Minerva Motors
Minerva war ein belgischer Hersteller von Luxusautos zwischen 1902 und 1938.
Der Belgier Sylvain de Jong (1868–1928) gründete 1897 die Fahrradfabrik Minerva in Antwerpen. 1900 begann er, einen 3 bzw. 4 PS starken Schweizer Einzylindermotor der Marke Zedel an seine Fahrräder zu montieren. Nach dem Erwerb einer Lizenz der Schweizer Ingenieure H. Lüthi und E. Zürcher (sie hatten einen 211-cm³-Motor entwickelt) begann er mit dem Bau von Motorrädern. Ihre Motoren waren zusammen mit dem Tank und der Zündung schräg unter dem Rohrrahmen angeordnet. Sein Vergaser funktionierte durch eine Berührungsfläche. Das Motorrad wurde über einen gedrehten, runden Leder-Riemen angetrieben. Der Lederriemen übertrug die Bewegung der Motorriemenscheibe auf eine andere Riemenscheibe größeren Durchmessers, die an den Hinterradspeichen des Fahrrads angebracht war. Diese Verbindung wurde als die Minerva-Position bekannt. Schnell errangen die Minerva-Motorräder durch ihre Zuverlässigkeit und ihre Siege auf der Rennbahn von Zurenborg einen guten Ruf. Dank der regen Nachfrage wuchs der Betrieb schnell und wurde in neue Gebäude verlegt.
Leichte Automobile
Nach Versuchen mit leichten Automobilen wurden einige Jahre lang kleine Fahrzeuge mit Einzylindermotoren produziert, die den Namen Minervette erhielten. 1902 kam ein 6-CV-Vierzylindermodell hinzu. 1903 gründete de Jong in Berchem bei Antwerpen die NV Minerva Motors. 1904 begann er mit der Fertigung von Modellen mit Zwei-, Drei- und Vierzylindermotoren mit Kettentrieb und metallverkleidetem Holzrahmen. 1907 belegten Minerva-Rennwagen die ersten drei Plätze beim Ardennenrennen für Kaiserpreis-Fahrzeuge.[1] Nach diesem Dreifachsieg durch John Moore-Brabazon, Sytse Frederick Willem Koolhoven und Kenelm Lee Guinness mit dem 8-Liter-Wagen widmete sich de Jong endgültig dem Bau von luxuriösen, großvolumigen Autos und stellte die Produktion von Fahrrädern und Motorrädern ein.
Charles Rolls, der später die Firma Rolls-Royce mitgründete, begann mit dem Verkauf des 14 CV starken 2,9-Liter-Minerva in England, was außer den Niederlanden, Frankreich und der Schweiz zum bedeutenden Markt wurde. Mit 105 £ war die Minervette mit 636 cm³ das billigste Auto auf dem britischen Markt.
1908 erwarb Minerva eine weltweite Lizenz für den Doppelschiebermotor des Amerikaners Charles Yale Knight. Diese Motoren liefen ausgesprochen ruhig und leise. Außer Minerva bauten auch die britischen Daimler und die französischen Panhard & Levassor Motoren dieser Konstruktion. Alle zukünftigen Minervas blieben bei diesem Aggregat, und Ventilmotoren verschwanden aus dem Programm, was sich für Minerva schicksalhaft auswirken sollte. Bei den österreichischen Alpenwettbewerben und den schwedischen Winterwettbewerben stellte sich schnell mit dem neuen Triebwerk sportlicher Erfolg ein. Bald gehörte außer dem 6,5-Liter-Motor einer mit 2,5 und einer mit 4,5 Litern Hubraum zum Lieferprogramm von Minerva. Zu den bekanntesten Kunden der prestigeträchtigen Marke zählten die Könige von Belgien, Schweden und Norwegen und Henry Ford.
Luxuswagen
Als die meisten Autos noch über eine Kurbel zum Anlassen verfügten, baute Minerva schon auf Wunsch elektrische Anlasser und Beleuchtung ein. Außer den primitiven Blattfedern hatten Minervas schon Stoßdämpfer und spiralverzahnte Hinterachswinkelgetriebe.
Minerva NN
Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurden noch vor Einmarsch der deutschen Truppen in fieberhafter Eile leicht gepanzerte Mannschaftstransportfahrzeuge und Mitrailleusen für das belgische Militär mit großvolumigen 7-Liter-Motoren in die schweren Fahrgestelle eingebaut. Während des Kriegs flohen die Ingenieure zusammen mit de Jong nach Amsterdam in die neutralen Niederlande, wo sie Bauteile entwickelten und sich auf die Rückkehr nach Kriegsende vorbereiteten. 1920 nahm Minerva die Produktion von Luxusautos mit dem Typ NN, einem 20 CV starken 3,6-Liter-Monobloc-Vierzylindermodell und dem Typ OO, einem 30 CV starken 5,3-Liter-Sechszylindermodell, wieder auf. Erprobte Vorkriegskonstruktionselemente, wie Tauchschmierung, Kühlung, Magnetzündung, Konuskupplung und das Kulissenvierganggetriebe, blieben allerdings weitgehend unverändert. Die Motoren hatten eine siebenfach gelagerte Kurbelwelle. Amerikanische Filmstars, Politiker und Industrielle mochten die Fahrzeuge. Sie hatten eine gleich hohe Qualität, wie sie Rolls-Royce berühmt machte, waren jedoch etwas günstiger.
