Gregor Steffen
Gregor Antonius Hans Steffen (* 18. November 1909 in Hamburg; † 10. November 1999 ebendort) war ein promovierter evangelisch-lutherischer Theologe, von 1938 bis 1967 Pastor in Hamburg-Eilbek und von 1967 bis 1974 Propst von Plön mit Sitz in Preetz.
Leben und Wirken
Vorfahren
Steffens Großmutter Josephine Kohler, eines von 15 Geschwistern aus Büren an der Aare (Schweiz), kam als junge Erzieherin nach Hamburg. Sie war sehr gebildet und heiratete einen schlichten Hamburger. Sie konnte sich in die beengten Verhältnisse der norddeutschen Großstadt nie ganz einleben. Aus dieser Ehe stammte Steffens Vater Hans. Seine Mutter Adelheide, geb. Meyer, kam aus Danzig. Die Evangelisch-Lutherische Freikirche in Hamburg wurde ihre geistliche Heimat.
Elternhaus, Kindheit und Jugend
Kurz nach Steffens Geburt übernahmen seine Eltern nebenamtlich die Verwaltung von zwei großen Etagenhäusern und fünf Hinterhäusern, die es damals in Hamburg vielfach gab. Den kommunistischen Aufstand nach dem Ersten Weltkrieg erlebte Steffen vor der eigenen Haustür. Die Straßenbahn war blockiert, die Straßen waren aufgerissen. Mehrere Menschen wurden von den Dächern herab erschossen. Als Zehnjähriger füllte Steffen ein ganzes Schulheft mit diesen Erlebnissen.
Im Jahr 1915 wurde seine Schwester Ilse geboren. Der Vater hatte als Bürovorsteher eines Anwaltsbüros mit sechs Chefs keinen leichten Beruf. Die Frömmigkeit der Familie war eher gemeindelos. Die Kreuzkirchengemeinde, zu der die Familie gehörte, hatte bei 51.000 Seelen drei Pastoren, darunter Pastor Budde, dessen Predigten Steffens Mutter gelegentlich hörte.
Als Zehnjähriger wurde Steffen 1920, weil der Vater arbeitslos war, für einige Monate aus dem hungernden Deutschland zu den wohlhabenden Verwandten in die vom Krieg verschonte Schweiz geschickt. Auf der Rückfahrt fuhr er mit einem Kindertransport der „Evangelischen Gemeinschaft“ und lernte so die „Albrechtsbrüder“ kennen, die von Schwaben nach Amerika ausgewandert und von dort nach Deutschland zurückgekehrt waren. So wurde er zusammen mit seiner Mutter ein treues Mitglied der Gemeinde im Eilbeker Weg. Dankbar erlebte er vom Bett aus den ersten Hauskreis seines Lebens, entdeckte später aber auch die Grenze der Freikirche mit ihrem manchmal vorschnellen geistlichen Urteil.
Gefördert von Julius Hahn
Am 13. November 1921, eine Woche nach ihrer Einweihung, betrat der fast zwölfjährige Steffen zum ersten Mal die Versöhnungskirche in Hamburg-Eilbek zum Kindergottesdienst – nicht ahnend, dass diese Gemeinde und ihr Pastor Julius Hahn[1] seinen Lebensweg entscheidend prägen sollte. Im Laufe der Zeit entdeckte Steffen die Bedeutung dieses Luthertums „mit einem Schuss Pietismus“, wie Hahn es nannte.
Steffens Förderer Julius Hahn war ein Konfirmand Nicolai von Ruckteschells und predigte zuerst in dem von Ruckteschell errichteten Gemeindehaus, später dann an der Versöhnungskirche. Das Miteinander von Liturgie und Diakonie war das geistliche Erbe, das er von seinem Konfirmator übernahm. Julius Hahn stand auch sonst in starker geistlicher Tradition: Traugott Hahn war sein Patenonkel, der durch einen Brief seinem Patenkind in einer Glaubenskrise geholfen hatte. Das Bild Martin Kählers, der ihn wie viele andere beim Studium in Halle tief beeinflusst hatte, stand auf seinem Schreibtisch. Mit seinem Vetter Hugo Hahn, dem sächsischen Bischof, war er sehr verbunden. Steffen lernte diese Männer, die in Eilbek predigten oder ihre Lebenserfahrungen vortrugen, kennen und kam so mit seiner Familie in den „Lebensstrom einer Gemeinde, wie wir sie brauchten“[2]. Sie zählte 23.000 Evangelische auf engem Raum, die von zwei Pastoren betreut wurden.
