Neobarock
Neobarock (auch: Neubarock oder Zweiter Barock) ist die Bezeichnung einer Stilrichtung in der Architektur, der Bildhauerei und mit Vorbehalten in der Musik (übergreifender musikalischer Stilbegriff: Neoklassizismus). Zunehmend wird der Begriff auch auf moderne Literatur angewendet.
Der Neobarock, eine Erscheinungsform des Historismus, wird der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zugeordnet. Er setzte um 1860 ein, verbreitete sich jedoch vor allem nach 1880. Napoleon III. schuf 1857 mit den Tuilerien und 1860 mit der Pariser Oper die ersten neobarocken Großbauten. In Bayern entstand das Schloss Herrenchiemsee, das den Spiegelsaal von Versailles nachgestaltete.
Neobarock wurde besonders gerne für Theatergebäude verwendet, da das Barock eine Hochblüte aller theatralischen Kunstgattungen mit sich gebracht hatte. In der Spätphase des Historismus trat die vorherige Orientierung an der Renaissance in den Hintergrund und Formen des Barocks wurden für vielfältige Bauaufgaben, teils auch für Villen und andere repräsentative Wohngebäude eingesetzt.
In Österreich war seine Verwendung „patriotisch“ konnotiert, da er an die Kulturblüte und politische Expansion des frühen 18. Jahrhunderts anknüpfte. In seiner Spätphase koexistierte er mit dem Jugendstil, den er teilweise beeinflusste.
Bauwerke
Profanbau
- Opéra Garnier in Paris, 1854–1874
- Theater Baden-Baden, 1860–1862
- Justizpalast in Brüssel, 1866–1879
- Schloss Linderhof, 1874–1878
- Staatsoper in Budapest, 1875–1884
- Neues Schloss Herrenchiemsee, 1878–1886
- Livingstonscher Pferdestall in Frankfurt am Main, 1880
- Palais Károlyi in Budapest, 1881–1883
- Palais Wenckheim in Budapest, 1886–1889
- Theater am Schiffbauerdamm in Berlin, 1891–1892 (vereinfacht wiederaufgebaut)
- Landestheater in Salzburg, 1892–1893
- Burgtheater in Wien, 1893–1894
- Hessisches Staatstheater in Wiesbaden, 1893–1894
- ehem. Generallandschaft in Stettin, 1891–1895
- Lustspieltheater (Vígszínház) in Budapest, 1886
- Hotel Monopol in Breslau, 1891–1892
- Neue Universität in Würzburg, 1892–1896
- Erbgroßherzogliches Palais (heute Bundesgerichtshof) in Karlsruhe, 1891–1897
- Opernhaus in Graz, 1898–1899
- Villa Thyssen in Mülheim an der Ruhr, 1899–1900
- Neue Hofburg in Wien, 1881–1914
- Deutsches Schauspielhaus in Hamburg, 1900
- ehemaliges Hauptpostamt (heute Postgalerie) in Karlsruhe, 1900
- ehemalige Augenklinik in Würzburg (heute Fraunhofer-Zentrum für Regenerative Therapien und Stammzellenprozesstechnik), 1898–1901[1]
- ehemalige Industrieschule (heute Deutsches Spielzeugmuseum) in Sonneberg, 1900–1901
- Opernhaus am Habsburgerring in Köln, 1899–1902 (teilzerstört und später abgebrochen)
- Schloss Loburg, 1900–1902
- Stadttheater Fürth, 1901–1902
- Adria-Palast der Adria-Reederei in Budapest, 1903
- Sächsische Staatskanzlei in Dresden, 1900–1904
- Bode-Museum in Berlin, 1897–1904
- Reichstags- und ehemaliges Reichsbankgebäude in Stockholm, 1897–1905
- Justizpalast in Schweinfurt, 1903–1905
- Leopold-Hoesch-Museum in Düren, 1905
- Büsing-Palais in Offenbach am Main, 1905
- ehemaliges Regierungsgebäude (heute Hauptgebäude der Europa-Universität Viadrina) in Frankfurt (Oder), 1898–1906
- Nürnberg Hauptbahnhof, 1900–1906
- ehemaliges Regierungsgebäude (heute Stadthaus) in Potsdam, 1902–1907
- Landeshaus in Wiesbaden, 1903–1907
- Festhalle in Frankfurt am Main, 1907
- Laeiszhalle in Hamburg, 1904–1908
- Oberpostdirektion in Augsburg, 1905–1908
