Eduard von Simson
Martin Eduard Sigismund Simson, ab 1888 Eduard von Simson (* 10. November 1810 in Königsberg i. Pr.; † 2. Mai 1899 in Berlin), war ein deutscher Richter, Hochschullehrer und Parlamentarier im Königreich Preußen. Durch seine Mitarbeit an der letztlich gescheiterten Reichsverfassung von 1849 wird er als der „erste deutsche Verfassungsvater“ angesehen.[1] Simson war Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung und von Dezember 1848 bis Mai 1849 ihr Präsident. Dasselbe Amt übte er 1850 im Volkshaus des Erfurter Unionsparlamentes und von 1867 bis 1873 in den Reichstagen des Norddeutschen Bundes sowie des Kaiserreichs aus. 1879 wurde Simson erster Präsident des Reichsgerichts in Leipzig.
Leben
Seine jüdischen Eltern ließen Eduard Simson 1823 taufen. Im März 1826 machte er mit 15 Jahren das Abitur am Collegium Fridericianum. An der Albertus-Universität Königsberg begann er, Rechtswissenschaft und Kameralwissenschaft zu studieren. Von seinen Lehrern nennt er nur Heinrich Eduard Dirksen.[2] In Königsberg half er Johann Jacoby bei der Gründung des dritten Littauer-Kränzchens innerhalb der burschenschaftlichen Allgemeinheit Königsberg am 2. Februar 1827. Das Kränzchen wurde 1829 zur Corpslandsmannschaft Lithuania.[3] Simson wechselte an die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin und die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und diente in der Preußischen Armee.
1829 promovierte er in Königsberg zum Dr. iur.[4][5] Auf Antrag der Fakultät erhielt er sogleich die Venia legendi. Ein Stipendium ermöglichte ihm eine Studienreise nach Berlin, Halle, Leipzig, Göttingen und Bonn. Dort beeindruckte ihn besonders Barthold Georg Niebuhr. Kurz nach der Julirevolution von 1830 traf er in Paris ein. Über Heidelberg und Berlin kehrte er nach Königsberg zurück.[6] Mit dem Reisestipendium verbunden war die Verpflichtung, nach der Rückkehr ab 1831 zwei Jahre als Privatdozent zu lehren. Ungewöhnlich war, dass er Pandektenwissenschaft lesen durfte und schon 1833 zum außerordentlichen Professor ernannt wurde.
Am 3. Oktober 1835 beantragte Simson die Ernennung zum ordentlichen Professor, weil seine „Vorlesungen in der hiesigen Fakultät die am meisten besuchten sind“. Die Fakultät widersprach entschieden: Mit drei ordentlichen Professoren im Römischen Recht sei der Bedarf gedeckt und überhaupt seien bei der sinkenden Studentenzahl fünf Ordinarien ausreichend. Außerdem sei ein weiterer Lehrer des Deutschen Rechts nötiger und habe Heinrich Friedrich Jacobson Vorrang. Simsons Lehrerfolg versuchte die Fakultät zu relativieren; ihm fehle es an der wissenschaftlichen Durchdringung und an Publikationen. Der Kurator gab diese Stellungnahme an das Preußische Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten weiter, sprach sich aber für Simsons Ernennung aus. Auf Wunsch der Fakultät empfahl er „eine gründliche Überprüfung seiner beiden Dissertationen“. Diesem Wunsch war das Ministerium am 22. Oktober 1835 insoweit zuvorgekommen, als es bei Carl Unterholzner in Breslau ein Gutachten über Simsons zweite Dissertation angefordert hatte.[7] Trotz der eher ungünstigen Gutachtenlage wurde Simson am 22. Mai 1836 zum ordentlichen Professor ernannt.[2] Seit 1834 Mitglied, wurde er 1846 Rat des Tribunals für das Königreich Preußen.