Kindergottesdiensthelfer und CVJM
Nach seiner Konfirmation 1923 begann Steffen damit, im Kindergottesdienst zu helfen. Sein zweites Tätigkeitsfeld in der Gemeinde war der Christliche Verein Junger Männer (CVJM). Steffen besuchte das Realgymnasium. Neben der Mitarbeit in der Gemeinde erteilte er nachmittags oft noch zwei oder drei Stunden Nachhilfeunterricht.
Gern hörte er regelmäßig die von großer Beredsamkeit geprägten Predigten von Hauptpastor Simon Schöffel in der Michaeliskirche und lernte dort auch die volkstümlichen Predigten Wilhelm Kieckbuschs kennen. Sein Urteil: „Diese Ergänzung durch zwei so verschiedene Männer ist für eine Gemeinde wichtig.“
Theologiestudium
Nach dem Abitur studierte Steffen ab dem Wintersemester 1928/29 zwei Semester Evangelische Theologie an der Universität Rostock.[3] Die erste Vorlesung hörte er bei Friedrich Büchsel, einem Gegner Rudolf Bultmanns. Steffen wurde Mitglied in der „Deutschen Christlichen Studentenvereinigung“ (DCSV). Hebräisch belegte er bei Alfred Jepsen, Griechisch bei Ernst Wolf. Am Ende des ersten Semesters konnte er beide Sprachexamina ablegen. Im zweiten Semester engagierte er sich bei dem originellen Alttestamentler Gottfried Quell, der sehr jung Ordinarius geworden war, und hörte Kirchengeschichtsvorlesungen bei Johannes von Walter.
Im dritten bis fünften Semester setzte er sein Studium in Erlangen fort. Er hörte bei Paul Althaus, Werner Elert, Otto Procksch und E. F. K. Müller. Am 3. Advent 1930 hielt Steffen, gerade 21 Jahre alt geworden, seine erste Predigt in Eltersdorf.
Zum 6. Semester zog Steffen zusammen mit seinem Klassenkameraden Erwin Körber nach Göttingen und hörte dort „Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts“ bei Emanuel Hirsch, dem hervorragenden Kenner Sören Kierkegaards. Um Kierkegaard besser verstehen zu können, lernte Steffen Dänisch. Kierkegaards Ruf zur Nachfolge und seine kirchenkritischen Schriften beeindruckten ihn. Aber auch als Gegner seines Zeitgenossen Grundtvig wurde er ihm wichtig.
- „Unsere Theologie, und damit das Verständnis der Kirche, erwächst aus der Begegnung mit unseren geistlichen Vätern. Das erspart uns nicht den Mut der Abgrenzung durch einen eigenen Weg und eigene Erfahrung. Von den Wurzeln der idealistischen Theologie Emanuel Hirschs mit ihrem nationalen Pathos her war es begreiflich, daß er in der Zeit des Kirchenkampfes auf der Seite der Deutschen Christen (DC) stand, denen zum Schmerz, die sein theologisches Denken achteten.“[4]
In Göttingen hörte Steffen nur noch wenige Vorlesungen und arbeitete stattdessen in der Bibliothek. Für das letzte Semester kehrte er im Oktober 1931 nach Rostock zurück.[5] Dort erreichte ihn die Nachricht von der schweren Erkrankung seines Vaters, den er noch 14 Tage im Krankenhaus begleiten konnte, ehe dieser mit 55 Jahren starb.
Am 23. September 1932 bestand Steffen die erste theologische Prüfung vor dem Hauptpastorenkollegium in Hamburg.
Vikariat
Steffen wurde Lehrvikar an der benachbarten Friedenskirche und hatte in Ermangelung eines Predigerseminars an den Vorlesungen der Hauptpastoren teilzunehmen.
Als Hauptpastor Schöffel erster Landesbischof der Hamburgischen Kirche und zugleich Kirchenminister in Berlin wurde, fehlte er oft in diesen Vorlesungen für Vikare. Wenn er anwesend sein konnte, berichtete er stets das Neueste aus Berlin. Schöffel trat auf entsprechenden kirchenpolitischen Druck als Bischof zurück und wurde seines Amtes als Staatsrat enthoben.
Franz Tügel, bisher Pastor an der Gnadenkirche, wurde als Nationalsozialist Bischof, erschien aber nie im Kandidatenkreis. Von den Hauptpastoren gehörte nur Theodor Knolle kurze Zeit zu den Deutschen Christen. 50 Pastoren traten mit Knolle zugleich aus dieser nationalsozialistischen Vereinigung aus. Steffen schrieb: „Ihr Einfluss war damit in Hamburg erledigt.“
Der von Tügel eingesetzte Kandidatensenior fand bei den Vikaren keine Anerkennung. Zu den in den Wohnungen stattfindenden freien Kandidatentreffen luden die Vikare lieber den kämpferischen Hans Asmussen ein und auch den umstrittenen Wilhelm Stapel.