- Justizpalast in München, 1905
- Amtsgericht Elberfeld (heute Wuppertal), 1906–1908
- Polizeiwache am Klingberg in Hamburg, 1906–1908
- Rathaus in Kassel, 1904–1909 (vereinfacht wiederaufgebaut)
- Rathaus in Bozen, 1907
- Charlottenburger Tor in Berlin, 1907–1908
- Ashton Memorial in Lancaster, 1907–1909
- Palatul Cantacuzino in Bukarest, 1909
- Bank für Thüringen in Meiningen, 1909–1910
- Oberlandesgericht in Köln, 1909–1911
- Villa Wolf in Zwickau, 1910–1911
- Sternwarte in Hamburg-Bergedorf, 1906–1912
- ehemaliges Kriegsministerium in Wien, 1909–1913
- Széchenyi-Bad in Budapest, 1913
- Villa Borsig auf der Insel Reiherwerder in Berlin-Reinickendorf, 1911–1913
- Herschelbad in Mannheim, 1912–1916
- Körnerpark in Berlin-Neukölln, 1912–1916
- Altes Stadthaus in Bonn, 1922–1925
- Schloss Christiansborg in Kopenhagen, 1907–1928
Sakralbau
- Ortaköy-Moschee in Istanbul, 1853–1856
- Turm der Dreikönigskirche in Dresden, 1854–1857
- Sint Nicolaaskerk in Amsterdam, 1884–1887
- St. Nikolaus in Siegenburg, 1892–1893
- Johanniskirche in Leipzig, 1894–1897 (kriegszerstört, um 1963 gesprengt)
- St. Joseph in München, 1898–1902
- Turm der Georgenkirche in Eisenach, 1899–1902
- Josephskirche in Basel, 1900–1902
- Matthäuskirche in Hamburg, 1900–1902
- Alte Synagoge in Potsdam, 1900–1903 (1938 zerstört)
- Kirche St. Fridolin in Mülhausen, 1901–1906
- Kirche St. Stephan in Kreuzlingen, 1903
- Schlosskirche Niedergösgen, 1903–1904
- Christuskirche in Mannheim, 1907–1911
- St. Anton in Passau, 1908–1910
- Thomaskirche in Wuppertal, 1909–1910
- Kirche St. Maurice in Freyming-Merlebach, 1911–1913
- St. Wolfgang in Haidhausen, 1915–1920
- Katholisches Redemptoristenkloster St. Klemens in Heiligenstadt, 1925–1927 (Architekt Adam Weinhag)
- Katholische Pfarrkirche Zu den Hl. Schutzengeln in Eichenau, 1926
- Katholische Pfarrkirche St. Paulus in Göttingen, 1927–1929 (Architekt Adam Weinhag)
Bildhauerei
Zur selben Zeit wie in der Architektur treten in der Bildhauerei neobarocke Tendenzen auf. Als Hauptvertreter des Neobarock gelten der Berliner Bildhauer Reinhold Begas und der Wiener Victor Tilgner.
Beispiele:
- Mendebrunnen in Leipzig (1883)
- Neptunbrunnen in Berlin (1886–1891)
- Siegesallee in Berlin (1895–1901)
- Mozart-Denkmal im Wiener Burggarten (1896)
Musik
In der Musik ist der Neobarock Teil des Neoklassizismus. Diese sich im frühen 20. Jahrhundert entwickelnde Kompositionsrichtung griff neben klassischen und romantischen auch spätbarocke Formen und Stilmittel auf.
Literatur und Film
Einige literarische Strömungen und Filmstile des 20. und 21. Jahrhunderts tragen neobarocke Züge. So spricht man insbesondere von einem lateinamerikanischen Neobarock.[2] Der Magische Realismus, aber auch viele Werke der Postmoderne tragen neobarocke Züge. Da alles bereits gesagt worden sei, können Bilder und Texte heute nur noch kombiniert, variiert, immer rascher gewechselt oder zitiert werden. Die Formenvielfalt und das Zitieren hätten ein Ausmaß angenommen, das vor wenigen Jahren noch unvorstellbar war, postuliert der italienische Sprachwissenschaftler und Semiotiker Omar Calabrese (1949–2012) und entwickelt eine Theorie der Poetik der Wiederholung.[3]
Weblinks
Einzelnachweise
- Umbau und Sanierung ‚Alte Augenklinik‘ Würzburg. Abgerufen am 27. September 2020.
- Nicolas Freund: Die härteste Faust in sueddeutsche.de, 5. März 2019.
- Omar Calabrese: Neo-Baroque: A Sign of the Times. Princeton UP 1992.