Auf Betreiben von Johann Gustav Droysen und Christian Schüler, die wie er Abgeordnete in der Nationalversammlung gewesen waren, erhielt er 1852 einen Ruf der Universität Jena auf ihren Lehrstuhl für Pandektenwissenschaft.[2] Simson lehnte ihn ab. Von 1855 bis 1857 war er Rektor der Albertina.[8]
Parlamentarier
Als Abgeordneter für Königsberg gehörte Simson vom 18. Mai 1848 bis zum 20. Mai 1849 der Frankfurter Nationalversammlung an, zunächst als Sekretär im Gesamtvorstand, ab Oktober 1848 als Vizepräsident und ab Dezember 1848 als Präsident. Im April 1849 stand er an der Spitze der Kaiserdeputation, die Friedrich Wilhelm IV. seine Wahl zum Kaiser der Deutschen überbrachte. Als diese Sendung scheiterte, lehnte Simson die Fortführung des Präsidiums ab. Im August 1849 trat er als Abgeordneter für Königsberg in das Abgeordnetenhaus des preußischen Landtags. Im Erfurter Unionsparlament war er Präsident des Volkshauses.[3]
Erst 1858 wandte er sich wieder dem politischen Leben zu. 1860 wurde er zum Vizepräsidenten des Appellationsgerichts Frankfurt (Oder) ernannt. In diesem und im nächsten Jahr führte er das Präsidium des Abgeordnetenhauses, 1867 war er Präsident des konstituierenden Reichstags, der den Norddeutschen Bund vorbereitete. Er war Vorsitzender auch der ordentlichen Reichstage von 1867 bis 1873 und auch des Zollparlaments.[3]
Am 3. Oktober 1867 überbrachte er dem preußischen König Wilhelm I. die Adresse des im August gewählten Norddeutschen Reichstags nach der Burg Hohenzollern. Am 13. Dezember 1870 reiste er an der Spitze einer Deputation nach Versailles und überbrachte Wilhelm die Adresse des Norddeutschen Reichstags, durch die Wilhelm gebeten wurde, die ihm angetragene Kaiserwürde anzunehmen.[3]
1874 musste er krankheitshalber eine Wiederwahl ablehnen. 1877 nahm er auch kein Reichstagsmandat mehr an. Seit 1869 Präsident des Appellationsgericht Frankfurt/Oder, wurde Simson bei der Errichtung des Reichsgerichts in Leipzig am 1. Oktober 1879 zum Präsidenten des Gerichts und des Disziplinarhofs berufen. Am 1. Februar 1891 trat er in den Ruhestand und nahm seinen Wohnsitz in Berlin.
Tod und Grabstätte
Eduard von Simson starb am 2. Mai 1899 im Alter von 88 Jahren in Berlin.[9] Einen Tag vor seinem Tod erlebte er – obgleich schon nicht mehr bei vollem Bewusstsein – „einen ungemein seltenen Gedenktag, die siebzigjährige Wiederkehr seine[r] Doktorpromotion, die er schon im jugendlichen Alter von 18 ½ Jahren erlangt hatte“.[10] Beigesetzt wurde er in einem Erbbegräbnis auf dem Friedhof III der Jerusalems- und Neuen Kirche vor dem Halleschen Tor. In der Gittergrabanlage dient nur ein kleiner Grabstein aus rotbraunem Granit als Grabmarkierung.[11]
Ehrungen
- Ehrenbürger der Stadt Frankfurt (Oder) (1873)[12]
- Ehrenbürger der Stadt Leipzig (1883)
- Wirkl. Geh. Rat
- Schwarzer Adlerorden (1888)
- Orden vom Zähringer Löwen, Großkreuz mit Brillanten (1893)
Friedrich III. verlieh ihm am 18. März 1888 im Schloss Charlottenburg den Schwarzen Adlerorden. Mit dem Wappenbrief vom 28. Mai 1888 wurde Simson nobilitiert und in den preußischen erblichen Adelsstand erhoben.[13]
Nach Simson benannte Leipzig eine Straße im Musikviertel, eine Brücke und den Platz vor dem Reichsgericht, dem heutigen Bundesverwaltungsgericht. Im Berliner Tiergarten trägt seit 1977 ein Weg beim Reichstagsgebäude zum Brandenburger Tor Simsons Namen. Die heutige Scheidemannstraße am Reichstagsgebäude trug 1895–1938 seinen Namen.[14] Eine weitere in Berlin-Lichtenberg trug 1905–1911 diesen Namen.[15] In Frankfurt am Main ist eine Straße am Parlamentsplatz nach ihm benannt.
Auf Beschluss des Berliner Senats ist die letzte Ruhestätte von Eduard von Simson auf dem Friedhof III der Jerusalems- und Neuen Kirche (Grabstelle 343-EB-256a) seit 1964 als Ehrengrab des Landes Berlin gewidmet. Die Widmung wurde zuletzt im Jahr 2016 um die inzwischen übliche Frist von zwanzig Jahren verlängert.[16]
Familie
Sein Vater, Zacharias Jakob (1785–1876), war Kaufmann und Wechselmakler in Königsberg i. Pr. Seine Mutter, Marianne Sophie (gest. 1866), war eine Tochter des Kaufmanns Simon Joachim Friedländer. Seine Brüder waren August Simson (1812–1888), Professor der Theologie, sowie die Juristen Georg Bernhard Simson (1817–1897) und John Simson (1823–1886).
Eduard von Simson heiratete 1834 in Königsberg i. Pr. Clara Alexandrine (1814–1883), eine Tochter des Bankiers Marcus Warschauer.[17] Das Paar hatte neun Kinder, darunter den Juristen August von Simson (1837–1927) und den Historiker Bernhard von Simson (1840–1915). Georg von Simson ist sein Enkel.
Literatur
- Protokoll der Wahl Simsons zum ersten Präsidenten des Reichstags des Norddeutschen Bundes 1867. In: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867. 1. Band, Berlin 1867, S. 37–38 (Digitalisat).