Aus Mangel an Hilfspredigern wurde Steffen im zweiten Vikarsjahr bereits Assistent an der Dankeskirche in Hamm. Der dortige Pastor hatte 215 Konfirmanden.
Steffen bestand 1934 in Hamburg sein zweites theologisches Examen und wurde zunächst noch ohne Ordination als Hilfsgeistlicher in Hamburg-St. Pauli-Süd mit der Kirche auf dem Pinnasberg eingesetzt. In diesem „berüchtigten“ Stadtteil gab es eine starke christliche Gemeinde von Kleinbürgern, die ihre Kinder vor dem Sog der Reeperbahn bewahren wollten. Anschließend wurde er an die Gnadenkirche nach St. Pauli-Nord versetzt, um dort den erkrankten Pastor zu vertreten.
Erst am 6. Januar 1935 wurde Steffen von Bischof Tügel in der Stiftskirche (einer kleinen Kapellengemeinde, die im losen Zusammenhang mit der Landeskirche stand und der Hamburger Erweckungsbewegung entstammte) ordiniert – zeitgleich mit der Einführung seines Freundes Erwin Körber als Pastor dieser Kapellengemeinde.
In Otterndorf
Durch Vermittlung von Julius Hahn hielt Steffen Anfang 1935 in Otterndorf eine Gastpredigt und wurde zum 1. März 1935 in die vakante Pfarrstelle I berufen, die zur Hannoverschen Landeskirche gehörte. Die Gemeinde hatte 4000 Seelen. Steffens Bezirk umfasste die halbe Stadt und das sogenannte „Osterende“ mit vielen großen Bauernhöfen und reichte bis zum Belumer Leuchtfeuer. Zitat Steffen:
- „Meistens war ich in der weit verzweigten Gemeinde mit dem Rad unterwegs. Ein Fahrrad ist ein besseres Fortbewegungsmittel als ein Auto, mit dem wir an den Leuten vorbeifahren. Der Pastor auf dem Fahrrad kann, je nach Notwendigkeit, freundlich grüßend vorbeifahren, aber auch schnell absteigen.“
Am 1. Advent 1937 verlobte Steffen sich mit der zwanzigjährigen Kindergottesdiensthelferin Irmgard Baumann. Er heiratete sie am 15. September 1938. Die beiden wurden von Pastor Julius Hahn in Otterndorf kirchlich getraut.
In Eilbek
Als 1938 ein Nachfolger für Paul Jürß[6] gesucht wurde, war die Lage in Hamburg positiver für Steffen, und auf Bitten von Julius Hahn kam er ab 1. Oktober 1938 an die Versöhnungskirche Eilbek zurück, in der er (mit vierjähriger Unterbrechung durch den Kriegsdienst in Deutschland, Lothringen, Dänemark und Norwegen sowie die monatelange norwegische Gefangenschaft) bis 1967 seinen Dienst verrichtete.
In den ersten Jahren bewohnte das Ehepaar Steffen kein Pastorat, sondern eine Parterrewohnung in einem vierstöckigen Haus „mitten unter dem Volk“. Steffen fiel auch in Hamburg als jungem Pastor die Aufgabe zu, für junge Menschen da zu sein. Die jungen Männer und Frauen, die zu „offenen Abenden“ zusammenkamen, gehörten zu den geistig Beweglichen und hatten den Mut, gegen den Strom zu schwimmen.
Über diese Arbeit legte sich bald der Schatten des Krieges. Die jungen Männer wurden eingezogen oder dienstverpflichtet. Viele verloren in den Kämpfen ihr Leben. Es kamen die Nächte mit Bombenalarm, in denen das große Haus erbebte und seine Bewohner in den Luftschutzkeller flüchteten.
Im Januar 1940 und März 1941 wurden die Tochter Renate[7] und der Sohn Reinhard, der später ebenfalls Pastor wurde[8], geboren.
In Wandsbek
Am 9. Mai 1941 wurde Steffen zum Militär eingezogen. Seine Grundausbildung erhielt er in der Litzmann-Kaserne im benachbarten Wandsbek als Funker. Steffen sah es als besondere Gnade an, dass er in vier Jahren Kriegsdienst nicht einmal gezwungen war, auf Menschen zu schießen.
Seit dem 17. August 1941 führte Steffen zusammen mit seiner Frau ein „Kriegstagebuch“ besonderer Art mit täglichen Briefen hin und her. Steffens über 1000 Kriegsbriefe sind alle erhalten. Erst in der Gefangenschaft brach der Briefwechsel ab. Die Briefe vermitteln neben persönlichem Erleben auch das Spiegelbild einer furchtbaren Zeit.
