Tirano
Tirano (dt. veraltet Thiran, auch: Tiran, Tyran, Tiranum, Tyranum oder Tyrano[2] rätoromanisch ) ist eine Stadt und gleichzeitig der Hauptort der gleichnamigen Gemeinde in der italienischen Provinz Sondrio, Region Lombardei mit 8986 Einwohnern (Stand 31. Dezember 2019).
Tirano | ||
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Staat | Italien | |
Region | Lombardei | |
Provinz | Sondrio (SO) | |
Lokale Bezeichnung | Tiràn / Tiraun (roh) | |
Koordinaten | 46° 13′ N, 10° 10′ O | |
Höhe | 441 m s.l.m. | |
Fläche | 32 km² | |
Einwohner | 8.986 (31. Dez. 2019)[1] | |
Fraktionen | Baruffini, Cologna, Madonna di Tirano, Roncaiola | |
Postleitzahl | 23037 | |
Vorwahl | 0342 | |
ISTAT-Nummer | 014066 | |
Volksbezeichnung | Tiranesi | |
Schutzpatron | San Martino (11. November) | |
Website | Tirano |
Geographie
Tirano liegt im oberen Veltlin am Eingang des Puschlavs, nahe der Schweizer Grenze. Dominierten früher die Landwirtschaft – vor allem Obst- und Weinbau – und das lokale Kleingewerbe, so siedelten sich in den letzten Jahrzehnten einige kleinere Industriebetriebe an, die es aber schwer haben, sich gegen die Konkurrenz des regionalen Oberzentrums Mailand zu behaupten. Deshalb arbeiten viele Tiranesi als Tages- oder Wochenpendler in und um Mailand oder in den Fremdenverkehrsorten des Oberengadins.
Die Nachbargemeinden sind Brusio (CH-GR), Corteno Golgi (BS), Sernio, Vervio und Villa di Tirano.
Geschichte
Frühzeit und Mittelalter
Die Siedlung entwickelte sich am linken Ufer des Flusses Adda unterhalb der im Jahr 1073 erwähnten Burg Dosso. Im 12. Jahrhundert war sie zuerst eine freie Gemeinde, dann unterstand sie den Capitanei von Stazzona, die die Burg Piattamala am Eingang zum Puschlav errichten ließen. 1335 erfolgte der Übergang Tiranos von Como an Mailand unter der Herrschaft der Visconti, und die Stadt wurde Gerichtsort des oberen Terziers des Veltlins.
Im Jahr 1487 wurde Tirano durch die Bündner eingenommen und teilweise zerstört, worauf Herzog Ludovico il Moro den massiven Ausbau der Stadtbefestigung veranlasste. Eine Ringmauer nach Plänen von Giovanni Francesco Sanseverino und die neue Burg St. Maria wurden errichtet. Dennoch wurde die Stadt 1512 von den Bündnern erneut erobert, die Befestigungen größtenteils zerstört und dauerhaft als Untertanengebiet in Besitz genommen. Nur noch Reste der Stadttore Porta Poschiavina, Bormina und Milanese sind heute vorhanden. Die Bündner setzten in Tirano einen Podestaten ein und eröffneten einen Vieh- und Warenmarkt.
Reformation und Gegenreformation
Im 16. Jahrhundert entwickelte sich Tirano zu einem Zentrum des Warenumschlags und des Ideenaustauschs; es bildete somit einen Knotenpunkt im Handelsverkehr zwischen Bünden und Venedig sowie Bormio und Mailand. Die Stadt war die größte des Veltlins und hatte 1589 ungefähr 5000 Einwohner. Es entstand spätestens um 1560 auch eine evangelische Kirchgemeinde, die durch italienische Glaubensflüchtlinge wie Giulio da Milano gegründet und geleitet und von den Bündnern unterstützt wurde. Die Evangelischen feierten ihre Gottesdienste mit eigenem Pfarrer in der Kirche St. Maria. 1597 fand eine öffentliche theologische Disputation zwischen Vertretern beider Konfessionen statt.
