Schlangeninsel
Die Schlangeninsel (ukrainisch Острів Зміїний / Ostriw Smijinyj, rumänisch Insula Șerpilor, russisch Остров Змеиный / Ostrow Smeiny und griechisch Λεύκη/Leuke „die Weiße“ bzw. neugriechisch Φιδονήσι/Fidonisi) ist eine der wenigen Inseln und Eilande im Schwarzen Meer und gehört zum Rajon Kilija, Oblast Odessa, Ukraine. Auf der Insel befindet sich die Siedlung Bile mit etwa 30 Einwohnern.
Schlangeninsel | ||
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Gewässer | Schwarzes Meer | |
Geographische Lage | 45° 15′ 17″ N, 30° 12′ 12″ O | |
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Länge | 660 m | |
Breite | 660 m | |
Fläche | 17 ha | |
Höchste Erhebung | 41 m | |
Einwohner | 30 176 Einw./km² | |
Hauptort | Bile | |
Beschreibung
Die Insel ist dem Donaudelta vorgelagert und ragt etwa 12 Seemeilen vor der rumänischen Küste als 41 m hoher, weißer Felsen aus dem Meer. Sie hat einen Durchmesser von etwa 600 m, eine Fläche von 17 Hektar sowie eine Küstenlänge von 4 km.
Die Angaben über die auf der Felseninsel errichteten Anlagen sind widersprüchlich, da sie als militärisches Sperrgebiet bisher unzugänglich war. Es soll einen nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten, 23 m hohen Leuchtturm mit einer Reichweite von 19 Seemeilen geben. Außerdem seien zwei Anlegestellen für Schiffe mit großer und mittlerer Tonnage sowie eine ukrainische Grenzstation vorhanden. Die sowjetische Schwarzmeerflotte soll Munitions- und Treibstofflager, Radaranlagen sowie Raketenstellungen errichtet haben.
Etymologie
In antiker Zeit soll die Insel nur von Meeresvögeln und Schlangen bewohnt gewesen sein; nach letzteren wurde sie später benannt. Das Eiland wurde auch Leuke (Λευκή, griechisch), die Weiße, genannt, weil es aus der Ferne Ähnlichkeit mit dem weißen Kalkstein der Dobrudscha hat.
Die Griechen nannten die Insel in der Zeit des osmanischen Reiches Fidonisi (griechisch „Schlangeninsel“).
Griechische Mythologie
Über die Insel berichtet die im 2. Jahrhundert vom Historiker Philostratos von Lemnos verfasste Sagengeschichte Heroikos. In der griechischen Mythologie galt sie als „Insel der Glücklichen“, weil auf ihr geplagte Seelen ihre ewige Ruhe fanden. Die prominenteste Seele war die des im trojanischen Krieg gefallenen Achilleus, Sohn der Meeresgöttin Thetis. Der Sage nach soll Poseidon ihn aus der Tiefe erhoben und ihm dort einen letzten Ruheplatz verschafft haben. Die Sage berichtet, dass auf dem Eiland ein Tempel sowie ein Standbild des Achilleus existiert haben. Griechische Seeleute hätten auf der Insel angelegt, um kostbare Gaben, wie Ringe und Gefäße, zu opfern. Entsprechende Funde befinden sich heute im Archäologischen Museum von Odessa.
Unter den zahlreichen Hypothesen zur Lage des im Meer versunkenen Atlantis des Platon beschreibt eine jüngere These die Schlangeninsel als letzten Rest dieses Inselkontinents.
Inselbeschreibung in der Antike
- Ein weißes Felsengebirge steigt aus dem Meer,
- zum Teil mit überhängenden Wänden,
- keine Wohnung,
- kein menschlicher Laut weder am Gestade noch in den einsamen Talschluchten,
- nur Scharen von weißen Vögeln umschweben die Klippen.
- Wer die Insel betritt, wagt doch nie, die Nacht auf ihr zuzubringen. Wenn man den Tempel und das Grab Achills besucht und die von früheren Besuchern niedergelegten Weihgeschenke betrachtet hat, so besteigt man abends wieder das Schiff.
Geschichte
Mittelalter und Neuzeit
Die Herrschaft über das unbewohnte und militärstrategisch günstig gelegene Eiland war stets an die politischen Verhältnissen auf dem nahe liegenden Festland gekoppelt.
Im 14. und 15. Jahrhundert stand die Insel unter Hoheit des walachischen Fürsten Mircea cel Bătrân, der über die gesamte Region (Dobrudscha, Donaumündung, Südbessarabien) herrschte. Als das Schwarze Meer im 16. Jahrhundert ein türkisches Binnenmeer wurde, fiel mit dem walachischen Fürstentum auch die Schlangeninsel für Jahrhunderte an die Hohe Pforte in Istanbul. Der Name der Insel lautete nun Yilan Adası.