In Dänemark
Steffen wurde zunächst zur weiteren technischen Ausbildung nach Kopenhagen versetzt. Im Dom begegnete er dem „segnenden Christus“ Thorvaldsens und las als ersten dänischen Satz unter dieser eindrucksvollen Plastik: „Kommer til mig“ – „Kommet her zu mir“. Dieser Ruf tröstete ihn in den kommenden Jahren. Steffen durchforschte Kopenhagen, seine hervorragenden Kunstschätze und Schlösser. Anschließend wurde er nach Aarhus zur Bedienung eines Störsenders abkommandiert und erlebte dort das ausschweifende Leben der stationierten Marinesoldaten.
Ursprünglich hatte Steffen während seines Studiums Dänisch gelernt, um Sören Kierkegaard besser verstehen zu können. In der dänischen Etappe wandte Steffen sich Grundtvig zu und verabredete mit Professor Friedrich Brunstäd in Rostock das Thema „N.F.S. Grundtvigs Verständnis des Christentums“ für eine theologische Doktorarbeit.
Steffen studierte an jedem zweiten Tag in der Aarhuser Staatsbibliothek und erhielt von Regin Prenter erste Hinweise für sein Grundtvig-Studium. Er beschäftigte sich auch mit Wilhelm Beck und der Inneren Mission als Gegenströmung. Er las über die Auseinandersetzungen mit Professor Martensen und Bischof Mynster.
1942 wurde das dritte Kind Hanna-Maria geboren.
Nach den ersten Luftangriffen der Operation Gomorrha auf Hamburg im Juli 1943 konnte Steffens Frau mit den drei Kindern nach Otterndorf zur Schwiegermutter fliehen. Erst am 12. August erhielt Steffen davon Nachricht, dass seine Familie in Sicherheit sei. In der Nacht zum 30. Juli war das Pastorat in Eilbek zerstört worden, die Kirche aber blieb in den Ruinen des Stadtviertels fast unversehrt. Das Etagenhaus, in dem die Familie Steffen gewohnt hatte, fiel ebenfalls dem Bombenangriff zum Opfer.
In Weimar
Aus Aarhus kehrte Steffen nach Kopenhagen zurück und wurde von dort nach Berlin kommandiert und weiter zu den Panzerjägern nach Weimar. Dort blieb er über ein Jahr, konnte in der Kaserne seine Grundtvig-Arbeit nicht fortsetzen, bereitete sich aber auf die Dolmetscherprüfung vor, die in Hamburg stattfand. Steffen wurde in Weimar einem besonderen Wachkommando zugeteilt, das täglich Konzentrationslagerhäftlinge aus Buchenwald zur Arbeit am nahegelegenen Bahndamm abholen musste.
Nach einer Prüfung zum Reserve-Offizieranwärter und der Festsetzung eines entsprechenden Lehrgangs sollte Steffen an die Ostfront versetzt werden, wurde aber nach Erfüllung des angeforderten soldatischen Kontingents in die Lützendorf-Kasernen zurückkommandiert.
In Lothringen
Stattdessen wurde er zur Dolmetscherschule in Saint-Avold (Lothringen) versetzt. Dänische Dolmetscher wurden zwar nicht mehr gebraucht, aber norwegische. Steffen paukte Norwegisch. In der Abschlussprüfung wurden Kenntnisse der norwegischen Kultur, der Bebauung, der Wirtschaft und des Aufbaus des norwegischen Heeres verlangt. Die Hauptforderung bestand in der Fähigkeit, auf Norwegisch durchgegebene telefonische Nachrichten sofort ins Deutsche zu übersetzen und niederzuschreiben.
In Norwegen
Kurz nach der Dolmetscher-Prüfung wurde Steffen nach Norwegen versetzt. Am 17. August 1944, nach ein paar Urlaubstagen bei seiner Familie, hatte er sich in Flensburg einzufinden. Der Weg mit dem Schiff führte ihn über Glücksburg, Aarhus, Aalborg und Frederikshavn nach Oslo. Er unternahm einen Gang durch die Innenstadt Oslos und besuchte den alten Friedhof, auf dem bedeutende Männer begraben liegen: Henrik Ibsen, Bjørnstjerne Bjørnson, Svend Borchmann Hersleb[9] (ein Freund Grundtvigs), Carl Paul Caspari, Hans Nielsen Hauge.
Steffen wurde wieder zum Wachdienst eingeteilt, ehe er an einer besonderen Unternehmung teilnehmen konnte, die ihm Land und Leute näherbrachte: Drei Männer, ein Unteroffizier, ein Funker und ein Dolmetscher, sollten die norwegische Küste entlang den Sprechverkehr des Feindes abhören, aufnehmen und nach Oslo weiterleiten. Der Auftrag sah vor, Stavanger, Bergen, Ålesund und Trondheim mit dem Zug zu erreichen und dort der Abhöraufgabe nachzukommen.
