Turkestan
Turkestan (persisch ترکستان, ‚Land der Türken‘; alternative Schreibungen sind Türkestan, Turkistan und Türkistan) war die persische Bezeichnung einer nicht fest umrissenen zentralasiatischen Region, die sich vom Kaspischen Meer im Westen bis zur Wüste Gobi im Osten erstreckte. Das Gebiet umfasste rund 2.500.000 km² und gehört heute im Wesentlichen zu sieben Staaten.
Etymologie
Das heutige Turkestan war im Altertum vermutlich mehrheitlich von iranischen Völkern besiedelt[1] und bei diesen als Turan bekannt.[2] In der Zeit zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert wurde die Region von Mongolen beherrscht und in Europa als „Große Tatarei“ bezeichnet. Diese „Große Tatarei“ griff im Süden auch in persisches Gebiet über. Noch heute macht dessen Tiefland als „Turanische Senke“ oder „Turanisches Tiefland“ den größten Teil des westlichen Turkestans aus.
Begriffsgeschichte
Das als „Turkestan“ im Sinne einer Bezeichnung für die zentralasiatischen Länder im Norden des modernen Iran und Afghanistan begrifflich gefasste Territorium unterlag im Laufe der Geschichte und abhängig vom Standpunkt des Verwenders einigen Wandlungen. In der Literatur und insbesondere in Reiseaufzeichnungen wurde üblicherweise zwischen dem russischen, dem chinesischen und dem afghanischen Turkistan eingeteilt, während Manche eine Einteilung in West- und Ostturkestan vornahmen. Anfang des 20. Jahrhunderts war nach Ende des zaristischen Russlands ein gemeinsames Gefühl der Einheit Turkestans gewachsen und es kam 1917 zur Gründung des (nach dem Khanat Chiwa) zweiten unabhängigen Staates Zentralasiens, dem ethnienübergreifenden Staat Turkistan Äwtanam Hukumäti (sogenannte Kokand-Autonomie). Der bolschewistischen Führung in Moskau, die gegenüber jeder ethnischen, tribalen oder lokalen Organisation feindlich gestimmt war, gelang es schnell, dieser Entwicklung gegenzuwirken und durch geschicktes Ausspielen der verschiedenen ethnischen Gruppen gegeneinander, die Gründung der nach ethnischen Einheiten unterteilten Sowjetrepubliken in den 1920er Jahren zu bewirken. Der Begriff „Turkestan“ verschwand aus der Presse und wurde von Stalins Zensoren jahrzehntelang als Name und Konzept verboten, so dass es den Zentralasiaten nicht möglich war, ihre eigene Identität selbst zu bestimmen.[3]
Heute wird die Bezeichnung „Turkestan“ vielfach mit dem Begriff „Heimat der Türken“ (also mit dem „Stammland der Turkvölker“) gleichgesetzt.
Bevölkerung
Im Gebiet des heutigen Turkestan lebten im Laufe der Geschichte viele Völker, da das Gebiet seit jeher ein wichtiges Durchzugsgebiet der nomadischen Steppenvölker war. Erste große Kulturen entwickelten in diesem Gebiet die iranischen Völker, die in den Oasen sesshaft wurden und in der Folge zahlreiche Städte gründeten. In der Zeit zwischen dem 7. und 8. Jahrhundert wurde ein großer Teil des turkestanischen Gebietes von diversen Steppennomaden – darunter auch frühe Turkvölker – beherrscht, die dem feudalen Herrschaftsgebiet der Kök-Türken unterstanden. Die von ihnen unterworfenen Teile Turkestans gehörten zu deren westlichem Teil-Khanat.
Heute leben im Gebiet Turkestans verschiedene Ethnien, von denen die turksprachigen inzwischen die Mehrheit bilden. In Turkestan sind heute Turkmenen, Uiguren, Usbeken, Karakalpaken, Kasachen, Kirgisen, Tataren, Aserbaidschaner, Karäim, Krimtürken, Turk-Mescheten und Türken wohnhaft. Aber auch die alteingesessenen iranischen Völker der Tadschiken, Perser und Afghanen sowie Russen, Ukrainer, Deutsche, Koreaner und Chinesen sind dort ansässig. Teilweise sind diese Völker in gewissen Regionen Turkestans noch als Urbevölkerung anzusehen. Die großen Turkvölker der Region bilden inzwischen auf dem Gebiet Turkestans eigene Turkstaaten.
