Fliegermorde
Als Fliegermorde wird die völkerrechtswidrige Tötung abgeschossener oder notgelandeter alliierter Flugzeugbesatzungen in der Endphase des Zweiten Weltkrieges bezeichnet. Die überwiegende Zahl der Täter waren lokale Funktionäre der NSDAP sowie Angehörige der Kriminal- und der Geheimen Staatspolizei. In manchen Quellen werden mehr als 300 Fälle von Morden und (in wenigen Fällen) verweigerter Hilfe dokumentiert.[1] Nach Kriegsende wurden Beteiligte in den Fliegerprozessen vor alliierte Militärgerichte gestellt und abgeurteilt. Über 150 der Angeklagten wurden hingerichtet.[2]
„Lynchmorde“ an alliierten Fliegern
Während die 1940/41 durchgeführten Luftangriffe des britischen RAF Bomber Command auf Deutschland und die deutsch besetzten Gebiete Westeuropas noch kaum nennenswerte Erfolge, dafür aber hohe Verluste an Maschinen und Besatzungen zur Folge hatten, wurde die Strategie seit der Amtsübernahme des neuen Kommandeurs Arthur Harris Anfang 1942 geändert. Man ging seit Mai 1942 zu nächtlichen Flächenbombardements mit großen Verbänden von bis 1000 Bombern über. Es wurde darauf abgezielt, nach Möglichkeit Stadtzentren in Brand zu setzen. Das mit stetig verbesserten Flugzeugmustern und Zielverfahren ausgerüstete RAF Bomber Command wurde ab Juni 1943 verstärkt durch die Bomber der United States Army Air Forces (8th Air Force). Zusätzlich zur Hauptbasis der Bomber in Ostengland stand den Alliierten ab Herbst 1943 der große Flugplatzkomplex von Foggia in Unteritalien zur Verfügung, wo die kleinere 15th Air Force basiert wurde. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und mitunter hohen Verlusten bis Frühjahr 1944 war ab Mitte 1944 allmählich eine weitgehende alliierte Lufthoheit erreicht. In der Regel griffen die britischen Verbände nachts und die US-amerikanischen tagsüber an, wobei man auf amerikanischer Seite im Prinzip anstrebte, weniger ganze Stadtareale und Wohngebiete, als Punktziele (Industrien, Verkehrsanlagen usw.) zu zerstören.
Die Behandlung von Flugzeugbesatzungen, die über feindlichem Gebiet abgeschossen wurden oder auf Grund technischer Defekte notlanden mussten, war in der Haager Landkriegsordnung von 1907 und im Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen von 1929 festgelegt. Beide internationale Abkommen waren vom Deutschen Reich anerkannt worden und blieben bis Kriegsende de jure in Kraft.[3] Zur Behandlung von Kriegsgefangenen hieß es in der Genfer Konvention: „Sie müssen jederzeit mit Menschlichkeit behandelt und insbesondere gegen Gewalttätigkeiten, Beleidigungen und öffentliche Neugier geschützt werden. Vergeltungsmaßnahmen an ihnen auszuüben ist verboten.“[4]
NS-Führung und Fliegermorde
Im Oktober 1942 erteilte Hitler den „Kommandobefehl“, sogenannte „Sabotagetrupps der Briten und ihrer Helfershelfer“, auch wenn sie anhand ihrer Uniformen als Soldaten erkennbar oder unbewaffnet waren, „im Kampf oder auf der Flucht bis zum letzten Mann niederzumachen“.[5] Der „Kommandobefehl“ bezog sich nicht auf feindliche Piloten und Flugzeugbesatzungen, die den Abschuss oder die Notlandung ihrer Flugzeuge überlebten.
