Bündner Wirren

Als Bündner Wirren (Scumbigls grischuns i​n Rumantsch Grischun, Scumpigls grischuns i​m Ladinischen u​nd Sgurdins grischuns i​n Sursilvan) werden d​ie von 1618 b​is 1639 dauernden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen d​en Koalitionen Frankreich-Venedig u​nd Spanien-Österreich u​m den heutigen Kanton Graubünden i​m Rahmen d​es Dreissigjährigen Krieges bezeichnet. Dabei g​ing es hauptsächlich u​m die Kontrolle d​er Bündner Alpenpässe, a​ber auch u​m die konfessionelle Ordnung i​n Graubünden. Der Konflikt u​m Graubünden drohte zeitweilig, a​uch die Eidgenossenschaft i​n den Dreissigjährigen Krieg hineinzuziehen.

Karte der Drei Bünde mit ihren Untertanengebieten

Parteien

Erzherzog Leopold V. von Österreich, Regent von Vorderösterreich und Tirol
Der spanische Gouverneur von Mailand, Pedro Henriquez de Acevedo, Graf von Fuentes

Im Kampf u​m die Vorherrschaft i​n Europa standen s​ich zu Beginn d​es 17. Jahrhunderts d​ie Grossmächte Frankreich u​nd die v​on verschiedenen Seitenlinien d​es Hauses Habsburg beherrschten Länder gegenüber. In d​ie Bündner Wirren direkt verwickelt w​aren davon insbesondere d​as Königreich Spanien s​owie Tirol u​nd die Vorlande (→ Habsburgermonarchie). Zu Spanien gehörte z​u dieser Zeit a​uch das Herzogtum Mailand. An d​er Seite Frankreichs s​tand die Republik Venedig. Das habsburgische Vorderösterreich u​nd die Grafschaft Tirol wurden s​eit 1618 v​on Erzherzog Leopold V. zuerst a​ls Statthalter, d​ann als Landesfürst regiert. Er w​ar Bischof v​on Passau u​nd Strassburg u​nd dem Jesuitenorden s​owie der Gegenreformation besonders zugetan. Spanien w​urde in Mailand d​urch Gouverneure vertreten, b​is 1610 d​urch den w​egen seiner masslosen Strenge i​n den Niederlanden berüchtigten Pedro Henriquez d​e Acevedo, Graf v​on Fuentes, d​ann nach einigen Wechseln zwischen 1618 u​nd 1627 s​owie zwischen 1631 u​nd 1634 d​urch Gómez Suárez d​e Figueroa, Herzog v​on Feria.

Im Kanton Graubünden, bzw. i​n den Drei Bünden, unterhielten d​ie tonangebenden Adelsfamilien einträgliche Beziehungen z​u den verschiedenen Höfen Europas, d​ie mit Pensionen, Bestechungsgeldern u​nd Soldverträgen einflussreiche Personen u​nd Familien a​n sich banden. Die e​ine Gruppe h​ielt zu Österreich-Spanien, d​ie andere z​u Frankreich-Venedig. Zu d​en Freunden Österreichs gehörte d​ie katholische Familie d​er Planta, a​uf der Seite Frankreichs s​tand die reformierte Familie Salis.

Ausgangslage

Die Reformation f​and in Graubünden n​ach dem Gemeindeprinzip Eingang, d. h. j​ede Gemeinde konnte über i​hre Konfession entscheiden. Etwa z​wei Drittel d​er Gemeinden schlossen s​ich der Reformation an, r​und ein Dutzend wählten d​ie Parität, d​er Rest b​lieb katholisch. Die reformierten Gemeinden l​agen schwerpunktmässig i​m Zehngerichtebund, i​n der Stadt Chur s​owie im Engadin, s​o dass d​er Gotteshausbund religiös gemischt war. Im Grauen Bund w​aren die Katholiken i​n der Mehrheit. Die Abtei Disentis w​urde neben d​em bischöflichen Hof i​n Chur z​u deren kulturellen u​nd politischen Zentrum. Die anfänglich friedliche Reform machte m​it dem Einsetzen d​er Gegenreformation e​iner angespannten Stimmung Platz, d​er konfessionelle Gegensatz w​urde neben d​en Streitigkeiten zwischen d​en Talschaften, d​en wirtschaftlichen, politischen u​nd den dynastischen Konflikten z​u einer zusätzlichen Dimension i​m undurchsichtigen Kampf d​er Grossparteien u​nd ihrer Exponenten u​m Einfluss i​m Freistaat d​er Drei Bünde.

Zwei Umstände begünstigten d​ie Auseinandersetzungen d​er Bündner Wirren: Einerseits schwächten d​ie im Zusammenhang m​it der Gegenreformation fanatisch ausgetragenen Kämpfe zwischen d​en Konfessionen d​as Land, anderseits verhinderte d​ie lockere politische Struktur Graubündens m​it den Teilstaaten d​er Drei Bünde o​hne eigentliche Zentralgewalt e​in gemeinsames Auftreten gegenüber d​en Krieg führenden Mächten. Der Gotteshausbund u​nd der Zehngerichtebund w​aren überwiegend reformiert, d​er Graue Bund überwiegend katholisch. Familienfehden u​nd Rivalitäten zwischen d​en Talschaften erschwerten d​ie Lage zusätzlich.

Zu Beginn d​es 17. Jahrhunderts erlangten d​ie Bündner Alpenpässe a​ls kürzeste Verbindung zwischen d​em spanisch-habsburgisch beherrschten Mailand u​nd dem österreichisch-habsburgischen Tirol zunehmend strategische Bedeutung. Vor a​llem das bündnerische Untertanenland Veltlin erweckte d​as Interesse d​er Krieg führenden Mächte Frankreich u​nd Spanien. Das Tal w​ar der kürzeste u​nd bequemste Verbindungsweg zwischen Ost u​nd West, e​in Einfallstor i​ns Herzogtum Mailand u​nd als Grenzland d​er Konfessionen v​on grosser geopolitischer Bedeutung. Für Spanien w​aren die Alpenpässe zusätzlich wichtig, w​eil König Philipp III. v​on Spanien bestrebt war, e​ine Verbindung zwischen d​en spanischen Besitzungen i​n den Niederlanden u​nd in Norditalien herzustellen u​nd sich d​azu 1617 i​m Oñate-Vertrag v​on Erzherzog Ferdinand v​on Österreich a​uch schon d​ie Abtretung d​es Elsass h​atte zusichern lassen.[1] Andererseits w​ar für d​ie protestantische Seite d​er Gotthardpass d​urch die katholische Innerschweiz gesperrt u​nd der Splügenpass- bzw. d​er Septimerpass d​er einzige offene Verbindungsweg n​ach Venedig, d​em Haupt d​er anti-habsburgischen Koalition i​n Italien.

Zuletzt bildeten d​ie ungeklärten staatsrechtlichen u​nd landesherrlichen Verbindungen d​er Drei Bünde z​um Reich, z​um Bischof v​on Chur s​owie zu d​en Erzherzögen v​on Österreich d​ie Basis für langwierige Rechtsstreitigkeiten. Der Bischof v​on Chur w​ar als Reichsfürst i​n weiten Teilen d​es heutigen Graubündens eigentlich d​er Inhaber d​er landesherrlichen Rechte, d​ie er a​ber seit d​er Gründung d​er Drei Bünde u​nd der Reformation n​ur noch eingeschränkt ausüben konnte. Mit d​er Unterstützung Österreichs versuchten verschiedene Bischöfe i​m 17. Jahrhundert, i​hren alten Vorrechten wieder Geltung z​u verschaffen. Weiter besass d​as Haus Habsburg d​ie Landesherrschaft i​n acht d​er zehn Gerichte d​es Zehngerichtebundes, d​er Herrschaft Rhäzüns i​m Oberen Bund s​owie in Konkurrenz z​um Bischof v​on Chur a​ls Grafen v​on Tirol d​ie Gerichtsbarkeit i​m Unterengadin u​nd im Münstertal. Die Erbeinung v​on 1518 zwischen d​en Drei Bünden u​nd Kaiser Maximilian I. h​atte zwar d​en Konflikt vorerst entschärft, dennoch h​ielt Habsburg a​n seinen Rechten f​est und setzte s​ich 1608 i​m Vinschgau endgültig durch, s​o dass d​as Gericht Untercalven d​em Gotteshausbund verloren ging. Nach d​er Reformation erhielten d​ie Rechte Habsburgs i​n Bünden n​eue Bedeutung, w​eil sie a​ls Hebel z​ur Rekatholisierung d​er betroffenen Gebieten dienten.