Sprachen
In Turkestan gibt es seit jeher viele Sprachen. So entstand in seinem Gebiet auch die bedeutende türkische Literatursprache Tschagataisch, deren Nachfolgerin seit der russischen Besatzung als Usbekisch bezeichnet wird und heute die bedeutendste Turksprache Zentralasiens ist. Daneben spricht man in weiten Teilen des südlichen Turkestans iranische Sprachen, von denen die persische Sprache die bedeutendste ist.
Gliederung
Über die territoriale Ausdehnung Turkestans existierten mehrere Ansatzpunkte. Anfänglich wurde es als „Transkaspien“ – das heißt: jenseits des Kaspischen Meeres (von Europa aus gesehen), auf der asiatischen Seite – bezeichnet, da das in den 1880er Jahren unterworfene Gebiet zunächst der Region Kaukasien unterstellt war.[4] Bis zum Ersten Weltkrieg setzte sich der Terminus „Turkestan“ allgemein durch und wurde schließlich stark politisiert. Man begann nun, zwischen West- und Ostturkestan zu unterscheiden. Ab 1942 definierte man „Turkestan“ wie folgt: West- und Ostturkestan in der Sowjetunion und der Volksrepublik China, zu dem noch die iranische Provinz Gorgan und die Ausläufer des alten Chorasan hinzu kamen. Daneben wurden noch der Norden Afghanistans („Südturkestan“) und das südliche und mittlere Kasachstan einbezogen und Turkestan damit abgerundet.[4]
Heute wird Turkestan allgemein in drei Bereiche unterteilt:
- Das westliche Turkestan (auch West-Turkestan, Russisch-Turkestan oder Sowjetisch-Mittelasien genannt) besteht aus dem südlichen Bereich Kasachstans, der zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert zur kasachischen Großen Horde gehörte. Zu West-Turkestan werden auch die heutigen Staaten Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan gezählt. Mitunter wird auch das Gebiet des ehemaligen russischen Generalgouvernements Steppe (Nord- und Westkasachstan) aufgrund der ehemaligen kasachischen Kleinen und Mittleren Horde in den Begriff Turkestan eingeschlossen. Diese Praxis gilt jedoch als umstritten, da nur das südliche Territorium des Kasachen-Khanates (Große Horde) in der Region Turkestan lag.
- Das östliche Turkestan (auch als Ost-Turkestan oder Chinesisch-Turkestan bezeichnet) war ursprünglich nur auf das südwestliche Gebiet des Uigurischen Autonomen Gebietes (Xinjiang) beschränkt, wird aber heute auf die gesamte Region ausgedehnt. Uigurische Separatisten bezeichnen diese Teilregion Turkestans auch vielfach als Uyghuristan, als „Land der Uiguren“.
- Der nördliche Teil des heutigen Afghanistans wird heute bei den Turkvölkern als „Süd-Turkestan“ bezeichnet. Dieses „Süd-Turkestan“ wurde ursprünglich aus den südlichen Gebietsteilen der turkestanischen Khanate Buchara und Kokand gebildet. Diese wurden zwischen 1886 und 1893 von diesen an Persien abgetreten. Deshalb wurde diese Region auch im 19. Jahrhundert vielfach als Persisch-Turkestan bezeichnet. Mit der Unabhängigkeit Afghanistans gehörte diese Region zu dessen Gebietsstand und der Name „Persisch-Turkestan“ wurde aufgegeben. Im Gegensatz zu anderen Gebieten Turkistans wurde diese Region erst spät von Turkvölkern besiedelt.
Während Süd-Turkestan größtenteils noch zur Region Chorasan zählte, bildete das Gebiet von West-Turkestan einst (unter anderem) die historischen Provinzen Transoxanien (arabisch ما وراء النهر, DMG mā warāʾa n-nahr, wörtlich „was jenseits des Flusses ist“) und Choresmien.