Heinrich Himmler als Reichsführer SS äußerte in einer Weisung vom 10. August 1943, es sei „nicht Aufgabe der Polizei, sich in Auseinandersetzungen zwischen deutschen Volksgenossen und abgesprungenen englischen und amerikanischen Terrorfliegern einzumischen“.[6] Die Weisung erging an die Befehlshaber der Ordnungspolizei (BdO) und Sicherheitspolizei (BdS) und sollte nachgeordneten Dienststellen sowie den Gauleitern der NSDAP mündlich zur Kenntnis gebracht werden. Ernst Kaltenbrunner, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, bekräftigte diese Weisung am 5. April 1944 und gab bekannt, dass Himmler für Personen, die sich aus „falsch verstandenem Mitleid gegenüber gefangengenommenen feindlichen Fliegern würdelos verhalten“,[7] in leichten Fällen „Schutzhaft“ nicht unter 14 Tagen, in schweren Fällen Einweisung in ein Konzentrationslager angeordnet habe. Seitens der NSDAP ließ Martin Bormann Ende Mai 1944 in einem geheimen Rundschreiben an die Reichsleiter, Gauleiter und Kreisleiter der Partei wissen:
„Englische und nordamerikanische Flieger haben in den letzten Wochen wiederholt im Tiefflug auf Plätzen spielende Kinder, Frauen und Kinder bei der Feldarbeit, pflügende Bauern, Fuhrwerke auf der Landstraße, Eisenbahnzüge usw. aus geringer Höhe mit Bordwaffen beschossen und dabei auf gemeinste Weise wehrlose Zivilisten – insbesondere Frauen und Kinder – hingemordet.
Mehrfach ist es vorgekommen, daß abgesprungene oder notgelandete Besatzungsmitglieder solcher Flugzeuge unmittelbar nach der Festnahme durch die auf das äußerste empörte Bevölkerung an Ort und Stelle gelyncht wurden.
Von polizeilicher und strafgerichtlicher Verfolgung der dabei beteiligten Volksgenossen wurde abgesehen.“[8]
Bormanns Rundschreiben sollte mündlich den Ortsgruppenleitern zur Kenntnis gegeben werden. Der Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann bestätigte im Nürnberger Prozess, es gehe „klar aus dem Wortlaut“[9] des Rundschreibens hervor, dass zur Nichteinmischung beim Lynchen von Fliegern ermutigt werden sollte. Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, sprach im Juli 1944 von „Selbsthilfe der Bevölkerung“ und hielt es für parteiisch, wenn Soldaten alliierte Flieger schützen würden: „Kein deutscher Volksgenosse kann für ein solches Verhalten unserer bewaffneten Macht Verständnis haben“, so Keitel.[10] Noch im Februar und März 1945 gab der südwestfälische Gauleiter Albert Hoffmann einen Befehl heraus, der alliierte Piloten dem „Volkszorn“ ausliefern sollte.[11]
Zahlen und Täter
Die genaue Zahl der Morde an alliierten Fliegern ist nicht bekannt. Nachgewiesen sind 225 Fälle, die Gesamtzahl wird auf 350 geschätzt.[12] Weitere 60 Flieger wurden misshandelt, ohne dabei zu Tode zu kommen. Auch in Österreich wurden mindestens 100 Flieger gelyncht.[13] Die ersten dokumentierten Fälle ereigneten sich im Zusammenhang mit den Bombenangriffen auf Hamburg, der „Operation Gomorrha“, am 25. Juli 1943 in der Nähe von Lübeck. Für den Juli 1944 sind 24 Fälle von Tötungen und elf Misshandlungen dokumentiert. Bis Januar 1945 sanken die Zahlen leicht, die meisten Fälle traten im März 1945 mit 37 Morden und zwei Misshandlungen auf. Regionale Schwerpunkte waren Hessen, die Gegend südlich von Wolfsburg und das Ruhrgebiet. Im Ruhrgebiet häuften sich die Fälle nicht während des Höhepunktes der britischen Luftangriffe zwischen März und Juli 1943 („Battle of the Ruhr“), sondern im Oktober 1944.