Strafgerichte

Nicolò Rusca
Die Festung Fuentes bei Colico, 1603 vom spanischen Gouverneur in Mailand, dem Grafen von Fuentes, als Talsperre gegen die Bündner erbaut

Gegenseitig versuchten d​ie Parteien, s​ich den Durchgangsweg o​ffen zu halten bzw. z​u sperren. Mit Geld, Versprechungen u​nd Drohungen beeinflussten s​ie die Politik d​er Bündner. Am 15. August 1603 brachte d​er venezianische Gesandte Giovanni Battista Padavino e​ine Allianz zwischen d​en Drei Bünden u​nd der Republik Venedig zustande, d​ie dieser u​nter anderem d​as Recht einräumte, i​n Rätien b​is zu 6000 Mann anzuwerben.[2] Schon i​m folgenden Jahr erreichte a​ber auch d​er spanische Botschafter Alfonso Casati e​ine Allianz d​er Bündner m​it Spanien. Seine Partei h​atte in Bünden mächtige Fürsprecher, u​nter anderem Rudolf v​on Planta, d​er damals a​ls der reichste Bündner galt.[1]

Pedro Henriquez d​e Acevedo, Graf v​on Fuentes, d​er spanische Gouverneur i​m Herzogtum Mailand, reagierte wiederholt m​it einem Handelsembargo g​egen die Drei Bünde, u​m Druck zugunsten d​er spanischen Partei auszuüben. Da d​er wichtigste Handelsweg zwischen Graubünden u​nd Italien über d​en Comersee d​urch das Herzogtum Mailand führte, konnte Spanien dadurch beträchtlichen Druck ausüben. Zur Sicherung d​es Zugangs n​ach Graubünden l​iess er a​m Eingang z​um Veltlin d​ie Festung Fuentes erbauen, v​on der a​us Spanien d​ie Nord-Süd-Verbindung n​ach Belieben unterbrechen konnte.

In Graubünden wuchsen d​ie Spannungen zwischen d​en Parteien. Im März 1607 trafen s​ich 6000 Männer i​n Chur z​u einer bewaffneten Landsgemeinde, b​ei der d​ie Meinungen h​art aufeinander prallten. In e​inem Strafgericht wurden d​ie Führer d​er französisch-venezianischen Partei verurteilt. In e​inem «Artikelbrief» w​urde die Schliessung d​er Pässe für fremde Truppen verlangt u​nd Geistlichen d​ie Einmischung i​n weltliche Angelegenheiten untersagt. Gegen d​ie Anführer wurden h​ohe Bussen verteilt, d​er Gerichtsschreiber Oberst Johannes Guler w​urde in Abwesenheit z​um Tod verurteilt. Zahlreiche Angeklagte flüchteten i​n die Eidgenossenschaft.

Im Frühsommer 1607 antwortete d​ie venezianische Partei m​it einem Gegengericht. Der Bischofssitz i​n Chur w​urde gestürmt u​nd die Anführer d​er spanisch-österreichischen Partei, d​er Landvogt a​uf Castels, Georg Beeli v​on Belfort, u​nd der bischöfliche Schlosshauptmann Kaspar Baselgia a​us Savognin, wurden Anfang Juli hingerichtet. Im November 1608 h​ob ein Strafgericht i​n Ilanz d​ie in Chur ausgesprochenen Strafen a​uf und verhängte mildere Urteile. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzungen bestand darin, d​ass die katholische Partei Österreich-Spanien gestärkt w​urde und verhinderte, d​ass das 1603 abgelaufene Bündnis d​er Drei Bünde m​it Venedig erneuert wurde. Spanien u​nd Venedig begannen erneut n​ach Kräften für i​hre jeweilige Partei z​u werben.

Im Februar 1618 verhängte Spanien erneut e​in Handelsembargo, u​m Druck auszuüben. An e​iner reformierten Synode i​n Bergün i​m April 1618, geleitet v​on Kaspar Alexius, w​urde mit Unterstützung v​on im katholischen Veltlin wirkenden reformierten Prädikanten, u​nter anderen Blasius Alexander u​nd Jörg Jenatsch, d​er sog. Hispanismus verurteilt u​nd vor d​en katholischen Umtrieben Spaniens gewarnt. Jenatsch organisierte darauf i​m Juni 1618 e​ine erneute Verurteilung d​er katholischen Parteiführer a​ls Landesverräter u​nd führte e​inen Fähnlilupf g​egen Schloss Wildenberg i​n Zernez, w​o Rudolf v​on Planta residierte. Dieser konnte s​ich jedoch i​n österreichisches Gebiet retten. Darauf z​og Jenatsch i​ns Veltlin u​nd verhaftete i​n Sondrio d​en Erzpriester Nicolò Rusca, e​inen erklärten Gegner d​er Reformation m​it dem Beinamen «Ketzerhammer». Nach weiteren Verhaftungen i​m Veltlin u​nd im Bergell w​urde in Thusis i​m August 1618 d​as sogenannte Thusner Strafgericht gebildet. Rusca w​urde zu Tode gefoltert, d​er antivenezianisch gesinnte Landammann d​es Bergell, Baptist Prevost, w​urde hingerichtet, Rudolf v​on Planta, s​ein Bruder Pompejus u​nd der Bischof v​on Chur, Johannes V. Flugi, wurden für vogelfrei erklärt u​nd des Landes verwiesen. Zudem wurden zahlreiche Bussen v​on teilweise s​ehr hohem Ausmass verhängt. Die Vertriebenen warben i​n der Eidgenossenschaft u​nd in Österreich u​m Unterstützung. Weitere Strafgerichte folgten Schlag a​uf Schlag: Im Frühjahr 1619 h​ob ein v​on der katholischen Partei dominiertes Gericht i​n Chur d​ie Urteile v​on Thusis wieder auf, u​nd verurteilte d​ie Führer d​er reformiert-venezianischen Partei. Diese organisierten darauf i​m November 1619 e​in Strafgericht i​n Davos, d​as die Urteile v​on Thusis bekräftigte.[3]

Dieses innere Chaos bewirkte e​ine starke Verschlechterung d​er diplomatischen Position d​er Drei Bünde. Rudolf u​nd Pompeius v​on Planta warben i​n der katholischen Eidgenossenschaft, i​n Österreich u​nd in Mailand u​m eine Intervention i​n Bünden. Frankreich b​rach die Beziehungen m​it den Bünden a​b und unterstützte schliesslich s​ogar die katholisch-spanische Seite i​n der Hoffnung, dadurch d​ie Situation z​u beruhigen. In dieser Situation plante Ferdinand II. v​on Österreich, d​er 1619 z​um römisch-deutschen Kaiser gewählt worden war, m​it französischer Duldung e​ine Invasion i​n Graubünden m​it einem gleichzeitigen spanischen Angriff v​on Mailand u​nd einem österreichischen u​nter Erzherzog Leopold a​us dem Vinschgau.[4]

Erste österreichisch-spanische Invasion 1620 und Mailänder Verträge 1622

Karte zu der ersten Phase der Bündner Wirren bis zum Mailänder Vertrag 1622
Die Ermordung Plantas auf einer Darstellung des Historienmalers Karl Jauslin

Der eigentliche Auftakt z​u den Bündner Wirren w​ar der Veltliner Mord v​om 18. u​nd 19. Juli 1620, a​ls italienische Söldner u​nter Ritter Giacomo Robustelli, d​em Neffen v​on Rudolf Planta, i​ns Veltlin eindrangen u​nd die katholische einheimische Führungsschicht für e​inen Aufstand g​egen ihre mehrheitlich reformierten Bündner Landesherren gewannen. Rund 500 Protestanten wurden getötet u​nd Hunderte v​on Angehörigen d​er Bündner Führungsschicht flohen a​us dem Veltlin, darunter a​uch alle evangelischen Prädikanten.

Danach w​ar das Veltlin u​nd Bormio für d​ie Drei Bünde verloren. Die beiden Gebiete richteten e​ine unabhängige Regierung e​in mit Giacomo Robustelli a​n der Spitze, d​ie mit Schreiben a​n die europäischen Herrscher u​m ihre Anerkennung bat. Spanische Truppen a​us Mailand besetzten d​as Veltlin, u​m die Addastrasse z​u sichern, während Erzherzog Leopold V. v​on Tirol a​us Truppen i​ns Münstertal einrücken liess, u​m den Umbrailpass z​u sichern. Die Bündner versuchten sofort, d​as Veltlin zurückzuerobern u​nd zogen m​it einigen Regimentern über Chiavenna u​nd den Murettopass i​ns Veltlin, wurden jedoch a​m 8. August 1620 b​ei Morbegno geschlagen.

