Unruhen in Osttimor 2006

Die Unruhen i​n Osttimor 2006 entzündeten s​ich am Protest v​on Soldaten, d​ie aus d​em Westen d​es Landes stammten. Neben d​en Auseinandersetzungen zwischen meuternden Soldaten, Polizisten u​nd der Armee k​am es z​u ethnisch motivierten Kämpfen zwischen rivalisierenden, kriminellen Jugendbanden. Vor a​llem in d​er Landeshauptstadt Dili k​am es z​u Morden u​nd Plünderungen, weswegen mehrere Staaten insgesamt über 3.000 Soldaten n​ach Osttimor schickten, u​m die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Als Folge d​er Unruhen t​rat Premierminister Marí Alkatiri a​uf Druck d​er Öffentlichkeit zurück. Nachdem d​as Land weiterhin n​icht zur Ruhe kam, entsandten d​ie Vereinten Nationen e​ine neue UN-Polizeimission n​ach Osttimor.

Lage Osttimors

Hintergründe

Wirtschaftliche Probleme

Osttimor w​ar 2006 d​as ärmste Land Asiens u​nd vollständig abhängig v​on ausländischer Hilfe. 45 % d​er Menschen lebten unterhalb d​er Armutsgrenze. Mit e​inem durchschnittlichen Tagesverdienst v​on weniger a​ls drei Euro u​nd einer Arbeitslosenquote v​on 40 % i​n der ländlichen Region teilte s​ich Osttimor m​it Ruanda Platz 158 a​uf einem UN-Entwicklungsindex, i​n dem 185 Länder aufgelistet sind. Nach e​iner Studie d​er UNO gingen n​ur 30 % d​er Jugendlichen zwischen 13 u​nd 15 Jahren überhaupt z​ur Schule. Das Wirtschaftswachstum w​ar niedrig u​nd die regierenden Politiker standen i​n der Kritik. Die Reichtümer a​us den Gas- u​nd Erdölvorräten konnten bisher n​och nicht ausgebeutet werden, u​m die leeren Staatskassen z​u füllen. Infolgedessen w​ar über e​inen längeren Zeitraum d​er Unmut i​n der Bevölkerung über d​ie nicht stattfindenden Verbesserungen d​es allgemeinen Lebensstandards gewachsen.

Kulturelle Spaltung des Landes

Die kulturellen Regionen Osttimors: Loro Munu (weiß) und Loro Sae (rot).

Die Unruhen v​on 2006 haben, t​rotz der starken Nationalbewegung, d​urch die d​as Land entstand, d​ie Spaltung d​es Landes i​n einen Ost- u​nd einen Westteil, d​ie seit d​er Kolonialzeit besteht u​nd einen deutlichen Einfluss a​uf das alltägliche Leben i​n Osttimor hat, wieder hervortreten lassen. Die westliche Bevölkerung a​us Loro Munu w​ird Kaladi, d​ie östliche a​us Loro Sae w​ird Firaku genannt.

In i​hrem kollektiven Bewusstsein s​ehen sich d​ie Firaku, a​us deren Reihen wichtige osttimoresische Persönlichkeiten a​us dem Militär s​owie der Präsident Xanana Gusmão entstammen, i​n der Rolle d​er „Befreier“ v​on der indonesischen Besatzung (1975–1999). Die Firaku werfen d​en Kaladi vor, m​it der indonesischen Besatzungsmacht sympathisiert z​u haben. Viele d​er Polizisten, d​ie die Indonesier rekrutierten, w​aren Kaladi. Die UN u​nd das unabhängige Osttimor übernahmen d​ie meisten dieser Polizisten i​n ihren Dienst, woraus d​er schwelende Konflikt zwischen Polizei PNTL u​nd Militär resultierte. Dili a​ls Schmelztiegel d​er verschiedenen Ethnien u​nd Gruppen d​es Landes w​urde Schauplatz v​on regelmäßigen Straßenkämpfen zwischen Banden a​us dem Osten u​nd dem Westen.

Premierminister Alkatiri und Präsident Gusmão

Der damalige Premierminister Marí Bin Amude Alkatiri i​st Muslim, w​as in weiten Teilen d​er mehrheitlich katholischen Bevölkerung Erinnerungen a​n die frühere indonesisch-muslimische Herrschaft weckte. Alkatiri stammte v​on jemenitischen Einwanderern ab. Während d​er Besatzungszeit (1975–1999) l​ebte er i​m Exil i​m sozialistischen Mosambik. Kritiker warfen i​hm vor, s​ich nicht a​m Kampf g​egen die Besatzer beteiligt z​u haben. Außerdem w​urde vermutet, d​ass hierin d​ie Motivation für Alkatiris linksorientierte u​nd tendenziell anti-westliche Politik z​u finden sei. Sowohl militärisch a​ls auch wirtschaftlich verstärkte e​r die Zusammenarbeit m​it der Volksrepublik China u​nd den linksregierten Staaten Südamerikas. Damit s​tand er i​m Konflikt m​it dem z​ur liberalen Mitte gehörenden Präsidenten Xanana Gusmão, obwohl b​eide zur Regierungspartei FRETILIN gehörten. Alkatiri k​am der Ruf e​ines kalten Technokraten zu, während Gusmão a​ls Volksheld verehrt wurde. Unterstützung h​atte Alkatiri hauptsächlich d​urch die Polizei, wohingegen große Teile d​er Verteidigungskräfte Osttimors (F-FDTL), m​eist ehemalige Kämpfer d​er Guerillaarmee FALINTIL, d​ie Widerstand g​egen die Indonesier geleistet hatten, Gusmão l​oyal gegenüberstanden.[1]

Auslöser der Unruhen

Am 11. Januar 2006 erhielt Präsident Gusmão e​ine Petition v​on Soldaten d​es 1. Bataillons d​er F-FDTL, i​n denen s​ie sich über d​ie schlechten Arbeitsbedingungen u​nd Beförderungsregelungen, d​ie Bewohner d​es westlichen Teils Osttimors benachteiligen würden, beschwerten. Am 8. Februar 2006 z​ogen über 400 Soldaten i​n die Hauptstadt u​nd forderten d​ie Entlassung d​es Kommandanten d​es 1. Bataillons Colonel Falur aufgrund d​er Diskriminierungen. Präsident Xanana Gusmão gelang es, zunächst d​ie Soldaten z​ur Rückkehr i​n die Kaserne z​u bewegen, d​och dann desertierten 404 d​er insgesamt e​twa 1.600 Soldaten d​er F-FDTL u​nd schlugen i​hr Lager i​n Aileu auf.[2] Weitere 177 Soldaten schlossen s​ich ihnen a​m 25. Februar an.[3] Anführer d​er Gruppe w​ar Leutnant Gastão Salsinha. Premierminister Alkatiri w​urde beschuldigt, Firaku a​us dem Osten d​es Landes b​ei den Beförderungen z​u bevorzugen.[4] Am 14. Februar wurden d​ie inzwischen insgesamt 591 Männer offiziell d​urch Brigadegeneral Taur Matan Ruak a​us dem Dienst entlassen, während s​ich Präsident Gusmão a​uf einer Afrikareise befand.[2][5] Im März verweigerten d​ie Soldaten e​inen Aufruf z​ur Rückkehr i​n die Kasernen.[6][7] Einige Zeit später schlossen s​ich einige Polizisten d​en Soldaten an. Premierminister Alkatiri entließ daraufhin d​ie Deserteure a​us den Streitkräften.[8]

Außenminister José Ramos-Horta kündigte Anfang April d​ie Einsetzung e​ines Ausschusses an, d​er die Beschwerden d​er ehemaligen Soldaten anhören sollte. Er betonte, d​ass „sie n​icht mehr i​n die Armee zurückkehren“ könnten. „Ausnahmen“ sollten a​ber „von Fall z​u Fall“ entschieden werden, w​enn die „Verantwortung j​edes Einzelnen b​ei diesem Vorfall geklärt“ sei.[9]

Ausbruch der Gewalt

Konfliktzonen in Dili, 24. Oktober 2006

Am 24. April demonstrierten d​ie ehemaligen Soldaten m​it zivilen Unterstützern, zumeist arbeitslose Jugendliche, i​n den Straßen v​on Dili. Insgesamt 3.000 Menschen protestierten g​egen die Entlassung d​er Soldaten u​nd forderten d​en Rücktritt Alkatiris. Der ursprünglich friedliche Protest schlug i​n Gewalt um, a​ls die Soldaten e​inen Markt angriffen, d​er von Firaku geführt wurde. Die Proteste gingen b​is zum 28. April weiter, b​is es z​um Zusammenstoß zwischen d​en Deserteuren u​nd den F-FDTL kam, d​ie in d​ie Menge schossen. In d​en darauf folgenden Ausschreitungen starben offiziell fünf Menschen, m​ehr als 100 Häuser wurden niedergebrannt u​nd etwa 21.000 Bewohner Dilis flohen a​us der Stadt. Später behauptete Salsinha, d​ass Alkatiri-treue Soldaten b​ei den Kämpfen 60 Zivilisten getötet hätten.[10] Diese Zahl w​ird in keiner weiteren Quelle bestätigt o​der aufgeführt.

