach Zwangsversteigerung. In: WAZ. 16. Dezember 2011, abgerufen am 31. März 2016.
- http://www.lokalkompass.de/dortmund-west/politik/hannibal-in-dorstfeld-schluss-mit-der-flickschusterei-d199846.html
- Der lange Weg des Hannibal. In: Ruhrbarone. Abgerufen am 31. März 2016.
- Tobias Großekemper, Christoph Klemp: Schacht matt im Hannibal. Die Geschichte einer beispiellosen Vertreibung von 753 Menschen aus ihren Wohnungen im Herbst 2017. In: Ruhr Nachrichten Reportagen, 18. Oktober 2017.
- Wohnkoloss Hannibal in Dortmund für 7 Millionen Euro versteigert DerWesten.de vom 14. Dezember 2011, abgerufen am 22. Oktober 2017.
- Neue Hausverwaltung. Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V., 14. März 2019, abgerufen am 16. August 2020.
- Mehr als 400 Wohnungen: Dortmund räumt riesigen Hochhauskomplex wegen Brandgefahr. In: Westdeutsche Zeitung. 21. September 2017, archiviert vom Original am 16. August 2020; abgerufen am 16. August 2020.
- Janis Beenen, Christian Wernicke, Dortmund: Hannibal ist brandgefährlich. In: Süddeutsche.de, 22. September 2017.
- WAZ: Dortmunder Hannibal ist 2018 wohl ohne Wasser und Heizung
- „Hannibal“-Hochhaus: Eigentümer legt Wohnungen still. T-Online, 22. Januar 2018.
- Hannibal-Hochhaus ohne permanenten Sicherheitsdienst. Westdeutscher Rundfunk Köln, 20. April 2018, abgerufen am 19. März 2019.
- Tobias Grossekemper: Mieter findet in seiner Wohnung ein Trümmerfeld vor. In: Ruhr Nachrichten. Verlag Lensing-Wolff GmbH & Co. KG, 13. März 2018, abgerufen am 19. März 2019.
- Felix Guth: Im verlassenen Hannibal-Hochhaus in Dorstfeld brennt wieder Licht. 1. März 2020, abgerufen am 27. Januar 2021.
- Randale im Hannibal in Dorstfeld: Plötzlich fliegen Möbel aus dem Fenster. 11. Mai 2020, abgerufen am 27. Januar 2021.
- Peter Fischer: Der „Hannibal“ Hochhaus-Komplex in Dortmund-Dorstfeld. Hochhausräumung: Vermieter verklagt Stadt Dortmund. (Memento vom 31. März 2018 im Internet Archive). In: wdr.de, 28. September 2017.
- Geräumtes "Hannibal"-Hochhaus in Dortmund: Baugenehmigung fehlt immer noch. Westdeutscher Rundfunk Köln, 8. Dezember 2019, archiviert vom Original; abgerufen am 16. August 2020.
- WDR: Hannibal-Hochhaus in Dortmund soll nach Zwangsräumung saniert werden. 21. September 2018, abgerufen am 1. April 2019.
- Hannibal 2: Alles auf Anfang. Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V., 19. Juni 2019, archiviert vom Original am 16. August 2020; abgerufen am 16. August 2020.
- Stadt erteilt Baugenehmigungen für Hannibal in Dorstfeld. Stadt Dortmund, 20. November 2020, abgerufen am 6. August 2021.
- Leerstehender Wohnkomplex Hannibal II verkauft. In: www.sueddeutsche.de. 22. Februar 2021, abgerufen am 26. Mai 2021.
- So geht es weiter mit dem Hannibal-Hochhaus in Dortmund. In: www.waz.de. 6. August 2021, abgerufen am 6. August 2021.