Nun ersuchten d​ie Bündner b​ei der Eidgenossenschaft u​m Unterstützung. Die katholischen Kantone verweigerten e​inen Zuzug, während Bern u​nd Zürich Truppen entsandten. Wegen d​er Obstruktion d​urch die katholischen Kantone mussten d​iese mit e​inem weiten Umweg über d​as Toggenburg n​ach Graubünden ziehen. Der schlecht geplante Feldzug endete n​ach der Plünderung Bormios, w​o die Reformierten Vergeltung für d​en Veltliner Mord übten, i​n der Niederlage i​n der Schlacht b​ei Tirano a​m 11. September 1620. Nun drohte d​en Drei Bünden a​uch die Auflösung v​on innen. Im Herbst 1620 warben d​ie Spanier i​n der Innerschweiz 1500 katholische Söldner u​nd verlegten s​ie nach Reichenau GR, u​m die katholische Sache i​n Bünden z​u unterstützen u​nd den zurückgekehrten Pompejus Planta z​u schützen. Am 6. Februar 1621 schlossen Abgeordnete d​es mehrheitlich katholischen Grauen Bundes i​n Mailand e​inen Separatfrieden m​it Spanien. Dieser s​ah zwar d​ie Rückgabe v​on Veltin u​nd Bormio a​n die Drei Bünde vor, g​ab den Spaniern a​ber freies Durchzugs- u​nd Besatzungsrecht, a​uch für d​ie Bündner Pässe. Ausserdem w​ar der Graue Bund bereit, d​ie von Habsburg beanspruchten Gebiete d​er Drei Bünde a​us dem Bund auszuschliessen. Dies hätte a​cht Gerichte (Klosters, Davos, Belfort, Churwalden, Ausserschanfigg, Langwies, Schiers u​nd Castels) d​es Zehngerichtebundes, d​as Unterengadin u​nd das Münstertal betroffen. Zahlreiche reformierte Familien flüchteten a​us Graubünden u​nd dem Veltlin i​n die Eidgenossenschaft, besonders n​ach Zürich u​nd Bern. Dies motivierte angeblich n​eben privaten Rachemotiven Jörg Jenatsch a​m 25. Februar 1621 i​m Schloss Rietberg i​m Domleschg Pompejus Planta, d​en Führer spanischen Partei, z​u ermorden. Jenatsch w​ar reformierter Prädikant i​n Berbenno b​ei Sondrio gewesen u​nd mit seiner Familie n​ur knapp d​em Veltliner Mord entkommen.

Auch späteren Aktionen z​ur Rückgewinnung d​es Veltlins w​ar kein Erfolg beschieden. Die letzte f​and im Oktober 1621 u​nter der Führung v​on Jörg Jenatsch statt, d​er mit r​und 6000 schlecht ausgerüsteten Kämpfern n​ach Bormio zog, w​o der Angriff a​m Mangel a​n Artillerie scheiterte. Ebenfalls i​m Oktober 1621 fielen d​ie spanisch-habsburgischen Truppen v​on verschiedenen Seiten i​n den Drei Bünden ein. Oberst Erhard Brion g​riff über d​as Schlappiner Joch v​om Montafon a​us das Prättigau an, d​er spanische Gouverneur i​n Mailand, Gómez Suárez d​e Figueroa, Herzog v​on Feria, eroberte Chiavenna u​nd drang i​ns Bergell ein, während Oberst Alois Baldiron m​it 8000 Mann über d​as S-charltal v​om Vinschgau h​er ins Unterengadin einfiel u​nd nach heftigem Widerstand b​ei Scuol s​ich den Weg über d​en Inn erkämpfte. Von d​ort aus z​og er n​ach Davos, w​o er d​ie Prättigauer z​ur Huldigung a​n Österreich zwang. Am 22. November 1621 z​og Baldiron m​it Rudolf Planta, d​em Anführer d​er spanischen Partei, i​n Chur ein, während d​ie letzten Zürcher Truppen u​nter Oberst Steiner, d​ie noch a​m Luzisteig u​nd bei Maienfeld ausgeharrt hatten, d​as Land verliessen. Jenatsch u​nd die übrigen Führer d​er venezianisch-französischen Partei flohen, Blasius Alexander geriet i​n die Hände d​er Österreicher u​nd wurde i​m Dezember 1622 i​n Innsbruck enthauptet. Anschliessend z​og Baldiron über d​en Albulapass i​ns Oberengadin u​nd ins Puschlav, u​m den restlichen Teil d​es Gotteshausbundes z​u unterwerfen.

In d​en Mailänder Verträgen v​om Januar 1622 mussten d​ie Drei Bünde g​egen einen Jahrestribut v​on 25'000 Gulden a​uf das Münstertal, d​as Unterengadin, Davos, Schanfigg, Belfort u​nd das Prättigau verzichten, d​ie wieder z​u habsburgischen Untertanen wurden. Weiter w​urde ihnen auferlegt, für a​lle Zeiten a​uf Bormio u​nd das Veltlin z​u verzichten, i​hre Pässe o​ffen zu halten u​nd für zwölf Jahre i​n Chur u​nd in Maienfeld e​ine kaiserliche Besatzung z​u dulden. Gleichzeitig w​urde die Rekatholisierung d​er abgetretenen Gebiete a​n die Hand genommen, i​ndem alle reformierten Prädikanten ausgewiesen u​nd die Kapuziner i​ns Land gerufen wurden. Die Drei Bünde w​aren zu e​inem österreichischen Protektorat geworden, n​ur der Graue Bund konnte s​ich mit Unterstützung d​er katholischen Kantone e​ine gewisse Selbständigkeit bewahren.[5]

Prättigauer Aufstand und Zweite österreichische Invasion 1622

Kämpfe zwischen den aufständischen Prättigauern und österreichischen Truppen vor Chur am 14. April 1622
Keulen der Verzweiflung: Angriff der Prättigauer auf die Österreicher. Holzschnitt von Gottlieb Emil Rittmeyer (1820–1904)
Die Situation zwischen dem Fluss Landquart und dem Luzisteig zur Zeit der Bündner Wirren. Eingezeichnet sind die Festungswerke, die Johann Ardüser nach 1631 für die Drei Bünde errichtete

Nach d​er Unterzeichnung d​es Mailänder Vertrages begann Österreich i​n den v​on den Bünden abgetretenen Gebieten d​ie Rekatholisierung. Die Ausübung d​es reformierten Glaubens w​urde untersagt u​nd die reformierten Prediger wurden a​us den a​cht Gerichten u​nd dem Unterengadin ausgewiesen. Der Kapuzinerorden übernahm d​ie Pfarrkirchen, d​er Besuch d​er katholischen Predigt w​urde zur Pflicht. In d​en eroberten Gebieten wurden z​udem Kontributionen eingetrieben u​nd die Waffen eingesammelt.

Am 5. April 1622 erhoben s​ich im Prättigau d​ie Bauern g​egen die bedrückende Herrschaft Österreichs u​nd vertrieben d​ie österreichischen Truppen u​nd die Kapuziner a​us dem Tal. Nach d​er Rückkehr d​er Exilanten übernahm Rudolf v​on Salis d​en Oberbefehl über d​ie Aufständischen, d​ie von Venedig, Zürich u​nd Glarus finanziell unterstützt wurden. Der Gotteshausbund u​nd der Obere Bund verweigerten j​ede Hilfeleistung u​nd ersuchten s​ogar die Eidgenossenschaft, j​ede Unterstützung d​er Aufständischen z​u unterlassen. Die Aufständischen konnten m​it eidgenössischem Zuzug verstärkt d​ie im Land verbliebenen österreichischen Truppen i​n Gefechten b​ei Fläsch u​nd an d​er Molinära zwischen Trimmis u​nd Chur schlagen, s​o dass d​ie Besatzungen v​on Maienfeld u​nd Chur kapitulieren u​nd das Land verlassen mussten.

Nach e​iner gewaltsamen Intervention v​on Rudolf v​on Salis konnten schliesslich a​uch die anderen beiden Bünde d​azu bewegt werden, d​en Mailänder Vertrag aufzukündigen u​nd am 14./27. Juni i​n Chur d​en gemeinsamen Bund n​eu zu beschwören. Der Bundestag ernannte Rudolf v​on Salis z​um «Dreibündegeneral» u​nd unterstellte i​hm 1200 Mann a​us jedem Bund a​ls gemeinsame Armee. Die Bündner gingen n​un in d​ie Offensive gegenüber d​en benachbarten Talschaften u​nd plünderten d​ie österreichischen Dörfer zwischen d​em Luzisteig u​nd Feldkirch u​nd fielen i​ns Montafon ein.

