Boule-Spiel
Im engeren Sinne steht die Bezeichnung (von französisch la boule „die Kugel“, „der Ball“) oder Boule-Spiel für die Kugelsportart Boule Lyonnaise, das sogenannte „Sport-Boule“.
In Deutschland wird aber Boule – wie auch Boccia – umgangssprachlich mehr als Sammelbezeichnung für einige Kugelsportarten verwendet. Boule ist eine Präzisionssport. Hierzu gehören neben Boule Lyonnaise noch das daraus abgeleitete Jeu Provençal, dessen Ableger Pétanque, das britische Bowls und das italienische Boccia (auch „Raffa“ genannt). Neben diesen fünf primären Boule-Sportarten gibt es noch weitere regionale Sportarten bzw. Kugelspiele, die ähnliche Regeln haben, wie zum Beispiel das Boule bretonne, Boule-en-Bois, Boule-de-Fort oder Boule-des-Berges.
Geschichte
Bereits 460 v. Christus ist eine Empfehlung griechischer Ärzte (u. a. von Hippokrates) für das Spiel mit Steinkugeln nachweisbar. Im 2. Jahrhundert nach Christus beschrieb Iulius Pollux ein Spiel, bei dem Kugeln auf einen Ziegelstein geworfen wurden; der Verlierer des Spiels musste den Sieger auf den Schultern ins Ziel tragen. Boccia und Boule Lyonnaise haben ihre gemeinsamen Wurzeln in diesem im Römischen Reich verbreiteten Spiel. Die Wurzeln von Bowls lassen sich bis ins London des 12./13. Jahrhunderts zurückverfolgen.
Ab dem Mittelalter ist Boule in Frankreich vor allem durch dessen Verbote nachweisbar:
- 1319 untersagte Philipp V. das Boulespiel
- im 14. Jahrhundert untersagte der Erzbischof von Tournay das Boulespiel (im französischen Département Hautes-Pyrénées)
- 1629 gab es ein Verbot durch das französische Parlament, um das Federballspiel zu fördern
- 1697 verbot die Pariser Diözesansynode Geistlichen „… in der Öffentlichkeit oder im Beisein von Weltlichen das Boulespiel“[1]
- dagegen hat der Erlass der Lyoner Polizei, nicht auf den Verbindungsstraßen zwischen den Orten und nicht auf den Hauptstraßen der Stadt zu spielen, einen rein regelnden Charakter
- 1900 gehörte Boule zu den Sportarten, die in der französischen Hauptstadt Paris anlässlich der Weltausstellung (Exposition Universelle et Internationale de Paris) veranstalteten Internationalen Wettbewerbe für Leibesübungen und Sport (Concours Internationaux d’Exercices Physiques et de Sports) ausgetragen wurden. Mehrere dieser Wettbewerbe waren Bestandteil der Olympischen Spiele 1900. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte Boule jedoch die offizielle Anerkennung als olympische Sportart versagt.
- 1907 wurde in der französischen Hafenstadt La Ciotat das erste Pétanque-Spiel ausgetragen (siehe: →Pétanque: Geschichte).
Organisationen
Der Internationale Dachverband für die Boule-Sportarten Pétanque, Jeu Provençal, Boule Lyonnaise, Boccia und Bowls ist die Confédération Mondiale des Sports de Boules (C.M.S.B.).
In Deutschland gibt es den Deutschen Pétanque Verband (DPV), den Boccia Bund Deutschland (BBD) und den Deutscher Boule Verband Sektion Lyonnaise (DBLV), die sich zum Dachverband Deutscher Boccia-, Boule- und Pétanque-Verband zusammengeschlossen haben.
In Österreich wird Pétanque und Boccia im Rahmen des Österreichischen Pétanque-Verbands organisiert gespielt.
In der Schweiz sind Pétanque (Fédération Suisse de Pétanque), Boule Lyonnaise (Fédération Suisse de Boules) und Boccia organisiert.
Begriffsklärung
Abgrenzung „Kugel“ – „Ball“
Die aus dem englischen Sprachraum stammenden Sportarten wie Bowling und Snooker verwenden für ihr kugelrundes Sportgerät das Wort Ball (deutsch: Ball, Kugel), obwohl der Gebrauch der Wörter auch in den Regeln zum Teil uneinheitlich ist.
