Feliks Dzierżyński
Feliks Edmundowitsch Dzierżyński (russisch Феликс Эдмундович Дзержинский Felix Edmundowitsch Dserschinski; * 30. Augustjul. / 11. September 1877greg. in Oziembłowo, Russisches Kaiserreich; † 20. Juli 1926 in Moskau) war ein polnisch-russischer Berufsrevolutionär. Dzierżyński war Gründer und Leiter der bolschewistischen Geheimpolizei Tscheka (1917–1922), danach bis zu seinem Tod erster Leiter der Nachfolgeorganisation GPU.
Leben
Geboren wurde Feliks Dzierżyński auf dem Landgut seines Vaters in Oziembłowo im Ujesd Oschmjany im damaligen Gouvernement Wilna im äußersten Westen des Russischen Kaiserreiches; heute trägt der Ort den Namen Dsjarschynawa und gehört seit 1991 zum belarussischen Rajon Stoubzy. Sein Vater Edmund Dzierżyński entstammte dem verarmten polnisch-litauischen Adel und war von Beruf Lehrer. In der Kindheit träumte Felix davon, Priester zu werden.[1] Nur er und sein Bruder Zygmunt (später populärer Professor der Polonistik am Adam-Asnyk-Lyzeum in Kalisz und Antikommunist, † 1931) konnten dadurch eine höhere Schule besuchen. So wurde Dzierżyński im August 1887 in die erste Klasse des Gymnasiums in Wilna aufgenommen. Dieselbe Schule hatte auch der zehn Jahre ältere Józef Piłsudski besucht. Doch bevor Dzierżyński seinen Abschluss machen konnte, wurde er wegen „revolutionärer Aktivitäten“ exmatrikuliert.
1900 wurde Dzierżyński zu einem der Gründer der sozialdemokratischen Partei Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauens (SDKPiL), in der er 1902 die Leitung der Auslandsabteilung übernahm und 1903 zum Vorstandsmitglied gewählt wurde. 1905/06 zählte er zu den führenden Aktivisten im russisch verwalteten Polen, besonders in Warschau und Łódź, und vertrat gleichzeitig seine zunehmend internationalistisch-klassenkämpferisch ausgerichtete Partei im Zentralkomitee der russischen Sozialdemokratie. Bis 1915 wurde Dzierżyński sechsmal inhaftiert, zweimal deportierte man ihn nach Sibirien. 1908 schrieb er in der sibirischen Verbannung sein später vielgelesenes Tagebuch eines Gefangenen. Insgesamt verbrachte er elf Jahre im Gefängnis, davon einige Jahre im Zuchthaus, in dem er an Tuberkulose erkrankte.[2]
Seit April 1917 war Dzierżyński Mitglied der Exekutive der russischen Gruppen innerhalb der SDKPiL. Im Sommer 1917 trat er den Bolschewiki bei und wurde Mitglied ihres Zentralkomitees. Während der Oktoberrevolution war er einer der Führer des bewaffneten Aufstands der Bolschewiki gegen die provisorische Regierung Alexander Kerenskis in Petrograd.
Nach dem Sieg der Bolschewiki Ende 1917 schuf Dzierżyński auf Veranlassung Lenins die als Geheimpolizei agierende Allrussische außerordentliche Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution und Sabotage (Tscheka), deren Leiter er bis zu seinem Tod blieb. Nach dem Aufstand der Linken Sozialrevolutionäre vom Juli 1918 war er zeitweilig auf eigenen Antrag vom Amt suspendiert.[3] Am 5. September 1918 erhielt er nach dem fehlgeschlagenen Attentat Fanny Kaplans auf Lenin von diesem die Order, mit dem Roten Terror zu beginnen. In diesem Zusammenhang wurde die Anzahl der Arbeitslager bis Ende 1920 auf 107 erhöht.[4] Die Tscheka tötete nach dem Vorbild der Terrorherrschaft während der Französischen Revolution angebliche oder tatsächliche Konterrevolutionäre und legte dabei laut diversen Quellen oft den Schwerpunkt ihrer Außenwirkung auf Abschreckung statt auf Wahrheitsfindung.