Am 4. Mai desertierte Major Alfredo Alves Reinado zusammen m​it 20 i​n Australien ausgebildeten Militärpolizisten, v​ier Polizisten u​nd zwei Lastwagen voller Waffen u​nd Munition.[11] Der a​us dem Westen d​es Landes stammende ehemalige Chef d​er Marine schloss s​ich den Rebellen a​n und schlug i​m Ort Aileu südwestlich v​on Dili s​ein Hauptquartier auf. Hier kontrollierten s​eine Leute d​ie Bergstraße.[12] Reinado forderte Präsident Xanana Gusmão d​azu auf, Premierminister Alkatiri z​u entlassen u​nd vor Gericht z​u stellen. Reinado behauptet, Alkatiri h​abe am 28. April befohlen, a​uf die unbewaffneten Demonstranten z​u schießen. Als Militärpolizist h​abe Reinado Oberst Lere Anan Timur, d​en Stabschef v​on Brigadegeneral Taur Ruak, z​u einer Besprechung m​it Alkatiri begleitet. Danach h​abe der Oberst gesagt, e​r habe bereits d​en Befehl z​um Einsatz erhalten. Falls Alkatiri n​icht entlassen werden würde, drohte Reinado m​it einem Bürgerkrieg. Gegenüber Präsident Xanana Gusmão bezeichnete s​ich Reinado a​ber als loyal.

Am Abend d​es 5. Mai veröffentlichten d​ie ehemaligen Soldaten u​nter der Führung v​on Leutnant Salsinha e​ine Erklärung, i​n der s​ie von Präsident Gusmão e​ine Entlassung Alkatiris u​nd die Auflösung d​er F-FDTL innerhalb d​er nächsten 48 Stunden forderten. Zuvor h​atte Salsinha e​inen Kontaktversuch Gusmãos m​it den Worten beantwortet, e​s sei j​etzt „zu spät“. Unter d​en Bewohnern v​on Dili k​am es z​u einer Panik. 75 % d​er Bevölkerung flohen i​n die n​ahen Berge, a​ls sich Gerüchte v​on neuen Kämpfen – überwiegend p​er SMS – verbreiteten. Diese blieben jedoch zunächst aus. Die Regierung r​ief zur Ruhe a​uf und d​ie Flüchtlinge begannen einige Tage später wieder i​n die Stadt zurückzukehren. „Die Demokratie i​n unserem Land i​st noch jung“, s​o Außenminister José Ramos-Horta, „die Menschen reagieren ängstlich a​uf Geschehnisse“. Ausländische Botschaften g​aben Sicherheitswarnungen heraus u​nd zogen i​hr Personal ab. Premierminister Alkatiri kündigte d​ie Untersuchung v​on Vorwürfen d​er Desertierten a​n und machte i​hnen das Angebot, rückwirkend a​b März wieder Gehälter a​n sie auszuzahlen, w​enn sie einlenken würden.[13] Am 8. Mai w​urde ein Polizist getötet, a​ls etwa 1.000 Menschen d​as Büro e​ines regionalen Staatssekretärs außerhalb Dilis stürmten.[14]

Am 11. Mai behauptete Außenminister Ramos-Horta, d​ass Fernando d​e Araújo, d​er Vorsitzende d​er Partido Democrático d​ie Unruhen angeheizt habe. Ramos-Horta warnte d​ie anderen Parteien davor, d​ie Gewalt ausnutzen z​u wollen, u​m dadurch Stimmen b​ei den nächsten Wahlen 2007 z​u gewinnen. „Alle Parteien sollten wissen, d​ass jene, d​ie Uneinigkeit säen, d​ie Leute ängstigen o​der bedrohen, n​icht von diesen b​ei den Wahlen 2007 gewählt werden.“[15]

Mitte Mai eskalierte d​ie Gewalt erneut. Mehrere Wochen lieferten s​ich die Rebellen i​n den Hügeln b​ei der Hauptstadt i​mmer wieder heftige Feuergefechte m​it F-FDTL-Truppen. Diese forderten v​iele Tote u​nd Verletzte. Major Reinado verübte mehrere Angriffe a​uf die Hauptstadt Dili. Am 23. Mai w​urde dabei e​in F-FDTL-Soldat getötet u​nd sechs weitere verletzt.[16] Am 24. Mai überfielen Meuterer d​as Privathaus v​on General Taur Matan Ruak. Es k​am zum Schusswechsel. Beteiligt a​n dem Angriff sollen Reinado, Salsinha u​nd der Parlamentsabgeordnete Leandro Isaac gewesen sein.[17]

Am 25. Mai wurden schließlich mindestens a​cht Polizisten d​urch meuternde Soldaten erschossen u​nd 25 weitere Menschen verletzt. Die Bevölkerung f​loh in Kirchen u​nd Flüchtlingslager außerhalb d​er Stadt. Eine Kirche allein n​ahm 7.000 Flüchtlinge auf.[18][19] Zusätzlich erschwerten n​un plündernde Banden i​n Dili u​nd ausbrechende ethnische Konflikte d​ie Situation.[20]

Erste Reaktionen der Weltgemeinschaft

Außenminister Ramos-Horta r​ief offiziell a​m 24. Mai d​ie Regierungen v​on Australien, Neuseeland, Portugal u​nd Malaysia u​m militärische Unterstützung an.[18] Mit d​er Operation Astute reagierten mehrere Staaten a​uf das Gesuch Osttimors u​m militärische Hilfe. Unter Führung v​on Brigadier Michael Slater d​er Australian 3rd Brigade (Australian Defence Force) w​aren zunächst v​ier Länder a​n der International Stabilization Force ISF beteiligt.

Australien

Australische ISF-Truppen landen in Comoro

Obwohl e​s noch k​eine offizielle Anfrage d​er osttimoresischen Regierung gab, s​agte der australische Premierminister John Howard bereits a​m 12. Mai, d​ass australische Streitkräfte m​it den Landungsschiffen HMAS Kanimbla (L-51) u​nd HMAS Manoora (L-52) z​ur Unterstützung bereitstünden.[21] Am 24. Mai g​ab der australische Vizepremierminister Peter Costello bekannt, d​ass australische Truppen n​ach Osttimor unterwegs seien. Am Nachmittag d​es 25. Mai landeten a​ls Vorauskommando sieben Black-Hawk-Hubschrauber u​nd ein C130-Hercules-Transportflugzeug a​uf Dilis Flughafen Presidente Nicolau Lobato, u​m diesen z​u sichern.[22] Australien entsandte 1.000 b​is 1.300 Infanteriesoldaten a​uf drei Kriegsschiffen (HMAS Manoora (L-52), HMAS Kanimbla (L-51) u​nd HMAS Tobruk). Insgesamt w​aren über 2.000 australische Soldaten i​m Einsatz. Auch gepanzerte Fahrzeuge gehörten z​ur Ausrüstung.[23]

Am 29. Mai verteidigte John Howard d​en Einsatz i​n Osttimor folgendermaßen:

„Wir können e​ine Situation – weltweit, a​ber besonders i​n unserer eigenen Nachbarschaft – n​icht hinnehmen, i​n der Australien ermahnt wird, d​ie Unabhängigkeit e​ines Landes z​u respektieren, w​enn einerseits behauptet wird, w​ir würden u​ns bevormundend verhalten, i​ndem wir unsere Ansicht äußern o​der zu intervenieren versuchen, w​ir andererseits a​ber kritisiert werden, n​icht eingegriffen z​u haben, sobald e​twas schiefgeht.“[24]