Hinsichtlich der Täter lassen sich zwei Hauptgruppen erkennen: Lokale Vertreter der NSDAP und Angehörige von Kriminalpolizei und Gestapo.[14] Insbesondere NSDAP-Kreisleiter und ihre Vertreter waren unmittelbar an den Fliegermorden beteiligt. Bei Angehörigen der Polizei sind die meisten Täter in den Reihen der Kriminalpolizei und Gestapo zu finden. Ortspolizisten waren in Einzelfällen für Tötungen verantwortlich, häufiger für Misshandlungen unmittelbar nach Festnahme. In vereinzelten Fällen wurden die Morde von Soldaten der Wehrmacht verübt. Die örtliche Bevölkerung war bei einer Reihe von Fliegermorden beteiligt. Hier sind Fälle von Übergriffen durch einen „wütenden Mob“ wie auch die Exzesstaten Einzelner dokumentiert. Die Historikerin Barbara Grimm kommt zu folgender Einschätzung:
„Die Übergriffe auf abgestürzte alliierte Flieger waren im Regelfall keine Racheakte für unmittelbar vorangegangene Bombenangriffe. Aufgestachelt durch die Vergeltungspropaganda des Regimes dienten die Angriffe letztlich vor allem als willkommene Anlässe, um der wachsenden Brutalisierung und Radikalisierung ein Ventil zu geben. Täter waren in der Regel nationalsozialistische Funktionsträger, die keine Scheu davor hatten, selbst Hand anzulegen. Der Lynchmord im Sinne sich selbstmobilisierender Kommunen und Stadtviertel war dagegen die Ausnahme.“[15]
Beispiele
Auf Anordnung des NSDAP-Kreisleiters Benedikt Kuner wurden am 21. Juli 1944 in Schollach im Hochschwarzwald fünf amerikanische Flieger nach einem Fallschirmabsprung erschossen.[16][17]
Im Saarland ordnete der Saarbrücker Polizeipräsident Fritz Dietrich im August 1944 die Erschießung abgesprungener amerikanischer Piloten an. Die Flieger befanden sich im Gewahrsam mehrerer Polizeireviere, wurden von Angehörigen der 85. SS-Standarte abgeholt und in den Wäldern erschossen.[18]
Bei den Fliegermorden auf der Nordseeinsel Borkum wurden am 4. August 1944 sieben Angehörige der Besatzung eines notgelandeten US-Bombers von Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes mit Schaufeln geschlagen, ehe ein unbeteiligter deutscher Soldat die gesamte Besatzung mit seiner Pistole erschoss. Die Wachen der Marine schritten nicht ein.[19] Seit 2003 gibt es einen Gedenkstein. Bei der offiziellen Feierstunde waren zwei ehemalige Besatzungsmitglieder des Bombers anwesend. Diese beiden hatten überlebt, weil sie vor der Notlandung des Flugzeuges abgesprungen waren.[20]
In Rüsselsheim wurden am 26. August 1944 sechs US-Flieger ermordet, zwei weitere wurden schwer verletzt. Die Piloten waren zuvor über Norddeutschland abgeschossen worden und sollten per Eisenbahn in das Durchgangslager Oberursel gebracht werden. In der Nacht zuvor hatte die Royal Air Force einen schweren Bombenangriff auf Rüsselsheim geflogen, der u. a. die dortige Eisenbahnstrecke unterbrach. Deshalb wurden die US-Piloten zu Fuß durch die Stadt geführt. Die deutschen Wachsoldaten schritten nicht ein, als die Gefangenen mit Steinen und Dachziegeln beworfen und mit Knüppeln, Schaufeln und Hämmern geschlagen wurden. Als die Gefangenen regungslos am Boden lagen, erschoss der NSDAP-Ortsgruppenleiter vier von ihnen. Zwei Fliegern gelang später schwerverletzt die Flucht, da sie sich tot gestellt hatten. Berufe der Täter waren Hausfrau, Arbeiter, Bauer und Wirt. Fünf der Täter wurden am 10. November 1945 im Gefängnishof von Bruchsal gehenkt. Am 31. August 2004 wurde in Rüsselsheim ein Mahnmal zur Erinnerung an die Morde eingeweiht.[21]
