Diabetische Nephropathie
Die diabetische Nephropathie (Nephropathia diabetica), auch Kimmelstiel-Wilson-Syndrom (bei Typ I Diabetes), interkapilläre Glomerulonephritis, noduläre Glomerulosklerose oder diabetische Glomerulosklerose, ist eine progressive Nierenerkrankung aufgrund einer Angiopathie der Kapillaren des Nierenkörperchens. Das charakteristische histologische Merkmal ist eine knötchenförmige (lat. noduläre) Bindegewebsvermehrung (noduläre Sklerose). Ursache der diabetischen Nephropathie ist ein langjähriger Diabetes mellitus. Die diabetische Nephropathie ist in Deutschland die häufigste Ursache eines dialysepflichtigen Nierenversagens.
Klassifikation nach ICD-10 | |
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N08.3* | Glomeruläre Krankheiten bei Diabetes mellitus |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Geschichte
Das Syndrom wurde von dem britischen Arzt Clifford Wilson (1906–1997) und dem aus Deutschland stammenden und später in den USA lebenden Arzt Paul Kimmelstiel (1900–1970) entdeckt und 1936 zum ersten Mal publiziert.[1]
Epidemiologie
Das Syndrom kann bei Patienten mit langjährig schlecht eingestelltem Diabetes mellitus (d. h. dauerhaft zu hohe Blutzuckerwerte) auftreten, unabhängig von der Ursache der diabetischen Stoffwechselstörung. Die Erkrankung ist progredient und kann, falls sie nicht behandelt wird, innerhalb von zwei bis drei Jahren nach dem Auftreten der ersten Veränderungen zum vollständigen Verlust der Nierenfunktion führen. In Deutschland war im Jahr 2005 die diabetische Nephropathie mit einem Anteil von 35 % häufigste Ursache einer neu aufgetretenen dialysepflichtigen Niereninsuffizienz.[2] In Entwicklungsländern ist in den letzten Jahren vor allem in ärmeren Schichten bei Übernahme eines westlichen Lebensstils mit billiger, energiereicher Nahrung und Bewegungsmangel ein dramatischer Anstieg des Diabetes mellitus Typ 2 und damit der diabetischen Nephropathie zu beobachten. Da in diesen Ländern eine Dialysebehandlung nicht allgemein zur Verfügung steht, kommt die Diagnose meist einem Todesurteil gleich. Besonders betroffen sind Indien und China.[3]
Die Angaben zur Häufigkeit der Glomerulosklerose bei Diabetikern schwanken stark. Bei Obduktionen findet man entsprechende histologische Veränderungen in 7,3 bis 66 Prozent der Fälle, bei Biopsien in bis zu 93 Prozent der Fälle.[4] Lineare Beziehungen (Proportionalität) zwischen dem Schweregrad der feingeweblichen Veränderungen und der Schwere der Niereninsuffizienz werden nicht beschrieben. Ebenso gibt es keine Hinweise für eine Proportionalität zwischen dem durchschnittlichen Blutzuckerspiegel (HbA1c) und dem Stadium der Niereninsuffizienz. Die Prävalenz von Nierenversagen beträgt beim Diabetes mellitus Typ 1 40 % und beim Typ 2 20–30 %.[5] Also etwa 70 Prozent aller Diabetiker entwickeln keine Nephropathie.[6]
Pathologie
Veränderungen an den Nierenkörperchen (Glomerulum) treten bei Patienten mit langjährigem Diabetes bereits vor dem Nachweis von Albumin im Urin auf.
2010 wurde eine Klassifikation der diabetischen Nephropathie nach Schweregrad der histologisch nachweisbaren Gewebsveränderungen veröffentlicht:[7]
- Klasse I: Verdickung der glomerulären Basalmembran (bei Frauen auf >395 nm, bei Männern auf >430 nm).[8]
- Klasse IIa: Milde Verbreiterung in mehr als 25 % des beobachteten Mesangium (Bindegewebe zwischen den Kapillarschlingen des Nierenkörperchens): Das Mesangium ist nicht breiter als das Lumen der Kapillarschlingen.[9]
- Klasse IIb: Schwere Verbreiterung in mehr als 25 % des beobachteten Mesangium: Das Mesangium ist breiter als das Lumen der Kapillarschlingen.