Am 29. Januar 1945 notierte Steffen im Soldatenheim Stavanger: „21 Uhr – ich schrieb meine Doktorarbeit eben zu Ende, manche Korrekturen und das Diktat stehen noch aus. Es ist eigentlich eine Anmaßung, neben dem Kommiss eine ernsthafte Mannesarbeit erledigen zu wollen! Aber nun ist das Entscheidende geschafft!“[10]
Gegen Ende des Krieges wurde in Oslo die Parole ausgegeben: „Kampf bis zum letzten Mann!“ Die Straßenpflaster wurden aufgerissen, Barrikaden errichtet. Diese Tätigkeit wurde unter deutscher Aufsicht von norwegischen Häftlingen aus den Lagern verrichtet. Die Kapitulation erfolgte dann ohne Schuss.
Gefangenschaft in Norwegen
Steffen wurde zusammen mit anderen Soldaten in das Auffanglager Hejstadmoen in Süd-Norwegen verlegt. Hier befanden sich 4000 Gefangene. Norweger suchten im Scheinwerferlicht einer dunklen Halle nach Kriegsverbrechern. Steffen war nicht betroffen und wurde bei dieser Aktion nicht ausgesondert. Im Lager wurden neben dem Arbeitsdienst Vorlesungen gehalten und Sprachunterricht angeboten. Steffen fungierte als Lagerpastor, der erkennbar ein Kreuz trug, in den Lagern „Wien“ und „Berlin“. Dort kam es auch zu Trauungen zwischen deutschen Soldaten und norwegischen Mädchen. Steffen wurde für einige Wochen in ein „Ehepaarlager“ abkommandiert. Hier wurden die deutschen Soldaten, die norwegische Mädchen geheiratet hatten, zusammengefasst.
Am 18. November 1945, seinem 36. Geburtstag, wurde Steffen aus der norwegischen Gefangenschaft nach Hause entlassen. Mit dem letzten in deutscher Hand befindlichen Schiff gelangten die Entlassenen an Helgoland vorbei in die Elbmündung, passierten den Kaiser-Wilhelm-Kanal und wurden in Neustadt in Holstein ausgeladen. Über das Entlassungslager Zeven erreichte Steffen Stade und fuhr am nächsten Tag weiter nach Otterndorf. Am 1. Dezember 1945 konnte er seine Frau und seine drei Kinder wieder in die Arme schließen.
Nachkriegszeit in Eilbek
Am 1. Januar 1946 begann Steffen wieder seinen Dienst an der Versöhnungskirche in Eilbek. Der Krieg war aus, aber ein anderer Kampf begann: der Kampf gegen die vielen Nöte der Menschen und das Ringen um Angefochtene in der Gemeinde.
Steffen wohnte zunächst unter kläglichen Bedingungen allein in der Sakristei seiner Kirche. Seine Familie blieb in Otterndorf. Drei Jahre lang scheiterten die Bemühungen um eine noch so bescheidene gemeinsame Wohnung.
Gemeindeaufbau
Die Statistik des 1. März 1952 stellte fest, dass die Versöhnungsgemeinde an 56. Stelle von 57 Hamburger Gemeinden stand und 1600 Seelen zählte. In den ersten Jahren nach dem Krieg war die Zahl noch wesentlich geringer. Der Schwerpunkt der Arbeit lag zunächst außerhalb der Ortsgemeinde. Erst 1946/47 entstand eine eigentliche Ortsgemeinde, die sich von der bisherigen Gemeinde völlig unterschied. Die Straßen waren zum Teil für den Durchgangsverkehr gesperrt, Nissenhütten wurden in kurzer Zeit aufgestellt.
Eine zusammengewürfelte Menge bezog die Hütten. Manche Einwohner waren frühere Nationalsozialisten, die aus ihren Wohnungen ausgewiesen waren, andere waren ausgebombt und hatten bisher keine Wohnung gefunden, etliche waren Flüchtlinge.
Unterbliebene Taufen wurden nachgeholt, Wiedereintritte in die Kirche vollzogen. Mischehen zwischen evangelischen und katholischen Christen nahmen zu. Steffen verfasste dafür das Büchlein „Brücke zur evangelischen Kirche“.
Zum Aufbau der Gemeinde gehörte für ihn auch das Angebot der Beichte in der Kirche. In diesem Zusammenhang schrieb er das Buch „Evangelische Beichte“. In der Gemeinde entstanden Berufstätigenkreise, ein Gesprächskreis und ein Ehepaarkreis.
