Atrazin
Atrazin ist der Trivialname eines Herbizids aus der Familie der Chlortriazine. Einige Handelsnamen sind Aatrex, Aktikon, Alazine, Atred, Atranex, Atrataf, Atratol, Azinotox, Crisazina, Farmco Atrazine, G-30027, Gesaprim, Giffex 4L, Malermais, Primatol, Simazat, Weedex, Zeapos und Zeazin.
Strukturformel | ||||||||||||||||||||||
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Allgemeines | ||||||||||||||||||||||
Name | Atrazin | |||||||||||||||||||||
Andere Namen |
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Summenformel | C8H14ClN5 | |||||||||||||||||||||
Kurzbeschreibung |
weißer bis beigefarbener, geruchloser Feststoff[1] | |||||||||||||||||||||
Externe Identifikatoren/Datenbanken | ||||||||||||||||||||||
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Eigenschaften | ||||||||||||||||||||||
Molare Masse | 215,69 g·mol−1 | |||||||||||||||||||||
Aggregatzustand |
fest | |||||||||||||||||||||
Dichte |
1,23 g·cm−3 (22 °C)[1] | |||||||||||||||||||||
Schmelzpunkt | ||||||||||||||||||||||
Siedepunkt |
205 °C[1] | |||||||||||||||||||||
Löslichkeit |
praktisch unlöslich in Wasser (33 mg·l−1 bei 22 °C)[1] | |||||||||||||||||||||
Sicherheitshinweise | ||||||||||||||||||||||
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MAK |
Bezogen auf die einatembare Fraktion: | |||||||||||||||||||||
Toxikologische Daten |
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Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. |
Geschichte
Atrazin wurde 1958 von Ciba-Geigy (heute Syngenta) unter dem Handelsnamen Gesaprim als systemisches Triazin-Herbizid eingeführt.[5]
Ab dem 31. Oktober 1986 gelangten etwa 0,4 Tonnen Atrazin über die Abwässer des Unternehmens Ciba-Geigy in den Rhein, was zusammen mit dem Grossbrand von Schweizerhalle des Sandoz-Konzerns bei Basel einen Tag später ein Fischsterben im Rhein auslöste.[6]
Gewinnung und Darstellung
Die kommerzielle Herstellung von Atrazin (5) erfolgt durch eine stufenweise Umsetzung von Cyanurchlorid (1) mit Ethylamin (2), wobei zunächst als Zwischenprodukt Etatryn (3)[7] entsteht. Dieses wird anschließend mit Isopropylamin (4) zum Atrazin umgesetzt.[8]
Der dritte Chlorsubstituent ist weniger leicht substituierbar und verbleibt im Molekül.
Bei Abbaureaktionen beginnt hier der langsame hydrolytische Abbau, sehr viel schneller als Wasser reagieren nucleophile NH- oder SH-Funktionen von Peptiden.
Verwendung und Wirkungsweise
Wo die Verwendung von Atrazin noch zugelassen ist, wird es zur Bekämpfung von ein- und zweikeimblättrigen Unkräutern speziell im Mais-, aber auch Spargel-, Kartoffel- und Tomatenanbau eingesetzt. Die Wirkung von Atrazin beruht auf Hemmung der Photosynthese von Pflanzen. Es bindet an das Chinon QB (das dritte Glied der Elektronentransportkette im Photosystem II nach Phäophytin und QA) und unterbricht so den Elektronentransport.
Umweltverhalten
Atrazin wird in der Umwelt nur relativ langsam durch Hydrolyse abgebaut, wobei im ersten Schritt Hydroxyatrazin entsteht.
Daneben wird Atrazin auch mikrobiell abgebaut, die wichtigsten Abbauprodukte des mikrobiellen Abbaues sind: Desethylatrazin, Desisopropylatrazin, Didesalkylatrazin und Hydroxyatrazin.[9]
- Desethylatrazin
- Desisopropylatrazin
- Didesalkylatrazin
Atrazin ist für Organismen unterschiedlich schädlich. Es kann schon in sehr geringen Konzentrationen die Entwicklung von männlichen Fröschen stören und diese in Zwitter verwandeln.[10][11] Untersuchungen von Hayes und anderen Autoren zufolge steht Atrazin aber nicht nur im Verdacht, die Testosteron-Produktion zu senken, sondern auch die Östrogen-Produktion zu stimulieren und damit die Entwicklung von Brustkrebs beim Menschen zu begünstigen.[12]
Für Vögel und Nützlinge (z. B. Bienen) sowie für Bodenlebewesen ist der Wirkstoff weitgehend ungefährlich. Atrazin reichert sich in der Nahrungskette nur geringfügig[13] oder nicht an.