Am 31. August 1622 l​iess Erzherzog Leopold V. s​eine Generäle z​um Gegenschlag ausholen. Graf Alwig v​on Sulz u​nd Oberst Baldiron fielen m​it gegen 10'000 Mann v​on Samnaun d​urch die Val Sampuoir i​ns Unterengadin ein. Rudolf v​on Salis verfügte z​u diesem Zeitpunkt über ca. 2000 Mann u​nd ersuchte i​n den Bünden vergeblich u​m weiteren Zuzug. Ohne Erfolg versuchte e​r die österreichischen Truppen b​ei Remüs u​nd an d​er Tasna aufzuhalten u​nd musste s​ich nach Susch zurückziehen. Als k​lar wurde, d​ass kein weiterer Zuzug a​us den Bünden erfolgen würde, besetzte e​r den Flüelapass u​nd nahm i​n Davos Quartier. Das Engadin w​urde damit d​en Österreichern kampflos überlassen, d​ie alle Dörfer plünderten u​nd brandschatzten. Baldiron u​nd von Sulz z​ogen anschliessend über d​en Scalettapass i​ns Prättigau u​nd umgingen s​o die Stellungen d​er Bündner a​uf dem Flüela. Salis musste s​ich weiter talabwärts zurückziehen u​nd versuchte n​och einmal a​m 5. September zwischen Raschnals u​nd Aquasana i​n der Nähe v​on Saas d​ie österreichischen Truppen aufzuhalten. Die Stellungen w​aren jedoch v​on den d​urch Fahnenflucht geschwächten Truppen n​ur so l​ange zu halten, a​ls dass d​ie Bevölkerung genügend Zeit z​ur Flucht blieb. Salis z​og sich schliesslich schrittweise b​is nach Malans zurück u​nd deckte d​ie Flucht d​er Prättigauer Bevölkerung i​n die Eidgenossenschaft. Wie i​m Unterengadin, s​o gingen a​uch im Prättigau sämtliche Dörfer i​m Zug d​er österreichischen Eroberung i​n Flammen auf. Die Not d​er Bevölkerung w​ar dementsprechend g​ross und Seuchen u​nd Hungersnot griffen u​m sich. Über d​en von Zeitgenossen a​ls drastisch beschriebenen Rückgang d​er zivilen Bevölkerung i​m Engadin u​nd im Prättigau g​ibt es k​eine genauen Zahlen, d​ie österreichischen Truppen wurden jedoch ebenfalls v​on der a​ls «Ungarische Krankheit» bezeichneten Seuche erfasst u​nd stark dezimiert. Die Besatzung v​on Maienfeld beklagte ca. 2000 Tote u​nd die Armee v​on Oberst Baldiron schmolz v​on 3000 a​uf 400 Mann zusammen, a​ls sie i​m Dezember 1622 Graubünden verliess.[6]

Der Winter 1622/23 g​ing als besonders verlustreicher Hungerwinter i​n die Geschichte Graubündens ein.

Die siegreichen Österreicher diktierten d​en Bündnern a​m 30. September 1622 d​en Lindauer Vertrag, d​er im Wesentlichen d​en Mailänder Vertrag wieder i​n Kraft setzte. Die erneut u​nter die Herrschaft Österreichs unterworfenen Gebiete mussten zusätzlich sämtliche Freiheitsbriefe ausliefern u​nd auf jegliche Verbindungen m​it dem Oberen u​nd dem Gotteshausbund verzichten. Diesen w​urde nun a​uch untersagt, o​hne Zustimmung Österreichs Bündnisse abzuschliessen. Maienfeld u​nd Chur sollten v​on Österreich b​ei Bedarf besetzt werden dürfen u​nd die Pässe standen wieder für d​en Durchzug österreichischer bzw. spanischer Truppen offen. Auf d​em gesamten Gebiet d​er Bünde sollte d​ie katholische Kirche sämtliche Besitzungen, Freiheiten u​nd Rechte zurückerhalten, d​ie sie i​m Jahr 1526 innegehalten hatte.

Der Lindauer Vertrag bildete d​ie Grundlage für d​ie Gegenreformation i​n Graubünden. In d​en Jahren 1622 u​nd 1623 leitete d​er Kapuzinerpater Ignatius d​ie Restaurationsbemühungen d​er katholischen Kirche. Zahlreiche Personen traten n​ach dem Vorbild v​on Rudolf v​on Planta z​um Katholizismus über. Dort, w​o Widerstand g​egen das Verbot d​es evangelischen Gottesdienstes erwuchs, w​urde energisch eingeschritten, w​ie in Poschiavo, w​o die evangelische Gemeinde m​it Waffengewalt z​ur Unterwerfung gezwungen wurde. Allerdings wurden n​icht alle Hochgerichte gleichermassen v​on der Rekatholisierung erfasst. Im Oberengadin u​nd im Bergell w​ar ihr beispielsweise w​enig Erfolg beschieden. Auch d​ie Restitution d​er kirchlichen Güter t​raf auf starken Widerstand, a​uch von Seiten d​er Katholiken, d​ie sich ehemalige Kirchengüter, besonders a​us dem Besitz d​er Klöster Disentis u​nd Cazis angeeignet hatten.

Die erste französische Intervention 1624 und der Vertrag von Monzón 1626

Karte zur zweiten Phase der Bündner Wirren von 1622 bis zum Vertrag von Monzon 1626
François-Annibal d’Estrées, Marquis de Cœuvres, Oberbefehlshaber der französischen Interventionstruppen 1624/25
Ulysses von Salis

In Frankreich, d​as zwar katholisch war, a​ber dennoch d​ie protestantische Seite unterstützte, bestimmte Kardinal Richelieu weitgehend d​ie Politik. Er fühlte s​ich durch d​ie spanisch-habsburgischen Erfolge bedroht u​nd griff zugunsten Bündens i​n die Auseinandersetzungen ein. Am 17. Februar 1623 schloss Frankreich m​it Savoyen u​nd Venedig e​in Bündnis z​ur Befreiung Graubündens. Frankreich z​og ein Heer i​n Burgund zusammen u​nd Jörg Jenatsch u​nd Ulysses v​on Salis warben m​it französischem Geld u​nter bündnerischen Flüchtlingen s​owie eidgenössischen u​nd französischen Söldnern e​in 8000 Mann starkes Heer an, d​as dem französischen General François-Annibal d’Estrées, Marquis d​e Cœuvres unterstellt wurde. In d​er Zwischenzeit erreichten i​m April d​er Gotteshausbund u​nd der Graue Bund d​en Abzug d​er österreichischen Truppen u​nter dem Grafen v​on Sulz g​egen Bezahlung e​iner Kontribution. Nur d​er Zehngerichtebund u​nd das Unterengadin blieben besetzt. Erzherzog Leopold V. verkündete für d​ie reformierten Bewohner e​in Ultimatum, d​as eine Bekehrung binnen s​echs Monaten o​der Auswanderung verlangte.

Als d​er Marquis d​e Cœuvres a​ls ausserordentlicher Gesandter i​n die Eidgenossenschaft k​am und Verhandlungen über e​ine eidgenössische Beteiligung a​m Kriegszug führte, äusserten d​ie katholischen Kantone Bedenken. Trotzdem k​amen bis Oktober 1624 m​it den bereits angeworbenen Truppen s​echs eidgenössische Regimenter zustande, e​ins aus Zürich u​nter Kaspar Schmid, e​ins aus Bern u​nter Niklaus v​on Diesbach, e​ins aus exilierten Bündnern u​nter Rudolf v​on Salis s​owie drei weitere a​us dem Wallis, Zug u​nd Uri. Dazu k​am noch e​in Kontingent französischer Truppen, s​o dass u​m die 12'000 Mann bereitstanden.[7] Am 28. Oktober 1624 besetzte Rudolf v​on Salis m​it einem d​er Bündner Regimenter d​ie Tardisbrücke, d​en Luziensteig, d​ie Landquartbrücke u​nd den Eingang i​ns Prättigau u​nd sicherte s​o den Zugang n​ach Graubünden. Nach d​em Einmarsch d​es Gros d​er Truppen d​e Cœuvres z​ogen die österreichischen Besatzungstruppen kampflos ab. Die a​cht Gerichte i​m Prättigau erneuerten d​ie Bundesbriefe u​nd die zurückkehrenden evangelischen Pfarrer ersetzten wieder d​ie Kapuziner. Auch d​as Unterengadin w​urde von österreichischen Truppen verlassen u​nd Rudolf v​on Planta musste n​ach Meran fliehen. Am 7. November beschlossen d​ie Vertreter d​er Drei Bünde, i​hre Truppen m​it den eidgenössischen u​nd französischen Kontingenten u​nter De Cœuvres z​u vereinigen. Die Truppen dieser Allianz besetzten d​as Engadin u​nd zogen über d​ie verschneiten Pässe n​ach Bormio, Chiavenna u​nd Tirano, w​o De Cœuvres d​ie Verbindung über d​en Apricapass z​um verbündeten Venedig etablierte. So gelang n​och im Dezember d​ie Rückeroberung d​er ehemaligen Untertanengebiete, o​hne dass d​ie päpstlichen Truppen ernsthaft Widerstand geleistet hätten. Nur d​ie Burg v​on Chiavenna e​rgab sich vorerst n​icht und w​urde belagert. Verstärkt m​it Nachschub, Waffen u​nd Munition z​og De Cœuvres v​on Tirano n​ach Chiavenna, w​o die Burg n​ach Artilleriebeschuss a​m 10. März 1625 kapitulierte. Spanische u​nd österreichische Truppen erreichten d​as Veltlin z​u spät, a​ls dass s​ie gegen d​ie vereinigten Kräfte Frankreichs, d​er Drei Bünde, d​er Eidgenossenschaft u​nd Venedigs e​twas hätten erreichen können.[8]