Die Bezeichnungen „West-“ und „Ost-Turkestan“ sind auf den Russen Timkowskij (Тимковский) zurückzuführen, der sie 1805 in seinem Botschaftsbericht für Zentralasien verwendete.[5][6] Mitunter werden auch die Regionen des Altai- und des Sajangebirges sowie die turksprachig besiedelten Randgebiete der westlichen Mongolei zu Turkestan gerechnet. Diese Regionen bilden das historische Ursprungzentrum der heutigen Turkvölker. Doch ist diese Praxis unter anerkannten Turkologen umstritten und findet vielfach nur in der halbwissenschaftlichen Sekundärliteratur Verwendung.
Der Name „Süd-Türkestan“ wurde vor allem Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre durch Panturkisten Zentralasiens geprägt und auf die afghanische Hindukuschregion ausgedehnt, da dort neben Tadschiken auch kleinere kirgisische und uigurische Minderheiten leben.
Der Militärbezirk „Turkestan“ der Roten Armee umfasste die damaligen Sowjetrepubliken Turkmenistan und Usbekistan. (Die Sowjetrepubliken Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan waren im Militärbezirk „Zentralasien“ zusammengeschlossen.)
Durch Turkestan verläuft die Turkestan-Sibirische Eisenbahn, kurz Turksib.
Geschichte
Vorgeschichte
Turkestan ist als Durchzugsgebiet im Verlauf seiner langen Geschichte mehrmals umkämpft worden. So war Turkestan mehrmals Teil von verschiedenen Nomadenreichen. Ein großer Teil der turkestanischen Region gehörte um 174 v. Chr. zur Stammesföderation der Hsiung-nu. Aber auch Völker wie die Gutäer lebten weiterhin in dieser Region. Später gehörten weite Teile zum Perserreich und zum Reich Alexanders des Großen. Die hellenistischen Nachfolgeherrscher konnten den Raum jedoch nur zeitweilig kontrollieren. Die Region wurde in der Folgezeit von unterschiedlichen Gruppen und unterschiedlich stark ausgeprägt beherrscht.
Um 400 wurde ein Teil Turkestans von den Rouran beherrscht, die ebenfalls eine nomadische Stammesföderation bildeten. In anderen Teilen des spätantiken Zentralasiens herrschten untern anderem die iranischen Hunnen. Im Südwesten lag die Grenze zum mächtigen Sassanidenreich.
Köktürken und Tang-Chinesen
Mitte des 6. Jahrhunderts fielen dann die heute als On-Ok bezeichneten Kök-Türken in Turkestan ein und errichteten in diesem Gebiet ihr westliches Teil-Khanat, dass sich bis zum Jahr 745 halten konnte. Doch bereits 657 errichtete das China der Tang-Dynastie in der südlichen Region des westlichen Göktürkenreiches seine Provinz der „vier Garnisonen“. Die Tang-Chinesen nannten dieses unterworfene Gebiet schließlich 西部地區 westliches Territorium. Mehrmals gehörte das von Tang-China unterworfene Gebiet im 7. und 8. Jahrhundert aber auch zu tibetanischen Reichen. Nach dem Untergang des Kök-Türkenreiches (745) wurden auf dessen Gebiet verschiedene turkstämmige Nachfolgereiche gegründet. So entstand auf dem Gebiet des ehemaligen Ostkhanates (östliches Turkestan und eigentliche Mongolei) das Reich der Uiguren, das bis 840 Bestand hatte. Es wurde schließlich von den Jenissej-Kirgisen unterworfen. Im ehemaligen Westkhanat wurden unter anderem die Reiche der Kiptschaken und der Seldschuken gegründet, deren Einflussbereich sich schließlich bis Europa und Vorderasien erstrecken sollte. Aber auch die Reiche der Chasaren und der Oghusen hatten in Turkestan eine ihrer Wurzeln.
Einfall der Araber
Zwischen den Jahren 661 und 750 wurden weite Teile des späteren Turkestans von den Arabern erobert und zum Islam bekehrt. Es bestanden zu dieser Zeit aber auch starke christliche und buddhistische Gemeinden in der Region. Im 8. Jahrhundert stritten sich das Kalifenreich und China offen um das Gebiet des späteren Turkestans. Schließlich wurde das turkestanische Gebiet zwischen beiden Kontrahenten aufgeteilt: Chinas Einflussbereich erstreckte sich von der Region um das Tarim-Becken über den Balkaschsee bis zum Ostufer des Syrdarjas. Die Gebiete westlich des Syrdarjas bis zur Halbinsel Mangyschlak gehörten zum Einflussbereich des Abbasidenkalifats und wurden nach dessen Zerfall von verschiedenen muslimischen Regionaldynastien wie den iranischen Samaniden (9./10. Jh.) und den türkischen Qarachaniden (10.–13. Jh.) beherrscht. Während der zweiten Hälfte des 11. und der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts war West-Turkestan ein Teil des ausgedehnten Seldschukenreiches, bevor es sich in der zweiten Hälfte des 12. und zu Beginn des 13. Jahrhunderts unter der Oberherrschaft der anuschteginidischen Choresm-Schahs und der (nichtmuslimischen) Qara-Chitai befand.