- Klasse III: Noduläre Sklerose: Mindestens eine typische knötchenförmige (noduläre) Vernarbung (Sklerose) der Kapillarschlingen mit Einlagerung von strukturlosem Material (Hyalin) (klassische Kimmelstiel-Wilson-Läsion).
- Klasse IV: Fortgeschrittene diabetische Glomerulosklerose: Mehr als 50 % der Nierenkörperchen sind komplett vernarbt.
Diese Klassifizierung (vier Klassen) erfolgt unabhängig von der Stadieneinteilung der chronischen Niereninsuffizienz (fünf Stadien).
Pathogenese
Es werden mehrere Mechanismen diskutiert, die zur diabetischen Nephropathie führen können:
- Eine Erweiterung der Nierengefäße oder Druck durch hyaline Ablagerungen führen zu einer Druckerhöhung innerhalb des Nierenkörperchens, dadurch kommt es zu einer vermehrten Filtration (Hyperfiltration), dies wiederum führt zur Vernarbung des Nierenkörperchens (Nephrosklerose).
- Der erhöhte Blutzuckerspiegel führt zu vermehrter Ablagerung von Zwischenzellsubstanz (Matrix) im Nierenkörperchen, zusätzlich bindet Glukose an die Matrix-Proteine.
- Der erhöhte Blutzuckerspiegel führt auch zur Bindung von Glukose an Gewebs-Proteine.
- Eine Vielzahl von Wachstums- und Differenzierungsfaktoren scheint bei der Entstehung einer diabetischen Nephropathie beteiligt zu sein, von besonderer Bedeutung sind TGF-β und VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor). Zweiteres spielt vermutlich eine wesentliche Rolle durch die Erhöhung seiner systemischen Konzentration.[10] Auch inflammatorische Zytokine, insbesondere Interleukin-1, Interleukin-6, Interleukin-18 und TNF-α sind an Entstehung und Progression der diabetischen Nephropathie beteiligt.[11]
- Das Struktureiweiß Nephrin, welches die letzte, selektivste Filtrations-Membrane der dreischichtigen Blut-Harn-Schranke bildet, ist bei diabetischer Nephropathie vermindert.
- Erhöhter Blutzucker und Hyperfiltration bewirken eine erhöhte Expression des Glukosetransporters GLUT-1 in den Mesangiumzellen des Nierenkörperchens. Dies führt zu vermehrter Glukoseaufnahme und überschießender Aktivierung glukoseabhängiger Stoffwechselwege. Folge ist letztendlich eine erhöhte Bildung von TGF-β. Die Hochregulation von TGF-β fördert die überschießende Produktion extrazellulärer Matrix. Zudem fördert TGF-β die Expression von GLUT1 und unterhält so den Pathomechanismus.[12]
- Erhöhter Blutzucker hemmt die Expression von Thrombomodulin in den Endothelzellen der Nierenkörperchen. Thrombomodulin aktiviert Protein C. Aktiviertes Protein C verhindert den durch die Hyperglykämie ausgelösten programmierten Zelltod (Apoptose) von Endothelzellen und Podozyten des Nierenkörperchens. Sinkt die Thrombomodulin-Expression, kommt es so zu einem vermehrten Untergang von Nierenkörperchen.[13]
Bei der diabetischen Nephropathie handelt es sich nicht um eine einheitliche Erkrankung[14] mit einheitlichen histologischen Befunden. Letztlich sind also die Pathogenese der diabetischen Folgeerkrankungen und damit auch der eigentliche Mechanismus der organischen Fehlfunktionen bei chronischen Hyperglykämien nach wie vor unbekannt.[15] Unstrittig ist jedoch die Verminderung von renaler Perfusion und glomerulärer Filtration die unmittelbare Folge eines reduzierten Herzzeitvolumens (HZV). An das extrarenale Nierensyndrom beim Diabetes nach Wilhelm Nonnenbruch muss also gedacht werden; das ist die Niereninsuffizienz auch ohne anatomisch nachweisbare Nierenkrankheit bei Zuckerkranken.[16] Jede Herzinsuffizienz verursacht hämodynamisch eine Niereninsuffizienz. Ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko als Definitionskriterium der diabetischen Nephropathie[17] führt zur Reduktion von HZV und GFR.