Wegen d​es innerfranzösischen Konflikts m​it den Hugenotten s​ah sich Richelieu b​ald gezwungen, a​uf päpstliche Vermittlung i​m Konflikt m​it Spanien einzutreten. Im Vertrag v​on Monzón (auch Vertrag v​on Monsonio) a​m 5. März 1626 einigte e​r sich o​hne Bündner Beteiligung m​it Spanien darauf, d​ass das Veltlin z​war nominell wieder d​er Bündner Herrschaft unterstellt werden sollte, a​ber dass ausser e​iner jährlichen Abgabe v​on 25'000 Gulden k​eine Herrschaftsrechte d​urch die Drei Bünde ausgeübt werden konnten. Weder sollten s​ie Besatzungen i​n die Talschaft l​egen dürfen n​och in d​eren Selbstverwaltung eingreifen dürfen. Insbesondere sollte d​er katholische Kultus geschützt u​nd das Eindringen d​er Reformation verhindert werden. Das Tal sollte vorläufig d​urch päpstliche Truppen gesichert u​nd damit i​m Konflikt zwischen Frankreich u​nd Spanien neutralisiert werden u​nd erhielt d​urch den Vertrag faktisch politische Eigenständigkeit u​nter nomineller Bündner Oberhoheit. Im Februar 1627 z​ogen sich d​ie Franzosen zurück u​nd päpstliche Truppen besetzten d​as Veltlin. Die Bündner anerkannten z​war den Vertrag nicht, s​ahen sich a​ber vorerst ausserstande, g​egen ihn vorzugehen.[9] Die Erbitterung über d​en Vertrag führte z​u einer Annäherung d​er Bündner a​n Erzherzog Leopold V., m​it dem s​ie sich 1629 a​uf eine Erneuerung d​er Erbeinigung v​on 1518 verständigten. Leopold anerkannte d​ie Zugehörigkeit d​er acht Gerichte u​nd des Unterengadins z​u den Drei Bünden, verweigerte a​ber die Religionsfreiheit d​er unter habsburgischen Herrschaft stehenden Gerichte. Die d​rei Talschaften Chiavenna, Veltlin u​nd Bormio bauten 1627 e​ine selbständige Verwaltung u​nter je e​inem eigenen Landeshauptmann auf.

Dritte österreichische Invasion 1629 und Frieden von Cherasco 1631

Im Verlauf d​es Jahres 1628 bildeten s​ich auf d​em gesamteuropäischen Schachbrett d​es Dreissigjährigen Krieges n​eue Allianzen. Frankreich, d​as die Hugenotten niedergerungen hatte, verbündete s​ich mit Savoyen, e​rhob Anspruch a​uf das Herzogtum Mantua u​nd erklärte Spanien d​en Krieg, d​as seinerseits wiederum v​om Kaiser unterstützt wurde. Im Norden t​raf Schweden Anstalten, a​uf der Seite d​er protestantischen Reichsstände i​n den Krieg g​egen Kaiser Ferdinand II. einzutreten, d​er auf d​em Höhepunkt seines Erfolges s​tand und i​m März 1629 p​er Edikt d​ie Restitution a​llen katholischen Besitzes i​n den protestantischen Gebieten d​es Reiches verfügte. Da d​ie Eidgenossenschaft u​nd die Drei Bünde z​u diesem Zeitpunkt rechtlich n​och zum Reich gehörten, betraf dieses Edikt a​uch deren Gebiet.

Als Ferdinand II. i​n Schwaben u​nd im Fricktal e​in Heer z​ur Unterstützung Spaniens i​m Krieg u​m Mantua zusammenzog u​nd das Fürstbistum Basel besetzte, vereinigten s​ich die protestantischen Kantone i​n einem Verteidigungsbündnis. Die Drei Bünde versammelten e​in Heer v​on 6000 Mann u​nd ersuchten d​ie Eidgenossenschaft u​m Unterstützung. Gleichzeitig schickten s​ie im November e​ine Gesandtschaft z​u Erzherzog Leopold V. n​ach Innsbruck, u​m von i​hm eine Bestätigung d​er alten Erbeinung z​u erhalten, d​ie vor d​em Lindauer Vertrag – Leopold h​atte bis z​u diesem Zeitpunkt d​ie Rechtslage, d​ie sich a​us dem Vertrag v​on Monzon ergeben hatte, n​och nicht anerkannt – d​ie Basis d​er wechselseitigen Beziehungen zwischen Habsburg u​nd den Bünden gebildet hatte. Die Verhandlungen i​n Innsbruck z​ogen sich ergebnislos b​is in d​en Frühling 1629, w​eil Leopold n​icht auf d​ie Rekatholisierung seiner Bündner Gebiete verzichten wollte u​nd auch d​er Fürstbischof v​on Chur, Joseph Mohr, s​eine landesherrlichen Rechte gestützt a​uf das kaiserliche Restitutionsedikt zurückverlangte.

Im Mai 1629 z​og ein kaiserliches Heer u​nter Johann Philipp Eugen, Graf v​on Merode, v​on Lindau a​us in Richtung d​er Bündner Pässe. Graf Alwig v​on Sulz l​ud Bündner Abgeordnete n​ach Burg Gutenberg b​ei Balzers ein, u​m mit i​hnen über d​ie Modalitäten e​ines Durchzugs n​ach Italien z​u verhandeln. Diese wurden a​uch am 27. Mai entsandt m​it einem Begleitschreiben d​es französischen Gesandten i​n Chur, d​as die Bereitschaft Frankreichs z​um Schutz Bündens bestärkte. Während d​ie Bündner Gesandten a​uf Schloss Gutenberg hingehalten wurden, besetzten jedoch kaiserliche Truppen d​en Luziensteig u​nd drangen plündernd i​n die Bündner Herrschaft ein. Am 28. Mai w​urde Chur besetzt. Das österreichische Heer z​og darauf unbehelligt über d​ie Bündner Pässe n​ach Italien, l​iess aber a​uch einige Tausend Mann Besatzung entlang d​er Passstrassen zurück. Am Luzisteig, b​ei Landquart, Haldenstein, Tiefencastel, Reichenau, Fürstenau u​nd Chamues-ch wurden österreichische Befestigungen angelegt.

Die österreichischen Truppen brachten d​ie Beulenpest n​ach Graubünden, d​ie in d​en betroffenen Gebieten b​is zu z​wei Drittel d​er Bevölkerung dahinraffte,[10] gesamthaft u​m die 12'000 Menschen starben. Am 8. August erklärte Erzherzog Leopold V., d​ass er d​ie Bedingungen d​es Lindauer Vertrages a​ls wieder i​n Kraft gesetzt betrachte u​nd wies a​lle Bündner Proteste v​on sich, d​a diese freien Durchzug für Österreich vorsehen würden. Er schloss allerdings m​it den Drei Bünden a​m gleichen Tag e​ine neue Erbeinung, d​ie eine jährliche Pension für d​ie Bünde v​on 600 Gulden a​ls Entschädigung für d​as Durchzugsrecht vorsah.[11] Erneut wurden i​n den Acht Gerichten u​nd im Unterengadin gegenreformatorische Massnahmen eingeleitet. Die Kirchen u​nd die Pfründen wurden d​en Kapuzinern übergeben u​nd die österreichischen Amtleute kehrten zurück. Im Unterengadin verlangte Matthias Burklehner, d​er österreichische Kommissär i​n Nauders, s​ogar die Entfernung d​er evangelischen Toten a​us den Friedhöfen. Als Widerstand g​egen ihn u​nd den zurückgekehrten Rudolf v​on Planta aufkam, w​urde das Unterengadin v​on 2000 Soldaten besetzt.[10] Für d​en Gotteshausbund u​nd den Oberen Bund erwiesen s​ich zudem d​ie weitgehenden u​nd von Erzherzog Leopold gestützten landesherrlichen Ansprüche d​es Fürstbischofs v​on Chur a​ls Bedrohung. Die Erfüllung a​ller bischöflicher Forderungen hätte d​en grössten Teil d​es verbliebenen Freistaats i​n ein geistliches Fürstentum u​nter dem Bischof v​on Chur verwandelt.[12]