Mongolische Zeit
Seit 1220 gehörte ganz Turkestan dann zum mongolischen Imperium Dschingis Khans, welcher die beiden letztgenannten Reiche vernichtet hatte. In Turkestan wurde das mongolische Teilkhanat Tschagatai gegründet, das in der Osthälfte formal als Moghulistan bis 1510 bestand.
Im 15. Jahrhundert wurde Turkestan an der Grenze zwischen Altai – Tian-Schan – Pamir in zwei Hälften geteilt: Während der Westteil an Timur Lenk fiel und noch bis zur russischen Eroberung unter persischen Einfluss stand, verblieb der Ostteil unter der einheimischen Dschingisiden-Dynastie. Nach Ende der Timuridenzeit gelangte das gesamte Turkestan allerdings nochmals unter mongolische Herrschaft, als die Dschungaren ihr nomadisches Steppenreich begründeten.
Ab 1500 entstanden auf den turkestanischen Gebieten die usbekischen West-Khanate Chiwa und Buchara sowie das kirgisische Khanat Kokand. In der östlichen Hälfte wurden die sogenannten uigurischen Ost-Khanate Kaschgar, Tufan und Chotan gegründet. Das übrige nicht unter persischen und chinesischen Einfluss stehende Gebiet wurde 1509 von kasachischen Nomaden zu einem Khanat zusammengefasst, das bereits wenige Jahre später in drei Apanagen (Teilherrschaften) zerfiel. Diese Apanagen wurden als Kleine, Mittlere und Große Horde bekannt.
Zeit der chinesischen und russischen Herrschaft
Im Jahr 1759 eroberte das Kaiserreich China diese Gebiete und dehnte seinen Einflussbereich bis zum Balkaschsee aus. Offiziell nannte China ab 1844 diese Gebiete 再一次回來舊的地域 erneut zurückgekehrtes altes Territorium, kurz Xinjiang – neues Land.[7] Das östliche Turkestan wurde nun am 11. November dieses Jahres mit der benachbarten Dsungarei zur neuen Provinz Xinjiang zusammengefasst und der chinesischen Zivilverwaltung unterstellt.
Ab Mitte des 18. Jahrhunderts begann das russische Zarenreich, sich in die zentralasiatischen Steppen auszudehnen und die kasachischen Nomaden unterstellten sich freiwillig der russischen Herrschaft, um so einen mächtigen Verbündeten gegen die kriegerischen Dschungaren zu haben. In der Zeit zwischen 1822 und 1854 wurde vom zaristischen Russland das nördliche turkestanische Steppengebiet einverleibt und als „Generalgouvernement Steppe“ dem General Konstantin Petrowitsch von Kaufmann unterstellt. 1812 wurde dann auf dem linken Ufer des Urals die Bökey-Horde begründet, die sich aus der Kleinen Horde ableitete und ein treuer Vasall des Zaren war.
Im 19. Jahrhundert führte Russland mit China blutige Grenzkriege und drängte dieses im Wesentlichen bis auf die heutigen Grenzen zurück. Lediglich die heutige Mongolei und Tuwa sowie die Mandschurei verblieben als Provinzen bei China. Allerdings standen diese Gebiete unter starkem russischem Einfluss und galten teilweise als russisches Protektorat.