Im Rachezug des Veltliner Mords (ital. Sacro macello) unter Führung von Giacomo Robustelli wurde die Stadt besetzt, und 60 Protestanten wurden am 19. Juli 1620 ermordet. Zu Beginn der folgenden Bündner Wirren wurde ein Rückeroberungsversuch der Bündner mit ihren Verbündeten durch die Spanier in der Schlacht bei Tirano am 11. September 1620 gestoppt. 1635–1636 machte Henri II. de Rohan, der Herzog von Rohan, die Stadt bei seinem Alpenfeldzug zu seinem Hauptquartier. Nach Ende der Auseinandersetzungen 1639 gelangte Tirano mit dem Veltlin wieder an die Drei Bünde und konnte von der günstigen Verkehrslage und der nahen Grenze zur Republik Venedig profitieren.
Neuzeit
1797 schloss sich das Veltlin der Cisalpinischen Republik an. Ab 1800 kauften Bündner Weinhandelsfirmen in Tirano und Umgebung Rebgrundstücke. 1908 bis 1910 erhielt die soeben erbaute Berninalinie der Rhätischen Bahn Anschluss ans italienische Netz.[3]
Verkehr
Durch Tirano verläuft die Staatsstraße 38, die das Veltlin auf seiner ganzen Länge vom Comer See bis zum Stilfserjoch erschließt. Eine Abzweigung führt über die Schweizer Grenze nach Poschiavo und weiter über den Berninapass ins Engadin.
Der Bahnhof Tirano besteht auszwei Teilen: den der italienischen Ferrovie dello Stato und direkt benachbart derjenige der schweizerischen Rhätischen Bahn.
Seit 1908 verkehrt die von der Rhätischen Bahn betriebene Berninabahn. Mit dem Bernina-Express werden Direktverbindungen von Chur und St. Moritz nach Tirano angeboten. Daneben gibt es stündlich verkehrende Regionalzüge. Der Bahnhof weist auch einen beträchtlichen Güterverkehr auf, vor allem mit Stammholz, das aus der Schweiz eingeführt und in Veltliner Sägewerken verarbeitet wird.
In den Sommermonaten verkehren jeweils einmal täglich zwei Postauto-Linien nach Lugano (durch das Veltlin und entlang des Comersees, Bernina-Express) sowie via Bormio und den Umbrailpass mit einem Abstecher zum Stilfser Joch nach Müstair (Stelvio-Linie).
Den ersten Bahnanschluss erhielt die Stadt am 29. Juni 1902. Die Strecke Sondrio – Tirano gehörte ursprünglich der privaten Ferrovia Alta Valtellina und wurde 1970 von der italienischen Staatsbahn übernommen. Die Stadt ist mit dem Schweizer GA erreichbar.
Sehenswürdigkeiten, Kultur und Spezialitäten
Altstadt
- Stadtbefestigung (14. und Ende 15. Jahrhundert) mit den drei Stadttoren Porta Poschiavina, Porta Bormina und Porta Milanese und den Resten der Burg Sta. Maria (siehe: Stadtbefestigung von Tirano).
- Stadtkirche San Martino und in der Via Parravichini die kleine Chiesa Mariano Spasmo.
- Palazzi, die während der Bündner Herrschaft von reichen Familien erbaut wurden
- Palazzo Salis, heute Museo Palazzo Salis.Tirano
- Palazzo Pretorio, ehemals Sitz des Podestà
- Palazzo Marinoni, heute Rathaus mit der angebauten Kirche Sant’Agostino
- Palazzo Torelli
- Palazzo Pievani und Palazzo Trombini, in der Vorstadt jenseits der Adda
- Palazzo Salis, heute Museo Palazzo Salis.Tirano
(siehe auch: Palazzi in Tirano)
- oberhalb der Stadt die Ruine der Burg Dosso genannt Castellaccio, ehemaliger Wohnsitz der Adelsfamilie Omodei.
Madonna di Tirano
Am Ort einer Marienerscheinung, etwa einen Kilometer vor den Toren der Stadt, entstand ab 1505 die monumentale Wallfahrtskirche, die Basilika Madonna di Tirano, um die sich in der Folge ein zweiter Siedlungskern entwickelte[4].
- Kirche mit dominantem Turm (1578) und Kuppelaufsatz, bedeutende frühbarocke Ausmalung und Ausstattung
- Kirchplatz mit Palazzo S. Michele, ehemals Kloster
- oberhalb liegt das Kirchlein Sta. Perpetua inmitten der Weinberge und rund 550 m Luftlinie entfernt in Richtung Schweizer Grenze die Kirche San Rocco.
