Spionage
Spionage ist die meist verdeckte, mit nachrichtendienstlichen Mitteln und Methoden betriebene Beschaffung von Staatsgeheimnissen oder anderen Informationen über politische, militärische, wirtschaftliche, wissenschaftliche und andere Themen meist durch ausländische Nachrichtendienste oder in deren Auftrag. Sie dient in der Regel dem Erkenntnisgewinn und der frühzeitigen Erkennung von Gefahren, um diese abwehren zu können. Eine Person, welche Spionage betreibt, nennt man Spion.
Etymologie
Das Wort Spion wurde im 16. Jahrhundert aus italienisch spione ‚Beobachter, Kundschafter‘ (Augmentativum zu spia ‚Späher‘) entlehnt und verbreitete sich während des Dreißigjährigen Krieges in der deutschen Sprache. Später bildete man dazu die Wörter spionieren (Ende 17. Jahrhundert, nach französisch espionner) und Spionage (1. Hälfte des 18. Jahrhunderts, nach französisch espionnage).[1]
Geschichte
Der Beginn der Spionage durch spezielle Nachrichtendienste geht in Deutschland auf die Jahre um 1866/1867 unter Major Heinrich von Brandt, dem Leiter des zeitweilig eingerichteten militärischen Nachrichtenbüros des kaiserlichen Generalstabes, zurück. Dieses wurde dann 1873 nach Beendigung des deutsch-französischen Krieges aus Effizienzgründen kurzzeitig wieder aufgelöst. Mit der Kabinettsorder vom 24. Mai 1883 wurde für Preußen bestimmt, die Sammlung von Nachrichten und statistischen Materials über fremde Heere als eine permanenten Aufgaben zu realisieren.[2] 1889 wurde die Abteilung III b im Großen Generalstab gegründet. Die Dreyfus-Affäre entwickelte sich 1894 in Frankreich vom vorgeblichen Spionagefall zugunsten des Deutschen Kaiserreichs zum vollwertigen Justiz- und Militärskandal.
Um die Jahrhundertwende lassen sich bereits im europäischen Raum um die 17 militärische Nachrichtendienste nachweisen. Dazu gehörten unter anderem: im Vereinigten Königreich der Secret Intelligence Service, der Security Service, der russische Militärnachrichtendienst der zaristischen Armee, der aus der Ochrana hervorgegangen war, das österreichische k.u.k. Evidenzbüro und weitere. Von besonderem Gewicht zur Entwicklung und deutlicheren Qualifizierung nachrichtendienstlicher Arbeit war der russisch-japanische Krieg 1905/1906, der bereits einige wesentliche Elemente des späteren Ersten Weltkrieges in sich barg. So gab es die ersten bedeutenden Spionageaktivitäten bereits lange vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Allein in den Jahren 1907 und 1908 wurden in Deutschland wegen des Spionageverdachts 66 Personen festgenommen und davon 12 wegen des Deliktes der Spionage gerichtlich verurteilt.
Lange vor dem Zweiten Weltkrieg bereiteten sich in Deutschland die entsprechenden Einrichtungen des Reichswehrministeriums wie die Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht, des Auswärtigen Amtes, des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (SD), der Politischen Polizei, der Gestapo, des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) gezielt auf die nachrichtendienstliche Aufklärung seiner Gegner, deren Bekämpfung aber auch die Spionageabwehr vor. In den Jahren zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Zweiten Weltkrieg existierten allein auf deutschem Territorium über 80 nachrichtendienstlich arbeitende Organisationen unterschiedlicher Struktur und politischer Ausrichtung. Von besonderem Wert wurde dabei, das neben der klassischen Spionagetätigkeit, durch den rasanten technischen Fortschritt, die Aktivitäten im Bereiche der Fernmeldeaufklärung, der kryptographischen Fortschritte der Government Code and Cypher School. Bereits in den 1920er Jahren entstanden Einrichtungen, die für das Abfangen und Entschlüsseln ausländischer Kommunikation zuständig waren. Das Double Cross System des Security Service, die sich untereinander mit falschen Informationen fütterten, die nachrichtendienstliche Überwachung von Brief-, Telegramm- und Funkdiensten sowie die Arbeit der Luftbildaufklärung. Außerdem, die für die beteiligten Personen oft hochgefährlichen Aktionen der „Special Operations Executive“ (SOE), die im feindlichen Lager gezielt Spionage und Sabotage betrieben.
Im Kalten Krieg kam es zu einer massiven gegenseitigen Spionage zwischen den Vereinigten Staaten und ihren Alliierten einerseits sowie der Sowjetunion und der Volksrepublik China und deren Verbündeten andererseits. Insbesondere die Geheimnisse um den Bau von Kernwaffen und die militärische Aufklärung waren dabei von gegenseitigem Interesse.
Es wurden Richtfunk-Verbindungen von und nach West-Berlin sowie innerhalb Westdeutschlands entlang der innerdeutschen Grenze durch Horchposten des Ministeriums für Staatssicherheit und der Militärische Aufklärung der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) systematisch abgehört. In der DDR wurde die Rolle von Mitarbeitern der östlichen Nachrichtendienste als „Kundschafter des Friedens“ propagandistisch von westlichen Spionen abgesetzt und unterschieden.