Während des polnisch-sowjetischen Krieges von 1919 bis 1921 war Dzierżyński Mitglied des Kriegsrates beim sowjetischen Befehlshaber Michail Tuchatschewski. 1920 wurde er an die Spitze des von den Sowjets geschaffenen Polnischen Revolutionskomitees im von den Sowjets eroberten Białystok gestellt, das die Aufgabe erhielt, in Polen (das nach den Wünschen der polnischen Kommunisten die Provinz Posen und Oberschlesien an das Deutsche Reich abgeben und Sowjetrussland beitreten sollte) die kommunistische Machtübernahme vorzubereiten. Der polnische Sieg in der Schlacht bei Warschau 1920 machte diese Pläne jedoch zunichte. 1921 schlossen Sowjetrussland und Polen den Frieden von Riga.
Nach diesem Krieg bis zu seinem Tod hatte Dzierżyński verschiedene hohe Funktionen. Er blieb Leiter der Tscheka, die nunmehr Vereinigte staatliche politische Verwaltung (GPU) genannt wurde, war bis 1921 Volkskommissar (Minister) für Innere Angelegenheiten, dann bis 1923 Verkehrsminister. Als Vorsitzender des Obersten Wirtschaftssowjets leitete er seit 1924 den Aufbau vieler Wirtschaftsregionen der Sowjetunion. Im April 1923 gründete er in Moskau die Sportgesellschaft „Dynamo“. Von 1924 bis zu seinem Tod war er Kandidat des Politbüros des Zentralkomitees der KPR(B).
Dzierżyński starb 1926 unmittelbar nach einer von ihm gehaltenen Rede vor dem Zentralkomitee an einem Myocardinfarkt.[2] Sein Nachfolger auf dem Posten des Geheimdienstchefs wurde sein Stellvertreter Wjatscheslaw Menschinski, der wie Dzierżyński polnischer Abstammung war.
Dzierżyński war verheiratet mit Zofia Dzierżyńska (1882–1968), einer Jugendfreundin von Rosa Luxemburg.
Nachwirkung
Nach seinem Tod und besonders nach 1945 wurden Dzierżyński zu Ehren viele Statuen errichtet. In Warschau wurde ein riesiges Denkmal 1951 vor dem Amtssitz des Stadtrats aufgestellt. Aus diesem Anlass wurde eine Ausstellung eröffnet, in der besonders auf Dzierżyńskis angebliche "Liebe zu den Kindern" hingewiesen wurde.[5] Dieses Denkmal hatten nicht wenige polnische Landsleute als eine grobe Verletzung ihres Nationalstolzes verurteilt, das bürgerliche Polen sah in ihm einen Volksverräter und feindlichen Agenten. Das Denkmal wurde nach der politischen Wende im November 1989 unter dem Beifall Tausender Schaulustiger demontiert, wobei es zerbrach.[6]
Nach dem Zerfall der Sowjetunion im Dezember 1991 wurden fast alle Denkmäler in Russland entfernt, allen voran das in Moskau vor dem Gebäude der als Gefängnis und GPU-Zentrale dienenden Lubjanka. Die Statue, die bis 1991 vor der Lubjanka stand, befindet sich heute im Skulpturenpark an der Moskwa. In der nach ihm benannten russischen Stadt Dserschinsk nahe Nischni Nowgorod in der Oblast Moskau und in der Stadt Salawat in Baschkortostan gibt es noch Denkmäler zu seinen Ehren, in letzterem Ort auch eine nach ihm benannte Straße.
Ein neues Dzierżyński-Denkmal wurde in Dsjarschynsk in Belarus vom Präsidenten Aljaksandr Lukaschenka errichtet. Außerdem wurde am 26. Mai 2006 in der Militärakademie in Minsk ein neues Dzierżyński-Denkmal eingeweiht, das eine originalgetreue (kleinere) Kopie des ehemaligen Moskauer Denkmals ist. Eine der Hauptstraßen in Minsk trägt außerdem seinen Namen.