Am 10. September 1944 wurde der USAAF-Jagdflieger Major John R. Reynolds über Ingolstadt abgeschossen. Zur Vermeidung ziviler Opfer zog er mit seiner abstürzenden P-51 „Mustang“ noch über ein Wohnhaus weg und stieg erst in 50 Meter Höhe mit dem Fallschirm aus. Bei der Landung verletzte er sich leicht und wurde von der Polizei gefangen genommen. Unter einem Vorwand ließ sich der Ingolstädter NSDAP-Kreisleiter Georg Sponsel, ein fanatischer Nazi, den Kriegsgefangenen übergeben und erschoss ihn.[22]
Ungefähr am 29. September 1944 wurde ein amerikanischer Flieger kurz nach seiner Landung per Fallschirm bei Bad Neustadt an der Saale aufgegriffen und in die örtliche Polizeistation von Bastheim gebracht. Am gleichen Tag wurde der Flieger vom NSDAP-Kreisleiter und seinem Stellvertreter abgeholt und wenig später von hinten erschossen, so dass behauptet werden konnte, der Amerikaner sei „auf der Flucht erschossen“ worden.[23]
Cyril William Sibley, ein 21-jähriger Sergeant der Royal Air Force, überlebte im Februar 1945 den Abschuss seines Flugzeuges über der nördlichen Vorderpfalz bei Dirmstein. Er wurde wenig später vom Dirmsteiner NSDAP-Ortsgruppenleiter Adolf Wolfert erschossen. Wolfert und weitere Tatbeteiligte wurden 1946 von einem britischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. Seit 2009 erinnert in Dirmstein ein Stolperstein an Sibley.[24]
Am 5. November 1944, nach dem Großangriff auf Solingen, sollten vier alliierte Soldaten in kanadischer Uniform – Ernest Crossley, Jack Lupinsky, Allan Gilchrist Samuel und Matthew Dorrell –, die am 2. November bei einem Angriff abgestürzt waren, zum Verhör nach Düsseldorf überstellt werden. Vor dem Solinger Stadthaus wurde die kleine bewachte Gruppe von SA-Männern, Wehrmachtssoldaten und Zivilisten entdeckt. Aus der Menge heraus wurde auf die Kriegsgefangenen geschossen, und alle vier Gefangenen starben noch auf der Straße. Andere Passanten warfen Steine auf die sterbenden Soldaten und traten auf deren Körper. Zwei Täter wurden 1947 vor einem britischen Militärgericht angeklagt: Der SA-Führer Erich Wilinski wurde zum Tode und der Soldat Hans Kühn zu 20 Jahren Haft verurteilt. Wilinski wurde später zu 20 Jahren Haft begnadigt und wie Hans Kühn 1957 aus dem Kriegsverbrechergefängnis Werl entlassen.[25]
Zwischen dem 27. Oktober und dem 10. Dezember 1944 wurden bei Gladenbach und Oberlemp in Mittelhessen drei namentlich bekannte britische Flieger, die nach dem Luftangriff auf Gießen am 6. Dezember 1944 aus ihren abgeschossenen Maschinen abgesprungen waren, von Polizisten erschossen, ferner ein US-amerikanischer Pilot (Fliegermorde im Marburger Hinterland 1944).[26][27]
In Graz in Österreich wurden vier Flieger eines kanadischen Bombers am 4. März 1945 von Angehörigen der SS und des Volkssturms gelyncht. Als Schutzpolizisten ihre Dienstwaffen zogen, ließ die Menschenmenge vom fünften Besatzungsmitglied ab. Den Befehl ihres Kommandeurs, den Flieger zu erschießen, unterliefen die Polizisten durch Vortäuschen einer Exekution. Der Gefangene konnte entkommen.[28]
Fliegerprozesse
Nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht gehörten die Prozesse um die Tötung und Misshandlung alliierter Flieger zu den ersten von alliierten Militärgerichten in Deutschland durchgeführten Strafverfahren. Allein in den Dachauer Prozessen – benannt nach dem Verhandlungsort auf dem als Internierungslager genutzten Gelände des einstigen Konzentrationslagers – wurden 200 Verfahren durchgeführt.[29] Vor britischen und kanadischen Gerichten fanden bis zum 1. Mai 1947 27 Verfahren statt. Mehrere Fliegermorde wurden in den Curiohaus-Prozessen verhandelt.[30] Acht Verfahren wurden in der SBZ oder DDR durchgeführt.[12]