Der Wiederaufbau der Gemeinde nahm auch äußerlich Gestalt an: Die hohen Fassaden der Ruinen fielen, die Nissenhütten wurden abgebrochen, die Straßen für den Verkehr wieder freigegeben. Am 1. April 1949 wurde das erste neu errichtete Etagenhaus in der Nähe der Kirche bezogen.
Diakonische Arbeit der Gemeinde
Die soziale und diakonische Arbeit der Gemeinde begann schon 1947 mit der Errichtung eines Nissenhüttenkindergartens. Später, nach Überwindung dieses Provisoriums, konnte ein Kindertagesheim errichtet werden, das am 1. Dezember 1957 eröffnet wurde.
Es folgte 1961 der Neubau des Gemeindehauses gegenüber der Kirche mit einem Kindergarten. Ein weiteres kleines Gemeindezentrum am Rande der Gemeinde im Eilbeker Weg 214 war geplant. Es sollte Pfarrhaus und Gemeinderäume enthalten und war von Steffen als Mittelpunkt für einen zweiten Kindergottesdienst und Jugendarbeit gedacht. Die Grundsteinlegung erfolgte erst am 12. Mai 1968 nach Steffens Weggang. Es wurde nach einiger Zeit wegen ungünstiger Lage (Verkehrslärm!) wieder aufgegeben.
Umfangreiche Planungen für ein neunstöckiges Altersheim auf dem Gelände des früheren Jacobifriedhofs wurden eingeleitet und nach Steffens Fortgang aus Eilbek in die Tat umgesetzt. Durch den Wiederaufbau der Osterkirche 1962 entstand eine dritte Eilbeker Gemeinde an der Wandsbeker Chaussee.
Promotion
Am 16. Juni 1948 verteidigte Steffen seine zwölf Promotionsthesen öffentlich im Großen Hörsaal der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Opponenten waren die Pastoren Gerhard Schröder aus Schinkel, Julius Hahn und Erwin Körber aus Hamburg.
Wohnung und Dienstzimmer
Im Jahr 1949 konnte die inzwischen siebenköpfige Familie Steffen (1946 war die Tochter Christina und 1949 die Tochter Ruth geboren worden) eine eigene Wohnung beziehen. Die Dreizimmerwohnung lag in der Nachbargemeinde, im ersten Stock einer ausgebauten Ruine, und war 60 m² groß. Steffen stand außerdem ein Zimmer zur Verfügung, das ihm von Gemeindegliedern angeboten worden war, um seine Predigten in aller Ruhe vorbereiten zu können. Sprechstunden hielt er in der Sakristei ab. Nach zwei Jahren konnte die Familie ins Erdgeschoss des Pastorats der benachbarten Friedenskirche einziehen. Erst 1954 wurde das Pastorat neben der Versöhnungskirche in Eilbek errichtet. Hier wurde 1955 das sechste Kind, der Sohn Michael, geboren.[11] Das Pastorat war mit dem Konfirmandensaal und der Kirche unter einem Dach.
Nachfolgeregelung für Julius Hahn
1951 ließ sich Pastor Hahn pensionieren, blieb aber bis zu seinem Tod 1956 aktiv in der Gemeinde. Die vakante Pfarrstelle wurde durch Pastor Zacharias-Langhans, später durch Steffens früheren Vikar Ulrich Hübner besetzt.
Volksmissionarischer Dienst
Steffen sorgte mit seinen ehrenamtlich Mitarbeitenden dafür, dass die Neuzugezogenen besucht wurden. Wie einst die Apostel machten sich Gruppen jeweils zu zweit auf den Weg. Dieser volksmissionarische Dienst wurde im Laufe der Zeit besonders eine Aufgabe der Jugend. Am letzten Donnerstag im Monat zog die Junge Gemeinde mit Posaunen- und Jugendchor vor die neuen Häuser oder in die Gärten zwischen den Häuserblöcken. So wurde Steffen zum „Straßenprediger“. Im Laufe der Zeit bildete er siebzehn Vikare aus, die alle, bis auf einen, fröhlich im volksmissionarischen Dienst mitmachten.
Lange Zeit erschien monatlich eine vorbildliche Jugendzeitschrift, die von der Jungen Gemeinde selbst herausgegeben wurde. Sie bereitete auch den Jugendsonntag vor, der jeweils der Höhepunkt des Jahres war.