Mikroalbuminurie
Das früheste Anzeichen einer diabetischen Nephropathie ist der Nachweis einer erhöhten Ausscheidung von Albumin im Urin.[18] Im Normalfall scheiden die Nieren 20 mg Albumin innerhalb von 24 Stunden aus (Normalbuminurie). Die Ausscheidung von 30 bis 300 mg Albumin pro Tag wird als Mikroalbuminurie bezeichnet, die Ausscheidung von über 300 mg Albumin pro Tag als Makroalbuminurie oder Proteinurie. Eine Mikroalbuminurie ist mit herkömmlichen Urinteststreifen nicht nachweisbar. Goldstandard ist die Bestimmung des Albumins in Urin, der über 24 Stunden gesammelt wurde. Durch gleichzeitige Bestimmung von Albumin und Kreatinin im Urin und Berechnung des Albumin-Kreatinin-Quotienten kann auf das Sammeln des Urins verzichtet werden: Mikroalbuminurie ist definiert durch einen Albumin/Kreatinin-Quotienten von 30 bis 300 mg/g, Makroalbuminurie durch einen Albumin/Kreatinin-Quotienten >300 mg/g. Zur Früherkennung werden spezielle Teststreifen zum Nachweis geringer Albuminkonzentrationen im Urin eingesetzt (sogenannter Mikraltest).
Früherkennung und Diagnose
Bei Patienten mit Diabetes mellitus (DM) kann eine chronische Nierenkrankheit durch eine diabetische Nephropathie, aber auch durch andere Nierenkrankheiten hervorgerufen werden. Daher sollte bei Patienten mit DM und Nierenerkrankung nach der Ursache der Nierenbeteiligung gesucht werden. Patienten mit DM sollten jährlich auf das Vorhandensein einer diabetischen Nephropathie untersucht werden, sofort nach Diagnose eines Typ 2 Diabetes und ab dem 5. Jahr nach Diagnose eines Typ 1 Diabetes. Im Rahmen der Früherkennungsuntersuchung werden der Albumin/Kreatinin-Quotient im Urin und das Kreatinin im Serum bestimmt. Aus dem Serum-Kreatinin wird mit Hilfe einer Näherungsformel die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) als Maß der Nierenfunktion geschätzt. Wird in 2 von 3 Urinproben eine Mikro- oder Makroalbuminurie festgestellt, liegt eine chronische Nierenschädigung vor. Eine diabetische Nephropathie liegt mit großer Wahrscheinlichkeit vor bei Makroalbuminurie, bei Mikroalbuminurie nach mindestens 10-jähriger Dauer eines Typ 1 Diabetes oder bei Mikroalbuminurie und gleichzeitig bestehender diabetischer Netzhautschädigung (diabetische Retinopathie). Liegt keine diabetische Retinopathie vor, sollte an eine andere Ursache der Nierenschädigung gedacht werden. Eine andere Ursache kommt auch in Betracht bei schlechter oder sich schnell verschlechternder Nierenfunktion, schnell ansteigender Eiweißausscheidung (Proteinurie) oder nephrotischem Syndrom, nicht behandelbarem Bluthochdruck, roten Blutkörperchen (Erythrozyten) oder Erythrozytenzylindern im Urin, Anzeichen oder Symptomen von anderen Systemerkrankungen oder einem Abfall der glomerulären Filtrationsrate von mehr als 30 % innerhalb von 2 bis 3 Monaten nach Beginn einer Behandlung mit einem ACE-Hemmer oder AT1-Antagonisten.