Minerva AG
Bereits 1922 wurde ein kleineres Vierzylindermodell AG vorgestellt, dem 1923 ein Vierzylindermodell mit einem 15-CV-2-Liter-Motor folgte, dessen Leistung mit 55 PS angegeben wurde und der damit 80 km/h erreichte. Dazu kam ein 3,4-Liter-Sechszylinder 20 CV, der mit Bremsen an Vorder- und Hinterrädern und einer trockenen Mehrscheibenkupplung ausgestattet war. Seine Handbremse wirkte auf das Getriebe, und das Fahrzeug erreichte mit 82 PS eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. 1924 spendierte de Jong dem Vierzylindermotor zwei weitere Zylinder und stellte auf dieser Basis das neue Sechszylindermodell AB vor. 1925 kam das Modell AF mit einem 5,3-Liter-Sechszylindermotor auf den Markt, der bereits mit 100 PS Leistung angegeben wurde. In einem Gesamtbestand von 15.500 Personenwagen in der Schweiz befanden sich zu diesem Zeitpunkt 224 der Marke Minerva, die sich durch den Sieg bei Zuverlässigkeitsfahrten, insbesondere bei der Schweizer Alpenfahrt großes Ansehen erwarb.
Minerva AK
1927 wurde der 30 CV durch das Modell AK mit einem 6-Liter-Motor ersetzt, ebenso wie das kleinere 2-Liter-15-CV-Modell durch den Typ AH 12/14 mit 2-Liter-Sechszylindermotor. Die neuen Modelle waren mit Dewandre-Vakuum-Servobremsen und Cantilever-Federn an den Hinterrädern ausgerüstet. Der herrschaftliche AK wurde wegen seiner hohen Qualität, Zuverlässigkeit und Bequemlichkeit in einem Atemzug mit Rolls-Royce, Hispano-Suiza, Voisin und Maybach genannt. Trotz des Todes von de Jong 1928 blieben große Luxusfahrzeuge die Spezialität des Unternehmens, das 4.300 Mitarbeiter in der Produktion von Motoren, Fahrgestellen, Karosserien von Personen- und Lastwagen beschäftigte und in den 1920er-Jahren insgesamt ca. 2.000 Fahrzeuge herstellte.
Minerva AL
1930 wurden die Modelle AL mit einem 6,6-Liter-Motor und AP mit einem 4-Liter-Aggregat vorgestellt. Dem Zeitgeist und Wunsch seiner Kundschaft folgend, stellte Minerva außerdem mit dem 6-Liter-Sechszylindermodell AKS sein 150 PS starkes, sportliches Spitzenmodell vor, das auch unter der Bezeichnung Speed Six bekannt wurde und 150 km/h Höchstgeschwindigkeit erreichte, von dem ein Exemplar sich im Deutschen Museum in München befindet. Mit einem 6,6-Liter-Reihenachtzylinder wurde unter der Bezeichnung AL ein weiteres Spitzenmodell hinzugefügt. Das Sechszylindermodell AB wurde durch den Typ AE 20 HP mit 55 PS und das Modell OO durch den Typ AF 30 HP mit 75 PS abgelöst, der trotz seiner zwei Tonnen Gesamtgewicht dank eines hohen Drehmoments auf 130 km/h beschleunigen konnte. 1932 wurde als kleinstes Modell der AR mit einem Reihensechszylindermotor mit 3 Liter Hubraum präsentiert.
Fahrräder
Minerva stellte im Laufe der Zeit auch Fahrräder her. Rennräder wurden aus Rohrsätzen des italienischen Rohrbauers Columbus Tubi gebaut. Heute werden wieder Räder von Minerva vertrieben. Dabei handelt es sich um Alu-Trekking und Stadträder.
Wirtschaftskrise
Das letzte Modell war der 1934 vorgestellte M4 mit 2-Liter-Vierzylindermotor, der sich nicht gut verkaufte. Wegen der hohen Zuverlässigkeit der Knight-Schiebermotoren entwickelte Minerva einen V-12-Flugzeugmotor mit 9,4 Liter Hubraum und einer Leistung von 150 PS. Wegen der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren wurde die Gesellschaft unter der Firma Société Nouvelle Minerva reformiert, das New Yorker Vertriebsbüro geschlossen, die Londoner Filiale neu organisiert und 1936 mit dem anderen belgischen Konstrukteur Imperia fusioniert. Imperia stellte ein weiteres Jahr Minervas und das Modell AP bis 1938 her. Für den Export nach England und Frankreich wurden die Personen- und Lastwagen als Minerva-Imperias gekennzeichnet.
Zweiter Weltkrieg
Während des Krieges dienten die Geschäftsräume als Niederlassung des Erla Maschinenwerks, in denen Bf 109 repariert wurden. Am 8. April 1943 wurde es Ziel eines Bombardements, das zivile Opfer forderte.
Zusammenarbeit mit Land Rover
Nach dem Zweiten Weltkrieg produzierte das Unternehmen bis 1953 den britischen Land Rover unter Lizenz für die belgische Armee. Es gab Pläne zum Wiedereintritt in den Markt für Personenwagen, aber sie kamen nie über das Stadium von Prototypen hinaus. Das Unternehmen kämpfte um das Überleben und stellte bis 1956 den mit einem Continental-Motor angetriebenen Land Rover C20 her.
Noch heute gibt es weltweit einige Minerva in fahrbarem Zustand.
Weblinks
- Kurzbiographie von Sylvain de Jong
- Deutsche Website mit Fotos von über 20 Minerva-Modellen
- britische Website zu Minerva Motor Fahrzeugen insbesondere mit gepanzerten Militärfahrzeugen
- Minerva Cars
- Frühe Dokumente und Zeitungsartikel zur Minerva Motors in der Pressemappe 20. Jahrhundert der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
Einzelnachweise
- 1907 Grands Prix. (Nicht mehr online verfügbar.) www.teamdan.com, archiviert vom Original am 14. Dezember 2018; abgerufen am 12. Februar 2020 (englisch).