Kultur
- Museo Etnografico Tiranese (MET), am Platz der Wallfahrtskirche Madonna di Tirano gelegen.
- La libreria Il Mosaico[5]
Kulinarische Spezialitäten
Bekannt sind Tirano und seine Umgebung für ihre kulinarischen (Veltliner) Spezialitäten: Wein, Trockenfleisch (bresaola), Käse, Roggenbrot, Pizzoccheri und andere Teigwaren.
Persönlichkeiten
Söhne und Töchter der Stadt:
- Giulio da Milano (1504–1581) alias Giulio della Rovere, evangelischer Pfarrer und Reformator in Tirano
- Rudolf Paravicini (1780–1836), Oberst der Kaiserlich Russische Armee, Träger des Orden des Heiligen Wladimirs[6]
- Carlo Braga (1889–1971), Ordenspriester und römisch-katholischer Missionar
- Omobono Tenni (1905–1948), Motorradrennfahrer
- Camillo de Piaz (* 24. Februar 1918 in Madonna di Tirano; † 31. Januar 2010 in Sondrio), Geistlicher Servit, Journalist, Politiker antifaschist, Publizist, Freund von David Maria Turoldo[7]
- Gian Luigi Rondi (1921–2016), Filmkritiker
- Alberto Quadrio-Curzio (* 1937), Politikwissenschaftler
- Marilena Garavatti (* 1944 in Tirano), Malerin, Bildhauerin, Graphikerin, Kunstlehrerin[8]
- Valerio Righini (* 5. August 1950 in Tirano) (Bürgerort Bedigliora), Maler, Bildhauer, Grafiker, Kunstlehrer[9], Publizist[10]
- Marianna Longa (* 1979), Skilangläuferin
- Nicola Rodigari (* 1981), Shorttracker
- Yuri Confortola (* 1986), Shorttracker
- Rudy Zini (* 1988), Biathlet
Andere Persönlichkeiten
Literatur
- Martin Bundi: Tirano. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 17. Oktober 2012.
- Anna Ferrari-Bravo, Paola Colombini: Guida d’Italia. Lombardia (esclusa Milano). Milano 1987, S. 390.
- Lombardia – Touring club italiano, Touring Editore (1999), ISBN 88-365-1325-5, Tirano Online
- Friedrich Pieth: Tirano. In: Historisch-Biographisches Lexikon der Schweiz, Band 7, Tinguely – Ungarn., Attinger, Neuenburg 1921, S. 1 (Digitalisat).
Weblinks
- Offizielle Website der Stadt (italienisch)
- Comunità Montana Valtellina di Tirano (italienisch)
- Historische Aufnahmen der Station Tirano
- Palazzo Salis
- Museo Etnografico Tiranese
- Tirano (italienisch) auf tuttitalia.it/lombardia
- Tirano auf der Plattform ETHorama
Einzelnachweise
- Statistiche demografiche ISTAT. Monatliche Bevölkerungsstatistiken des Istituto Nazionale di Statistica, Stand 31. Dezember 2019.
- Johann Samuel Heinfius: Historisch-Politisch-Geographischer Atlas der gantzen Welt, Ausgabe Leipzig 1749, S. 1370. google books.
- Martin Bundi: Tirano. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 17. Oktober 2012.
- Santuario della Madonna di Tirano auf ethorama.library.ethz.ch/de/node
- Alberto Gobetti, La libreria Il Mosaico di Tirano. (italienisch) auf e-periodica.ch/digbib (abgerufen am 15. Januar 2017)
- Adolf Collenberg: Rudolf Paravicini. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 10. Februar 2011, abgerufen am 19. März 2020.
- Camillo de Piaz auf anpi.it/donne-e-uomini/
- Marilena Garavatti auf museotirano.it/
- Valerio Righini. In: Sikart, abgerufen 11. Januar 2016
- Valerio Righini: Una linea tra Grigioni e Valtellina. In: Valposchiavo, una Svizzera speciale. In: arte&storia, Ticino Management, Lugano ottobre 2020, S. 154–161
- Ursus Brunold: Clemente da Brescia. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 24. Februar 2005, abgerufen am 19. Februar 2020.