Verbreitung
Die Tätigkeit von Spionen oder Agenten, die zumeist von den eigenen Nachrichtendiensten angeworben oder geführt werden, ist nur ein Teilaspekt der nachrichtendienstlichen Tätigkeit. Viele Staaten unterscheiden zudem
- militärische und zivile (und im Weiteren auch polizeiliche) Informationsgewinnung,
- Nachrichtengewinnung über menschliche Quellen, wie Informanten, angeworbene oder eingeschleuste Spione, auch als Human Intelligence (HUMINT) bezeichnet, und Spionage mit technischen Mitteln, wie Spionageflugzeuge, Spionagesatelliten, Funkaufklärung, Anzapfen von Fernmeldeleitungen
- Nachrichtengewinnung, die eigentliche Spionage und die zugehörigen Spionageabwehrgegen entsprechende Maßnahmen fremder Dienste, meist auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln.
Neben Spionage mit dem Ziel der Gewinnung industrieller und militärtechnischer Geheimnisse durch Staaten existieren auf diesem Gebiet auch in Einzelfällen Spionageaktivitäten durch private Organisationen, insbesondere Wirtschaftsunternehmen.
Auch heute werden Kommunikationswege wie Satelliten, Glasfaser, Richtfunk sowie Mobilfunk-Verbindungen durch Nachrichtendienste überwacht und ausspioniert. Dies auch bei befreundeten Staaten.[3]
Informationssammlungen mit nachrichtendienstlichen Mitteln wurden nach dem Zusammenbruch des Ostblocks vor allem auf die Bekämpfung der Proliferation, des illegalen Drogenhandels und des Terrorismus gerichtet, allerdings gewinnt Wirtschaftsspionage immer mehr an Bedeutung.[4]
Gemäß einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Mai 2018 darf der Bundesnachrichtendienst auch weiterhin in großem Umfang Daten beim Internet-Knoten DE-CIX in Frankfurt am Main abgreifen.[5]
Wirtschaftsspionage
Wirtschaftsunternehmen, die Spionage betreiben oder Zugriff auf nachrichtendienstlich erlangte Informationen haben, erlangen einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber Wettbewerbern, da sie etwa fremde Forschungsergebnisse ausnutzen können, ohne dass eine eigenständige Forschungsarbeit erfolgen müsste. Spioniert wird auch, um zum Beispiel einen Konkurrenten bei Ausschreibungen knapp unterbieten zu können.
Motive
Bei der Anwerbung von Staatsangehörigen fremder Mächte zur Spionage werden in der Forschung vier Motive identifiziert, die mit dem englischen Akronym MICE (engl. Mäuse) umschrieben werden:[6]
- Money (‚Geld‘): Viele Spione wollen mit zusätzlichem Einkommen ihren Lebensstil finanzieren, ein historisches Beispiel ist Aldrich Ames.
- Ideology (‚Ideologie‘): Wer sich bestimmtem Gedankengut verpflichtet fühlt, wird eher bereit sein, jenen zu helfen, die dieses Gedankengut vertreten, beispielsweise waren während des Kalten Krieges Kim Philby und George Blake Spione aus ideologischer Überzeugung
- Coercion (‚Zwang‘): Fallweise werden potenzielle Agenten eingeschüchtert, bedroht oder erpresst, um sie zur Kooperation zu bewegen. So wurde z. B. Alfred Redl mit Enthüllung seiner Homosexualität und Edgar Feuchtinger mit der Enthüllung seiner Desertion erpresst.
- Ego: Ein Spion ist in seiner Selbstwahrnehmung eine wichtige und einflussreiche Person, was ihn von der Masse der Menschen unterscheidet, auch wenn diesen seine Rolle nicht bekannt ist; er kann in dieser Rolle auch anderen (z. B. Vorgesetzten) etwas „heimzahlen“. Nach diesem Motiv handelte etwa Robert Hanssen.
Siehe auch
Literatur
Gesamtdarstellungen
- Clifford Stoll: Kuckucksei: Die Jagd auf die deutschen Hacker, die das Pentagon knackten. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1998, ISBN 3-596-13984-8.
- Knopp: Top-Spione. Verräter im Geheimen Krieg. C. Bertelsmann Verlag, München 1994.
- Albrecht Charisius und Julius Mader: Nicht länger geheim – Entwicklung, System und Arbeitsweise des imperialistischen deutschen Geheimdienstes, Deutscher Militärverlag, Berlin-Ost, 1960.
- Markus Mohr, Klaus Viehmann (Hrsg.): Spitzel. Eine kleine Sozialgeschichte. Assoziation A, Berlin, Hamburg 2004, ISBN 3-935936-27-3.
- Abschnitt Aus dem Geheimdienst. , in: Wolfgang Foerster: Kämpfer an vergessenen Fronten. Feldzugsbriefe, Kriegstagebücher und Berichte. Kolonialkrieg, Seekrieg, Luftkrieg, Spionage, Berlin (Deutsche Buchvertriebsstelle. Abteilung für Veröffentlichungen aus amtlichen Archiven) 1931, S. 422–606.