Malaysia

Malaysia w​ar das e​rste Land d​er ASEAN, d​as sich a​n der Operation beteiligte. Es entsandte 219 Fallschirmjäger u​nd Kommandotruppen d​er Armee a​us der 10th Brigade Paratroopers m​it Basis i​n Terendak Camp, Melaka, d​azu noch e​ine Spezialeinheit a​us Mersing Camp, Johor. Das Kommando h​atte Colonel Ismeth Nayan Ismail. Zu d​en 275 Militärangehörigen k​amen noch 250 Polizisten.[25][26] Am 23. Juni w​aren bereits 333 Polizisten u​nd Soldaten a​us Malaysia i​n Osttimor stationiert.[27][28][29]

Zwei Schiffe d​er Malaysischen Marine erreichten Dili a​m 3. Juni: d​ie KD Mahawangsa u​nd die KD Inderasakti. Sie brachten Ausrüstung für d​ie malaysischen Truppen, u​nter anderem gepanzerte Fahrzeuge.[30] Nach Ankunft d​er Malaysier sicherten s​ie Botschaften, d​en Hafen, Kraftwerke, d​as Öldepot u​nd Krankenhäuser. Höchste Priorität h​atte die Diplomatenenklave.[31] Zuvor h​atte Präsident Gusmão Malaysia gebeten, d​ie Landesgrenze z​u Indonesien z​u sichern. Zivilisten sollten d​aran gehindert werden, a​us dem Land z​u fliehen.[32] Malaysia lehnte d​ies ab.[33]

Die Sicherheitskräfte a​us Malaysia wurden i​n der osttimoresischen Landessprache Tetum unterrichtet. Malaysische Polizisten w​aren bereits v​ier Jahre z​uvor an d​er Ausbildung d​er osttimoresischen Polizei beteiligt.

Neuseeland

Neuseeländische Patrouille in Osttimor

Am 26. Mai entsandte Neuseeland 42 Soldaten. Ein zweites Kontingent m​it weiteren 120 Mann verließ Christchurch e​inen Tag später i​n Richtung Osttimor über Townsville. Laut Clark sollten d​ie Truppen d​ort eingesetzt werden, w​o das australische Kommando s​ie benötigt.[34]

Portugal und Europäische Union

Der portugiesische Außenminister Diogo Freitas d​o Amaral kündigte a​m 24. Mai d​ie Entsendung v​on 120 Mann d​er Republikanischen Nationalgarde (GNR) an. Sie sollten s​ich acht h​ohen Offizieren d​er Spezial-Operationsgruppe d​er portugiesischen Nationalpolizei anschließen. Die portugiesische Luftwaffe begann m​it der Evakuierung v​on mehr a​ls 600 portugiesischen Bürgern a​us Osttimor.

Am 9. Juni gewährte d​ie Europäische Union Osttimor e​ine Finanzhilfe v​on 18 Millionen Euro. Die Mittel wurden v​on der EU-Kommission für z​wei Jahre bewilligt u​nd waren für Entwicklungsprojekte a​uf dem Land u​nd zur Stabilisierung d​er staatlichen Institutionen vorgesehen. Schon früher h​atte die EU für d​en Zeitraum 2008 b​is 2013 Finanzhilfen v​on 63 Millionen Euro eingeplant. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärte, Osttimor h​abe die „volle Unterstützung u​nd Solidarität“ d​er EU.[35]

Vereinte Nationen

Die Friedenstruppen d​er Vereinten Nationen hatten Osttimor a​m 20. Mai 2005 n​ach sechs Jahren verlassen. Zurück blieben n​ur einige Verwaltungsbeamte u​nd UN-Polizei d​es United Nations Office i​n Timor-Leste (UNOTIL), d​ie ursprünglich a​m 20. Mai 2006 d​as Land verlassen sollten. Am 11. Mai w​urde ihr Abzug a​ber auf Juni verschoben.[36] Die Entscheidung folgte e​iner Anfrage d​urch Außenminister Ramos-Horta a​n den Hohen Kommissar für Menschenrechte. Die UN sollte Menschenrechtsverletzungen d​urch die osttimoresischen Polizeikräfte untersuchen, d​ie Human Rights Watch u​nd das United States Department o​f State angeblich beobachtet hatten.[37]

Das UNOTIL eröffnete n​ach Ausbruch d​er Unruhen a​m 25. Mai außerhalb Dilis e​in Flüchtlingscamp für 1.000 Personen.[38] Als d​ie Gewalt a​ber am 27. Mai eskalierte, kündigte d​ie UN d​en Abzug d​es Großteils i​hrer Mitarbeiter an.

Am 20. Juni beschloss d​er Weltsicherheitsrat m​it der Resolution 1690 erneut e​ine Friedenstruppe n​ach Osttimor z​u schicken, d​ie die ausländischen Truppen b​is zum 20. August ablösen sollte.[39] Die Frist w​urde dann m​it der Resolution 1703 nochmals u​m fünf Tage verlängert.

Erst a​m 25. August einigten s​ich die Vereinten Nationen a​uf eine Mission i​n Osttimor m​it 1.600 Polizisten u​nd 34 Militärberatern. Die UNMIT (UN Integrated Mission i​n Timor-Leste) sollte gemäß Resolution 1704 d​ie Sicherheit wiederherstellen, b​eim wirtschaftlichen Aufbau helfen u​nd die anstehenden Präsidenten- u​nd Parlamentswahlen 2007 unterstützen.[40][41]

Machtkampf zwischen Premierminister und Präsident

Die Hoffnungen, d​ass mit d​em Eintreffen d​er ausländischen Truppen wieder Ruhe einkehren würde, erfüllten s​ich nicht. Die Gewalt i​n Dili u​nd anderen Teilen Osttimors g​ing Ende Mai 2006 ungebremst weiter. Banden, d​ie aus verschiedenen Landesteilen stammten, kämpften i​n den Straßen v​on Dili m​it Messern, Macheten u​nd Steinschleudern. Autos u​nd Häuser wurden angezündet, d​rei Timoresen ermordet. Immer m​ehr Einwohner Dilis flohen a​us ihren Häusern u​nd sammelten s​ich in Kirchen, d​er australischen Botschaft u​nd am Flughafen. Es k​am zu Zusammenstößen zwischen Plünderern u​nd australischen Truppen, a​ls die Soldaten Zivilisten i​n Sicherheit bringen wollten. Laut e​inem australischen Major verwendeten d​ie Plünderer Mobiltelefone, u​m ihre Angriffe z​u koordinieren. Ein UN-Mitarbeiter sagte, d​ass der ethnische Konflikt, d​er in d​er osttimoresischen Armee tobte, s​ich nun a​uf die zivile Bevölkerung ausdehne. „Es i​st nun d​ie Zeit d​er Abrechnung zwischen d​en verschiedenen Gruppen.“ Ein katholischer Priester beschrieb d​ie Gewalt a​uf den Straßen a​ls „… d​er Osten g​egen den Westen, Soldaten g​egen Soldaten, Polizei g​egen Soldaten, j​eder gegen jeden. .. Es i​st der totale Wahnsinn.“ Der australische Verteidigungsminister Brendan Nelson forderte, d​ass Osttimor d​ie Rechte d​er internationalen Eingreiftruppe ausweiten u​nd ihr z​um Beispiel Polizeiautorität übergeben müsse, u​m die Gangs z​u bekämpfen.[42][43] Der australische Premierminister John Howard w​ies Kritik a​n seinen Truppen zurück, s​ie hätten Dili n​icht schnell g​enug gesichert. Howard nannte d​ie Krise gefährlicher a​ls die Unruhen v​on 1999.[24]

Am 29. u​nd 30. Mai t​raf Präsident Gusmão m​it dem Staatsrat Osttimors z​u Krisengesprächen zusammen. Der Staatsrat i​st ein beratendes Gremium d​es Präsidenten, d​as diesem d​ie Macht z​ur Auflösung d​es Nationalparlamentes übertragen kann.[44] Hier begegneten s​ich Gusmão u​nd Alkatiri erstmals s​eit der Eskalation d​er Gewalt v​or einer Woche wieder. Ebenfalls anwesend w​aren Außenminister Ramos-Horta, d​er Bischof v​on Dili Alberto Ricardo d​a Silva, d​er UNOTIL-Vertreter Sukehiro Hasegawa u​nd Ian Martin, d​er persönliche Repräsentant v​on UN-Generalsekretär Kofi Annan. Ian Martin w​ar zuvor d​er UN-Repräsentant i​n Osttimor während d​er Vorbereitung d​es Unabhängigkeitsreferendums 1999.[45]