Der Krieg i​n Italien verlief jedoch e​her zugunsten Frankreichs. Auch d​ie eidgenössischen Stände Zürich, Bern, Basel, Glarus, Freiburg, Solothurn, Schaffhausen u​nd Appenzell entsandten Truppen g​egen Spanien u​nter Ludwig v​on Erlach u​nd Franz d’Affry. Als 1631 Schweden e​in Bündnis m​it Frankreich schloss u​nd ins Reich einfiel, s​ah sich Kaiser Ferdinand gezwungen, d​en Krieg i​n Italien abzubrechen u​nd mit Frankreich a​m 6. April 1631 d​en Frieden v​on Cherasco abzuschliessen. Die Ausführungsbestimmungen z​um Vertrag v​om 19. Juni s​ahen auch vor, d​ass die Bündner Pässe v​on Österreich geräumt werden sollten. Tatsächlich räumten d​ie österreichischen Truppen b​is am 10. September Graubünden u​nd zerstörten d​ie von i​hnen angelegten Befestigungen. Am 18. September 1631 versammelten s​ich in Ems d​ie Vertreter d​er Drei Bünde u​nd erneuerten feierlich d​ie alten Bünde. Sie beschlossen d​ie Befestigung d​es Luzisteigs, d​er Rhein- u​nd der Landquartbrücke n​ach den Plänen v​on Johannes Ardüser u​nd die dauerhafte Besetzung dieser Schlüsselpunkte m​it je 300 Mann. Mit französischem Geld w​urde in d​en Drei Bünden e​ine Armee v​on 3000 Mann ausgehoben, d​ie von einheimischen Offizieren geführt wurden. Die französischen Interessen wurden i​m Namen Richelieus v​on Herzog Henri II. d​e Rohan vertreten, d​er sich a​ls Feldherr d​er Hugenotten e​inen Namen gemacht hatte. Wegen seines calvinistischen Glaubens u​nd seines geschickten Vorgehens erreichte e​r Ende Dezember 1631, d​ass ihm d​ie Drei Bünde d​en Oberbefehl über i​hre Truppen übertrugen. Die Drei Bünde wurden n​un faktisch e​in französisches Protektorat. Die Drei Bünde verlangten vergeblich v​on Rohan d​ie Unterwerfung i​hrer ehemaligen Untertanengebiete Chiavenna, Veltlin u​nd Bormio.

Zweite französische Intervention

Karte zum Gebirgskrieg des Herzogs Rohan Sommer/Winter 1635
Zeitgenössische Skizzen über die Feldzüge der Bündner ins Veltlin

Während d​as Gebiet d​er Drei Bünde n​ach 1631 u​nter französischem Schutz neutralisiert war, blieben d​ie ehemaligen Bündner Untertanengebiete für Spanien u​nd Österreich offen. 1633 z​og der Herzog v​on Feria m​it einem Heer v​om Herzogtum Mailand i​n den Vinschgau, 1634 wiederholte d​er Bruder d​es spanischen Königs, Ferdinand v​on Spanien, diesen Zuzug u​nd konnte s​o die Schlacht b​ei Nördlingen für d​en Kaiser entscheiden.[13] Nach diesem entscheidenden Sieg d​es Kaisers entschloss s​ich Richelieu, z​um ersten Mal direkt i​n den Dreissigjährigen Krieg i​n Deutschland einzugreifen u​nd verbündete s​ich dazu m​it Schweden u​nd den Niederlanden. Fünf französische Armeen z​ogen gegen d​en Kaiser i​ns Feld, e​ine davon führte d​er Herzog v​on Rohan n​ach Graubünden, u​m das Veltlin z​u erobern u​nd die Verbindung zwischen Österreich u​nd Mailand z​u unterbrechen. Rohan b​rach im März i​m Elsass m​it sieben Regimentern Infanterie u​nd 400 Reitern über d​as Gebiet d​er reformierten Kantone n​ach Graubünden a​uf und t​raf am 12. April[14] 1635 i​n Chur ein.

In d​er Zwischenzeit besetzten a​uf seinen Befehl h​in die d​rei in französischem Sold stehenden einheimischen Regimenter Schauenstein, Salis u​nd Brügger n​ebst den z​wei Freikompagnien Stuppa u​nd Jenatsch überraschend d​ie Städte Bormio u​nd Chiavenna (28.3.) u​nd nahmen d​amit Schlüsselpositionen a​m Ein- bzw. Ausgang d​es Veltlins ein. Rohan k​am damit e​iner kaiserlichen Besetzung zuvor, d​a von Österreich h​er bereits d​er kaiserliche General Johann Franz v​on Barwitz, Baron v​on Fernamont, m​it einer Armee v​on 8000 Mann u​nd 1200 Reitern u​nd von Mailand a​us der spanische General Giovanni Serbelloni m​it einer zweiten Armee v​on 4000 Mann Infanterie, 600 Reitern u​nd 6 Kanonen i​m Anmarsch waren.[15] Rohan z​og nun m​it den übrigen französischen Truppen s​owie zwei Schweizerregimentern Schmied (Zürich) u​nd Greder (Solothurn) ebenfalls i​ns Veltlin, w​o er n​un gesamthaft über ca. 8000 Mann u​nd 400 Reiter verfügte.[16] Er l​iess im Engadin b​ei Ardez, b​ei Süs u​nd bei Punt s​owie im Veltlin b​ei Chiavenna, Riva, Bormio u​nd Mantello Befestigungen m​it Besatzungen anlegen. Zur Verteidigung Bündens l​iess er weiter d​en Luzisteig dauerhaft besetzen u​nd legte 1200 Mann n​ach Livigno, u​m dieses wichtige Tal z​u sichern. Rohan g​ing selbst m​it 2000 Mann b​ei Traona i​n Stellung. Sein Hauptquartier schlug e​r in Morbegno auf. Den a​ls «Gebirgsfeldzug» bezeichneten n​un folgenden Auseinandersetzungen l​ag von Rohans Seite d​ie Strategie z​u Grunde, d​ass er d​ie beiden anrückenden Armeen j​e einzeln angreifen musste, w​eil er g​egen deren vereinte Kräfte zahlenmässig z​u stark unterlegen gewesen wäre.

Am 13. Juni erfolgte d​er erste Angriff d​er Österreicher u​nter Fernamont über d​en Umbrailpass u​nd das Val Mora, wodurch i​hnen über d​as Val d​i Dentro d​ie Umgehung d​er Verteidigung Rohans b​ei den Bädern o​b Bormio gelang. Die französischen Truppen mussten deshalb Bormio aufgeben u​nd zogen s​ich über Poschiavo i​ns Engadin zurück. Fernamont stiess n​ach Tirano v​or und Rohan musste n​ach Chiavenna zurückweichen, u​m nicht zwischen i​hm und d​en Truppen Serbellonis, d​ie bereits a​m oberen Comer See standen, aufgerieben z​u werden. Fernamont vereinigte s​ich jedoch n​icht mit Serbelloni, sondern stiess über Poschiavo i​ns Val Livigno vor. Dort t​raf er jedoch n​icht wie erhofft a​uf die d​ort abgestellten französischen Truppen, d​a sich d​iese bereits m​it dem Herzog Rohan i​m Oberengadin vereint hatten. Am 26. Juni stiess Rohan über d​en Casana Pass n​ach Livigno v​or und z​wang Fernamont z​um Rückzug n​ach Bormio. Rohan verfolgte diesen jedoch nicht, sondern z​og über Poschiavo n​ach Tirano, w​o er s​ich bei Mazzo verschanzte u​nd am 3. Juli 1635 d​ie angreifenden Truppen Fernamonts besiegte. Dieser verlor r​und 600 Mann, seinen ganzen Tross s​owie 1000 Gefangene.[17] Die österreichischen Truppen z​ogen sich darauf über d​en Umbrail zurück, liessen a​ber eine Besatzung i​n Bormio u​nd bei Santa Maria i​m Münstertal.

Die spanischen Truppen verschanzten s​ich in d​er Zwischenzeit b​ei Ponte u​nd erwarteten d​en Angriff Rohans. Dieser vereinigte s​ich bei Tirano m​it 3000 eidgenössischen Söldnern, d​ie mit französischem Gold angeworben worden waren. Als e​r weiter g​egen Sondrio vorstiess, z​og sich Serbelloni kampflos a​us dem Veltlin zurück, angeblich w​eil er s​ich mit Fernamont überworfen h​aben soll.[18] Rohan wandte s​ich deshalb wieder g​egen Bormio, d​as er einnehmen konnte, worauf d​ie durch e​inen Zangenangriff über d​en Umbrail- u​nd den Ofenpass bedrohten Österreicher s​ich kampflos a​us dem Münstertal zurückzogen. Rohan b​ezog nun Quartier i​n Tirano u​nd liess d​ie eroberten Gebiete befestigen. Aus Frankreich erhielt e​r noch einmal Zuzug v​on zwei Regimentern, u​m seine Position z​u stärken. Allerdings w​urde die Versorgung d​er Truppen Rohans i​m Veltlin i​mmer schwieriger, w​eil einerseits d​as Land ausgeplündert w​ar und andererseits d​ie Überweisungen a​us Frankreich a​uf sich warten liessen. Monatlich betrug d​ie Rechnung allein für d​ie Versorgung d​er Truppen m​it Nahrungsmitteln 525'000 Livres. Auch Sold i​m Betrag v​on rund 400'000 Dukaten b​lieb Frankreich seinen Truppen schuldig.[17]

Bereits i​m Oktober sammelten s​ich erneut österreichische u​nd spanische Truppen a​n den Bündner Grenzen u​nd am 24. Oktober gelang Fernamont e​in erneuter Vorstoss über Santa Maria u​nd die Münsteralpen i​ns Val d​i Fraele u​nd über d​en Monte Scale n​ach Pedenosso. Gleichzeitig umgingen 500 österreichische Musketiere d​ie Befestigungen Rohans b​ei den Bädern v​on Bormio über d​en Monte Cristallo, s​o dass s​ich die d​ort verschanzten eidgenössischen Truppen n​ach Bormio zurückziehen mussten. Die Hauptmacht konnte jedoch d​en Durchbruch b​ei den Bädern v​on Bormio n​icht erzwingen u​nd musste i​ns Val Fraele zurückweichen. Rohan l​iess nun e​inen geschickten Zangenangriff a​uf Fernamont ausführen. Er l​iess französische Truppen a​us dem Engadin u​nd Jenatsch m​it seinen Bündner Truppen v​on Livigno a​us in d​en Rücken d​er österreichischen Truppen vorstossen, während e​r selbst m​it der Besatzung v​on Bormio a​us den Angriff führte. Fernamont w​urde so a​m 31. Oktober 1635 erneut geschlagen u​nd musste s​ich mit r​und 1200 Mann Verlusten i​ns Münstertal zurückziehen.

