Kombinat Mikroelektronik Erfurt
Der VEB Kombinat Mikroelektronik Erfurt (kurz: KME) war ein Kombinat Volkseigener Betriebe in der DDR, das 1978 nach Auflösung der VVB Bauelemente und Vakuumtechnik (BuV) gegründet wurde. Stammbetrieb des Kombinats war das Funkwerk Erfurt (kurz: FWE), das 1983 den Namen VEB Mikroelektronik „Karl Marx“ (kurz: MME) erhielt. Die Gründung des Kombinats war ein Resultat des am 23./24. Juni 1977 vom ZK der SED gefassten Beschlusses „Zur weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des IX. Parteitages der SED auf dem Gebiet der Elektrotechnik und Elektronik“.
VEB Kombinat Mikroelektronik Erfurt (KME) | |
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Rechtsform | Volkseigener Betrieb |
Gründung | 1. Januar 1978 |
Auflösung | 28. Juni 1990 |
Auflösungsgrund | Umwandlung in eine AG (PTC-electronic AG) diese wurde bis 2004 liquidiert |
Sitz | Erfurt, Deutsche Demokratische Republik |
Leitung | zwei Generaldirektoren |
Mitarbeiterzahl | 60.000 (1989)[1] |
Branche | Elektrotechnik, Elektronik, Mikroelektronik, Hardware |
Das Kombinat Mikroelektronik Erfurt bildete zusammen mit dem Kombinat Elektronische Bauelemente Teltow, dem VEB Kombinat Robotron Dresden und dem Kombinat VEB Carl Zeiss Jena die industrielle Basis des Hochtechnologieprogramms der DDR im Bereich Elektronik.
Geschichte
Der erste Generaldirektor Heinz Wedler leitete das Kombinat bis November 1989, nach der Maueröffnung. Die größten Anstrengungen der Kombinatsleitung waren stetig darauf gerichtet, von Bauelementelieferungen aus dem Ausland unabhängig zu werden, insbesondere unter dem einschneidenden Embargo, und die Eigenbedarfsdeckung zu forcieren. Zugleich sollte der entstandene technologische Rückstand, den Experten mit rund drei bis acht Jahren hinter dem Weltniveau einschätzten, abgebaut werden. In der Anwendung der Elektronik in fertigen Produkten betrug der Rückstand sogar bis zu 15 Jahre.[2]
Zwischen November 1989 wurde dem vorherigen Stellvertretenden Generaldirektor Rainer Jüngel die Leitung übertragen, er führte das Kombinat bis zu seiner Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft. 17 der ehemaligen Betriebe wurden der AG als GmbH unterstellt. Diese arbeiteten jedoch nicht ökonomisch und nach einigem Hin und Her beschloss die Treuhandanstalt die Auflösung der PTC-electronic AG. Das gesamte ehemalige Kombinat zerfiel somit, ein paar Betriebe wurden privatisiert. Zur Liquidation der verbliebenen Strukturen setzte die Treuhand Rainer Jüngel als Verantwortlichen für die Abwicklung ein. Dieser Prozess war im Jahre 2004 abgeschlossen.[3]
Das Stammwerk des Kombinates wurde 1990 zur ERMIC GmbH, der Rest des Kombinates wurde in eine Treuhand-Holding (PTC-electronic-AG) überführt. Diese sollte die Privatisierung bzw. Abwicklung der einzelnen Kombinatsbetriebe realisieren. Einige erfolgreiche Unternehmensausgründungen aus dieser Zeit existieren noch heute (Stand: 2012). So entstand 1992 die Thesys Gesellschaft für Mikroelektronik mbH mit ca. 500 Mitarbeitern, welche sich hauptsächlich auf die Produktion von ASICs konzentrierte. Im selben Jahr bildete sich auch die X-FAB Gesellschaft zur Fertigung von Wafern mbH als ein Teilbetrieb der Firma Melexis N.V., die sich mit ca. 150 Mitarbeitern auf die Produktion von diversen CMOS-basierten integrierten Schaltungen spezialisierte. 1999 übernahm die belgische Holding-Gesellschaft ELEX N.V., zu der auch die Melexis-Gruppe und damit auch die X-FAB gehörte, die Thesys und führte beide Betriebe unter dem neuen Namen X-FAB Semiconductor Foundries GmbH zusammen. Bemerkenswert sind darüber hinaus weitere erfolgreiche Ausgründungen auf dem Gebiet der Anzeigetechnik/Optoelektronik, die bis 1990 vom Werk für Fernsehelektronik in Berlin-Oberschöneweide dominiert worden war.
Bedeutung
Von der Forschung bis zur Produktion von aktiven elektronischen Bauelementen und ihre Anwendung in Erzeugnissen
Der Schwerpunkt des Kombinats Mikroelektronik Erfurt lag innerhalb des Technologieprogrammes vor allem in der Halbleiterfertigung. Im Rahmen des RGW war das Kombinat somit auch führend an der Entwicklung/Produktion von Mikroprozessoren, Einchip-Mikrorechnern und komplexen Speicherschaltkreisen beteiligt. Das Kombinat hatte vor seiner Auflösung 60.000 Beschäftigte.