„Kugelsport“
Kugelsportarten im engeren Sinn sind die in der Confédération Mondiale des Sports de Boules (CMSB) organisierten Sportarten. Zitat: „Die C.M.S.B. wurde vom IOC (Comité International Olympique) am 15. Oktober 1986 in Lausanne als Vertreter aller Kugelsportarten anerkannt.“[2] (Näheres siehe unten unter: Organisationen)
Es gibt zumindest in Frankreich einige, regional in Verbänden organisierte, Kugelsportarten, deren Regeln den Grundspielregeln (siehe unten) der CMSB-Sportarten sehr ähnlich sind. Diese werden hier ebenfalls behandelt.
Sportarten wie Curling und Stocksport sind von Taktik und der Spielanlage den Kugelsportarten ähnlich.
Vor allem im Brauchtums- und Freizeitbereich gibt es ebenfalls Kugelsportarten. Sind sie in der Spielanlage den CMSB-Sportarten ähnlich, werden sie ebenfalls hier behandelt. Weitere Kugelsportarten haben eher Weitwurfdisziplin-Charakter (z. B. Boßeln).
Bowling gehört als Kegelsport, Snooker als Billardsport nicht zu den Kugelsportarten. Kugelstoßen gehört zur Leichtathletik.
Abgrenzung Freizeitspiel – Sport
Als Freizeitvarianten sind in Deutschland vor allem Boccia und Boule bekannt.
Boccia
Boccia wurde in Deutschland besonders durch den ehemaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer populär, der in Wochenschauen beim Boccia-Spiel im Italien-Urlaub gezeigt wurde. In der Folgezeit kam ein Freizeitspiel mit wassergefüllten Plastik-Kugeln auf den Markt, das mit dem eigentlichen Boccia-Spiel (Punto-Raffa-Volo) nicht viel gemeinsam hat.
Boule
Mit Boule verbinden viele Deutsche das von den Franzosen auf öffentlichen Plätzen ausgetragene Freizeit-Kugel-Spiel. Der korrekte Name ist allerdings Pétanque. Die Franzosen benutzen Pétanque zur Abgrenzung zu anderen französischen Boule-(Kugel-)Sportarten. Mit rund 600.000 Lizenz-Spielern in 76 (nationalen) Pétanque-Verbänden ist es die am weitesten verbreitete Kugelsportart.
Das Spiel auf öffentlichen Plätzen ist die Freizeitvariante, die Sportvariante wird auf oder in Vereinsanlagen (Bouleplatz (frz.: Boulodrome) oder Boulehallen) ausgetragen.
Eine Spielart des Boule ist das Crossboule, bei dem der Spielort nicht festgelegt ist, sondern sich dynamisch im allgemeinen öffentlichen Raum bewegt (ähnlich einer Variante des Boßelns).
In Deutschland wurde die Freizeitvariante vor allem von Frankreich-Urlaubern „importiert“ und meist Boule genannt. In den Spielregeln lehnen sich die Freizeitspieler an die Pétanque-Regeln an.
Die Sportvariante Pétanque wurde in Deutschland zunächst nahe der französischen Grenze und/oder in den französischen Besatzungszonen ausgeübt. So liegt z. B. in Berlin in der ehemaligen französischen Siedlung am Flughafen Tegel ein von Franzosen angelegtes Boulodrome, das nach Abzug der Franzosen vom Club Bouliste de Berlin e. V. aufgekauft wurde.[3]
Grundregeln
Bei allen genannten Sportarten spielen zwei Mannschaften oder Formationen gegeneinander, die aus ein bis drei Spielern bestehen. Die möglichen Mannschaftsstärken sind in den einzelnen Sportarten verschieden.
Ziel ist es, mit den eigenen Kugeln möglichst nah an eine Zielkugel zu gelangen. Die Zielkugel und die gegnerischen Kugeln können dabei auch herausgedrückt oder weggeschossen werden. In Frankreich wird die Zielkugel cochonnet (deutsch Schweinchen) genannt.
Manchmal geht es auch einfach nur darum, so präzise wie möglich zu schießen. Dafür gibt es im Pétanque und im Boule Lyonnaise das Präzisionsschießen, eine Art Schieß-Sonderwettbewerb.
Wettkampfkugeln
In der folgenden Tabelle sind die Maße und Materialien der Wettkampfkugeln aufgeführt.