Die unter chinesischer Oberhoheit lebenden Turkvölker empfanden sich als „eine unter Fremdherrschaft“ stehende unterdrückte Volksgruppe. So begannen sie zahlreiche Aufstände gegen die chinesische Herrschaft, bei denen sie vor allem durch Kasachen aus dem russischen Teil der Region unterstützt wurden. Auch spielten einige einflussreiche Derwischorden bei diesen Unruhen eine große Rolle. Scheiche aus Indien führten im 19. Jahrhundert den Qādirīya-Orden im östlichen Turkestan ein.[8]
Das Emirat von Kaschgar
1864 gründete Jakub Beg, der spätere Emir von Kaschgar, ein neues turkstämmiges Khanat. Dieses trug den Namen „Emirat Kaschgar“ und war im höchsten Maße autokratisch. Seine Armee umfasste schließlich 60.000 Mann und er wurde vom Osmanischen Reich, Russland und Großbritannien als Khan anerkannt.[9] Nachdem aber die chinesische Armee Jakub vernichtend geschlagen hatte (angeblich sollten von seiner 60.000 Mann starken Armee nur zehn überlebt haben) wurde Kaschgarien wieder der Kontrolle Chinas unterstellt. Bereits 1871 hatten russische Truppen das Ili-Gebiet besetzt, das sie jedoch zehn Jahre später wieder räumten.
Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg
Nach Ausbruch der Chinesischen Revolution im Jahre 1911 verblieb Ost-Turkestan im Gegensatz zur Mongolei und Tibet bei China, war aber de facto autonom. Die muslimische Bevölkerung der China unterstellten Region Turkestans erhob sich nun zum bewaffneten Kampf gegen die chinesische Regierung. Zentrum dieser Revolution war das Gebiet um Hami. Dieser Aufstand wurde 1912 unter Yang Zenxing, dem Verwaltungsleiter von Ürümqi, niedergeschlagen. 1913 wurde er zum Generalgouverneur der Region ernannt und herrschte bis zu seiner Ermordung am 7. Juli 1928 uneingeschränkt in der Provinz Xinjiang.
Nach der Russischen Revolution (1917) wurden im Gebiet des westlichen Turkestan die sowjetischen Volksrepubliken Buchara und Choresmien sowie die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik Turkestan gebildet. Aus dieser wurden dann zwischen 1924 und 1936 neue Republiken gebildet. Zwischen den Jahren von 1917 bis 1920 bestand in der nördlichen Steppenzone Westturkestans der sogenannte Alasch-Orda-Staat und südlich davon das von Mitgliedern der Alasch-Anhängern Kokander Autonomiegebiet.
Als die 1936 von den Sowjets geforderte Enteignung der kasachischen Viehnomaden durchgeführt werden sollte, floh ein großer Teil von diesen, rund 300.000 Kasachen, mit ihren Herden nach China (Provinzen Xinjiang und Tannu-Uriangchai) und der Mongolei. Ein anderer Teil der Kasachen tötete seine Herden lieber und löste damit eine der größten Hungerkatastrophen in der kasachischen Geschichte aus.[10]
Nach der Ermordung Zenxings (1928) geriet das östliche Turkestan zeitweilig unter starken sowjetischen Einfluss. Unter seinem Nachfolger, Jin Shuren, dem Gouverneur von 1928 bis 1931, kam es 1931 zur Hami-Rebellion und weiteren Aufständen. Ausgehend von Hami dehnten sich diese nun fast auf die gesamte Provinz aus. Diesmal waren in diesem Aufstand alle Bevölkerungsgruppen der Region involviert. Ein Anführer der Turkstämmigen war der Hodscha Niyaz, der in der Region Kaschgar im November 1933 die Islamische Republik Ostturkestan ausrief. Diese ging allerdings nach sechs Monaten wieder unter. Diese „ostturkestanische Regierung“ wurde bereits Mitte April 1934 verhaftet und an die Provinzregierung Gansu ausgeliefert. Dort wurden ihre Mitglieder hingerichtet. Der „Präsident“ Hadschi wurde drei Jahre später hingerichtet. 1937 gelang es Sheng Shicai, er war Gouverneur von Xinjiang in der Zeit von 1939 bis 1945, im Gebiet um Kaschgar eine neue Revolution niederzuschlagen, in dessen Folge rund 80.000 Revolutionäre ihr Leben verloren.[11] Doch noch im selben Jahr schloss er sich den Nationalisten unter Chiang Kai-shek an, nachdem die Wehrmacht auf Befehl Adolf Hitlers die UdSSR überfallen hatte.