Zur industriellen Halbleiterfertigung entstanden drei moderne Chipfabriken (Geodaten ) am Standort Erfurt Süd-Ost (ESO):
- ESO I: Baubeginn 1981, Fertigstellung 1984
- ESO II: Fertigstellung 1988
- Die Inbetriebnahme von ESO III fiel 1989/1990 in die Wendezeit der DDR
Das Werk ESO III war für die Massenproduktion von Schaltkreisen mit Strukturbreiten von 1–1,2 µm vorgesehen: Technologieniveau 5 (VLSI), 32-Bit-Prozessor (U80701), 1-Mbit- bis 4-Mbit-DRAM (Megabitchips). Die Waferproduktion von ESO III begann im Jahr 1990 bereits „unter der Treuhand“ und somit während der beginnenden Auflösung des Kombinates.
Der westliche CoCom-Technologieboykott hatte die Mitgliedsländer des RGW vom Markt für westliche Hochtechnologie abgeschnitten und sie somit gezwungen, alle modernen Technologien vollständig innerhalb der eigenen Volkswirtschaften zu entwickeln. Obwohl die DDR das Embargo durch Einschaltung von Mittelsmännern teilweise umgehen konnte und dem Bereich Mikroelektronik ab Ende der siebziger Jahre überdurchschnittliche finanzielle, personelle und materielle Mittel zugeführt worden waren, gelang es der DDR-Volkswirtschaft mit dem Kombinat Mikroelektronik Erfurt letztlich nicht, den Entwicklungsrückstand gegenüber den weltweit führenden Halbleiterherstellern von durchschnittlich ein bis zwei Bauteilgenerationen aufzuholen.
Zur Unterstreichung der Bedeutung der Chipentwicklung schuf der Weimarer Bildhauer Eberhard Reppold (1924–2013) eine Metallskulptur. Diese erhielt den Titel Hand mit chip und wurde vor dem Eingang zum Stammbetrieb in Erfurt platziert.
Entwicklungen (Auswahl)
Die Entwickler im Stammbetrieb in Erfurt hatten 1977 den ersten Mikroprozessor der DDR (U808) entwickelt, der dem Intel 8008 entsprach. Das Werk produzierte die meisten CPUs der DDR. So wurde auch die in der DDR sehr verbreitete 8-Bit-CPU U880 (unlizenzierter Zilog-Z80-Nachbau, beispielsweise im PC 1715 oder in den Kleincomputern KC 85/2-4) ab 1980 in Erfurt hergestellt.
Den Herstellern in den USA und anderen westlichen Industrienationen war in großen Zügen bekannt, dass die sozialistischen Länder mit Technikanspruch Industriespionage betrieben. Wie sonst wäre erklärlich, dass innerhalb eines Mikroprozessorchips ein russischer Text verborgen war mit der Frage, wann der Klau aufhören würde.[4]
Ab 1984 wurde ein Nachbau des Zilog Z8000 unter der Bezeichnung MME U8000 produziert.[5] Diese 16-Bit-CPU kam beispielsweise im P8000 vom VEB Elektro-Apparate-Werke Berlin-Treptow zum Einsatz. In den 16-Bit-Computern von Robotron, A 7150 und EC 1834, wurden hingegen sowjetische CPUs К1810ВМ86 (Intel 8086) eingesetzt.
1986 begann die Nachentwicklung des Intel-80286 als U80601, der 1989 in die Produktion ging und im EC 1835 zur Anwendung kommen sollte.
Die im August 1989 als Funktionsmuster präsentierte und für die Massenproduktion in Erfurt vorgesehene 32-Bit-CPU U80701 (für den MicroVAX-II-Nachbau RVS K 1820) wurde jedoch nach dem Ende der DDR nicht mehr in die Produktion im neuesten Werk ESO III überführt.