Mit dem Zerfall des Osmanischen Reichs und durch die russische Südexpansion im 19. Jahrhundert stieg die militärische Bedeutung der winzigen Meeresinsel. Im 7. Russischen Türkenkrieg kam es 1788 nahe der Insel zur Schlacht von Fidonisi zwischen der russischen und der osmanischen Flotte. Nach dem 9. Russischen Türkenkrieg gelangte Russland für eine kurze Zeit in ihren Besitz, als es 1829 im Frieden von Adrianopel das Osmanische Reich zur Abtretung der Donaumündung und damit auch der Schlangeninsel zwang. 1854 trafen sich vor der Insel die Flotten von Großbritannien, Frankreich und Sardinien-Piemont, um gemeinsam in den Krimkrieg zu ziehen und Sewastopol anzulaufen. Nach der russischen Niederlage verblieben zaristische Truppen auf der Insel, denn sie fand im Frieden von Paris 1856 keine Erwähnung. Ein Abzug erfolgte erst 1857 nach Androhung von Beschuss russischer Häfen durch die britische Flotte.
Im 11. Russischen Türkenkrieg 1877/78 zwang das Russische Reich die Türkei erneut zur Abtretung des Donaudeltas und der Schlangeninsel, jedoch zugunsten des rumänischen Königreichs, als Teil der Dobrudscha.
Im Jahr 1856 wurde die Europäische Donaukommission gegründet, die den Ausbau der Donau als europäische Wasserstraße einleitete. Zur Kennzeichnung der schiffbaren Passagen im Donaudelta und an der Schwarzmeerküste wurden Leuchttürme und Seezeichen installiert. Der Leuchtturm der Schlangeninsel wurde im Jahr 1891 von fünf türkischstämmigen Leuchtturmwärtern und drei rumänischen Marinesoldaten unterhalten und vom Hafenkommandanten der Stadt Sulina beaufsichtigt. Die Besoldung der Leuchtturmwärter erfolgte durch einen Fonds der Donaukommission. Zu diesem Zeitpunkt besuchte der österreichische Jagd- und Reiseschriftsteller Leo Freiherr von Kalbermatten von Sulina kommend die Insel, er schilderte seine Eindrücke zur Tierwelt:
- Im Osten und Südosten der Insel entdeckte ich Brutplätze von Silbermöwen (Larus Argentatus). … Bei dem Brutplatze der Möwen hielt sich eine kolossale Menge Schlangen auf; diese Gattung Schlangen (Tesselatus) kommen in ganz Europa vor, sind von glänzend schwarzer Farbe und etwa 3 bis 4 Fuss lang. … auch in der einstigen Zisterne bei den Brutplätzen wimmelte es von Schlangen, sonst aber fanden sich auf der ganzen Insel und am Strand keine Schlangen. …
Im Ersten Weltkrieg wurde die Insel am 25. Juni 1917 kurzzeitig von deutschen Marinesoldaten besetzt: Ein Landungstrupp des Kreuzers Breslau (türk. Midilli) besetzte die Insel für zwei Stunden, nachdem der Kreuzer die Funkstation auf der Insel durch Artilleriefeuer zerstört hatte. Der Trupp machte mehrere Gefangene und erbeutete ein Schwein und mehrere Hammel.
Gegenwart
Bis 1948 gehörte die Schlangeninsel zu Rumänien (Stadt Sulina), wurde dann aber von der moskautreuen rumänischen Politikerin Ana Pauker in einem geheimen Protokoll vom 23. Mai 1948 der Sowjetunion übergeben, wovon die rumänische Öffentlichkeit jahrzehntelang nichts erfuhr. Noch im Jahre 1975 fragte der damalige rumänische Präsident Nicolae Ceaușescu nach Rechenschaft, wie es überhaupt möglich war, dass diese Insel in sowjetischen Besitz kam.[1] Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verhandelten in Kiew die Ukraine und Rumänien mehrere Jahre über das Schicksal der Insel. 1991 wurde dann auch der Grenzverlauf des Festlandes zwischen den beiden Staaten festgelegt, der aber bis zum Jahr 2003 umstritten war. Nachdem die NATO Rumänien zu einer besseren Sicherung seiner Landesgrenzen gedrängt hatte, unterzeichnete man am 17. Juni 2003 in Czernowitz nach zehnjährigem Streit den ukrainisch-rumänischen Grenzvertrag, der den Grenzverlauf nun verbindlich festlegt. Im Gegenzug sicherte die ukrainische Regierung zu, keine Offensivwaffen auf der Insel zu stationieren.