Die ukrainische Stadt Kamjanske trug zwischen 1936 und 2016 den Namen Dniprodserschynsk.
Eine Division der Spezialeinheiten des russischen Innenministeriums ist nach ihm benannt.[7] Das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) der DDR benannte sein Wachregiment Feliks Dzierzynski nach ihm.
Der durch seine Kameras bekannt gewordene Maschinenbauer FED (ursprünglich FED-Arbeitskommune) wurde nach den Initialen seines Namens benannt.
2017 beschloss die Nationalgarde der Russischen Föderation der Saratow-Filiale dieser Einrichtung den ursprünglichen Namen „Das Rote-Fahnen-Institut namens Dserschinski F.E.“ zurückzugeben.[8]
Im Frühjahr 2021 fand in Moskau eine Internetabstimmung statt darüber, ob das Denkmal Dzierżyńskis vor der Lubjanka wieder aufgerichtet werden solle. Man konnte zwischen Dzierżyński und einem Denkmal von Fürst Newski wählen. Nach nur zwei Tagen und 320.000 Stimmen, und während Newski in Führung war, wurde die Befragung abgebrochen. Zum Abbruch sagte der Bürgermeister, Denkmäler, die auf den Straßen und Plätzen stehen, sollten die Gesellschaft nicht spalten, sondern vereinen.[9]
Schriften
- Ausgewählte Artikel und Reden 1908–1926. Dietz Verlag Berlin 1953.
- Ausgewählte Schriften in zwei Bänden. Band I: 1897–1923. Geleitwort von Erich Mielke. (Hrsg.) Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit, Potsdam 1984. (Rote „Tscheka-Reihe“ des MfS)
- Ausgewählte Schriften in zwei Bänden. Band II: 1924–1926. (Hrsg.) Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit, Berlin 1986. (Rote „Tscheka-Reihe“ des MfS)
- Pisma wybrane. Wydz. historii partii KC PZPR. [Ausgewählte Schriften] (Hrsg. Tadeusz Daniszewski). Książka i wiedza, Warszawa 1955 (polnisch)
Literatur
- Oscar Blum: Russische Köpfe. Kerenski, Plechanow, Martow, Tschernow, Sawinkow-Ropschin, Lenin, Trotzki, Radek, Lunatscharsky, Dzerschinsky, Tschitscherin, Sinowjew, Kamenew. Mit 9 Porträtswiedergaben. Schneider, Berlin 1923.
- N. I. Subow: Feliks Dżierzyński. Eine Biographie. 3., erweiterte Auflage. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin (Ost) 1975.
- Nikolai Machwiladse: Feliks Dzierżyński. Leben und Wirken in Bildern und Dokumenten. Progress, Moskau 1975.
- Feliks Edmundowitsch Dzierzynski. Leben und Wirken 1877–1926. 2 Bände. Offizin Andersen Nexö, Leipzig 1976.
- Robert Blobaum: Feliks Dzierzynski and the SDKPiL: A study of the origins of Polish Communism. Columbia University Press, New York 1984.
- Zofia Dzierzynska: Jahre großer Kämpfe. Feliks Edmundowitsch Dzierzynski – als Mensch, Ehemann und Vater. Militärverlag der DDR, Berlin (Ost) 1977.
- Bolschaja Sowjetskaja Enziklopedija. Band 8, Moskau 1972. Artikel Дзержинский Феликс Эдмундович in der Großen Sowjetischen Enzyklopädie (BSE), 3. Auflage 1969–1978 (russisch)
- S. S. Chromow: Feliks Dzierzynski. Biographie. Dietz Verlag, Berlin (Ost) 1980; 3., erweiterte Auflaga ebenda 1989, ISBN 3-320-00989-3.