- Lerncomputer LC80
- Kleincomputer KC 85/2-4 – im VEB Mikroelektronik „Wilhelm Pieck“ Mühlhausen als Konsumgut hergestellt
- Konkret 100, Taschenrechner
Generaldirektoren
- Heinz Wedler 1978–11/1989
- Gerhard Rainer Jüngel 12/1989–10/1990 bis zur Auflösung[3]
Liste der Kombinatsbetriebe
Kombinatsadresse: 5010 Erfurt, Juri-Gagarin-Ring 154 (Geodaten )
- VEB Mikroelektronik „Karl-Marx“ Erfurt (Rudolfstraße 47), Stammwerk (MME), früher Funkwerk Erfurt (FWE)
- entwickelte und produzierte unipolare Schaltkreise sowie Computer wie den BSP-12
- VEB Halbleiterwerk Frankfurt (Oder) (HFO)
- entwickelte und produzierte bipolare und unipolare Schaltkreise sowie mit dem BSS 01 die einzige Spielekonsole der DDR
- VEB Mikroelektronik „Anna Seghers“ Neuhaus am Rennweg (Thomas-Mann-Straße 2), früher Röhrenwerk Neuhaus am Rennweg (RWN)
- entwickelte und produzierte Transistoren
- Import Sonderbauelemente, Applikationen, Informationsleitstelle; Bauelementestrategie
- VEB Zentrum für Forschung und Technologie Mikroelektronik Dresden (ZFTM) – 1986 erfolgte die Übernahme durch das Kombinat Carl Zeiss Jena
- entwickelte und produzierte Schaltkreise auf Basis GateArray- und Standardzellentechnologie sowie technologische Spezialausrüstungen
- VEB Röhrenwerk Rudolstadt
- Hersteller von Röntgenröhren
- VEB Mikroelektronik „Karl Liebknecht“ Stahnsdorf (Ruhlsdorfer Weg)
- entwickelte und produzierte Leistungselektronik
- VEB Mikroelektronik „Robert Harnau“ Großräschen (Karl-Liebknecht-Straße 1), früher Gleichrichterwerk Großräschen
- entwickelte und produzierte Dioden
- VEB Werk für Fernsehelektronik Berlin (WF) (Berlin-Oberschöneweide: Ostendstraße 1–5)
- entwickelte und produzierte Fernsehbildröhren, Senderöhren, optoelektronische Bauelemente
- VEB Mikroelektronik "Wilhelm Pieck" Mühlhausen (Eisenacher Straße 40)
- produzierte Taschenrechner, darunter den Schultaschenrechner SR1 und die Kleincomputer KC 85/2-4, außerdem Halbleiterdioden und Reed-Kontakte.
- VEB Uhrenwerke Ruhla, einschließlich Festkörperschaltkreis-Produktion, Digitaluhren und Maschinenfabrik (heute MAHO)
- VEB Uhrenwerk Glashütte
- VEB Uhrenwerk Weimar
- VEB Plastverarbeitung Eisenach
- diese bildeten den „Leitbereich Uhren“
- VEB Elektroglas Ilmenau
- Hersteller von Gehäusen für Transistoren, Dioden und Schaltkreise
- VEB Secura Berlin
- VEB Elektromat Dresden
- Hersteller von Produktionsanlagen für Bauelemente der Elektronik
- 1986 in das Kombinat Carl Zeiss Jena eingegliedert.
- VEB Hochvakuum Dresden
- dieser Betrieb war auf Beschichtungs- und Bedampfungsanlagen spezialisiert
- 1986 in das Kombinat Carl Zeiss Jena eingegliedert.
- VEB Feinwerktechnik Dresden
- VEB Spurenmetalle Freiberg
- Hersteller von Einkristallen für die Mikroelektronik
Literatur
- Peter Salomon: Die Geschichte der Mikroelektronik-Halbleiterindustrie in der DDR. Funk-Verlag Hein, Dessau 2003, ISBN 3-936124-31-0.
- Friedrich Naumann, Gabriele Schade (Hrsg.): Informatik in der DDR – eine Bilanz. Gesellschaft für Informatik, Bonn 2006, ISBN 978-3-88579-420-2.
- Reinhardt Balzk, Jürgen Leibiger (Hrsg.): Industriegeschichte der Stadt Dresden 1945–1990: Beiträge zum 800. Stadtjubiläum. GNN-Verlag, Schkeuditz 2007, ISBN 978-3-89819-257-6.
Weblinks
- Staatsauftrag: „Höchstintegration“. Thüringen und das Mikroelektronikprogramm der DDR
- Kombinat Mikroelektronik, Erfurt-Enzyklopädie, Wiki (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive)
- Weitergehende Informationen zu den einzelnen Kombinatsbetrieben
- Ende der Illusion, Ausführlicher Artikel im Der Spiegel vom 1. Januar 1990.
- Technische Literatur aus dem Kombinat Mikroelektronik im Katalog der DNB
Einzelnachweise
- Zeitreise: Erfurt, Kombinat Mikroelektronik Erfurt, kurzes Video (1:30 Min.) auf www.mdr.de.
- Spiegel: Ende der Illusion [...]
- Kombinatsdirektoren erzählen. Im Erzählsalon, 12. September 2013; abgerufen am 3. Juni 2018.
- Wann hört ihr endlich auf, zu klauen? auf www.deutsches-museum.de. Abgerufen am 2. Juni 2018.
- Frank Meinecke: 16-bit Mikroprozessor U 8000. In: VEB Verlag Technik Berlin (Hrsg.): Radio Fernsehen Elektronik. 34, Nr. 11, 1985, ISSN 0033-7900, S. 687-691.