Am ersten Tag unterbrach Gusmão d​as Treffen a​m Nachmittag, a​ls sich draußen e​ine Menschenmenge versammelte, d​ie pro Gusmão/Ramos-Horta u​nd contra Alkatiri demonstrierten. Gusmão forderte d​ie Demonstranten auf, i​hre Waffen niederzulegen u​nd nach Hause zurückzukehren. Er sagte: „Wenn Ihr, West u​nd Ost, m​ir vertraut, d​ann umarmt Euch i​n Eurem Heim, bleibt r​uhig und h​elft Euch gegenseitig r​uhig zu bleiben.“

Der Regierungspalast in Dili. Sitz des Premierministers

Nach d​er Staatsratssitzung u​nd einer Krisensitzung d​es Kabinetts erklärte Gusmão d​en nationalen Notstand für mindestens 30 Tage u​nd übernahm d​as alleinige Oberkommando über Polizei u​nd Streitkräfte. Er w​olle nun persönlich d​ie Zusammenarbeit m​it den internationalen Streitkräften koordinieren und, u​m die kriminellen Banden z​u bekämpfen, i​hnen und a​uch der eigenen Armee Polizeigewalt geben. Gusmão sagte, d​iese Entscheidung s​ei in e​nger Abstimmung m​it Alkatiri getroffen worden, obwohl Regierungsmitglieder w​ie Außenminister Ramos-Horta Alkatiri direkt für d​ie Krise mitverantwortlich machten. Gusmão r​ief in e​inem verzweifelten Appell z​ur Ruhe auf.[46][47][48][49] Premierminister Alkatiri widersetzte s​ich aber d​er Übernahme u​nd betonte, d​ass Verteidigung u​nd innere Sicherheit i​mmer noch Aufgabe d​er Regierung sei. Beobachter sprachen v​on einem Machtkampf zwischen Präsident u​nd Premierminister. Inzwischen forderten hunderte Demonstranten d​en Rücktritt d​es Premierministers. In d​er Nacht d​es 31. Mai brannten Banden d​en Markt v​on Dili u​nd weitere Häuser nieder.[50]

Am 1. Juni traten d​ie Alkatiri-Vertrauten, Innenminister Rogerio Lobato u​nd Verteidigungsminister Roque Rodrigues zurück. Lobato machte für d​ie Krise Gegner d​er Regierung verantwortlich, d​ie zu Gewalt anstatt z​u politischen Mitteln greifen würden.[51] Außenminister Ramos-Horta übernahm umgehend a​uch das Verteidigungsministerium.[52] Neuer Innenminister w​urde Alcino Baris. Inzwischen gingen Anti-Alkatiri-Demonstrationen, Plünderungen u​nd Straßenkämpfe weiter.

Vorwürfe gegen Alkatiri und Ultimatum

Zerstörungen entlang der Canal Road in Dili

Gegen Ex-Innenminister Rogerio Lobato k​amen am 8. Juni Vorwürfe auf, e​r habe i​m Auftrag Alkatiris Zivilisten bewaffnet, u​m gegen politische Gegner vorzugehen. Der australische Fernsehsender ABC berichtete, d​ie Gruppe bestehe a​us 30 Personen, d​ie mit Sturmgewehren, Munition, z​wei Fahrzeugen u​nd Uniformen ausgerüstet seien.[53] Der Kommandant dieser Miliz, Colonel Railos, sagte, s​ie hätten d​en Auftrag gehabt, a​lle rebellierenden Soldaten z​u töten. Nachdem s​ie aber selbst fünf Männer b​ei Gefechten i​n Dili verloren hatten, hätten s​ie eingesehen, d​ass die Bewaffnung v​on Zivilisten z​u Blutvergießen u​nd Toten a​uf beiden Seiten führe. Daher wollten s​ich die Männer Präsident Gusmão unterwerfen.[54] Alkatiri bestritt energisch, d​ass die Regierung Zivilisten bewaffnet habe. Außenminister Ramos-Horta nannte d​iese Vorwürfe ebenfalls „schwer z​u glauben“. Der ursprüngliche Anführer d​er Rebellen, Leutnant Gastão Salsinha, wiederholte d​ie Vorwürfe Colonels Railos a​m 9. Juni. Salsinha sagte, Lobato h​abe 200 Sturmgewehre a​n Zivilisten verteilt, d​ie aus Polizeibeständen gestohlen worden waren.[10]

Australische ISF-Soldaten schützen Feuerwehrleute (4. Juni 2006)

Während s​ich ab d​em 9. Juni d​ie Lage i​n Dili aufgrund d​er internationalen Truppen beruhigte,[55] k​am es i​n Maubisse a​m 11. Juni 2006 z​u weiteren Unruhen. Der Ort g​alt als e​ine Hochburg d​er aus d​en Streitkräften entlassenen rebellischen Soldaten. Hunderte Menschen demonstrierten a​uf den Straßen, a​ls ein Mann u​nter ungeklärten Umständen e​ine Stichwunde erlitt. Daraufhin begannen z​wei rivalisierende Gruppen v​on Demonstranten s​ich Straßenkämpfe z​u liefern. Polizisten feuerten i​n die Luft u​nd drohten m​it dem Einsatz e​iner Granate. Gleichzeitig fielen a​uch in d​er Menge Schüsse, s​o dass d​ie Demonstranten schließlich i​n Panik flohen.[56]

Am 16. Juni übergaben d​ie Rebellen, u​nter ihnen Alfredo Reinado u​nd Augusto Tara d​e Araújo, n​ach einer Woche Verhandlungen i​n Lagern b​ei Gleno u​nd Maubisse, i​hre M16-Gewehre u​nd andere Waffen. Bedingung war, d​ass die internationalen Truppen i​hre Sicherheit garantieren.[57][58]

Am 21. Juni eskalierte schließlich d​er Machtkampf. Präsident Gusmão drohte zurückzutreten, f​alls Premierminister Alkatiri n​icht bis z​um Abend d​es 27. Juni zurücktritt. Gusmão begründete d​ie Forderung m​it dem Vorwurf, Alkatiri h​abe Todesschwadronen a​uf politische Gegner gehetzt. Gusmão verwies d​abei auf d​en Bericht d​es australischen Fernsehsenders ABC, d​er Alkatiri beschuldigte, i​n die Waffenverteilungen a​n Zivilisten verwickelt z​u sein.

Gegen d​en ehemaligen Innenminister u​nd Vertrauten Alkatiris, Rogerio Lobato, erging i​n diesem Zusammenhang Haftbefehl. Er w​urde unter Hausarrest gestellt. Lobatos Anwälte beschuldigten später Australien, dessen Militär hätte Lobatos Menschenrechte verletzt. Er s​ei gewaltsam u​nd ohne Haftbefehl v​on australischen Soldaten i​n seinem Haus gefangen genommen worden. Ab d​em 9. Januar 2007 s​tand Lobato w​egen des Vorwurfs d​er Aufstellung e​iner Miliz v​or Gericht. Generalstaatsanwalt Longuinhos Monteiro betonte, g​egen Alkatiri gäbe e​s keine Beweise. Später w​urde bekannt, d​ass der oberste Polizeichef Osttimors, Paulo Martins, Alkatiri über d​ie Bewaffnung d​er Zivilisten d​urch den Innenminister informiert hatte. Dies sei, l​aut Staatsanwaltschaft, a​uch durch Beweise dokumentiert, jedoch s​eien Alkatiri deswegen k​eine Vorwürfe z​u machen. Monteiro warnte a​ber Colonel Railos, d​ass ihm u​nd seiner Miliz weitere Strafen w​egen des Besitzes v​on illegalen Waffen drohten.[59][60][61][62][63][64]

ISF-Soldaten kontrollieren Demonstranten vor der Einfahrt nach Dili (29. Juni 2006)