(Geistliche) Verwandtschaft
Im Jahr 1991 war in der Festschrift zum 70-jährigen Bestehen der Versöhnungskirche zu lesen:
- „Die beiden Pastoren Hahn und Steffen arbeiteten gemeinsam wie Vater und Sohn, so daß es ein gesegnetes Miteinander war.“[12]
Neben dieser geistlichen entstand eine tatsächliche Verwandtschaft der beiden dadurch, dass die Schwester von Steffen, Dr. Ilse Hahn, den ältesten Sohn von Pastor Hahn, Ernst Joachim, heiratete.[13]
Übergemeindliche Aktivitäten
Steffen war lange Jahre Mitarbeiter im Hamburger Verein Junger Männer (CVJM). Kurse des Katechetischen Amtes fanden in Eilbek statt, dauerten 2 ½ Jahre und führten zu einem Zeugnis mit Erlaubnis zur Erteilung von Religionsunterricht an Hamburger Schulen. Steffen begann jeweils die Kurse mit der Einführung in das Alte Testament. In der Diakonen-Ausbildung des Rauhen Hauses unterrichtete Steffen das Fach Glaubenslehre, die er in zwei Jahren zu entfalten hatte. Er war dadurch genötigt, die Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Dogmatik zu studieren. Darüber hinaus versuchte er, ausgehend von der Gemeinde eine „Evangelische Akademie“ einzurichten mit verschiedenen Vortragsreihen. Themenschwerpunkte in einem Wintersemester waren „Christentum und Marxismus“, Sören Kierkegaard und zeitgenössische Literatur.
Dienstliche Reisen
Der Hamburger Landeskirchenrat entsandte Steffen als Vertreter in die 4. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes vom 30. Juli bis 11. August 1963 nach Helsinki. In Verbindung mit dieser Tagung unternahm Steffen zusammen mit Hans-Otto Wölber, Heinz Zahrnt und Carl Malsch mit Eisenbahn und Dampfer eine Reise durch Finnland.
Eine zweite Reise führte Steffen in das Heilige Land. Die Zeitschrift Für Sie hatte ihn als Reisebegleiter erbeten mit dem Auftrag, einen Artikel zu schreiben. Eine zusätzlich angebotene Reise von drei Tagen nach Athen folgte wenig später.
Berufung in die Kirchenleitung
Die Hamburger Synode wählte Steffen 1956 in den Kirchenrat, die Kirchenleitung der Hamburgischen Kirche. Seine Referate umfassten Jugend-, Studenten- und Krankenhausseelsorge sowie das zusätzliche Referat „Suchtgefahren“. Die in der Hamburger Kirchenleitung erworbenen Kenntnisse waren wichtige Voraussetzungen für die Übernahme eines Propstenamtes in der schleswig-holsteinischen Landeskirche durch Steffen.
Als Mitglied der Hamburgischen Kirchenleitung erlebte Steffen die besonderen Umstände und Herausforderungen, die sich sowohl aus der überraschenden Wahl als auch durch den plötzlichen Unfalltod des Hamburger Bischofs Volkmar Herntrich ergaben, der für ihn ein guter Freund gewesen war.
Propst von Plön
Mit Wirkung vom 16. April 1967 wurde Steffen zum Propst der Propstei Plön mit Amtssitz in Preetz berufen.
Schwerpunkte des pröpstlichen Dienstes
Schwerpunkte seiner Arbeit als Propst in der Propstei Plön waren die Visitationen der Kirchengemeinden und die Einführungen und Verabschiedungen der Pastoren sowie die jährlichen Berichte vor der Propsteisynode. Steffen widmete sich auch als Propst der Gemeindearbeit vor Ort. Er hielt wöchentlich eine Bibelstunde ab und lud örtliche Honoratioren zu einem monatlichen Gesprächskreis ein. Er sorgte für den Neubau einer Kapelle und eines Kindergartens. An predigtfreien Sonntagen besuchte er die Gottesdienste seiner Gemeinden und bot den Pastoren seelsorgerliche Gespräche an.
Reise nach Indien
Bischof Hübner schickte Steffen als Vorsitzenden des Holsteinischen Missionsbeirates für drei Monate nach Indien in die Jeypore-Kirche. Seine Frau konnte ihn auf dieser Reise von November 1971 bis Januar 1972 begleiten. Ihr gemeinsamer Eindruck war: Das von den Christen nicht bewältigte Kastenproblem hemmt den Missionsauftrag der Inder an Indern!
Ehepaar Steffen besuchte bei dieser Gelegenheit auch Schwester Annemarie Gieselbusch im Krankenhaus von Nowrangapur, die einst aus der Versöhnungsgemeinde im Auftrag der Breklumer Mission nach Orissa ausgesandt worden war und deren Gehalt seit Jahren von einer Eilbeker Gemeindegruppe freiwillig finanziert wurde.[14]
Pensionierung
Am 1. Oktober 1975 wurde Steffen pensioniert und verlebte seinen Ruhestand in Hamburg.
Im Jahr 1984 besuchte er die deutsche lutherische Gemeinde in Toronto (Kanada), wo er eine Reihe von Vorträgen hielt, die unter dem Titel „Bekennende Gemeinde in der Volkskirche“ 1984 veröffentlicht wurden.