- Paul von Lettow-Vorbeck (Hrsg.): Die Weltkriegsspionage. Authentische Enthüllungen über Entstehung Art, Arbeit, Technik, Schliche, Handlungen, Wirkungen und Geheimnisse der Spionage vor, während und nach dem Kriege auf Grund amtlichen Materials aus Kriegs-, Militär-, Gerichts- und Reichsarchiven. Vom Leben und Sterben, von den Taten und Abenteuern der bedeutendsten Agenten bei Freund und Feind, München (Moser) 1931.
- Thomas A. Reppetto: Battleground New York City. Countering spies, saboteurs, and terrorists since 1861, Washington, DC (Potomac Books) 2012. ISBN 978-1-59797-677-0.
- Wolfgang Krieger: Geschichte der Geheimdienste. Von den Pharaonen bis zur CIA (= Beck’sche Reihe. 1891). Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-58387-2
Deutsch-deutsche Spionage
- Claus Arndt: Die Herausgabe von Stasi-Unterlagen Prominenter, in: NJW 2004, S. 3157 ff.
- Friedrich-Wilhelm Schlomann: Die Maulwürfe. Universitas Verlag, Tübingen 1993, ISBN 3-8004-1285-3.
- Klaus Behling, Can Kerim Aykac, Andrea Behling: Kundschafter a. D. Das Ende der DDR-Spionage. Stuttgart, Leipzig, Hohenheim-Verlag 2003, ISBN 3-89850-098-5.
- Nicole Glocke: Im Auftrag von US-Militäraufklärung und DDR-Geheimdienst. Die Lebensgeschichten zweier gegnerischer Agenten im Kalten Krieg, Verlag Dr. Köster, Berlin 2010 ISBN 978-3-89574-725-0.
- Günter Guillaume: Die Aussage. Wie es wirklich war. Universitas Verlag, München 1990.
- Bernd Michels: Spionage auf Deutsch. Wie ich über Nacht zum Top-Agenten wurde. Zebulon Verlag, Düsseldorf 1992, ISBN 3-928679-06-6.
- Stefan Henn: Der Natürliche Humanismus: Das Humanistische Buch zum realen Spionagefall (Memento vom 8. März 2005 im Internet Archive).
- Harold Keith Melton: Die Welt der Spione. Im Auftrag der Geheimdienste. Paletti, Köln 2004, ISBN 3-8336-0134-5.
- Markus Wolf: Spionagechef im geheimen Krieg. Ullstein, Berlin 2005, ISBN 3-548-36589-2.
Enzyklopädische Werke
- Lerner, K. Lee; Lerner, Brenda Wilmoth: Encyclopedia of espionage, intelligence, and security, Detroit, Thomson/Gale, 2004 (Vollversion bei archive.org)
Trivia
- Krieg in den Wolken – Luftspionage über der DDR. Dokumentation, 2007, 45 Min., ein Film von Jan Lorenzen, Michael Marten, John Goetz und Claudia Schön, Produktion: MDR, Erstsendung: 20. November 2007, Inhaltsangabe (Memento vom 3. Januar 2008 im Internet Archive) des MDR
- James Bond – Agent 007, ist ein von Ian Fleming erfundener Geheimagent. Es gibt sowohl Bücher, Filme und Spiele über den für den MI6 tätigen Spion.
- Seit 2015 bietet das Deutsche Spionagemuseum in Berlin einen Überblick zur Welt der Spionage von der Antike bis zur Gegenwart.
Weblinks
- Jens Koenen und Ulrich Hottelet: Tagesgeschäft Spionage, Handelsblatt, 5. September 2007
- Kurzer Einblick in die Geschichte der Spionage von den ersten Großreichen der Antike bis ins 19. Jahrhundert auf der Internetseite des Deutschen Spionagemuseums Berlin.
Einzelnachweise
- „Spion“, in: Wolfgang Pfeifer et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993). Digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, abgerufen am 15. Januar 2020.
- Johannes Ehrengruber, Geheim- und Nachrichtendienste des Deutschen Kaiserreichs vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, GRIN Verlag München, 2013, S. 6ff.
- Bundesregierung will jetzt befreundete Staaten überwachen. Lange wurde gezögert, jetzt soll die Bundesregierung den Beschluss gefasst haben: Amerikanische und britische Geheimdienste dürfen auf deutschem Boden observiert werden. In: zeit.de. 23. Juli 2014, abgerufen am 31. Mai 2018.
- Verfassungsschutzbericht 2007 (Memento vom 20. September 2008 im Internet Archive)
- Gerichtsurteil: BND darf weiterhin Internet-Knoten DE-CIX anzapfen. Der Bundesnachrichtendienst kann weiterhin am Internet-Knoten De-CIX anlasslos Daten abgreifen, urteilt das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. 31. Mai 2018, abgerufen am 31. Mai 2018.
- Ira Winkler: Spies among us. Wiley Publishing, Indianapolis 2005, ISBN 0-7645-8468-5, S. 8 f.