Ein wichtiger Streitpunkt war unter anderem die Grenzziehung durch die Aufteilung des Schwarzmeer-Kontinentalsockels, in dem große Öl- und Erdgasvorkommen vermutet werden. Der Streit um die Grenzziehung an dem Kontinentalsockel wurde am 3. Februar 2009 durch den Internationalen Gerichtshof gelöst – Rumänien erhält etwa 79 %, die Ukraine bekommt 21 % des umstrittenen Kontinentalsockels.[2]
Inselbesuch 1998
1998 steuerte der deutsche Weltumsegler Rollo Gebhard bei einer Segeltour durch das Schwarze Meer die Felsinsel an. Sein Boot war das erste ausländische Schiff, das die als Militärstützpunkt und Beobachtungsstation ausgebaute Insel aufsuchen durfte. Der kurze Aufenthalt diente der wissenschaftlichen Erkundung der Fauna und Flora. Der Felsen erinnere an den des 10-mal größeren Helgoland, aber ohne geschützten Anlegeplatz oder Hafen. Die Landung erfolgte mit dem Schlauchboot zwischen den Felsen und durch Erklettern einer steilen Wand. Für die Soldaten der Küstenwache war der Besuch wegen des eintönigen Dienstes eine Sensation. Der Inselkommandant führte die Besucher sogar zu den Kasernenanlagen.
Militärische Eroberung 2022
Am 24. Februar 2022, dem ersten Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, wurde die Insel von der russischen Marine umstellt und mit Schiffskanonen beschossen. Nachdem die Verbindung zu den ukrainischen Grenzschutz- und Militärkräften auf der Insel abgebrochen war, wurde am Abend ihre Eroberung durch Russland gemeldet.[3] Nach Darstellung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kamen alle 13 auf der Insel stationierten ukrainischen Soldaten durch einen Beschuss russischer Kriegsschiffe ums Leben, da sie sich trotz Aufforderung nicht ergeben wollten. Stattdessen sollen sie dem Kriegsschiff geantwortet haben: „Russisches Kriegsschiff, fick dich!“ (russisch: Русский военный корабль, иди на хуй! Russkij wojennyj korabl', idi na chuj).[4] Nach russischer Darstellung seien 82 ukrainische Soldaten der Inselbesatzung in Kriegsgefangenschaft gegangen.[5] Am 28. Februar 2022 teilte die ukrainische Flotte mit, dass es keine Toten gegeben habe.[6]
Literatur
- Leo Freiherr von Kalbermatten: Sumpfleben und Jagden. Von Wien bis Batum in Klein-Asien. Hartleben, Wien u. a. 1891, S. 151–159.
- Hannes Hofbauer, Viorel Roman: Bukowina, Bessarabien, Moldawien. Vergessenes Land zwischen Westeuropa, Russland und der Türkei. Promedia, Wien 1993, ISBN 3-900478-71-6 (2., verbesserte und erweiterte Auflage. ebenda 1997, ISBN 3-85371-126-X).
Weblinks
- Rumänien gewinnt Rechtsstreit um Schlangeninsel, Siebenbürger Zeitung, 18. Februar 2009
- Grenzstreit mit Ukraine Rumänien zieht vor Internationalen Gerichtshof, SZ.de, 11. Mai 2010
- Spätfolgen des „Kalten Krieges“ – die Schlangeninsel im Schwarzen Meer (Memento vom 28. April 2019 im Internet Archive), euronews, 3. Februar 2009
- Schlangeninsel, hellenica.de
- Ukraine verstärkt Truppenpräsenz auf der Schlangeninsel. Ukrinform, 15. Februar 2016
- Das instabile Dreieck Rumänien-Ukraine-Moldawien, Backyard Safari, 17. Juni 2011
- Internationaler Gerichtshof in Den Haag beendet Grenzstreitigkeiten zwischen Rumänien und der Ukraine im Schwarzen Meer, Ukraine-Nachrichten, 4. Februar 2009
- Gericht zieht neue Seegrenze zwischen Rumänien und der Ukraine, DW, 5. Februar 2009
- Energie-Streit: Die Insel ist doch nur ein Felsen (Memento vom 28. April 2019 im Internet Archive), Die Presse, 3. Februar 2009
Einzelnachweise
- Evenimentul Zilei vom 4. September 2008, abgerufen am 29. April 2011.
- Urteil des Internationalen Gerichtshofes vom 3. Februar 2009. (Memento vom 5. Februar 2009 im Internet Archive) (PDF; 1 MB)
- Russische Truppen erobern offenbar wichtige Insel im Schwarzen Meer. In: Der Spiegel. 24. Februar 2022, abgerufen am 24. Februar 2022 (21.43 Uhr).
- Every single soldier guarding Zmiinyi Island, or Snake Island, in the Black Sea has died, Zelenskiy said. In: The Guardian. 24. Februar 2022, abgerufen am 25. Februar 2022 (englisch, 23.36 Uhr).
- Ukraine: Soldaten geben nicht auf und sterben bei Verteidigung von Schlangeninsel. In: Frankfurter Rundschau. 26. Februar 2022, abgerufen am 26. Februar 2022.
- Von Russen gefangengenommen: Ukrainische Schlangeninsel-Soldaten am Leben. In: n-tv.de. 28. Februar 2022, abgerufen am 28. Februar 2022.