Im November 1944 erhoben sich die Kasachen unter Alichan Tura im Ili-Gebiet und riefen eine neue „Republik Ostturkestan“ aus. Tura und dessen Verbündeter, Usman Batur, versorgten sich in der Mongolei mit Waffen und bereits im September 1945 hielt die sogenannte „Kuldscha-Gruppe“ unter Tura das gesamte Altaigebiet und besetzten Ürümqi und Kaschgar. Die Rebellen suchten den engen Schulterschluss mit der Sowjetunion und stellten diese als Vermittler zwischen ihnen und der chinesischen Regierung ein. Am 12. Juli 1946 wurde die „Republik Ostturkestan“ aufgelöst und die Kasachen erhielten mit dem Autonomen Bezirk Ili ihren eigenen Autonomiebereich in Xinjiang.
Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg
Während des Chinesischen Bürgerkriegs marschierten 1949 Truppen der kommunistischen „Volksbefreiungsarmee“ in Ost-Turkestan ein, das als Provinz Xinjiang Teil der Volksrepublik China wurde. Die rigide Durchführung einer Sinisierungspolitik löste zwischen 1950 und 1968 mindestens 58 Aufstände aus, bei denen ungefähr 360.000 Menschen ihr Leben verloren.[12] 1964 führte die VR China in dem 1955 zur „Autonomen Region“ ernannten Ost-Turkestan erstmals einen Atombombentest durch. 1967 folgte die erste Zündung einer chinesischen Wasserstoffbombe. Zeitgleich wurde den Muslimen in China der Gebrauch der arabischen Schrift verboten und die Zwangsumstellung über ein kyrillisches Alphabet auf ein modifiziertes lateinisches Schriftsystem durchgesetzt.
1979 intervenierte die Sowjetunion in Afghanistan, woraufhin die islamistischen Mudschaheddin den Dschihad ausriefen, um Süd-Turkestan und das restliche Afghanistan von der russischen Armee zu befreien. Am 15. Februar 1989 verließen die letzten sowjetischen Soldaten Afghanistan. Kurz darauf stürmten am 19. Mai bewaffnete Demonstranten in Ürümqi das dortige Parteibüro der KPCh.[13]
Gegenwart
Mit dem Zerfall der Sowjetunion wurden im westlichen Turkestan die Sowjetrepubliken Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan zu unabhängigen Staaten. Auch erhoben sich im April 1990 vor allem die Uiguren in Xinjiang erneut gegen die chinesische Zentralregierung und forderten die Unabhängigkeit von China sowie die Errichtung einer eigenständigen Turkrepublik. Die chinesische Regierung bezichtigte Exil-Uiguren, vor allem den damals 90-jährigen İsa Yusuf Alptekin, die Unruhen ausgelöst zu haben. In einer in Istanbul gehaltenen Rede bezeichnete Alptekin die chinesische Politik als „Unterdrückung der ostturkestanischen Muslime“ und deren Kampf als „verzweifelten Überlebungskampf“.[14] Der Aufstand wurde von chinesischen Truppen niedergeschlagen und die wenigen Überlebenden flüchteten sich ins benachbarte Kasachstan.
Zwischen den Jahren 1990 und 1997 wurden in Turkestan verschiedene islamistische und zum Teil militante Organisationen gegründet, die ein vereinigtes Turkestan forderten. Im Mai 1996 verlagerte der Terroristenführer Osama bin Laden seinen Hauptaufenthaltsort nach Afghanistan. Die terroristische al-Qaida baute Afghanistan zu ihrem Stützpunkt aus und errichtete Ausbildungscamps, in denen auch Muslime aus Zentralasien ausgebildet wurden.
1997 wurde Afghanistan von den Taliban zum islamischen Emirat ausgerufen und im chinesischen Xinjiang arbeiteten angeblich Angehörige der islamischen Gottespartei ein Vier-Punkte-Programm zur Gründung einer Islamischen Republik Ostturkestan aus, die auch den bewaffneten Kampf (d. h. Terroranschläge gegen chinesische Regierungsinstitutionen) mit einschloss.