Risikofaktoren
Nicht alle Diabetiker entwickeln eine diabetische Nephropathie. Familienuntersuchungen zeigen einen starken Einfluss der Erbanlagen (genetische Prädisposition).[19] Männer tragen ein höheres Risiko als Frauen. Das Erkrankungsrisiko steigt bei schlechter Einstellung des Blutzuckers. Ist eine diabetische Nephropathie bereits eingetreten, hängt der weitere Verlauf in erster Linie von einer konsequenten Senkung des Blutdrucks ab, eine Stoffwechseloptimierung sollte zusätzlich angestrebt werden. Der Anstieg der Eiweißausscheidung im Urin zeigt das Voranschreiten der Erkrankung an. Eine Halbierung der Eiweißausscheidung durch medikamentöse Therapie halbiert das Risiko eines Nierenversagens. Weitere Risikofaktoren sind erhöhte Blutfettwerte und Nikotinabusus.
Verlauf der Erkrankung
Zehn Jahre nach Erkrankungsbeginn ist bei 25 % aller Diabetiker eine Mikroalbuminurie nachweisbar, bei 5 % eine Proteinurie, 0,8 % weisen eine Nierenfunktionseinschränkung auf. Wird die Nierenfunktionseinschränkung nicht behandelt, schreitet diese im Allgemeinen schnell fort. Das dialysepflichtige Endstadium ist im Median innerhalb von 25 Jahren erreicht.[20]
Stadieneinteilung
Stadium | Einteilung nach Mogensen | Einteilung nach KDOQI (GFR ml/min/1,73 m²) |
---|---|---|
1 | Hyperfiltration | ≥ 90 |
2 | Normoalbuminurie | 60–89 |
3 | Mikroalbuminurie | 30–59 |
4 | Makroalbuminurie | 15–29 |
5 | Nierenversagen | < 15 |
Die diabetische Nephropathie kann sowohl nach dem Ausmaß der Eiweißausscheidung als auch nach der Nierenfunktionseinschränkung eingeteilt werden. In der Stadieneinteilung nach Mogensen von 1983 ist die Hyperfiltration das früheste Stadium. Mit Fortschreiten der Erkrankung kommt es zu einer Pseudonormalisierung der Nierenfunktion. In diesem Stadium ist die Nierenfunktion normal, eine Eiweißausscheidung ist nicht nachweisbar. Bei der feingeweblichen Untersuchung einer Nierenprobe finden sich aber charakteristische morphologische Veränderungen. Stadium 3 ist charakterisiert durch das Auftreten einer Mikroalbuminurie, Stadium 4 durch eine Proteinurie von > 0,5 g/d und im Stadium 5 ist die Notwendigkeit der chronischen Dialysebehandlung gegeben.[22]
Die Stadieneinteilung der KDOQI von 2002 teilt die chronische Nierenkrankheit nach der glomerulären Filtrationsrate in fünf Stadien ein.[23]
Häufig geht dem Abfall der Nierenfunktion ein Anstieg der Eiweiß-Ausscheidung voraus, bei ca. einem Drittel der Patienten kommt es aber zu einem zunehmenden Verlust der Nierenfunktion, ohne dass zuvor eine erhöhte Eiweiß-Ausscheidung nachgewiesen werden konnte.[24][25]
Eine neuere Stadieneinteilung der diabetischen Nephropathie klassifiziert folgendermaßen:
- Nierenschädigung mit normaler Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance über 90 ml/min)
- Mikroalbuminurie (Albumin-Ausscheidung 20–200 mg/l)
- Makroalbuminurie (Albumin-Ausscheidung über 200 mg/l)
- Nierenschädigung mit Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance unter 90 ml/min)
- leichtgradig (Kreatinin-Clearance 60–89 ml/min)
- mäßiggradig (Kreatinin-Clearance 30–59 ml/min)
- hochgradig (Kreatinin-Clearance 15–29 ml/min)
- terminal (Kreatinin-Clearance unter 15 ml/min)[26]
Symptome
- Im Stadium der Mikroalbuminurie und im frühen Stadium der Proteinurie bestehen keine Beschwerden, es kann allerdings zu einem Blutdruckanstieg kommen. In diesem Stadium kann die Erkrankung nur durch Bestimmung der Mikroalbuminurie erkannt werden.