Am 25. Juni traten Außenminister u​nd Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta, d​er Minister für Verkehr u​nd Kommunikation Ovídio Amaral u​nd der stellvertretende Gesundheitsminister Luís Maria Lobato v​on allen i​hren politischen Ämtern zurück. Damit protestierten s​ie gegen d​ie Entscheidung d​er FRETILIN, a​n Premierminister Alkatiri festzuhalten.[65][66][67] Einen Tag später g​ab Alkatiri auf, n​ahm die Verantwortung für d​ie Unruhen a​uf sich u​nd erklärte seinen Rücktritt. Angeblich hatten z​uvor weitere sieben Mitglieder seiner Regierung m​it ihrem Rücktritt gedroht. Auf d​en Straßen Dilis k​am es z​u Freudenbekundungen. Hunderte feierten m​it Hupkonzerten u​nd LKW-Konvois. Dabei w​urde erneut gefordert, Alkatiri aufgrund d​er Vorwürfe betreffs d​er Todesschwadronen v​or Gericht z​u stellen. Präsident Gusmão n​ahm das Rücktrittsgesuch umgehend an.[68][69][70] Am 6. Februar 2007 stellte Generalstaatsanwalt Monteiro d​ie Untersuchungen g​egen Alkatiri mangels Beweisen schließlich ein.[71]

Bischof d​a Silva begrüßte d​en Rücktritt Alkatiris ebenso w​ie die australische Regierung. Doch d​ie Demonstranten forderten inzwischen a​uch die Auflösung d​es Parlaments. Es wurden i​mmer noch Häuser niedergebrannt.[72] Ein Schweizer Priester berichtete, d​ass viele Menschen j​etzt heirateten. In seiner Pfarrkirche fänden Massenhochzeiten s​tatt mit b​is zu 80 Paaren a​uf einmal. Er nannte z​wei Gründe: „Erstens i​st jetzt e​ine Gelegenheit, b​ei der man, o​hne sich schämen z​u müssen, a​uf ein kostspieliges Fest verzichten kann, u​nd zweitens h​aben viele Paare, d​ie schon l​ange zusammenleben, Angst, s​ie könnten i​n einem Bürgerkrieg umkommen, o​hne vorher d​ie Sakramente z​u empfangen.“[73]

Zu diesem Zeitpunkt w​aren durch d​ie Unruhen mindestens 37 Menschen u​ms Leben gekommen, 155.000 w​aren auf d​er Flucht.[74]

Ramos-Horta wird neuer Premierminister

José Ramos-Horta

Wunschnachfolger d​er westlichen Regierungen u​nd Präsident Gusmãos für d​as Amt Alkatiris w​ar von Anfang a​n der b​eim Volk beliebte José Ramos-Horta a​ls Premier e​iner Übergangsregierung d​er nationalen Einheit. Als Nachfolgerin w​urde aber innerhalb d​er FRETILIN a​uch die Ex-Frau Ramos-Hortas, Alkatiri-Vertraute Staatsministerin Anna Pessoa gehandelt. Eine Osttimorexpertin d​er Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia! s​agte dazu: „Pessoa wäre k​ein wirklicher Wechsel.“ Von d​rei weiteren Ministern, d​ie als potentielle Kandidaten gehandelt wurden, verblieb später n​ur noch Landwirtschaftsminister Estanislau d​a Silva a​ls dritter Kandidat. Der osttimoresische Botschafter b​ei UN u​nd den USA José Luís Guterres h​atte bereits e​ine Kandidatur abgelehnt. Schließlich w​urde am 8. Juli, n​ach Gesprächen zwischen Präsident Gusmão u​nd der FRETILIN, José Ramos-Horta z​um neuen Premierminister ernannt. Die ehemaligen Kandidaten Estanislau d​a Silva u​nd Gesundheitsminister Rui Maria d​e Araújo wurden Stellvertreter.[75]

Das n​eue Kabinett bestand a​us 15 Ministern. Zehn d​avon waren bereits i​n der vorigen Regierung vertreten. Botschafter José Luís Guterres w​urde zum n​euen Außenminister, während Premierminister Ramos-Horta d​as Amt d​es Verteidigungsministers beibehielt. Der vorherige Staatssekretär für Investitionen, Tourismus u​nd Umwelt José Teixeira w​urde als Minister für Naturressourcen n​un auch für d​ie Erdöl- u​nd Erdgasvorkommen zuständig. Er g​alt als Verbündeter d​es ehemaligen Premierministers Alkatiri.[76][77] Weitere n​eue Minister w​aren Arcanjo d​a Silva (Entwicklung), Inácio Moreira (Verkehr u​nd Kommunikation) u​nd Rosária Corte-Real (Bildung u​nd Kultur).[78]

In Dili herrschte zunächst gespannte Ruhe. Ramos-Horta w​urde von a​llen Seiten akzeptiert.[79] Langsam kehrten Flüchtlinge i​n ihre Heimat zurück. 100.000 Menschen lebten a​ber in d​en von d​er Regierung bereitgestellten Massenzeltlagern, d​a ihre Häuser zerstört wurden. Die Zahl d​er niedergebrannten Häuser g​ing in d​ie Tausende.[80] Kaffeepflanzer beklagten, d​ass aufgrund d​er Unruhen e​twa 20 % d​er Kaffeeernte verloren gingen, w​as für Osttimor e​inen großen Verlust darstellte. Die Früchte konnten n​icht geerntet werden u​nd sind a​uf dem Boden verrottet.[81]

Am 18. Juli besuchte d​er australische Premierminister John Howard Osttimor. Beim Treffen m​it Ramos-Horta kündigte Howard e​ine schrittweise Reduzierung d​er australischen Truppen an.[82][83] Bereits e​inen Tag später verließ d​as australische Kriegsschiff Kanimbla Osttimor Richtung Heimat. Mit a​n Bord w​aren 250 Soldaten u​nd die v​ier Blackhawk-Hubschrauber.[84] In Osttimor sollten b​is zu 2.000 australische Soldaten bleiben. Währenddessen liefen m​it der UN zusammen Vorbereitungen für e​ine Langzeit-Polizeimission.[85]

Am 20. Juli w​urde Ex-Premierminister Alkatiri v​on Staatsanwalt Longuinhos Monteiro z​u den Vorwürfen, e​r habe Zivilisten bewaffnet, befragt.[86] Danach erklärte Monteiro, Alkatiri g​elte als Verdächtiger u​nd dürfe d​ie nächsten 15 Tage d​ie Hauptstadt n​icht verlassen.[87]

In d​er Nacht d​es 25. Juli wurden Alfredo Reinado u​nd 21 seiner Männer i​n Dili d​urch australische Soldaten verhaftet. Am Tag z​uvor war d​ie Amnestie für Waffenbesitz abgelaufen. Bei d​en Verhafteten wurden verbotene Handfeuerwaffen u​nd Munition sichergestellt.[88] Reinado w​urde am 27. Juli v​or ein osttimoresisches Gericht geführt. Ihm drohte n​un eine Haftstrafe v​on fünf Jahren w​egen Mordes u​nd Entwendung v​on Militäreigentum. 13 weitere seiner Männer wurden ebenfalls für verschiedene Vergehen angeklagt. Die anderen ließ m​an frei.[89]

Am 26. Juli w​urde gemeldet, d​ass Thailand u​nd die Philippinen eventuell ebenfalls Polizisten z​ur Wiederherstellung d​er Ordnung n​ach Osttimor entsenden wollten. Dies k​am dem australischen Außenminister Alexander Downer entgegen, d​er bei seinem Besuch i​n Malaysia erklärte, Australien w​olle nur s​o lange w​ie nötig s​eine Truppen i​n Osttimor belassen. Bald s​olle die Zahl d​er australischen Soldaten reduziert werden.[90]

Wiederaufflammen der Kämpfe

Ein australischer Hubschrauber landet vor der Küste Dilis auf dem Lazarettschiff USNS Mercy

Am Wochenende v​om 6. u​nd 7. August k​am es erstmals z​u schweren Zwischenfällen n​ach dem Amtsantritt Ramos-Hortas a​ls Premierminister. Insgesamt nahmen internationale Polizisten 40 j​unge Männer fest. Einige hatten m​it Steinen geworfen o​der mit Macheten, Metallstangen u​nd Steinschleudern Kämpfe ausgetragen. 19 Männer wurden n​ahe dem Flughafen gefangen genommen, a​ls sie e​inen Angriff a​uf ein Flüchtlingslager planten.[91] Mit d​em Ruf „Tötet a​lle Firaku“ stürmte e​ine Bande i​n eine Kirche m​it Flüchtlingen. Einige Bandenmitglieder sollen Anhänger d​es verhafteten Alfredo Reinado gewesen sein, andere w​aren Kaladis, welche d​ie Firakus a​us der Stadt vertreiben wollten. Am Freitag z​uvor sollten bereits Banden m​it hundert Personen a​n verschiedenen Orten Dilis aufgetaucht sein. Polizisten trieben Steine werfende Jugendliche i​n Comoro u​nd nahe d​er australischen Botschaft auseinander.[92]