Zwischen 1997 und 2001 wurden von der al-Qaida in Afghanistan rund 20.000 Menschen militärisch ausgebildet. Laut Aussage des stellvertretenden chinesischen Ministerpräsidenten Qian Qichen sind rund 1000 von ihnen Uiguren aus China und Zentralasien.[15]
Anmerkungen
- „(…) Der Osten des ursprünglich persisch besiedelten Gebietes wurde im 4. Jahrhundert vom chinesischen General Pan Tschao erobert.“ In: Erhard Stölting: Eine Weltmacht zerbricht. Kapitel VIII. Dschingis Chans muslimische Erben 2: Turkestan. S. 164.
- „(…) Über die Ethogenese dieses Stammes ist viel gerätselt worden. Auffallend ist, dass viele zentrale Begriffe iranischen Ursprungs sind. Dies betrifft fast alle Titel (…). Einige Gelehrte wollen auch die Eigenbezeichnung türk auf einen iranischen Ursprung zurückführen und ihn mit dem Wort "Turan", der persischen Bezeichnung für das Land jeneseits des Oxus, in Verbindung bringen.“ In: Wolfgang Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien. S. 18.
- W. Barthold-[C. E. Bosworth]: Turkistan. In: P. J. Bearman, Th. Bianquis, C. E. Bosworth, E. van Donzel & W. P. Heinrichs (Hrsg.): The Encyclopaedia of Islam. New Edition. 10 („T-U“). Brill, Leiden 2000, ISBN 90-04-12761-5, S. 679–680.
- Marie-Carin von Gummenberg, Udo Steinbach (Hrsg.): Zentralasien. S. 322.
- Berndt Georg Thamm: Der Dschihad in Asien. S. 163.
- „Turkistan“ zur Beschreibung Zentralasiens und des Tarim-Beckens in Süd-Xinjiang Chinas laut: Chuan Chen: Die „Ostturkistan-Frage“ – eine Mischung aus Terrorismus, Fundamentalismus und Separatismus. In: Volker Foertsch, Klaus Lange (Hrsg.): Islamistischer Terrorismus und Massenvernichtungswaffen. Hanns-Seidel-Stiftung, 2006, ISBN 3-88795-307-X, S. 127ff. (Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen Nr. 50) (PDF; 1,3 MB)
- Berndt Georg Thamm: Der Dschihad in Asien. S. 166.
- Vgl. Zarcone: "La Qâdiriyya en Asie Centrale et au Turkestan oriental". 2000, S. 295, 329.
- Berndt Georg Thamm: Der Dschihad in Asien. S. 175.
- Erhard Stölting: Eine Weltmacht zerbricht. Nationalitäten und Religionen in der UdSSR. S. 196.
- Berndt Georg Thamm: Der Dschihad in Asien. S. 178.
- Berndt Georg Thamm: Der Dschihad in Asien. S. 183.
- Berndt Georg Thamm: Der Dschihad in Asien. S. 185.
- Berndt Georg Thamm: Der Dschihad in Asien. S. 187.
- Anthony Kuhn: U.N. Voices Concern Over Rise in Alleged Abuse of Chinese Muslims. In: Los Angeles Times. 10. November 2001.
Literatur
- Wassili Wladimirowitsch Bartold: A Short History of Turkestan. In ders.: Four Studies on the History of Central Asia. Band 1. E. J. Brill, Leiden 1956, S. 1–72.
- Berndt Georg Thamm: Der Dschihad in Asien. Die islamische Gefahr in Russland und China. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008, ISBN 978-3-423-24652-1.
- Erhard Stölting: Eine Weltmacht zerbricht. Nationalitäten und Religionen in der UdSSR. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-8218-1132-3.
- Carter Vaughn Findley: The Turks in World History. Oxford University Press, 2005, ISBN 0-19-517726-6.
- Walther Stötzner: Im Märchenlande Tamerlans. Mit sieben Illustrationen nach photographischen Aufnahmen. In: Reclams Universum : Moderne illustrierte Wochenschrift. 29.2 (1913), S. 1260–1265.
- Thierry Zarcone: La Qâdiriyya en Asie Centrale et au Turkestan oriental. In: Th. Zarcone, E. Işın u. A. Buehler (Hrsg.): The Qâdiriyya Order, Special Issue of the Journal of the History of Sufism, 2000, S. 295–338.
Weblinks
- Turkestan Album, Library of Congress
- In der Datenbank RussGUS werden über 750 Publikationen nachgewiesen (dort Suche – Formularsuche – Geo.-Register: Mittelasien OR Turkm* OR Turkest*)