- Steigt die Eiweißausscheidung (Proteinurie) im Verlauf der Erkrankung weiter an, kann es zum Auftreten eines nephrotischen Syndroms kommen. Das nephrotische Syndrom ist definiert durch eine Eiweißausscheidung von über 3,5 g pro 24 Stunden, Wassereinlagerungen in den Geweben (Ödeme) und erhöhte Blutfette (Hyperlipidämie). Als sichtbare Folge des erhöhten Eiweißgehaltes für den Patienten schäumt der Urin. Die Wassereinlagerungen führen zu Schwellungen vorwiegend im Bereich der Beine und Augenlider, durch die Wassereinlagerungen kommt es zum Gewichtsanstieg. Als Komplikation können Blutgerinnsel (Beinvenenthrombosen) und Infektionen der Harnwege auftreten.
- Im weiteren Verlauf der Erkrankung kommt es zum chronischen Nierenversagen. Bereits im Stadium der Mikroalbuminurie ist das Risiko lebensbedrohlicher Komplikationen des Herz-Kreislauf-Systems erhöht und steigt mit zunehmender Nierenfunktionseinschränkung dramatisch an. Symptome des chronischen Nierenversagens treten erst im Endstadium der Urämie auf. Das urämische Syndrom äußert sich in abnehmender Leistungsfähigkeit, allgemeinem Unwohlsein, Müdigkeit, Juckreiz, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen.
Prävention und Therapie
Zur Vorbeugung (Prävention) einer diabetischen Nephropathie werden folgende Maßnahmen empfohlen:[27][28]
- Strikte Einstellung des Blutzuckers, ggf. Einstellung auf eine intensivierte Insulintherapie. Zur Therapiekontrolle wird im Blut der HbA1c-Wert bestimmt. Dieser sollte unter 6,5–7,5 % liegen, je nach Alter und Begleiterkrankungen des Patienten.[27]
- Medikamentöse Senkung des Blutdrucks auf Werte unter 130/80 mmHg. Als Mittel der ersten Wahl werden ACE-Hemmer oder AT1-Antagonisten, üblicherweise in Kombination mit einem Diuretikum empfohlen. Selbst bei Patienten mit einem Ausgangsblutdruck unter 120/80 mmHg kann eine weitere Senkung des Blutdrucks das Risiko einer diabetischen Nephropathie weiter vermindern.[29]
- Vorbeugung gegen Herz-Kreislauf-Komplikationen durch Senkung der Blutfette, z. B. durch Gabe eines Statins und Einnahme von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (ASS).
Die Behandlung (Therapie) der diabetischen Nephropathie verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele:
- Senkung des Risikos von Herz-Kreislauf-Komplikationen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall,
- Hemmung des Fortschreitens (der Progredienz) einer Nierenfunktionseinschränkung.
Der günstige Einfluss von ACE-Hemmern und AT1-Antagonisten wird durch eine Hemmung von Hyperfiltration und Narbenbildung im Nierenkörperchen erklärt. Liegt die Eiweißausscheidung über 1 g/24h, sollte der Blutdruck sogar auf Werte unter 125/75 mmHg gesenkt werden. Behandlungsziel ist, die Eiweißausscheidung unter 0,5–1 g/24h zu senken, da eine höhere Eiweißausscheidung zu einer fortschreitenden Verschlechterung der Nierenfunktion führt. Ist dieses Therapieziel mit konventionellen Maßnahmen nicht zu erreichen, wird neuerdings eine Kombination von ACE-Hemmern und AT1-Antagonisten oder eine Behandlung in sehr hoher Dosierung[30] empfohlen. Möglicherweise hat auch eine Kombinationsbehandlung bestehend aus AT1-Antagonist und Aliskiren einen günstigen Effekt. Allerdings ist die Kombinationsbehandlung von Aliskiren mit AT1-Antagonisten oder ACE-Hemmern seit Februar 2012 aufgrund der Resultate der ALTITUDE-Studie kontraindiziert.[31] Liegt eine Makroalbuminurie vor, soll sogar bei normalem Blutdruck mit einem ACE-Hemmer oder AT1-Antagonisten behandelt werden, bei Mikroalbuminurie sollte diese Behandlung zumindest in Betracht gezogen werden. Therapieziel bei Patienten mit diabetischer Nephropathie und normalem Blutdruck ist die Senkung der Albumin-Ausscheidung im Urin.