Regulierung
Da Atrazin und sein Hauptabbauprodukt Desethylatrazin auch ins Grundwasser gelangen und damit dann auch im Trinkwasser nachgewiesen werden können, ist die Anwendung von Atrazin seit 1. März 1991 in Deutschland[14] und seit 1995 in Österreich verboten. Es ist jedoch trotzdem noch immer in der Umwelt weit verbreitet; nach dem Elbhochwasser 2002 beispielsweise wurde es ausgeschwemmt und konnte später vor Helgoland vermehrt nachgewiesen werden, so in Miesmuscheln und den Lebern von Flundern.
EU
In der Europäischen Union ist der Einsatz von Atrazin seit 2003 verboten.[15] Die erlaubte Tagesdosis beträgt 0,02 und die akute Referenzdosis 0,1 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag.[16]
Deutschland
In Deutschland ist die Anwendung von Atrazin seit dem 1. März 1991 verboten.[17] Der Gehalt von Pestiziden im Grundwasser darf maximal 0,1 µg/l betragen.[18] Nach Grenzwertüberschreitung gilt – bei einem erfolgversprechenden Sanierungsplan – ein Ausnahmegrenzwert von 3 µg/l.[19]
Schweiz
In der Schweiz wurde Atrazin per Anfang 2007 aus dem Anhang 1 („Für die Verwendung in Pflanzenschutzmitteln genehmigte Wirkstoffe“) der Pflanzenschutzmittelverordnung gestrichen, so dass die Verwendung von Atrazin-haltigen Pflanzenschutzmitteln seit 2012 verboten ist.[20][21] Seither gehen die im Grundwasser gefundenen Konzentrationen tendenziell zurück.[22] Der Export von Atrazin ist seit dem 1. Januar 2021 verboten.[15]
USA
Die US-amerikanische Umweltbehörde EPA vertrat zuletzt 2007 die Auffassung, dass es keine ausreichenden Hinweise auf Schädigung von Amphibien gebe. Seit 2010 wurde in Zusammenhang mit gehäuften Atrazin-Funden im Trinkwasser des Corn Belt eine umfassende Neubewertung auf Grund seit 2007 veröffentlichter Forschungsergebnisse durchgeführt.[23][24] Im November 2020 veröffentlichte die EPA schließlich eine Bewertung, der zufolge Atrazin wahrscheinlich mehr als 1.000 der am stärksten gefährdeten Pflanzen und Tiere der USA schadet. Nur zwei Monate zuvor hatte die Behörde das Pestizid für weitere 15 Jahre zugelassen.[25]
Resistenzen
Unter anderem bei den Pflanzen Weißer Gänsefuß, Gemeine Melde und Einjähriges Rispengras sind Resistenzen gegen Atrazin und andere Wirkstoffe aus der Klasse der Triazine bekannt. Diese beruhen auf einer Punktmutation im psbA-Gen des plastidären Genoms, welches das Bindeprotein für QB codiert. An Position 264 des Peptids fand ein Aminosäureaustausch von Glycin nach Serin statt, wodurch die Bindungsaffinität des Proteins an Triazinherbizide stark herabgesetzt wird.
Einzelnachweise
- Eintrag zu Atrazin in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 1. Februar 2016. (JavaScript erforderlich)
- Eintrag zu Atrazine im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 1. Februar 2016. Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung erweitern.
- Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva): Grenzwerte – Aktuelle MAK- und BAT-Werte (Suche nach 1912-24-9 bzw. Atrazin), abgerufen am 9. November 2015.
- BGBl. II Nr. 254/2018
- Eintrag zu Atrazin. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 9. Juni 2021.