Seine Ehefrau Irmgard starb 1997 einen Monat vor ihrem 80. Geburtstag. Steffen selber starb 1999 wenige Tage vor seinem 90. Geburtstag und liegt auf dem Ohlsdorfer Friedhof in der Familiengrabanlage Steffen begraben.[15]
Werke
- Brücke zur evangelischen Kirche. Ein Konvertitenbüchlein, Hamburg: Agentur des Rauhen Hauses 1960.
- Unsere evangelische Beichte, Hamburg: Agentur des Rauhen Hauses 1961.
- Predigt zum 40. Geburtstag der Versöhnungskirche am 5. November 1961, in: Ev. Pfarramt Hamburg-Eilbek (Hrsg.): Festschrift 40 Jahre Versöhnungskirche und Einweihung der Osterkirche Hamburg-Eilbek, Eigendruck 1962, S. 4–9 (Onlinefassung).
- Die Auferstehung von den Toten, Hamburg: Agentur des Rauhen Hauses o. J. (1962[16]).
- Fünfzig Jahre Versöhnungsgemeinde, in: Kirchenvorstand der Versöhnungskirche (Hrsg.): Festschrift zum 50jährigen Jubiläum der Versöhnungskirche zu Hamburg-Eilbek, Eigendruck 6. November 1971, S. 7–9 und 19 (Onlinefassung).
- Versöhnung einer unversöhnten Welt. Ein Zeitbericht mit Anmerkungen, Hamburg: Privatdruck 1982.
- Bekennende Gemeinde in der Volkskirche, Neukirchen-Vluyn: Schriftenmissions-Verlag 1984.
- Der Wiederaufbau der Gemeinde nach dem Krieg, in: Kirchenvorstand der Versöhnungskirche Eilbek (Hrsg.): Lasset euch versöhnen mit Gott! Festschrift anläßlich des 75-(jährigen) Bestehens der Versöhnungskirche zu Eilbek, Eigendruck 1996, S. 2 f. (Onlinefassung)
Quellen
- Julius Hahn: Briefe an Heinz Harten (1931–1937) , herausgegeben von Konrad Rahe (Onlinefassung)
- Ilse Hahn: Die Vergangenheit lebt. Erinnerungen an gute und schwere Jahre der Versöhnungskirche zu Hamburg-Eilbek, in: Kirchenvorstand der Versöhnungskirche zu Hamburg-Eilbek (Hrsg.): Geburtstagsschrift zum 70-jährigen Jubiläum der Versöhnungskirche zu Eilbek, Eigendruck 1991, S. 5–42 (Onlinefassung).
- Friedrich Hammer: Verzeichnis der Pastorinnen und Pastoren der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche 1864–1976, Kiel: Verein für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte 1991, S. 372.
Weblinks
Einzelnachweise
- Biogramm Julius Hahn
- Gregor Steffen: Versöhnung einer unversöhnten Welt, 1982, S. 13.
- Eintrag 1928 im Rostocker Matrikelportal
- Gregor Steffen: Versöhnung einer unversöhnten Welt, 1982, S. 31.
- Eintrag 1931 im Rostocker Matrikelportal
- Biogramm Paul Jürß
- Renate Steffen heiratete 1962 den Pastor und späteren Propst Hermann Augustin. Weitere biographische Angaben online unter http://www.geschichte-bk-sh.de/index.php?id=439.
- Siehe dazu das Interview mit Reinhard Steffen anlässlich seines 80-jährigen Geburtstages, im Internet auf YouTube zugänglich unter https://www.youtube.com/watch?v=ee2sg1PgvMY
- https://en.wiki.li/Svend_Borchmann_Hersleb
- Gregor Steffen: Versöhnung einer unversöhnten Welt, 1982, S. 92.
- Michael Steffen ergriff denselben Beruf wie Vater und Bruder und war zuletzt Pastor in Quickborn. Er starb 2009 nach langer Krankheit mit 53 Jahren.
- Gregor Steffen: Versöhnung einer unversöhnten Welt, 1982, S. 21.
- Dr. Ernst Joachim Hahn war Pastor in Rothenburgsort und fiel am Ende des Zweiten Weltkriegs.
- Inzwischen ist Annemarie Gieselbusch mit der Bugenhagenmedaille der Nordkirche ausgezeichnet worden, siehe Nachricht: Bugenhagenmedaille für Annemarie Gieselbusch.
- Friedhof Hamburg-Ohlsdorf 0069. grabsteine.genealogy.net. Abgerufen am 17. Juli 2021.
- Dieser Schrift lag ein Vortrag zugrunde, der bei der Einweihung der Osterkirche in Hamburg-Eilbek und der Martin-Luther-Kirche in Hamburg-Alsterdorf gehalten wurde.