- Peter Scheibert: Lenin an der Macht. Das russische Volk in der Revolution 1918–1922. Verlag Acta humaniora, Weinheim 1984, ISBN 3-527-17503-2, passim.
- Liliana Riga: Reconciling nation and class in imperial borderlands: the making of Bolshevik internationalists Karl Radek and Feliks Dzierzynski in east central Europe. In: Journal of Historical Sociology. Band 19, Nr. 4, 2006, S. 447–472. ISSN 0952-1909
- F. Ė. Dzeržinskij. Gosudarstvennaja bezopasnostʹ. O. V. Selin. Algoritm, Moskau 2008, ISBN 978-5-699-30517-9.
Filme
- Bürgerkrieg in Rußland (TV-ZDF 1967/68, fünf Teile, Regie: Wolfgang Schleif, mit Dieter Wagner in der Rolle Dserschinskis)
- Feindlicher Wirbelwind (Vikhri vrazhdebnye/Wichri wraschdebnye), UdSSR 1953, Regie: Michail Kalatosow. Mit Micheil Gelowani (Stalin), Michail Kondratjew (Lenin), Wladimir Jemeljanow (Dserschinski), Leonid Ljubaschewski (Swerdlow) und Wladimir Solowjow (Kalinin).
- Lenin im Oktober (Lenin v oktyabre, UdSSR 1937, Regie: Michail Romm, mit Wladimir Prokrowsky in der Rolle Dserschinskis).
- Lenin 1918.
- Besondere Kennzeichen: Keine (Osobych primet net) UdSSR/POL/DDR 1979, Regie: Anatoli Bobrowski, Drehbuch Julian Semjonow
- Krach Operazii Terror (Das Scheitern der Operation Terror), UdSSR/POL 1980, Regie: Anatoli Bobrowski, Drehbuch Julian Semjonow
Weblinks
- Literatur von und über Feliks Dzierżyński im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Zeitungsartikel über Feliks Dzierżyński in der Pressemappe 20. Jahrhundert der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
- Clara Zetkin: Zum Tode Felix Dzierzynskis.
- J. W. Stalin: F. Dzierzynski. (Memento vom 25. September 2017 im Internet Archive)
- Dserschinski – Erster Tschekist und Stalins Henker, Die Welt, 27. Juni 2015
- Jelena Jegorowa: Две стороны жизни Дзержинского Die zwei Seiten des Lebens von Dserschinski (2008, russ.)
Einzelnachweise
- Две стороны жизни Дзержинского - аверс (Елена Николаевна Егорова) / Проза.ру. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 23. August 2011; abgerufen am 12. April 2018. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- БИОГРАФИЯ ФЕЛИКСА ДЗЕРЖИНСКОГО. Abgerufen am 12. April 2018 (russisch).
- vgl. Philipp Ewers: Feliks E. Dzierżyński: Eiserner Tschekist und gefeierter Held. edition berolina, Berlin 2018, Kapitelanfang Dzierżyński als Tscheka-Vorsitzender sowie Jonathan D. Smele: Historical Dictionary of the Russian Civil Wars, 1916–1926, Rowman & Littlefield, 2015, S. 355.
- Anne Applebaum: Gulag: A History. Random House LLC, New York City 2007, ISBN 978-0-307-42612-3, S. 45 (englisch, Google Books [abgerufen am 29. Oktober 2019]).
- Poznajemy życie Feliksa Dzierżyńskiego pkf 32/51 (Polnische Wochenschau vom 1. August 1951)
- Denkmalssturz in Warschau taz.de, 18. November 1989.
- AFP und dpa: Kreml lässt Division "Felix Dscherschinski" aufmarschieren. In: zeit.de. 6. Dezember 2011, abgerufen am 21. Dezember 2016.
- Саратовский институт вернет себе имя Феликса Дзержинского. Abgerufen am 12. April 2018.
- Warum die Behörden ihre Meinung über die Errichtung eines Denkmals für Lubyanka geändert haben, Meduza, 27. Februar 2021