Sport- und Kugelart | Material | Gewicht [Gramm] | Durchmesser [mm] | Besonderheiten |
---|---|---|---|---|
Kugeln bei den Boule-Sportarten | ||||
Boule Lyonnaise Spielkugel Zielkugel | Metall Holz | 900–1400 --- | 90–110 25–35 | --- |
Boule bretonne Spielkugel Zielkugel | Holz, Synthetik Holz, Synthetk, Messing | 500–1000 --- | 90–120 30–40 | --- |
Boule-en-Bois Spielkugel Zielkugel | Holz Holz | 1500 --- | 100–130 55 | Loch für Daumen --- |
Boule-de-Fort Spielkugel Zielkugel | Holz mit Stahlmantel Kunststoff | 1300–1400 --- | 125 80 | asymmetrisch --- |
Boule-des-Berges Spielkugel Zielkugel | Metall Stahl | 1000–1100 --- | 100 >50 | --- |
Jeu Provençal Spielkugel Zielkugel | Metall Holz | 650–800 --- | 70,5–80 25–35 | --- |
Pétanque [c] Spielkugel Zielkugel | Metall Holz, Kunststoff | 650–800 --- | 70,5–80 29–31 | Wettkampfkugeln müssen durch den Weltverband zugelassen sein. |
Boccia Spielkugel Zielkugel | Holz/Kunststoff PVC | 920–1000 --- | 107–113 39–41 | --- |
Bowls Spielkugel Zielkugel | Holz Holz | 1570 --- | 135 25–35 | einseitig abgeflacht --- |
Zum Vergleich „Kugeln“ bei Nicht-Boule-Sportarten | ||||
Billard Kegelbillard [a] Karambolage [a] Poolbillard Russisches Billard Snooker [b] |
Phenolharz früher: Elfenbein[4] |
194–220 205–220 179 200–284 142 ±0,3 |
60,3 ±0,5 61,5 ±0,1 57,2 78 52,5 ±0,05 |
--- |
Bowling [a] | Kunststoffschale Coverstock Füllmaterial |
2724–7264 | 218,3 | mit 3 Löchern für Finger |
Kegeln | homogene Kunststoffmasse |
2818–2871 | 160 ± 0,5 | --- |
- [a] die Bezeichnung „Kugel“ wird nur umgangssprachlich verwendet, die Regeln der jeweiligen Sportart verwenden die Bezeichnung „Ball“
- [b] Bezeichnung unklar, umgangssprachlich „Ball“ oder „Kugel“ genannt, in den Materialnormen der Regeln der Deutschen Billard-Union ist von „Kugeln“ die Rede.
- [c] Pétanque-Wettkampfkugeln werden vom Weltverband (Fédération Internationale de Pétanque et Jeu Provençal - FIPJP) zugelassen und werden in einer Liste zugelassener Kugeln mit Hersteller- und Modellbezeichnung geführt.[5]
Explosionsrisiken von nicht Wettkampfkugeln
Neben Wettkampfkugeln gibt es hochwertig und minderwertig gefertigte Freizeitkugeln. Freizeitkugeln minderer Qualität sind sehr günstig und haben einen geringen Metallanteil. Im Jahr 2009 explodierte eine Kugel in der Schweiz. Aufgrund nachfolgender Untersuchungen der EMPA wurde festgestellt, dass die durch Coop verkauften Kugeln mit Mörtel gefüllt wurden, um Metall für die Hülle einzusparen. Die Füllung korrodierte das Metall, und es bildete sich ein explosives Gasgemisch.
Im September 2016 explodierte erneut eine Kugel bei einem Nachbarschaftsfest in Nettetal. In der Folge wurden die übrigen Kugeln durch die Einsatzkräfte kontrolliert gesprengt. Der Boule- und Pétanque-Verband in Nordrhein-Westfalen riet in der Folge dazu, beim Kauf von Kugeln auf Qualitätszeichen zu achten. Geprüfte Kugeln würden etwa die Firmenbezeichnung, eine Seriennummer und das Gewicht ausweisen.[6]
Wettbewerbsformen
Es gibt verschiedene Wettbewerbsformen:
- Turniere und Meisterschaften in Formationen
- Turniere, Liga-Wettbewerbe und Meisterschaften mit Mannschaften
- Wettbewerbe und Meisterschaften im Präzisionsschießen
Mannschaften und Formationen
Eine Mannschaft besteht aus mehreren Formationen.
