Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße
Die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße (umgangssprachlich als Schlange bezeichnet) ist ein Wohnkomplex auf einer Autobahntrasse in der Architektur der 1970er Jahre im Berliner Ortsteil Wilmersdorf am Rande des Rheingauviertels. Seit Dezember 2017 steht das Gebäude unter Denkmalschutz.[1]
Geschichte
Anfang bis Mitte der 1970er Jahre war die Wohnraumsituation im mittlerweile durch den vollendeten Mauerbau isolierten West-Berlin nach wie vor kritisch. Die zuvor nach Muster von Trabantenstädten erbauten Großsiedlungen in Randlage (unter anderem Märkisches Viertel und Gropiusstadt) hatten zwar die allgemeine Wohnungsknappheit reduziert, jedoch sahen die Planungen stets die Schaffung von weiterem verdichteten Wohnraum als notwendig an, zumal in den 1960er Jahren diverse Altbauviertel abgerissen wurden. Da in den Berliner Großsiedlungen bereits erste sozialstrukturelle Probleme auftraten, war der verdichtete Wohnungsbau dieses Musters ohnehin in den Hintergrund gerückt.
Bauphasen
In den Jahren 1970/1971 begannen die ersten Bauarbeiten des südlichen Abzweigs (A 104) der Stadtautobahn A 100. Auf einem Areal von etwa 44.000 m², das im westlichen Teil die Autobahn 104 überschneidet, konnte nun die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße geplant werden. Zunächst fungierte das Projekt unter dem Namen Wohnpark Wilmersdorf.
Die heutige Autobahnüberbauung umschließt die ehemalige Autobahn 104 auf einer Länge von 600 Metern in ihrem Nord-Süd-Verlauf und verläuft analog der Fahrbahn in leichtem Winkel gebogen. Die Erbauung des Gesamtprojekts fand zwischen 1976 und 1980 im Auftrag der degewo statt. Die Planung erfolgte durch die Architekten Georg Heinrichs, Gerhard Krebs und Klaus Krebs. Die Bauausführung erfolgte durch mehrere Unternehmen in einer Arbeitsgemeinschaft. Beteiligt waren die Unternehmen Burgert-Neue Bauhütte AG, Ed. Züblin AG, Schälerbau Berlin, Bruno Ansorge, Lindow & Co, Richter & Schädel, Sager & Woerner (SAWOE), Anton Schmittlein AG, Gottlieb Tesch GmbH, Karl Tobias GmbH, F.C. Trapp und Wiemer & Trachte.
Nach Fertigstellung kam es zu Bodenabsenkungen des Erdreichs im Bereich der Überbauung, was durch nachträgliche Verdichtung des Grundes und durch Stahlauflagekeile oberhalb der Trägerbrücken kompensiert werden musste. Die Gesamtbaukosten beliefen sich auf 400 Millionen Mark (kaufkraftbereinigt in heutiger Währung: rund 454,4 Millionen Euro).
Umfang der Anlage
Das Hauptgebäude, die direkte Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße, erreicht die Gesamtlänge von 600 Metern und eine maximale Höhe von 46 Metern. Es hat in den mittleren Riegeln eine maximale Geschossanzahl von 14. Dieses Gebäude beinhaltet 1064 Wohneinheiten und zählt damit zu den größten zusammenhängenden durchgängig begehbaren Wohnkomplexen Europas. In der angrenzenden Randbebauung sind weitere 694 Wohneinheiten untergebracht, was eine Gesamtanzahl von 1758 Wohneinheiten auf dem Areal ergibt. Es wurden 120 verschiedene Grundrissvarianten realisiert.
Des Weiteren sind in der Überbauung 118 Hobbyräume, vier Gästewohnungen und zwölf Gemeinschaftsräume sowie diverse Fahrrad- und Kinderwagenräume untergebracht. Auf dem Gelände wurden Spielplätze und Hundetoiletten angelegt. Eine Aussichtsterrasse im 13. Obergeschoss wurde aus Sicherheitsgründen wegen vorangegangener Kletteraktionen wieder geschlossen. Es wurden 28 Gewerberäume mit insgesamt 7210 m² Fläche in das Projekt integriert.
Unterhalb der unter der Überbauung gelegenen Autobahntrasse befinden sich zwei Tiefgaragendecks mit 760 Stellplätzen (606 Garagen, 154 offene Stellplätze). Ein separates Parkhaus mit 437 weiteren Plätzen wurde erbaut.
Die Anlage verfügte über eine zentrale pneumatische Müllentsorgungsanlage des schwedischen Herstellers Envac mit rund 800 Meter Rohrleitungen; diese wurde zum Jahresende 2015 stillgelegt. Die Beheizung und die Energieversorgung der zentralen Warmwasserbereitung erfolgten durch Fernwärme des Heizkraftwerks Wilmersdorf.
Im Jahr 1980 wurden die ersten Wohnungen bezugsfertig, der Erstbezug erstreckte sich jedoch aus organisatorischen Gründen bis 1981, da zum 1. und zum 15. eines jeden Monats jeweils eine Beschränkung auf 40 Bezüge bestand.
Kritik
Das Projekt war sowohl im Vorfeld wie auch im Nachhinein umstritten. Ein Zitat des damaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin Richard von Weizsäcker lautete:
„Wenn der Teufel dieser Stadt etwas Böses antun will, lässt er noch einmal so etwas wie die ‚Schlange‘ bauen.“
Die Wohneinheiten wurden im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus errichtet. Zum Ende der 1980er Jahre kam es zu Wohnumfeldverschlechterungen des Komplexes (unter anderem durch Kriminalität und zunehmende Verschmutzung), jedoch wurden diese durch intensive Investitionen in Sicherheitstechnik und -personal (Wachschutz) in den 1990er Jahren kompensiert. Zwischen 1998 und 2000 wurden innerhalb dieses Rahmens Investitionen von umgerechnet über 6,6 Millionen Euro getätigt.
Das Gesamtwerk wurde 2002 mit dem Renault Traffic Design Award für fortschrittliche Verkehrsarchitektur in der Kategorie ‚Historischer Award‘ ausgezeichnet.
Literatur
- Maria Welzig: Terrassenwohnungen als Autobahneinhausung. Das Berliner Wagnis Schlangenbader Straße. In: Gerhard Steixner, Maria Welzig (Hrsg.): Luxus für alle: Meilensteine im europäischen Terrassenwohnbau. Birkhäuser, Basel 2020, ISBN 978-3-0356-1880-8, S. 292–318.
Weblinks
- Projekt Schlangenbader Straße – Überbauung der Autobahn. Webseite des Architekten mit zeitgenössischen Fotografien, Zeichnungen und Modellen
- Durchlöcherte Schlange. In: Der Spiegel, 27. Oktober 1980.
- David Wagner: Gebirge mit Herzschlag. In: Der Tagesspiegel, 31. Juli 2011.
- Frank Gaeth: Wie Berlins gigantische Autobahnüberbauung „Schlange“ entstand – und verfiel. In: Berliner Zeitung, 23. November 2021
Einzelnachweise
- Warum die Berliner „Schlange“ jetzt Denkmalschutz genießt. In: Die Welt, 12. Dezember 2017.