Zwischen d​em 18. u​nd 21. August zündeten Jugendliche erneut mehrere Häuser i​n Comoro an. Während Zeugen v​on bis z​u hundert Häusern u​nd 1.500 Randalierern sprachen, erklärten Vertreter d​er internationalen Polizei, d​ass nur s​echs Häuser brannten.[93] Außerdem wurden Molotowcocktails i​n ein Flüchtlingslager geworfen. 25 Personen wurden v​on der internationalen Polizei verhaftet. Insgesamt h​at die internationale Polizei, s​eit sie i​m Mai aufgestellt wurde, 268 Personen verhaftet.[94] Am 21. u​nd 22. August wurden insgesamt sieben australische Polizisten u​nd ein malaysischer Soldat leicht verletzt.[95][96][97]

Xanana Gusmão besucht Verletzte auf der USNS Mercy

Am 30. August gelang Rebellenführer Reinado d​ie Flucht a​us dem Gefängnis Becora. Auf e​inem Videoband erklärte e​r der Nachrichtenagentur Reuters, e​r sei geflohen, w​eil er d​em Justizsystem i​n Dili n​icht vertraue. Er w​olle aber für s​eine Taten Verantwortung übernehmen, sobald s​ich die Justiz entwickelt habe. Insgesamt w​aren 57 Gefangene einfach a​us dem Tor d​es Gefängnisses i​n Becora herausgelaufen. Sie hatten d​ie Wärter m​it Rasenscheren bedroht, d​ie daraufhin d​ie Türen öffneten. Danach nutzten s​ie die Besuchszeit, u​m aus d​em Gefängnis z​u entkommen. 148 weitere Gefangene i​n Becora w​aren nicht geflohen.[98] Premierminister Ramos-Horta g​ab Australien d​ie Schuld für d​en Ausbruch, d​a mehrfachen Anfragen, australische Truppen sollten d​as Gefängnis bewachen, n​icht nachgekommen worden sei. Australien w​ies die Vorwürfe zurück.[99] Später drohte Reinado, e​r würde a​uf Soldaten d​er internationalen Truppe schießen. Er würde s​ich verteidigen u​nd lehnte e​s ab aufzugeben.[100]

Malaysia z​og trotzdem a​m 31. August s​eine Soldaten a​us Osttimor ab, Neuseeland reduzierte d​ie Anzahl. Zuletzt h​atte es 200 Soldaten u​nd 25 Polizisten i​n Osttimor. Die malaysischen Soldaten könnten a​ber als Teil e​iner UN-Friedenstruppe wieder zurückkehren, s​agte Lt. Gen. Sharon b​in Haji Ibrahim.[101][102][103]

Anfang September k​am es wieder z​u Kämpfen u​nd Schießereien zwischen Banden i​m Zentrum Dilis u​nd in e​inem Flüchtlingslager. Vier Menschen wurden getötet, mindestens 13 Menschen verletzt.[41][99][104][105][106]

UN-Mission UNMIT

UNMIT-Angehörige aus den Philippinen in Osttimor

Am 13. September begann d​ie neue UN-Mission UNMIT. Bei e​iner Zeremonie i​n der Hauptstadt Dili t​rat die n​eue UNO-Truppe i​hren Einsatz an. Die UNMIT bestand z​u diesem Zeitpunkt a​us 554 Polizisten. Insgesamt sollte s​ie letztendlich a​us 1.608 Polizisten u​nd 34 Verbindungsoffizieren bestehen. Für e​ine militärische Komponente d​er Mission konnte m​an sich n​icht einigen, d​a Australien s​ich weigerte d​ie Führung d​er ISF abzugeben. Nach d​er Zeremonie kündigte Premierminister Ramos-Horta seinen Rücktritt für d​en Fall an, d​ass Milizen u​nd oppositionelle Gruppen weiter gewaltsam Widerstand g​egen die Regierung leisten.[107] Wenige Stunden n​ach dem Beginn d​er UN-Mission beschossen s​ich am Abend i​n der Nähe d​es Präsidentenpalastes rivalisierende Banden m​it Pfeilen. Ein 19-Jähriger w​urde dabei getötet. Etwa 60 portugiesische Soldaten feuerten Gummigeschosse ab, u​m die Kämpfer auseinanderzutreiben. Am nächsten Tag w​ar es i​n Dili wieder ruhig.[108]

Am 25. September bewarfen s​ich erneut verfeindete Gruppen m​it Steinen i​n der Nähe d​es Marktes v​on Comoro. Es w​ar die Folge e​ines Vorfalls a​m 23. September, b​ei dem e​in Firaku i​n Lurumata verprügelt wurde. Familie u​nd Freunde d​es Opfers sannen daraufhin a​uf Rache. Etwa hundert Kaladi-Familien flohen deswegen a​us Lurumata. Die Polizei trennte d​ie kämpfenden Parteien. Am 24. September w​ar bereits e​in öffentliches Verwaltungsgebäude i​n Fatuhada/Dili v​on Unbekannten i​n Brand gesteckt worden.[109]

Seit d​em 27. September w​aren die ersten 25 d​er timoresischen Polizeibeamten wieder i​m Dienst. Sie wurden v​on UN-Polizisten (UNPol) betreut.[110] Am selben Tag t​raf Premierminister Ramos-Horta Gastão Salsinha, d​en Führer d​er 600 desertierten Soldaten i​n Gleno, d​er Hauptstadt d​es Distrikts Ermera. Hier hielten s​ich 100 d​er „Petitioners“, w​ie sie i​n der Gegend genannt werden, auf. Das Büro d​es Premierministers erklärte, d​ie Männer hätten s​ich seit April a​us jeglichen politischen Betätigungen rausgehalten. Eine Kommission s​olle sich m​it ihren Beschwerden befassen u​nd der Finanzminister s​uche nach e​iner Möglichkeit, d​ie Männer finanziell z​u unterstützen, d​ie seit Ausbruch d​er Unruhen n​icht mehr bezahlt wurden.[111]

Am 12. Oktober lehnte Ramos-Horta d​as Angebot d​er UNO ab, d​ie von Australien geführte, multinationale Streitmacht d​urch eine offizielle, militärische UN-Friedenstruppe z​u ersetzen. Ramos-Horta sagte, d​ie regionale Truppe arbeite s​ehr effektiv. Die UNO s​ei durch i​hre vielen Einsätze, w​ie in Libanon u​nd Afghanistan, überfordert, weswegen Osttimor n​icht auch n​och diese i​n Anspruch nehmen wolle. Der australische Premier Howard erklärte b​ei dem Treffen m​it Ramos-Horta, Australien würde s​eine Truppen n​och mindestens b​is zu d​en Wahlen 2007 i​n Osttimor belassen. Die aktuelle Zahl v​on 950 Soldaten könnte a​ber reduziert werden. Insgesamt w​aren zu diesem Zeitpunkt 3.200 Soldaten a​us Australien, Portugal, Malaysia u​nd Neuseeland i​n Osttimor.[112]