In den in Dachau vor amerikanischen Militärgerichten verhandelten Fällen wurde den Angeklagten die Verletzung internationalen Rechts, namentlich der Haager Landkriegsordnung von 1907 und der Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen von 1929, vorgeworfen. Weiterhin wurde der Anklagevorwurf des „Common Design“ – eines gemeinsamen Plans oder Vorhabens zur Begehung von Verbrechen – erhoben.[31] Die Urteile der Militärgerichte konnten auf Antrag überprüft werden. Hierzu bestand ein sogenanntes Review Board der US-Armee, das die Urteile überprüfte und entsprechende Empfehlungen an den amerikanischen Oberbefehlshaber in Europa aussprach. Diesem stand das Recht zu, die Urteile zu ändern oder zu bestätigen. Die Überprüfung der Urteile war dem Gnadenrecht ähnlicher als einer Revision.[32]
Besondere Bedeutung kam dem Verfahren gegen den SS-Obergruppenführer Jürgen Stroop und 20 Mitangeklagte vom 10. Januar bis zum 21. März 1947 zu.[33] In diesem Verfahren wurden verschiedene Übergriffe auf Flieger in Hessen zusammen verhandelt. Stroop stand als Höherer SS- und Polizeiführer (HSSPF) „Rhein-Westmark“ vor Gericht; weitere Angeklagte waren Angehörige der SS und der Gestapo. Anordnungen und Weisungen wie die Himmlers vom 10. August 1943 waren Verhandlungsgegenstand und waren für das Militärgericht der Grund für die Annahme eines „Common Design“. Zudem wurden in dem Verfahren Hierarchien sowie Dienst- und Befehlswege erörtert. Die Angeklagten beriefen sich häufig darauf, auf höheren Befehl gehandelt zu haben, und bestätigten die eigene Kenntnis von Befehlen zur Tötung von Fliegern. 13 Angeklagte wurden zum Tode verurteilt; drei dieser Strafen wurden später in lebenslange Haft umgewandelt. Die anderen Angeklagten erhielten Haftstrafen zwischen drei und 15 Jahren Gefängnis. Der zum Tode verurteilte Jürgen Stroop wurde an Polen ausgeliefert, dort als Verantwortlicher für die Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto erneut zum Tode verurteilt und 1952 hingerichtet. Die zu Haftstrafen Verurteilten wurden vorzeitig freigelassen.
Der Ingolstädter Kreisleiter Sponsel wurde 1947 verurteilt und hingerichtet.
In weiteren Fliegerprozessen wurde der mecklenburgische NSDAP-Gauleiter Friedrich Hildebrandt in Dachau am 31. Mai 1947 zusammen mit weiteren Parteifunktionären seines Gaus zum Tode verurteilt. Auf Grund ihrer Anordnungen waren in vier Fällen gefangengenommene Flieger getötet worden.[34] Der ehemalige Polizeichef von Langenselbold, Alfred Bury, wurde am 15. Juli 1945 zusammen mit fünf weiteren Angeklagten zum Tode verurteilt. Bury hatte im Dezember 1944 die Tötung eines abgesprungenen US-Piloten angeordnet. Unter den Mitangeklagten waren Polizisten, die den Flieger in einem nahegelegenen Waldstück erschossen hatten, sowie Vorgesetzte Burys, die entsprechende, allgemein gehaltene Befehle erteilt hatten.[35] Am 30. Oktober 1947 wurde der Mediziner Alois Grisl zu lebenslanger Haft verurteilt. Grisl hatte sich im Juli 1944 geweigert, einen in Oberösterreich bei Molln abgeschossenen amerikanischen Piloten medizinisch zu versorgen. Der Schwerverletzte starb. Das Urteil gegen Grisl wurde später einer Überprüfung unterzogen und auf 15 Jahre Haft reduziert.[36] Im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg wurden insgesamt 82 Todesurteile gegen die in den amerikanischen Prozessen Verurteilten vollstreckt.[37]
Zu den wegen ihrer Beteiligung an den Fliegermorden Hingerichteten gehörte auch Eberhard Schöngarth. Der Teilnehmer der Wannseekonferenz wurde im Februar 1946 von einem britischen Militärgericht wegen der Erschießung eines alliierten Piloten im November 1944 bei Enschede zum Tode verurteilt und im Zuchthaus Hameln hingerichtet.[38]
Der General der Flakartillerie August Schmidt wurde 1947 wegen der Weitergabe von Befehlen, dass gefangene alliierte Piloten von ihren deutschen Bewachern nicht zu schützen seien, verurteilt. Die lebenslange Haftstrafe wurde in der Berufung auf zehn Jahre reduziert.