Im Stadium 1–4 einer diabetischen Nierenerkrankung sollte das LDL-Cholesterin auf Werte unter 100 mg/dl (optional <70 mg/dl) gesenkt werden, Mittel der ersten Wahl ist ein Statin. Wird bei Patienten mit Typ 2 Diabetes die Therapie mit einem Statin erst im dialysepflichtigen Stadium 5 der Nierenerkrankung begonnen, hat die medikamentöse Senkung der Blutfette allerdings keinen Nutzen mehr.
Patienten mit diabetischer Nierenerkrankung sollten die tägliche Eiweißzufuhr moderat einschränken, empfohlen wird die Zufuhr von 0,8 g Eiweiß pro kg Körpergewicht. Das Körpergewicht sollte normalisiert werden, anzustreben ist ein Body-Mass-Index zwischen 18,5 und 24,9 kg/m².
Patienten mit Diabetes und Nierenbeteiligung können aktiv zum Behandlungserfolg beitragen durch
- regelmäßige Blutzucker-Selbst-Kontrollen und ggf. Anpassung der Medikation,
- regelmäßige Blutdruck-Selbst-Kontrollen,
- Einhaltung der Ernährungsempfehlungen (geringer Anteil tierischer Fette, Natrium-reduziert),
- Einstellung des Rauchens,
- regelmäßige körperliche Betätigung,
- regelmäßige Medikamenteneinnahme.
Sinkt die Nierenfunktion unter 60 % der Norm, können Störungen des Knochenstoffwechsels, der Blutbildung, des Säure-Basen- und des Elektrolythaushalts auftreten. Zu Vorbeugung und Therapie dieser Folgekrankheiten siehe Chronisches Nierenversagen.
Bei einer filtrativen Nierenfunktion von unter 15 % der Norm wird ein Nierenersatzverfahren notwendig, zur Auswahl stehen eine Blutwäsche (Hämodialyse), die Bauchfelldialyse (Peritonealdialyse) oder eine Transplantation. Bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 kommt bei den Transplantationen die Nierentransplantation in Frage, bei Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 1 ist unter Umständen auch die kombinierte Transplantation von Niere und Pankreas (Bauchspeicheldrüse) möglich.
Beim Vorliegen eines extrarenalen Nierensyndroms muss zuerst die Grundkrankheit (Herzkrankheit, Leberkrankheit, Lungenkrankheit) therapiert werden, um das Herzzeitvolumen zu vergrößern und damit die renale Perfusion zu verbessern. Ein schweres kardiorenales Syndrom wird mit einer Herztransplantation behandelt, ein hepatorenales Syndrom unter Umständen mit einer Lebertransplantation; in seltenen Fällen ist auch an eine Lungentransplantation zu denken. Hier wäre eine Nierentransplantation meistens kontraindiziert.[32]
Schwangerschaft und diabetische Nephropathie
Schwangerschaften bei Patientinnen mit diabetischer Nephropathie sind Hochrisikoschwangerschaften und sollten multidisziplinär (Gynäkologe, Diabetologe, Nephrologe) betreut werden. ACE-Hemmer und AT1-Antagonisten können, vor der Schwangerschaft eingenommen, das mütterliche und fetale Risiko vermindern. Beide Substanzklassen müssen aber sofort nach der ersten ausgefallenen Periodenblutung oder nach einem positiven Schwangerschaftstest abgesetzt werden, da sie, während einer Schwangerschaft eingenommen, das Risiko kindlicher Fehlbildungen erhöhen. Ist bei einer Patientin mit Diabetes und Nierenkrankheit eine medikamentöse Therapie des Diabetes während einer Schwangerschaft erforderlich, muss diese mit Insulin erfolgen. Zur Blutdruckeinstellung wird in erster Linie Alpha-Methyldopa verwendet, Alternativsubstanzen sind Selektive β-1-Rezeptorblocker oder Dihydralazin.[33]
Literatur
- Christoph Hasslacher: Diabetische Nephropathie – Prävention und Therapie. 2. Auflage. Verlag Uni-Med, 2006, ISBN 3-89599-944-X.