Boccia
Beim Boccia gibt es die Formationen
- Individuale (Einzel)
- Coppia (Doppel)
- Terna (Dreier)
Boule Lyonnaise
Beim Boule Lyonnaise gibt es folgende Formationen:
- Simple (Einzel)
- Double (Doppel)
- Triplette (Dreierteam)
- Quadrette (Viererteam)
Bowls
Im Bowls werden folgende Formationen gespielt:
- Singles game (Einzel)
- Pairs game (Doppel)
- Triples game (Dreier-Team)
- Fours game (Vierer-Team)
Ähnlich dem Tennis wird im Bowls vorwiegend Einzel (Singles game) gespielt. Außerdem gibt es ein Side games, Serien von Singles games, team games or side games sowie Turnierformen (tournament of games)
Jeu Provençal
Jeu Provençal wird vorwiegend als Triplette (3 Spieler) gespielt, außerdem gibt die Formationen Doublette (2 Spieler) und Tête à tête (1 Spieler)
Pétanque
Im Pétanque werden folgende Formationen gespielt:
- Tête à tête (dt.: „Kopf an Kopf“, Einzel)
- Doublette (Doppel)
- Triplette (Dreier)
Ab dem Doublette wird zwischen dem Pointeur (dem „Leger“) und dem Tireur (dem „Schießer“, frz. tir „Schuss“) unterschieden, im Triplette kommt noch der Milieu (frz. für „Mitte“) dazu.
In Deutschland werden Landes- und Deutsche Meisterschaften im Tête-à-Tête ausgetragen. International wird in der Regel Triplette gespielt. Im Gegensatz zum Bowls, wo meist Einzel gespielt wird, gibt es beim Pétanque weniger Turniere für die Einzelformation.
Daneben werden internationale und nationale Turniere sowie Meisterschaften für Mannschaften, die sich aus mehreren Formationen zusammensetzen, veranstaltet. Es gibt unterschiedliche Regeln über die zu einer Mannschaft gehörenden Formationen.
- Hauptartikel: Pétanque-Wettbewerbe
Präzisionsschießen
Beim Pétanque und Boule Lyonnaise gibt es die Disziplin Präzisionsschießen.
Die Lyonnaise-Disziplinen Tir progresif und Tir de précision stehen auf dem Programm bei den Worldgames und den Mittelmeerspielen.
Im Pétanque gibt es Weltmeisterschaften, Europameisterschaften und Deutsche Meisterschaften im Tir de précision.
Regionale Sportarten
Boule-en-Bois
Boule-en-Bois (auch Boule de bois oder La Vendéenne) ist ein Kugel-Spiel, das in Belgien in den Regionen Chimay, Momignies, Sivry-Rance und Couvin, sowie vier kleinen Städten in Sud-Hainaut und Sud-Namurois gespielt wird.
Boule-de-Fort
Boule de fort ist ein traditionelles Kugel-Spiel im Anjou und in der Touraine.
Es gibt folgende Besonderheiten: asymmetrische Kugeln und eine Art Rinne als Bahn, die 20 Meter lang und 7 Meter breit ist. Siehe auch Boulodrome.
Boule des Berges
Die Regeln von Boule des Berges (auch: Boule parisienne) wurden etwa 1865 entwickelt. Boule des Berges war 1900 inoffiziell olympische Sportart.
Boule bretonne
Boule bretonne ist ein populärer Sport in der Bretagne, verwandt mit Boule Lyonnaise und Pétanque.
Ähnliche Sportarten
Ähnliches Spielziel wie beim Boule gibt es bei folgenden Sportarten, wenngleich mit anderem Sportgerät:
- Bootschen
- Boßeln
- Cornhole
- Crossboule
- Curling
- Jeu de palets
- Kugelschlagen
- Shuffleboard
- Stockschießen (Eisstocksport bzw. Stocksport)
- Tejo
Weblinks
Einzelnachweise
- siehe: „ Zeittafel zur Geschichte der Kugel-Spiele (Memento vom 9. Oktober 2007 im Internet Archive)“
- Zitat aus Artikel auf der Seite des DPV
- vgl.: Chronik auf der Website des Club Bouliste de Berlin e. V. (Memento vom 27. August 2013 im Internet Archive)
- die physikalischen Materialeigenschaften von natürlichem Elfenbein können durch Kunststoffe nicht vollständig erreicht werden
- Weltverband - Fédération Internationale de Pétanque et Jeu Provençal (FIPJP): Liste zugelassener Wettkampfkugeln. Abgerufen am 6. Februar 2022.
- Boule-Kugel in Nettetal explodiert. (Nicht mehr online verfügbar.) In: WDR.de. WDR, 5. September 2016, archiviert vom Original am 31. Juli 2017; abgerufen am 31. Juli 2017.
Quelle:DPV-Website Freigabe GFDL: Ticket#: 2006111710003577