Italien und Japan
Im Oktober 1935 überfiel das faschistische Italien das Kaiserreich Abessinien und eroberte das Land im Rahmen einer grausamen Kriegsführung. Propagandistisch ausgeschlachtet wurde von italienischer Seite das Schicksal der italienischen Piloten Tito Minniti und Livio Zannoni, die nach einer Notlandung ihres Aufklärungsflugzeugs – vermutlich von aufgebrachten Dorfbewohnern – getötet wurden. Die italienische Propaganda verbreitete verschiedene, teils widersprüchliche Berichte über ihr grausames Schicksal; die tatsächlichen Umstände ihres Todes ließen sich beim Auffinden der Leichen nicht mehr aufklären.[39]
Drei der gefangenen acht amerikanischen Flieger, die 1942 an dem Doolittle Raid genannten Luftangriff auf Tokio teilgenommen hatten, wurden auf Befehl der japanischen Führung in der besetzten Stadt Shanghai hingerichtet.
Literatur
- Georg Hoffmann: Fliegerlynchjustiz. Gewalt gegen abgeschossene alliierte Flugzeugbesatzungen 1943–1945. (Krieg in der Geschichte Bd. 88). Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2015, ISBN 978-3-506-78137-6.
- Ralf Blank: „… der Volksempörung nicht zu entziehen“. Gauleiter Albert Hoffmann und der „Fliegerbefehl“. In: Märkisches Jahrbuch für Geschichte 98 (1998), S. 255–296.
- Barbara Grimm: Lynchmorde an alliierten Fliegern im Zweiten Weltkrieg. In: Dietmar Süß (Hrsg.): Deutschland im Luftkrieg. Geschichte und Erinnerung. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2007, ISBN 3-486-58084-1, S. 71–84.
- Georg Hoffmann / Nicole-Melanie Goll: Mechanismen der Gewaltentgrenzung. Analysen von Tätergruppen und Dimensionen von Täterschaft der sogenannten NS-Fliegerlynchjustiz am Beispiel von Graz In: Ursula Mindler u. a. (Hrsg.): Zonen der Begrenzung. transcript Verlag, Graz 2012, ISBN 978-3-8376-2044-3, S. 237–251.
- Klaus-Michael Mallmann: „Volksjustiz gegen anglo-amerikanische Mörder.“ Die Massaker an westalliierten Fliegern und Fallschirmspringern 1944/45. In: Alfred Gottwaldt, Norbert Kampe, Peter Klein (Hrsg.): NS-Gewaltherrschaft. Beiträge zur historischen Forschung und juristischen Aufarbeitung. (= Publikationen der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz; Bd. 11). Edition Hentrich, Berlin 2005, ISBN 3-89468-278-7, S. 202–213.
- August J. Nigro: Wolfsangel. A German city on trial, 1945–1948. Brassey, Washington D.C. 2000, ISBN 1-57488-245-7 (über die Fliegermorde in Rüsselsheim und den Nachkriegsprozess).
- Robert Sigl: Im Interesse der Gerechtigkeit. Die Dachauer Kriegsverbrecherprozesse 1945–1948. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-593-34641-9.