- Hans Blum: Die Präsidenten des deutschen Reichstags. Erinnerungen und Skizzen. I. Eduard Simson. In: Westermanns Monatshefte. Oktober 1896, S. 18–27.
- Dr. Eduard von Simson †. In: Deutsche Juristen-Zeitung. Band 4, 1899, S. 210. (Nachruf; online beim MPIER).
- Hermann von Petersdorff: Simson, Eduard von. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 54, Duncker & Humblot, Leipzig 1908, S. 348–364.
- Felix Hirsch: Eduard von Simson. Das Problem der deutsch-jüdischen Symbiose im Schatten Goethes und Bismarcks. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. Band 16, 1965, S. 261–277.
- Günther Meinhardt: Eduard von Simson. 1981.
- Hildebert Kirchner: Eduard von Simson. Gesellschaft für Kulturhistorische Dokumentation, Karlsruhe 1985.
- Bernd-Rüdiger Kern, Klaus-Peter Schroeder (Hrsg.): Eduard von Simson (1810–1899). „Chorführer der Deutschen“ und erster Präsident des Reichsgerichts. Nomos-Verlags-Gesellschaft, Baden-Baden 2001, ISBN 3-7890-7419-5 (Juristische Zeitgeschichte: Abteilung 2, Forum juristische Zeitgeschichte, Band 10).
- Genealogisches Handbuch des Adels. Band 128, Nr. XIII. Starke, 2002, ISSN 0435-2408.
- Michael F. Feldkamp: Der vergessene Präsident. In: Das Parlament, Nr. 46–47, 15. November 2010, S. 3 (das-parlament.de).
- Andreas Thier: Simson, Martin Eduard Sigismund von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 24, Duncker & Humblot, Berlin 2010, ISBN 978-3-428-11205-0, S. 451–453 (Digitalisat).
- Arndt Kiehle, Bernd Mertens, Gottfried Schiemann: Martin Eduard Simson. In: Bernd-Rüdiger Kern: Die Königsberger Historische Rechtsschule (Festschrift für Jan Schröder zum 70. Geburtstag). Mohr Siebeck, 2013, S. 387–390.
- Handbuch des preußischen Adels, 1892, Bd. 1, S.543 f.
- Jürgen Manthey: Der erste deutsche Verfassungsvater (Eduard von Simson), in ders.: Königsberg. Geschichte einer Weltbürgerrepublik. München 2005, ISBN 978-3-423-34318-3, S. 486–492.
Weblinks
- Literatur von und über Eduard von Simson im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Literaturliste im Online-Katalog der Staatsbibliothek zu Berlin
- Eduard von Simson in der Datenbank der Reichstagsabgeordneten
- Eduard von Simson. In: Ostdeutsche Biografie (Kulturportal West-Ost)
- Nachlass Bundesarchiv N 1763
- Simson, Martin Eduard Sigismund von. Hessische Biografie. (Stand: 4. Januar 2022). In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).
Einzelnachweise
- Jürgen Manthey: Königsberg. Geschichte einer Weltbürgerrepublik. München 2005, S. 486–492.
- Kiehnle / Mertens / Schiemann (2013).
- Walter Passauer: Corpstafel der Littuania zu Königsberg, S. 29 f., Nr. 35. Königsberg 1935.
- 1. Dissertation: De J. Paulli manualium libris III.
- Dissertation im WorldCat.
- Peter Mast: E. v. Simson. Ostdeutsche Gedenktage. Bonn 1998, S. 121–127.
- 2. Dissertation: Ad. Dig. de capite minutis (IV.5) legem II (alt.) exercitatio instituto.
- Rektoratsreden (HKM).
- Präsident Simson †. In: Berliner Tageblatt, 3. Mai 1899, Morgen-Ausgabe, S. 1.
- Wilhelm Ahrens: Aus aller Welt. In: Neues Wiener Journal, 4. Mai 1924, S. 22 (online bei ANNO).
- Hans-Jürgen Mende: Lexikon Berliner Begräbnisstätten. Pharus-Plan, Berlin 2018, ISBN 978-3-86514-206-1, S. 246–247.
- Ralf Look: Pasewalker bei Paris. In: Märkische Oderzeitung vom 16./17. Januar 2021, Journal S. 2
- A. Freiherr von Houwald: Brandenburg-Preußische Standeserhebungen und Gnadenakte für die Zeit 1873-1918. Görlitz 1939, S. 65f.
- Simsonstraße (Tiergarten). In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins
- Simsonstraße (Lichtenberg). In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins
- Ehrengrabstätten des Landes Berlin (Stand: November 2018). (PDF, 413 kB) Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, S. 83; abgerufen am 30. März 2019. Anerkennung und weitere Erhaltung von Grabstätten als Ehrengrabstätten des Landes Berlin. (PDF, 205 kB). Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 17/3105 vom 13. Juli 2016, S. 1 und Anlage 2, S. 15; abgerufen am 30. März 2019.
- Eduard von Simson, Deutsche Biografie, abgerufen am 1. Juli 2015.