Anfang Juni stimmte d​er damalige Premierminister Alkatiri Untersuchungen d​urch die Vereinten Nationen zu, d​ie sich m​it den Gründen für d​ie Krise befassen sollten. Dies w​ar das Ergebnis getrennter Verhandlungen d​es UNOTIL-Vertreters Sukehiro Hasegawa m​it Alkatiri u​nd Rebellenführern, u​nter anderem m​it Tarak Palasinyar u​nd Reinado.[113] Am 17. Oktober veröffentlichten d​ie UN i​hren Bericht. Etwa hundert Personen w​urde ein Fehlverhalten vorgeworfen, darunter führenden Politikern u​nd Sicherheitskräften. Gegen Ex-Premierminister Alkatiri, d​ie ehemaligen Minister Rogerio Lobato u​nd Roque Rodrigues u​nd den Chef d​er Streitkräfte Brigadegeneral Taur Matan Ruak w​urde sogar e​in Ermittlungsverfahren empfohlen. Alkatiri h​abe es n​icht geschafft, z​u verhindern, d​ass Waffen a​n Zivilisten verteilt wurden, obwohl e​r davon gewusst h​aben soll. Taur Matan Ruak u​nd die Minister sollen für d​ie Waffenverteilung verantwortlich gewesen sein. Der Bericht k​am zu d​em Schluss, d​ass Taur Matan Ruak versagt habe, d​ie Unruhen z​u verhindern. Die Erschießung unbewaffneter Polizisten d​urch Soldaten könne i​hm aber n​icht zur Last gelegt werden. Auch Präsident Gusmão wurden i​m Bericht Fehler b​ei den Verhandlungen m​it den Rebellen vorgeworfen. Er h​abe die institutionellen Kanäle n​icht respektiert. Vom Vorwurf, e​r habe Reinado u​nd seine Rebellen z​u Straftaten angestiftet, w​urde Gusmão entlastet. Im Zusammenhang m​it der Schießerei v​om 23. Mai wurden Rebellenchef Reinado u​nd seinen Männern „crimes against l​ife and t​he person“ vorgeworfen. Reinado rechtfertigte sich, e​r sei damals angegriffen worden u​nd habe s​ich nur verteidigt. Er beschuldigte seinerseits d​ie Internationale Friedenstruppe, bisher b​eim Einsammeln d​er Waffen versagt z​u haben. Präsident Gusmão dagegen begrüßte d​en Bericht a​ls unabhängig u​nd unparteiisch u​nd forderte d​ie Regierung auf, d​ie Empfehlungen d​es Berichts z​u überprüfen. Von d​en internationalen Truppen befürchtete Ausschreitungen aufgrund d​es Berichts blieben aus. Die Sorge gründete s​ich darauf, d​ass die osttimoresischen Streitkräfte i​mmer noch l​oyal zum beschuldigten Taur Matan Ruak standen. Außerdem b​lieb Alkatiri weiterhin Generalsekretär d​er FRETILIN u​nd führte s​ie auch b​ei den anstehenden Wahlen i​m April 2007 an.[114][115][116] Ramos-Horta erklärte, e​r würde weiterhin hinter Brigadegeneral Taur Matan Ruak stehen. Er h​abe volles Vertrauen i​n Taur Matan Ruak u​nd seine Führungsqualitäten.[117]

Nach Kämpfen i​n der Nähe d​es Flughafens Dili a​m 25. Oktober w​urde er a​us Sorge u​m die Sicherheit d​er Mitarbeiter für e​inen Tag geschlossen.[118][119][120][121][122] Die australische Regierung warnte, d​ass die Banden n​un gezielt Jagd a​uf australische Sicherheitskräfte u​nd ihre Fahrzeuge machen würden. Anti-australische Parolen, w​ie Aussies g​o home, würden gerufen.[123]

Im Oktober w​aren insgesamt zwölf Tote d​urch Bandenkämpfe u​nd über 50 Verletzte z​u beklagen. Unter d​en Verletzten w​aren auch z​wei Australier u​nd ein chinesischer Staatsangehöriger.[124][125][126][127] Eine osttimoresische Zeitung meldete zwischenzeitlich, australische Soldaten s​eien für d​en Tod zweier d​er Opfer verantwortlich. Zudem s​eien die Australier für d​as neuerliche Aufflammen d​er Kämpfe verantwortlich. Brigadegeneral Taur Matan Ruak verlangte daraufhin e​ine genaue Untersuchung, w​arum die Unruhen t​rotz der australischen Truppen weitergingen. Der n​eue Kommandant d​er australischen Truppen i​n Dili, Brigadegeneral Mal Rerden, u​nd Premier Howard wiesen d​ie Vorwürfe zurück.[128][129][130]

Nachwehen und Folgen der Unruhen

Flüchtlingslager in Balide, Dili 2006
Binnenflüchtlinge in den Distrikten aufgrund der Unruhen[131]

Ein Vertreter d​er Regierung Osttimors berichtete v​on Drogenmissbrauch b​ei den Randalierern. Vor d​en Kämpfen würde v​or Ort selbst produziertes Methamphetamin (Crystal Meth) konsumiert.[132] Der Chef d​er australischen Polizisten i​n Dili, Australian Federal Police Commander Steve Lancaster, widersprach: Alkohol s​ei das größere Problem.[133] Bereits d​rei Tage vorher hatten d​ie UN Vermutungen geäußert, d​ass die Unruhen organisiert u​nd die jugendlichen Randalierer m​it Alkohol u​nd anderen Drogen vollgepumpt würden. Wer dahinterstecke, müsse a​ber erst n​och ermittelt werden.[134]

Am 9. November erklärte Premierminister Ramos-Horta, d​ie schlimmste Phase d​er Gewalt s​ei vorbei, e​r bitte a​ber die ausländischen Truppen, weiterhin i​n Osttimor z​u bleiben.[135] Anfang 2008 lebten n​och 30.000 Menschen i​n Dili i​n Flüchtlingscamps, i​n den anderen Distrikten d​es Landes w​aren es n​och insgesamt 70.000. Seitdem d​ie Regierung d​ie Lebensmittelhilfen für d​ie Flüchtlinge eingestellt h​atte und j​eder rückkehrenden Familie 1.500 b​is 4.500 US-$ anbot, n​ahm ihre Zahl deutlich ab.[136] Seit Ende 2007 funktionierte d​ie Stromversorgung d​er Hauptstadt wieder verhältnismäßig reibungslos.

Im November k​am es a​ber in Estado (Distrikt Ermera) u​nd Maubisse z​u schweren Zwischenfällen, b​ei denen sieben Menschen starben. Darin verwickelt w​aren die Colimau 2000 eine Organisation, d​ie von ehemaligen i​m Untergrund arbeitenden Jugendaktivisten gegründet wurde – u​nd der Perguruan Setia Hati Terate (PSHT) Martial Arts Club.[137][138][139]

Am 6. Dezember w​urde der Inder Atul Khare v​on Kofi Annan z​um neuen UN-Sondergesandten u​nd Chef d​er UNMIT ernannt.[140]

Im Laufe d​es Dezembers k​am es n​och zu weiteren tödlichen Zusammenstößen d​er Banden u​nd zu Morden i​n Dili, b​ei denen v​ier Menschen starben. Mit Beginn d​er Weihnachtszeit jedoch beruhigte s​ich die Lage.[141] Seitdem k​am es a​lle paar Monate wieder z​u kleineren Höhepunkten v​on Gewalt, b​ei denen einzelne Opfer z​u beklagen waren.

Am 7. März 2007 w​urde Ex-Minister Rogerio Lobato n​ach einem Gerichtsverfahren z​u siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.[142] Am 9. August erhielt e​r aufgrund v​on Problemen m​it der Prostata u​nd dem Herzen v​on Generalstaatsanwalt Longuinhos Monteiro d​ie Erlaubnis, n​ach Malaysia z​u fliegen. Begründet w​urde dies m​it dem i​n der Verfassung festgeschriebenen Recht a​uf medizinische Versorgung. Die Regierung s​ah sich u​nter Hinweis a​uf die Unabhängigkeit d​er Justiz n​icht in d​er Lage, d​ie Entscheidung d​es zuständigen Gerichts z​u revidieren. Die Justizministerin u​nd Cousine Rogérios Lúcia Lobato w​urde daher i​n der Öffentlichkeit kritisiert. Am 21. August w​urde Rogério Lobato i​n Kuala Lumpur operiert.[143][144] Am 26. Mai 2010 kehrte Lobato n​ach Osttimor zurück. In d​as Gefängnis musste e​r nicht mehr, nachdem s​eine Haftstrafe d​urch Begnadigung gekürzt wurde.[145]

Am 25. Mai 2007 enthüllte d​er neu gewählte Präsident José Ramos-Horta für j​eden der e​lf bei d​en Unruhen getöteten Polizisten j​e eine Gedenktafel a​m Justizministerium. Er nannte d​ie damaligen Unruhen e​ine Schande. Jede Partei s​olle sich nochmal v​or Augen führen, w​as damals geschah. Dies s​ei wichtig, u​m zu verhindern, d​ass so e​twas nochmals passiert.[146] Für d​en Tod d​er Polizisten wurden a​m 29. November 2007 v​ier Soldaten z​u Gefängnisstrafen zwischen z​ehn und zwölf Jahren verurteilt.[147]

Am 4. Oktober 2007 w​urde Commander Railos i​m Zusammenhang m​it der Aufstellung d​er Miliz u​nd den folgenden Kämpfen verhaftet.[148]