- Hans Michael Kloth: Systematischer Mord. In: Der Spiegel. Nr. 47, 2001, S. 47 f. (online).
Weblinks
- Forschungsprojekt „Fliegermorde in Österreich“ an der Karl-Franzens-Universität Graz
- Review of Proceedings (englisch) Dokumente zur Überprüfung der Urteile in den Fliegerprozessen durch die Review Boards der US-Armee
- Fliegerlynchmord in Gelsenkirchen gelsenzentrum.de
Einzelnachweise
- "... chronologische Auflistung der Fälle sowie alphabetische Auflistung der Tatorte ..." (Memento vom 28. Mai 2007 im Internet Archive) – Archivseite von flieger-lynchmorde.de.
- Hans Michael Kloth: Systematischer Mord. In: Der Spiegel. Nr. 47, 2001, S. 47 f. (online).
- Mallmann: „Volksjustiz“. 2005, S. 202. Die Haager Landkriegsordnung war im Reichsgesetzblatt von 1910 (S. 134) veröffentlicht worden; das Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929 im Reichsgesetzblatt 1934, Teil 2, S. 227 ff. (Scan bei der Österreichischen Nationalbibliothek).
- Reichsgesetzblatt 1934, Teil 2, S. 233.
- zitiert nach Grimm: Lynchmorde. 2007, S. 77.
- Rundschreiben Himmlers an die Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) vom 10. August 1943 (Nürnberger Dokument R-110), zitiert bei Grimm: Lynchmorde. 2007, S. 79. Himmlers Rundschreiben wurde auch bei der Vernehmung des Hamburger Gauleiters Karl Kaufmann im Nürnberger Prozess zitiert. Siehe Protokoll der Verhandlung vom 30. Juli 1946, Nachmittagssitzung, S. 62 bei www.zeno.org.
- Runderlass vom 5. April 1944 (Nürnberger Dokument PS-3855), zitiert bei Mallmann: „Volksjustiz“. 2005, S. 206.
- Geheimes Rundschreiben der Parteikanzlei vom 30. Mai 1944 (Nürnberger Dokument PS-057), zitiert im Protokoll des Nürnberger Prozesses, Verhandlung vom 30. Juli 1946, Nachmittagssitzung, S. 63 bei www.zeno.org. Siehe auch Grimm: Lynchmorde. 2007, S. 79.
- Aussage Kaufmanns im Nürnberger Prozess, Verhandlung vom 30. Juli 1946, Nachmittagssitzung, S. 63 bei www.zeno.org. Siehe auch Grimm: Lynchmorde. 2007, S. 79.
- Überliefert in einem Runderlass der Luftgaukommandos VI/Ia (Nürnberger Dokument NOKW-3060), zitiert bei Mallmann: „Volksjustiz“. 2005, S. 207.
- Ralf Blank, Gauleiter Albert Hoffmann und sein Fliegerbefehl.
- Zahlenangaben bei Grimm: Lynchmorde. 2007, S. 75 f.
- Vergessene Episode: Gelynchte Piloten science.orf.at, abgerufen am 16. April 2015.
- Zu den Tätergruppen siehe Grimm: Lynchmorde. 2007, S. 80 ff.
- Grimm: Lynchmorde. 2007, S. 83.
- Urteilszusammenfassung (Memento vom 27. Februar 2014 im Internet Archive) bei Justiz und NS-Verbrechen.
- Burkhard Krupp: Interview mit Zeugen. 12. März 1981, archiviert vom Original am 15. Oktober 2012; abgerufen am 21. Februar 2014.
- Mallmann: „Volksjustiz“. 2005, S. 208; Urteilszusammenfassung (Memento vom 15. August 2007 im Internet Archive) bei Justiz und NS-Verbrechen.
- Mallmann: „Volksjustiz“. 2005, S. 208; Zusammenfassungen der Urteile bei Justiz und NS-Verbrechen: US043 (Memento vom 16. April 2016 im Internet Archive), US044 (Memento vom 23. Juli 2007 im Internet Archive); englische Übersetzung eines Berichtes der Borkumer Zeitung vom 5. August 2003.