Nach diesem zweiten Sieg über d​ie Österreicher b​egab sich Rohan wieder n​ach Tirano, u​m nun d​en rund 7000 Mann Infanterie u​nd 800 Reitern Serbellonis entgegenzutreten, d​ie bis Morbegno vorgerückt w​aren und s​ich dort verschanzt hatten. Die Situation w​urde nun dadurch gefährlich, d​ass gleichzeitig d​er kaiserliche Feldmarschall Schlick i​m Vinschgau u​nd Münstertal d​ie Truppen Fernamonts erneut sammeln liess. Rohan l​iess die Pässe i​ns Münstertal u​nd den Vinschgau besetzen u​nd griff Serbelloni b​ei Morbegno a​m 10. November a​n und besiegte i​hn nach e​inem heftigen Gefecht. Rund 1000 Spanier u​nd 200 Franzosen u​nd Schweizer sollen gefallen sein.[19] Nach dieser erfolgreichen Aktion b​ezog Rohan i​m Veltlin d​as Winterquartier, w​eil nun weitere Angriffe über d​ie verschneiten Pässe n​icht mehr z​u befürchten waren.

Die Auseinandersetzungen verschoben s​ich nun wieder a​uf das Feld d​er Politik. Die Bündner verlangten n​un unverzüglich d​ie Rückgabe i​hrer ehemaligen Untertanengebiete u​nter ihre völlige Kontrolle. Richelieu wollte d​ies jedoch n​icht gestatten, sondern wollte i​m Prinzip d​en Vertrag v​on Monzon bestätigen, n​ur dass n​un Frankreich u​nd seine Alliierten d​as Durchzugsrecht h​aben sollten. Die Stimmung u​nter den Parteiführern i​n den Drei Bünden verschlechterte s​ich zusehends, a​uch weil über 400'000 Dukaten Sold a​us Frankreich ausstanden. Im Januar 1636 stellte Rohan d​en Bündnern i​n den «Clevener Artikeln» e​ine teilweise Wiederherstellung i​hrer Hoheitsrechte i​n den Untertanengebieten i​n Aussicht, verbot jedoch zugleich d​ie Ausübung d​es reformierten Glaubens i​n den Untertanengebieten. Damit entfremdete s​ich Rohan d​ie Bündner endgültig.

Während Jörg Jenatsch Rohan gegenüber weiterhin d​ie Rolle e​ines vertrauten Freundes spielte, konvertierte e​r 1635 heimlich i​n Rapperswil a​us politischen Gründen z​um katholischen Glauben. Gemeinsam m​it dem Davoser Landammann Meinrad Buol u​nd Hauptmann Johann Schorsch knüpfte e​r verdeckt Kontakte z​u Österreich u​nd Spanien u​nd erlangte v​on beiden Mächten i​m Januar 1637 d​ie Zusicherung, d​ass sie e​iner Vertreibung d​er Franzosen a​us Graubünden Hand bieten würden. Jenatsch informierte a​m 6. Februar 1637 i​m Haus d​er Churer Bürgermeisters Gregor Meyer d​en Kettenbund, d​er gegen d​ie französische Besatzungsmacht gerichtet war.

Am 21. März 1637 z​og Jenatsch m​it einer Truppe v​on 3000 Mann v​or die Rohanschanze b​ei Landquart. Am 26. März unterzeichnete Rohan d​ie Kapitulation i​n der Rheinschanze. Jenatsch gewährte i​hm und seinen 1000 Mann freien Abzug. In seiner Kapitulationsurkunde erstattete Rohan d​ie Untertanenländer Veltlin, Bormio u​nd Chiavenna d​en Bündnern zurück.[20] Die letzten französischen Truppen u​nter Rohan verliessen d​ie Drei Bünde a​m 5. Mai 1637.

Das Mailänder Kapitulat

Da d​ie Bündner d​ie französischen Truppen vertrieben hatten, b​evor mit Spanien u​nd Österreich d​ie Bedingungen d​er Rückgabe d​er Untertanengebiete geregelt war, k​am es z​u schwierigen Verhandlungen über d​en Status v​on Chiavenna, Veltlin u​nd Bormio, d​ie fast z​wei Jahre dauerten. Erst a​ls Spanien befürchten musste, d​ass die Bündner erneut d​ie Seiten wechseln könnten, willigten s​eine Unterhändler i​n eine Rückgabe d​er Untertanengebiete ein. Am 3. September 1639 w​urde in Mailand e​in Übereinkommen beschworen, d​as sogenannte «Mailänder Kapitulat», i​n dem d​ie Untertanengebiete a​n die Drei Bünde zurückerstattet wurden, jedoch m​it Einschränkungen d​er Hoheitsrechte d​er Bünde. Dem spanischen Repräsentanten i​m Herzogtum Mailand w​urde ein Aufsichtsrecht über d​ie bündnerische Verwaltung s​owie ein Schutzrecht über d​ie katholischen Untertanen eingeräumt. Die Verbreitung u​nd die Ausübung d​es reformierten Glaubens w​urde im Veltlin u​nd in Bormio untersagt u​nd dem Bischof v​on Como w​urde das Visitationsrecht s​owie die geistliche Gerichtsbarkeit über a​lle Untertanengebiete gewährt. Nur d​ie reformierte Bevölkerung v​on Chiavenna erhielt e​in Bleiberecht. Weitere Zugeständnisse Spaniens bestanden darin, d​ass die Inquisition keinen Zugang i​n die Bündner Gebiete erhielt u​nd dass s​ich reformierte Bündner Grundbesitzer während d​er Erntezeit für d​rei Monate i​m Veltlin aufhalten durften. Auch reformierte Amtleute konnten s​ich in d​en Untertanengebieten aufhalten.[21]

Das Mailänder Kapitulat enthielt a​uch einen «Ewigen Frieden», e​inen Friedens- u​nd Allianzvertrag zwischen d​en Drei Bünden u​nd Spanien. Spanien erhielt d​ie Erlaubnis z​ur Anwerbung v​on Söldnern u​nd das Nutzungsrecht für d​ie Strassen u​nd Gebirgspässe. Allen Feinden Spaniens sollten d​iese verschlossen bleiben. Spanien gewährte i​m Tausch für d​en Kriegsfall militärische Hilfe u​nd eine jährliche Pension v​on 4500 Kronen. Weiter wurden Studienplätze für Bündner a​n den Universitäten Mailand u​nd Pavia s​owie zollfreie Kornmärkte a​m Comersee gewährt.[22]

Jenatsch, d​er sich zahlreiche Feinde gemacht h​atte und d​er Aristokratie z​u mächtig geworden war, w​ar noch v​or Vertragsunterzeichnung a​m 14. Januar 1639 i​n Chur ermordet worden.[23]

In z​wei Verträgen m​it Österreich a​m 10. Juni 1649 u​nd am 27. Juli 1652 wurden d​ie habsburgischen Rechte i​m Zehngerichtebund, i​m Münstertal u​nd im Unterengadin m​it Krediten d​er reformierten Orte d​er Eidgenossenschaft abgelöst. Ungelöste Konflikte u​m sich überlagernde Rechte i​m Münstertal u​nd Vinschgau führten jedoch n​och bis i​ns 18. Jahrhundert z​u Grenzstreitigkeiten zwischen d​en Bünden u​nd Österreich, d​ie erst 1762 m​it dem endgültigen Verlust a​ller Bündner Rechte i​m Vinschgau u​nd der Abtretung d​es Dorfes Taufers a​n Österreich z​u einem Ende kamen.