- Christoph Hasslacher: Diabetes und Niere – Vorbeugen, Erkennen, Behandeln. Verlag Kirchheim, Mainz 2001, ISBN 3-87409-335-2.
Weblinks
- Nationale VersorgungsLeitlinie Nierenerkrankungen bei Diabetes im Erwachsenenalter (PDF) von Bundesärztekammer, Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, Version 1.2, 26. November 2010
- Diabetes and the Kidney (PDF) Core Curriculum der National Kidney Foundation (Nationale Nierenstiftung der USA) vom 22. August 2005 (englisch)
- Clinical Practice Guidelines and Clinical Practice Recommendations for Diabetes and Chronic Kidney Disease – Diabetes und Chronische Nierenkrankheit. Leitlinie der Nationalen Nierenstiftung der USA; Februar 2007 (englisch)PDF - 4,5 MB
- Diabetische Nephropathie Pathologie – Bilddatenbank Pathopic der Universität Basel (PathoPic - Anleitung; PDF; 2,2 MB)
- Update on Diabetic nephropathy 2018 – Atlas of Renal Pathology der National Kidney Foundation mit reichlichem Bildmaterial (englisch)
Einzelnachweise
- Paul Kimmelstiel, Clifford Wilson: Benign and malignant hypertension and nephrosclerosis. A clinical and pathological study. In: American Journal of Pathology 12, 1936, S. 45–48.
- U. Frei, Hans-Jürgen Schober-Halstenberg: Nierenersatztherapie in Deutschland. QuaSi-Niere Jahresbericht 2005/2006, Berlin.
- Parvez Hossain, Bisher Kawar, Meguid El Nahas: Obesity and Diabetes in the Developing World – A Growing Challenge. In: The New England Journal of Medicine. 2007, 356, S. 213–215.
- J. Richter: Insulin – Physiologie und Pathophysiologie, Folgen des Insulinmangels, Hoechst, Frankfurt am Main 1982, S. 67.
- The Merck Manual, 20. Edition, Merck Sharp & Dohme, Kenilworth 2018, ISBN 978-0-911910-42-1, S. 2117.
- Willibald Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch, 267. Auflage, Verlag de Gruyter, Berlin, Boston 2017, ISBN 978-3-11-049497-6, S. 1241.
- Thijs W. Cohen Tervaert u. a.: Pathologic classification of diabetic nephropathy. In: Journal of the American Society of Nephrology. Band 21, Nr. 4, April 2010, ISSN 1533-3450, S. 556–563, doi:10.1681/ASN.2010010010, PMID 20167701.
- Die Stärke der gesunden Basalmembran beträgt 50 nm und kann bei der diabetischen Nephropathie auf 170 bis 500 nm ansteigen. Quelle: J. Richter: Insulin – Physiologie und Pathophysiologie, Hoechst, Frankfurt am Main 1982, S. 67.
- Die Weite der Spalten zwischen den Podozytenfortsätzen beträgt bei Gesunden 7,5 nm; bei der diabetischen Niere quellen die Basalmembranen und vergrößern so diese Spalten. So kommt es zu Funktionseinbußen der Podozyten.
- S. Hakroush u. a.: Effects of Increased Renal Tubular Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) on Fibrosis, Cyst Formation, and Glomerular Disease. In: The American Journal of Pathology. Nr. 175(5), 2009, S. 1883–1895.
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- KDOQI Clinical Practice Guidelines and Clinical Practice Recommendations for Diabetes and Chronic Kidney Disease. In: American Journal of Kidney Disease Vol. 49, Nr. 2, Suppl. 2, Februar 2007 PDF - 4,5 MB (Memento des Originals vom 6. März 2009 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
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- Andere Ansicht, wenn auch ohne Begründung: Götz Use: Diabetes-Therapie heute, "Aktuelles Wissen Hoechst", Hoechst, Frankfurt am Main ohne Jahr, Seite 4.3.
- S1-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen (AWMF Leitlinie), abgerufen 18. August 2018.