- Walter Giger: Der Rhein Rot, Die Fische Tot — Brandkatastrophe in Schweizerhalle 1986 — Rückblick und Bilanz. In: Umweltwissenschaften und Schadstoff-Forschung. Band 19, Januar 2007, S. 11–23, doi:10.1065/uwsf2007.03.165.
- Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu 4,6-Dichlor-N-ethyl-1,3,5-triazin-2-amin: CAS-Nummer: 3440-19-5, PubChem: 18926, ChemSpider: 17871, Wikidata: Q63391569.
- Thomas A. Unger: Pesticide Synthesis Handbook. William Andrew, 1996, ISBN 0-8155-1401-8, S. 642 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- A. Mudhoo, V.K. Garg: Sorption, Transport and Transformation of Atrazine in Soils, Minerals and Composts: A Review. In: Pedosphere. Band 21, Nr. 1, Februar 2011, S. 11–25, doi:10.1016/S1002-0160(10)60074-4.
- Wenn Froschmännchen Eier legen. In: Spektrum der Wissenschaft. Nr. 4, 2010, ISSN 0170-2971, S. 12 (spektrum.de).
- Tyrone B. Hayes u. a.: Atrazine induces complete feminization and chemical castration in male African clawed frogs (Xenopus laevis). In: Proceedings of the National Academy of Sciences. 107, Nr. 10, S. 4612–4617, doi:10.1073/pnas.0909519107.
- Vgl. die Zusammenfassung bei L. N. Vandenberg, T. Colborn, T. B. Hayes et al., Hormones and endocrine-disrupting chemicals: low-dose effects and nonmonotonic dose responses, in: Endocrine Reviews. 33, Juni 2012, zuerst veröffentlicht 14. März 2012, doi:10.1210/er.2011-1050 sowie das Interview mit Tyrone Hayes in Democracy Now, 21. Februar 2014.
- G. Gunkel, B. Streit: Mechanisms of bioaccumulation of a herbicide (atrazine, s-triazine) in a freshwater mollusc (Ancylus fluviatilis Müll.) and a fish (Coregonus fera Jurine). In: Water Research. 14, Nr. 11, 1980, S. 1573–1584, doi:10.1016/0043-1354(80)90061-5.
- LUA NRW: Gewässergütebericht 1997 Kapitel 5 Teil 3 (Memento vom 8. Mai 2014 im Internet Archive)
- Schweizerischer Bundesrat: Strengere Bestimmungen für die Ausfuhr von Pflanzenschutzmitteln. In: admin.ch. 14. Oktober 2020, abgerufen am 14. Oktober 2020.
- Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Kommission: Eintrag zu Atrazine in der EU-Pestiziddatenbank; Eintrag in den nationalen Pflanzenschutzmittelverzeichnissen Österreichs und Deutschlands, abgerufen am 14. März 2016.
- Nr. 5 der Anlage 1 zu § 1 der Verordnung über Anwendungsverbote für Pflanzenschutzmittel; die Anwendung ist daher nach § 8 in Verbindung mit § 69 Absatz 1 Nummer 2, Absatz 6 des Pflanzenschutzgesetzes eine Straftat.
- Schriftliche Anfrage: Trinkwasserverunreinigung durch Atrazin in der Opf, S. 4., mit Antwort des Bayr. Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit vom 12. März 2013
- Abwasserlexikon: Atrazin
- Eintrag im nationalen Pflanzenschutzmittelverzeichnis der Schweiz, abgerufen am 7. November 2017.
- BLW: Zurückgezogene Wirkstoffe aus Anhang 1 der PSMV, Stand 1. Juli 2017.
- Pflanzenschutzmittel im Grundwasser. In: bafu.admin.ch. Abgerufen am 4. November 2019.
- epa.gov: Atrazine Updates – Amphibians (englisch)
- Michael Hawthorne: Growing concern in the water (Memento vom 25. März 2014 im Internet Archive), Chicago Tribune, 18. April 2010.
- EPA: Widely Used Pesticide Atrazine Likely Harms More Than 1,000 Endangered Species. In: biologicaldiversity.org. 5. November 2020, abgerufen am 13. Juni 2021.