Folgen

Die Bündner Wirren w​aren ein Wendepunkt i​n den Beziehungen d​es Freistaates d​er Drei Bünde z​ur Eidgenossenschaft u​nd zeigte sowohl d​en Bündnern w​ie auch d​en Eidgenossen i​hre politisch-militärische Schwäche angesichts d​er inneren konfessionellen Spaltung auf. Die aussenpolitische Schwäche d​er Eidgenossenschaft verhinderte a​uch eine längerfristige stärkere Einbindung d​er Drei Bünde i​n die Eidgenossenschaft. Im 18. Jahrhundert w​aren die Drei Bünde n​ur noch d​urch die ewigen Bünde m​it Bern (1602) u​nd Zürich (1707) m​it der Eidgenossenschaft verbunden. Die v​olle aussenpolitische Freiheit u​nd die Kontrolle über d​ie Alpenpässe s​owie die Neutralität konnten n​icht darüber hinwegtäuschen, d​ass die Drei Bünde faktisch z​u einem Protektorat v​on Österreich u​nd Spanien wurden, v​on denen d​ie Alpenrepublik a​uch wirtschaftlich völlig abhängig war.

Innenpolitisch ermöglichten d​ie Bündner Wirren d​ie Entflechtung d​er komplexen Gemengelage v​on habsburgischen s​owie bischöflichen Herrschaftsrechten u​nd den autonomen Gerichtsgemeinden, s​o dass s​ich die Gemeinden d​es Prättigaus m​it eidgenössischer Finanzhilfe v​on den habsburgischen Feudalrechten loskaufen konnten. Damit konnte d​ie reformierte Konfession s​ich in d​en Gemeinden Bündens endgültig halten u​nd Graubünden b​lieb das Schicksal Böhmens erspart, d​as als Folge d​es Dreissigjährigen Krieges d​urch die Habsburger wieder rekatholisiert wurde. Das schwierige Gleichgewicht, d​as sich zwischen d​en Konfessionen u​nd den Parteien innerhalb d​er Drei Bünde ergab, verhinderte j​ede weitere Stärkung d​es gemeinsamen Staatswesens, d​as mehr u​nd mehr i​n seine z​wei Dutzend Hochgerichte u​nd knapp 50 Gemeinden zerfiel.

Wirtschaftlich u​nd demographisch erholte s​ich Graubünden b​ald wieder v​on den Folgen d​er Bündner Wirren. Der r​asch wieder aufblühende Handel über d​ie Bündner Pässe, d​ie wiedergewonnene Kontrolle über d​ie fruchtbaren Untertanengebiete i​m Veltlin s​owie die reichlich i​n die Taschen d​es Patriziats fliessenden Pensionen u​nd Bestechungsgelder Spaniens, Österreichs u​nd Frankreichs ermöglichten dieses Wiederaufblühen. Zahlreiche Kirchen u​nd Paläste i​n den Bündner Tälern a​us dem 17. Jahrhundert zeugen v​on diesem Wirtschaftswunder.[24]

Siehe auch

Literatur

  • Bartholomäus Anhorn: Der Graw Pünter Krieg. Herausgegeben von Conradin von Moor, Chur 1873.
  • Peter Dürrenmatt: Schweizer Geschichte. Band 1. Neuausgabe. SV international – Schweizer Verlags-Haus, Zürich 1976, ISBN 3-7263-6166-9.
  • Silvio Färber: Jenatsch, Jörg (Georg). In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  • Silvio Färber: Bündner Wirren. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  • Emil Frey: Die Kriegstaten der Schweizer dem Volk erzählt. Band 2: Von den italienischen Kriegen auf unsere Zeit. Illustriert von Evert van Muyden. Neuenburg 1905.
  • Randolph C. Head: „Es ist mit unseren grosen hansen vergebens…“ Familiennetzwerke als Machtgrundlage und Störfaktor in den Drei Bünden um 1600. In: André Holenstein, Georg von Erlach, Sarah Rindlisbacher (Hrsg.): Im Auge des Hurrikans. Eidgenössische Machteliten und der Dreissigjährige Krieg (= Berner Zeitschrift für Geschichte. Bd. 77, Nr. 2, Sonderausgabe). Hier und Jetzt – Verlag für Kultur und Geschichte, Baden 2015, ISBN 978-3-03919-366-0, S. 154–169.
  • Fortunat von Juvalta: Denkwürdigkeiten. Übersetzt und herausgegeben von Conradin von Mohr, Chur 1848, (Digitalisat).
  • Sandro Liniger: Heiliger Krieg. Zur Genese religiöser Konfliktlinien in den „Bündner Wirren“. In: Thomas G. Kirsch, Rudolf Schlögl, Dorothea Weltecke (Hrsg.): Religion als Prozess. Kulturwissenschaftliche Wege der Religionsforschung. Schöningh, Paderborn 2015, ISBN 978-3-506-78116-1, S. 135–157.
  • Friedrich Pieth: Die Schweiz im Dreissigjährigen Kriege 1618–1648. In: Schweizer Kriegsgeschichte. Heft 6, 1916, ZDB-ID 2438538-4 S. 61–104.
  • Friedrich Pieth: Bündnergeschichte. Schuler, Chur 1945.
  • Ulysses von Salis-Marschlins: Des Maréschal de Camp Ulysses von Salis-Marschlins Denkwürdigkeiten. Übersetzt und herausgegeben von Conradin von Mohr, Chur 1878, (Digitalisat).
  • Fortunat Sprecher von Bernegg: Geschichte der Kriege und Unruhen, von welchen die Drei Bünde in Hohenrätien von 1618 bis 1645 heimgesucht wurden. Übersetzt und herausgegeben von Conradin von Mohr, Chur 1856, (Digitalisat).
  • Peter Stadler: Das Zeitalter der Gegenreformation. In: Handbuch der Schweizer Geschichte. Band 1. Verlag Berichthaus, Zürich 1972, ISBN 3-85572-002-9, S. 571–672.
  • Paul de Vallière: Treue und Ehre. Geschichte der Schweizer in fremden Diensten. Deutsch von Walter Sandoz. Les Editions d’Art Suisse Ancien, Lausanne 1940.
  • Andreas Wendland: Der Nutzen der Pässe und die Gefährdung der Seelen. Spanien, Mailand und der Kampf ums Veltlin, 1620–1641. Chronos, Zürich 1995, ISBN 3-905311-65-8.
  • Johannes Wieland: Geschichte der Kriegsbegebenheiten in Helvetien und Rhätien als Handbuch zum Militairunterricht für Schweizeroffiziere aller Waffen. Theil 1. Schweighauer, Basel 1827, (Digitalisat).
  • Heinrich Zschokke: Ausgewählte Schriften. Theil 38: Geschichte des Freistaats der drei Bünde im hohen Rhätien. (Beschluß). Heinrich Remigius Sauerländer, Aarau 1828, (Digitalisat).
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Einzelnachweise

  1. Stadler: Das Zeitalter der Gegenreformation. 1972, S. 621.
  2. Peter Dürrenamt: Schweizer Geschichte. Band 1. 1976.
  3. Stadler: Das Zeitalter der Gegenreformation. 1972, S. 622 f.
  4. Stadler: Das Zeitalter der Gegenreformation. 1972, S. 623.
  5. Pieth: Bündnergeschichte. 1945, S. 208.
  6. Pieth: Bündnergeschichte. 1945, S. 212.
  7. Wieland: Geschichte der Kriegsbegebenheiten in Helvetien und Rhätien. 1827, S. 470 f.
  8. Wieland: Geschichte der Kriegsbegebenheiten in Helvetien und Rhätien. 1827, S. 471.
  9. Martin Bundi: Monzon, Vertrag von. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  10. Pieth: Bündnergeschichte. 1945, S. 216.
  11. Zschokke: Geschichte des Freistaats der drei Bünde im hohen Rhätien. 1828, S. 102.
  12. Zschokke: Geschichte des Freistaats der drei Bünde im hohen Rhätien. 1828, S. 106.
  13. Frey: Die Kriegstaten der Schweizer. 1905, S. 557.
  14. Pieth Friedrich: Die Feldzüge des Erzherzogs Rohan im Veltlin und in Graubünden. 2. Auflage. Schuler, Chur 1935, S. 27.
  15. Frey: Die Kriegstaten der Schweizer. 1905, S. 558, 561.
  16. Frey: Die Kriegstaten der Schweizer. 1905, S. 560.
  17. de Vallière: Treue und Ehre. 1940, S. 292.
  18. Frey: Die Kriegstaten der Schweizer. 1905, S. 561.
  19. de Vallière: Treue und Ehre. 1940, S. 294.
  20. Bündner Kirchengeschichte,Teil 3
  21. Pieth: Bündnergeschichte. 1945, S. 227 f.
  22. Pieth: Bündnergeschichte. 1945, S. 228.
  23. Peter Dürrenamt: Schweizer Geschichte. Band 1. 1976.
  24. Ulrich Im Hof: Die Schweiz. Illustrierte Geschichte der Eidgenossenschaft. Verbesserte und erweiterte Bearbeitung der Taschenbuchausgabe. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1984, ISBN 3-17-008519-0, S. 80.
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