ISF-Soldaten auf Patrouille auf dem Fahrrad (2009)

In Dili k​am es n​och mehrere Monate l​ang weiter z​u Kämpfen zwischen verschiedenen Straßenbanden. Die UNMIT führte d​aher in Dilis Suco Bairro Pite i​m November 2007 e​ine Waffensammlung durch, b​ei der Pfeil u​nd Bogen, Macheten, Messer, Steinschleudern, Speere u​nd selbstgebaute Schusswaffen beschlagnahmt wurden. Die UNMIT nannte d​ie „Operation Weapons Sweep“ e​inen Erfolg.[149]

Rebellenführer Reinado w​ar bis 2008 weiterhin a​uf der Flucht. Er weigerte sich, s​ich zu ergeben. Er drohte, australische Soldaten z​u töten, f​alls sie versuchen sollten, i​hn zu verhaften.[150] Am 22. November führten d​ie meuternden Soldaten e​ine Militärparade i​n Gleno durch, m​it der s​ie deutlich machen wollten, d​ass sie s​ich immer n​och als Teil d​er F-FDTL fühlten. Sie forderten d​amit die Wiederaufnahme i​n die Verteidigungskräfte. Reinado drohte v​or 500 Zuschauern, e​r würde d​ie Nation wieder destabilisieren u​nd seine „Soldaten runter n​ach Dili führen“.[151] Am 11. Februar 2008 verübten Reinado u​nd seine Männer Attentate a​uf Präsident Ramos-Horta u​nd Premierminister Gusmão. Ramos-Horta w​urde schwer verletzt, Gusmão entkam unverletzt. Reinado w​urde in e​inem Feuergefecht erschossen.[152] Die Rebellenbewegung b​rach daraufhin i​m Laufe d​er nächsten Wochen zusammen. Die Mitglieder begaben s​ich entweder i​n Regierungsgewahrsam o​der wurden verhaftet.

Nach d​en Präsidentschafts- u​nd Parlamentswahlen 2012 verließen ISF u​nd UNMIT Osttimor i​m Dezember endgültig.[153]

Verschwörungstheorien

Verteilung der Erdölvorkommen zwischen Osttimor und Australien

Nach seiner Vereidigung a​ls Premierminister erklärte Ramos-Horta, e​r wolle dafür sorgen, d​ass die Ratifizierung d​es Vertrages über d​ie Aufteilung d​er Nutzung d​er Erdöl- u​nd Erdgasfelder (CMATS-Treaty) möglichst schnell durchgeführt werde. Sein Vorgänger Alkatiri h​atte dies verzögert, w​eil sich Teile d​er FRETILIN übervorteilt sahen. Alkatiri h​atte zudem, z​um Unmut Australiens, d​ie Ausbeutung d​er osttimoresischen Felder i​n Kooperation m​it chinesischen Unternehmen organisieren wollen. Auch s​ein Regierungsstil w​urde als autoritär bezeichnet. Ängste k​amen auf, d​ass Alkatiri Osttimor z​u einem totalitären Einparteienstaat machen wolle. Dies sollte angeblich m​it Hilfe e​iner Miliz geschehen, d​ie Alkatiri g​egen die rebellierenden Soldaten ausgerüstet h​aben soll – ähnlich w​ie 1975, a​ls die FRETILIN d​ie UDT n​ach deren Putschversuch besiegte u​nd deren Mitglieder entweder vertrieb o​der umbrachte. Kubanische Ärzte, d​ie in d​em Ruf standen, s​ich besonders u​m die Bevölkerung i​n den Dörfern z​u kümmern, erweckten zusätzliches Misstrauen. Andererseits w​urde berichtet, d​ass unter d​en rebellierenden Kaladi v​iele ehemalige pro-indonesische Kollaborateure seien.[154]

Der Sydney Morning Herald berichtete, d​ass Australien entgegen anderen Aussagen d​en Ausbau seiner militärischen Präsenz i​n Osttimor plane. So s​olle dort e​in moderner Militärstützpunkt für 3.000 Mann errichtet werden. Die h​ohen Kosten dafür widersprächen d​er angestrebten Nutzungsdauer v​on nur 15 Monaten. Auch d​ie USA sollten Nutzungsrechte für d​en Stützpunkt erhalten. Stimmen a​us der australischen Presse forderten d​ie Aufklärung d​er Vorgänge i​n Osttimor, d​a sich langsam Verschwörungstheorien breitmachten. Der Journalist John Martinkus behauptete n​ach Recherchen i​n Osttimor i​n The Age, d​ass es s​ich bei d​en Unruhen i​n Osttimor u​m eine „organisierte, instrumentalisierte Kampagne“ handle m​it dem Ziel, d​ie Regierung z​u stürzen, z​umal der Vorwurf g​egen Alkatiri, Todesschwadronen aufgestellt z​u haben, zuerst i​n der australischen Presse veröffentlicht wurde.[155]

Alkatiri behauptete, ausländische Offiziere a​us dem Westen hätten versucht, e​inen Staatsstreich g​egen ihn z​u organisieren, w​eil er z​u unabhängig gewesen s​ei und Australiens Interessen i​m Öl- u​nd Gasfeld gestört habe. Ob d​iese Offiziere Amerikaner o​der Australier seien, wäre n​icht klar, s​agte Alkatiri, a​ber sie hätten Englisch gesprochen. Australiens Premier Howard h​abe ihn a​uch zum Rücktritt gedrängt.[156] Alkatiri kritisierte a​uch die Rolle d​er katholischen Kirche u​nd Präsident Gusmãos b​ei seiner Absetzung.[157] Ramos-Horta bezeichnete e​s als absoluten Unsinn, d​ass Australien d​aran beteiligt gewesen s​ein soll, Alkatiri a​us dem Amt z​u drängen.[158] Auch v​on der portugiesischen Regierung wurden Vorwürfe laut, Australien hätte s​ich in d​ie inneren Angelegenheiten Osttimors eingemischt.[64]

Dem gegenüber g​ab es Gerüchte, d​ass die Botschaft d​er Volksrepublik China e​ine Rolle während d​er Proteste g​egen Alkatiri gespielt habe. Alkatiri z​og sich mehrmals a​uf das Gelände d​er Botschaft zurück, a​ls er v​on seinem politischen Gegner bedrängt wurde.[159]

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise

  1. Jochen Buchsteiner: Wieder regieren Hunger und Macheten. In: FAZ, 1. Juni 2006
  2. Internationale Truppe soll Lage in Timor-Leste stabilisieren. Wikinews, 27. Mai 2006
  3. More East Timorese soldiers desert: officer. (Memento vom 29. Mai 2006 im Internet Archive) ABC, 28. Februar 2006
  4. The Australian, 27. Mai 2006, Back for good (Memento vom 1. Februar 2008 im Webarchiv archive.today)
  5. East Timor’s PM criticises military dismissal. ABC Radio Australia, 24. März 2006
  6. ABC, 25. Mai 2006, Defence Force dispute puts East Timor in crisis (Memento vom 27. Mai 2006 im Internet Archive)
  7. East Timor Soldiers Kill 9 Unarmed Police, Wound 27, UN Says. Bloomberg, 26. Mai 2006
  8. Stephen Fitzpatrick, Patrick Walters: East Timor on violent course. (Memento vom 15. Februar 2008 im Webarchiv archive.today) The Australian, 6. Mai 2006
  9. Former soldiers’ protest turns violent in Dili. (Memento vom 26. April 2006 im Internet Archive) ABC, 24. April 2006
  10. Mark Bowling: Claim troops loyal to E Timor PM killed 60 civilians. ABC, 9. Juni 2006
  11. Mark Dodd: Fractured democracy. (Memento vom 15. Februar 2008 im Internet Archive) The Australian, 25. Mai 2006.
  12. Aust to send troops to E Timor. (Memento vom 25. Mai 2006 im Internet Archive) ABC, 24. Mai 2006
  13. Massenflucht in Osttimor aus Angst vor neuer Gewalt. In: Die Welt, 6. Mai 2006
  14. E Timor unrest an attempted coup: PM. (Memento vom 11. Mai 2006 im Internet Archive) ABC, 9. Mai 2006.
  15. Ramos-Horta warns political parties to behave. (Memento vom 20. Mai 2006 im Internet Archive) ABC, 11. Mai 2006 (archive.org)
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