- Case No. 12-489 und Case No. 12-485 betreffen die sieben Morde.
-
Zu Rüsselsheim siehe:
- Mallmann: „Volksjustiz“. 2005, S. 208.
- Grimm: Lynchmorde. 2007, S. 81.
- Zusammenfassung von Urteilen bei Justiz und NS-Verbrechen: US110 (Memento vom 2. Mai 2005 im Internet Archive), US204 (Memento vom 6. November 2005 im Internet Archive), US225 (Memento vom 5. November 2005 im Internet Archive).
- Klaus Wiegrefe: Tödliche Jagd. In: Der Spiegel. Nr. 34, 2001, S. 42 (online).
- Volker Breidecker: Jagdszenen am Untermain. In: Süddeutsche Zeitung, 19. Mai 2010.
- Christian Silvester:Major Reynolds’ Überleben und Sterben, Donaukurier vom 20. September 2012
- Grimm: Lynchmorde. 2007, S. 81, Urteilszusammenfassung (Memento vom 23. Juli 2007 im Internet Archive) bei Justiz und NS-Verbrechen.
- Marie-Christine Werner: Der englische Flieger – Der Mord an Cyril William Sibley. Sendung des Südwestrundfunks in Mainz am 10. Februar 2001, 21 bis 22 Uhr, Typoskript, 47 Seiten. Siehe auch Eintrag 21. Februar 1945 (Memento vom 28. Mai 2007 im Internet Archive) bei www.flieger-lynchmorde.de.
- Wolfgang Arzt: Gedenken an Lynch-Mord an alliierten Fliegern in Solingen vor 75 Jahren (2019-11-05). In: nrweltoffen-solingen.de. Abgerufen am 1. November 2019.
- Clutton-Brock, Oliver: Footprints on the Sands of Time: RAF Bomber Command Prisoners-of-War in Germany 1939–1945, S. 209–210, Grub Street Publishing, 2003, ISBN 1909166308, 9781909166301, Auszug bei Google Books
- Mahnmal gegen das Vergessen. In: Oberhessische Presse. 28. Oktober 2020, abgerufen am 15. November 2020.
- Mallmann: „Volksjustiz“. 2005, S. 208, unter Hinweis auf ein Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main, siehe Urteilszusammenfassung (Memento vom 1. Dezember 2007 im Internet Archive) bei Justiz und NS-Verbrechen.
- Sigl: Im Interesse der Gerechtigkeit. 1992, S. 113 ff.
- KZ Neuengamme: Ausstellung zu Curiohaus-Prozessen
- Sigl: Im Interesse der Gerechtigkeit. 1992, S. 29, 114.
- Diese Einschätzung bei Sigl: Im Interesse der Gerechtigkeit. 1992, S. 61.
- Sigl: Im Interesse der Gerechtigkeit. 1992, S. 114 ff., Urteilszusammenfassung (Memento vom 2. Juli 2007 im Internet Archive) bei Justiz und NS-Verbrechen.
- Urteilszusammenfassung (Memento vom 19. Juli 2014 auf WebCite) bei Justiz und NS-Verbrechen.
- Urteilszusammenfassung bei Justiz und NS-Verbrechen; siehe auch Law-Reports of Trials of War Criminals, The United Nations War Crimes Commission (Memento vom 17. August 2004 im Internet Archive) bei der University of the West of England.
- Urteilszusammenfassung (Memento vom 15. August 2007 im Internet Archive) bei Justiz und NS-Verbrechen.
- Mallmann: „Volksjustiz“. 2005, S. 211.
- Mallmann: „Volksjustiz“. 2005, S. 211. Siehe auch Kurzbiographie (Memento vom 30. Januar 2010 im Internet Archive) beim Haus der Wannsee-Konferenz.
- Rainer Baudendistel: Between Bombs And Good Intentions. The Red Cross And the Italo-Ethiopian War, 1935–1936. Berghahn Books, N.Y. 2006, S. 235–248.